Prosalog

Hier ist Raum für gemeinsame unkommentierte Textfolgen
Nifl
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Beitragvon Nifl » 23.07.2007, 18:09

Bild
Foto A.P. Sandor et moi


Prosafluss - Geheime Nachrichten - Flüsterpost - Prosapool - ungebunden - verbunden - Prosadialog - Prosakette - Prosa rhei - ungebunden - verbunden - Prosa - Blitzlichter - Prosalog - Wort zu Wort Beatmung - Prosafolge - ungebunden - verbunden


Hier handelt es sich um einen Faden, in dem ihr euch prosaisch zurücklehnen könnt. Lasst euren Gedanken freien Lauf. Erzählt von euren Träumen, eurem Ärger, euren Problemen, euren Sehnsüchten, euren Beobachtungen, euren Wünschen, euren Phantasien, euren Ideen, eurem Kummer, eurer Wut, eurem Tag, euren Spinnereien … "Die Wahrheit" spielt dabei selbstverständlich keine Rolle.
Fühlt euch frei.

Lasst euch von bereits verfassten Texten inspirieren, greift das Thema auf, oder schreibt einfach "frei Schnauze"… alles ist erlaubt.

Ich bin gespannt!




Kleingedrucktes:

Damit eure Kostbarkeiten behütet bleiben, müssen folgende Regeln beachtet werden:

Bitte keine Kommentare
Keine direkten Antworten (zB. Gratulationen, Beileidsbekundungen, Nachfragen etc.)
Keine Diskussionen
Kein Smalltalk oder Talk überhaupt

Geht immer davon aus, dass alle Texte Fiktion sind.



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Zuletzt geändert von Nifl am 04.08.2007, 09:08, insgesamt 1-mal geändert.
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Stefan

Beitragvon Stefan » 23.08.2007, 04:31

Moslem betritt Videothek. Matrosenanzug riecht nach Freitagsschweiß. Unsaubere, dicke Luft auch unter den sitzenden, trinkenden, rauchenden Deutschen. Sie sprechen undeutlich, jedoch versteht er jedes Wort. Ohne wirklich hinhören zu wollen, schnappt er "Fuck", "Homo" und "Nazi" auf, aber vor allem "Fuck". Die Titel der ausgestellten Filme klingen anständiger. Nach etlichem Herumgestöber - Gelese, Gewähle, Gesammele - hat er sich endlich entschieden: Die Komödie mit dem innovativen Aufdruck "In Love with Humans" verspricht allen Kriterien zu genügen: Nicht nur die Dramaturgie scheint ausreichend - sogar mit einem Schuss "Action" für den Muslim -, auch für seine Partnerin wäre der Anteil leichter Unterhaltung, für seine Kinder das Kalkül des Unmöglich-Belehrenden, enthalten. Großes Kino, kulturelle Bildung, endlich Familie. Er nimmt, stempelt Gratispunkte ab, und geht.
Heute geht Moslem Video - und es steht fest, was morgen passiert: Den Film zurückbringen wird er.

der grottenschlechte und zu Recht diskutierte erste Versuch:
Ein Muslim betritt eine Videothek. In seinem arbeitsbedingt angelegten Matrosenanzug - es ist ja gerade sein Freitag - kommt er sich leicht undeutsch vor, jedoch soll das keine Rolle spielen. Nach etlichem Herumgestöber - Gelese, Gewähle, Gesammele - hat er sich endlich entschieden: Die DVD hat den Titel: "Fuck the Homo-Nazis". Das scheint interessant. Er verspricht nicht nur die gewisse (notwendige) Action, nein, auch für seine Partnerin wäre der Grad Sozial-Touch, für seine Kinder das Kalkül des Umöglich-Geschehendem, vorhanden. Für sich selbst erhofft er sich nichts mehr als kulturelle Bildung. Er nimmt, stempelt Gratispunkte ab, und geht.
Der Moslem geht Video.
Zuletzt geändert von Stefan am 28.08.2007, 00:48, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 25.08.2007, 00:21

Keep me running

Es gibt Zeiten, in denen man vor gar nichts sicher ist. Alles bewegt sich und auch wieder nicht. Es sind diese evil minds, vor allem die eigenen. Sie forcieren die Wandlung. Die Sanduhr rieselt. Umdrehen? Nein. Mission impossible. Anarchismus, gepaart mit Nihilismus, schleichen sich in Denken und Handeln. Anachronismus? So what? Der Hamster radelt apathisch weiter. Hat wenigstens eine Richtung.
Soviel zu tun. Alles bleibt unangetastet und die Sanduhr rieselt und rieselt. Nina Simone sang in ihrem song "Feeling good": 'when day is done, sleeping in peace'.
Day is done. Hört sich verdammt gut an. Müsste man auch so fühlen können. Wenn da nicht dieser Schatten wäre, dem man hinterher läuft. Er ist der Hase in 'Alice im Wunderland', faselt: "Keine Zeit, keine Zeit" und verschwindet. Kommt man nicht hinterher. Keep me running, devil, keep me running!
25.08.07

Max

Beitragvon Max » 25.08.2007, 18:07

Als Junge hielt er sich oft den großen weißen Wecker der Großmutter an sein Ohr und dachte, wenn er sein Ticken belauschte, könne er der Zeit auf die Schliche kommen. Darum zog er auch so gerne die Standuhr im Wohnzimmer auf. Später kamen dann die geräuschlosen Digitaluhren und die Zeit verging trotzdem. Ihr auf die Schliche zu kommen, hat er längst aufgegeben. Nur manchmal bestaunt er sein grauer werdendes Haar und dass er über die Jahre ein Doppelkinn und leichte Hamsterbacken bekommen hat. Dass die Zeit wirklich vergeht, dachte er zuletzt auf der Beerdigung eines Kollegen.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 26.08.2007, 23:15

Mein Bruder Flori mag keine Handys leiden.
Telefonieren ist keine echte Kommunikation. Beweis: Wenn ein Telefonat länger als fünf Minuten dauert, ertappt er sich regelmäßig dabei, dass er Blümchen auf seine Schreibunterlage malt. Redet er mit einem echten Gesprächspartner, passiert ihm das nicht.
"Siehst du, wir sitzen jetzt zum Beispiel hier zusammen, trinken Kaffee und reden. Die Zeit nehmen wir uns, und in dieser Zeit tun wir nichts anderes. Das nenne ich ein echtes Gespräch."
Ich überlege, ob sich dahinter vielleicht eine Spitze gegen mich verbirgt, weil ich, als er das letzte Mal zu Besuch bei mir war, während unserer Unterhaltung gestrickt habe.
Gott sei Dank hat jetzt Monika, seine Lebensgefährtin, eine Frage: "Was ist denn so schlimm dran, wenn man während eines Gesprächs nebenher Blümchen malt?"
"Weil man dann nicht ganz bei der Sache ist! Ich merke zum Beispiel beim Telefonieren immer sofort, wenn mein Gesprächspartner anfängt, sich mit irgendwas anderem zu beschäftigen!"
Als ich das letzte Mal mit Flori telefonierte, habe ich währenddessen Wäsche sortiert und in die Maschine geräumt, die Bratwurst in der Pfanne rumgedreht sowie einen Brief an meine Lektorin frankiert und zugeklebt. Er muss es gemerkt haben. Ob ich jetzt sehr rot geworden bin? Verlegen zupfe ich an einer losen Nagelhaut.
Zum Glück ist Monika noch nicht fertig. "Willst du damit sagen, wer während des Gesprächs in der Suppe rührt, sündigt gegen den Gesprächspartner? Ich bitte dich!"
"In der Suppe rühren geht noch", präzisiert Flori, "aber wenn es daran geht, die Suppe zu salzen ..."
Ich darf Flori nicht mehr um die Mittagszeit anrufen, sonst kocht er am Ende durch meine Schuld salzlose Suppe.
Und der Brief an meine Lektorin war womöglich auch kein richtiger Brief, weil ich mit Flori telefonierte, während ich ihn frankierte und zuklebte. Mein Verlagsvertrag wird scheitern, weil er zur Unzeit anrief. Und ich obendrein nebenher noch Bratwürste drehte.
Ich erröte womöglich noch mehr und zupfe an der Nagelhaut.
"Unfähigkeit zum Multitasking", definiert Monika. "Das muss aber eine Spezialität des männlichen Gehirns sein! Überleg doch mal, wenn Mütter keine Gespräche führen könnten, während sie die Suppe salzen, dann käme überhaupt keine Suppe zustande! Man merkt wirklich, dass du keine Kinder hast!"
Ich erinnere mich, wie ich das letzte Mal beim Erlenhofer Bauern Erdbeeren pflückte. Der Erlenhofer Bauer hat ein großes Erdbeerfeld, das Kilo selbstgepflückte Erdbeeren kostet nur zwei Euro. Ich war schon ganz früh da, außer mir war nur eine Frau auf dem Feld. Sie pflückte und redete unaufhörlich. Aber nicht mit mir, dazu war sie viel zu weit entfernt. Ich dachte schon, sie führe Selbstgespräche. Als wir uns bis auf zehn Meter aufeinander zugepflückt hatten, sah ich, dass sie ein Headset aufhatte und telefonierte. Oder vielmehr handy-ierte. Vielleicht mit ihren Kindern zu Hause. Sicher werden die Kinder verwahrlosen. In zehn Jahren werden sie, verdreckt und mit Gesichtspiercings und Tattoos übersät, im Rinnstein liegen. Und uns Steuerzahlern auf der Tasche. In den Reality-Shows der Privatsender werden sie auf der Couchkante kleben und in mangelhaftem Deutsch berichten, dass in ihrer sensiblen Phase Mudder Erdbeeren pflücken ging und ihre Erziehungspflichten per Handy wahrnahm, statt gebührende Geborgenheit zu geben.
"... schmeckt nach Alkohol", höre ich. "Merkst du's?"
Ich schrecke hoch. "Wie bitte?"
"Siehste!" Flori sieht mich anklagend an. "Lass doch endlich deine Nägel in Ruh, dann kriegst du auch mit, dass der Apfelkuchen nach Cidre schmeckt!"
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 28.08.2007, 00:54

Heute erzählte mir Monika, dass sie ständig Diskussionen mit Flori hat wegen der Länge seiner Mittagspause.
Flori ist selbständig, arbeitet in einem winzigen Büro und gönnt sich zwei Stunden Mittagspause, während derer er rein gar nichts tut. Er geht auch nicht ans Telefon. Vielleicht meditiert er.
Ich bräuchte auch zwei Stunden Mittagspause, wenn ich beim Telefonieren nicht mal Blümchen malen dürfte. Es ist doch sicher ungeheuer anstrengend, sich den ganzen Vormittag über so krampfhaft nur auf das zu konzentrieren, was man gerade tut. Ich bin immer mit mindestens einem Drittel meiner geistigen Kapazität irgendwo abwesend - auch wenn man es mir nicht anmerkt. Vielleicht kriege ich deshalb so wenig mit von dem nichtvirtuellen Spam, der ständig die Luft durchschwirrt. (Von den wirklich wichtigen Dingen bekomme ich auch vieles nicht mit, aber was wichtig ist, wird eh wiederholt.)
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.08.2007, 03:17

Wie oft beachtet man nur die vermeintlich großen Ereignisse. Die kleinen geben dem Tag seine Geltung, lassen mich am Abend sagen: Ja, es war ein guter Tag!

War es ein guter Tag heute?
Er startet mit einem Presslufthammer im Kopf. Nicht gut, gar nicht gut. Die erste Tablette. Als der Schmerz erträglicher wird, lese ich Zeitung. Schlechte Nachrichten, immer nur schlechte Nachrichten. Warum lese ich die überhaupt. Noch keine Punkte gesammelt für den Satz. Nebenan wird die Horde aus dem Kindergarten ins Freie gelassen. Zwei Stunden Toben von dreißig Kleinkindern. Sie haben die Bobbycars in Beschlag genommen. Die kratzen mit ihren Plastikrändern ohrenbetäubend auf dem Asphalt. Begleitet wird dieses Geräusch von einem Quietschen, das sich anhört wie Fingernägel an der Tafel. Heute ist wieder ein Schreikind dabei. Moderne Erziehung. Sie lassen den Knirps schreien. Niemand kümmert sich. 90 Dezibel. Mindestens. Trotz nagelneuer Fensterfront, extra wegen den tollwütigen Ungeheuern eingebaut. Völlig umsonst, genau wie meine etlichen Gespräche mit den dort zuständigen Sozialpädagogen.
"Nein, wir lassen ihn schreien. Er muss lernen, dass er damit nichts erreicht. Gingen wir jedes Mal auf ihn ein, würde es nur noch schlimmer werden!"
Ja, schlimmer, auch meine Kopfschmerzen. Migränealarm. Ab in die Küche, wieder eine Pille. 13.00 Uhr. Hab noch nichts im Magen, kein Appetit. Was auch sollte mir Appetit anregen? Diese Welt ist ein einziger Appetithemmer. Wieso gibt es überhaupt dickleibige Menschen? Endlich höre ich mein tägliches Zuckerwort von nebenan: "Aufräumzeit!" Ruhe kehrt ein. Bis zum Nachmittag wird es still sein, bis die Bande wieder raus und auf mich losgelassen wird. Unsagbar herrliche Ruhe. Ich weiß sie zu schätzen, weil ich das Gegenteil kenne, genieße jede Minute. Innerlich flehe ich: bitte keine Geräusche, bitte, als Murphys Gesetz zuschlägt. Der Gärtner meiner Nachbarin hat heute seinen monatlichen Arbeitseinsatz. Er beginnt mit der elektrischen Heckenschere. Da er nur einmal im Monat kommt, dauert sein Werkeln den ganzen Tag. Um 16.00 Uhr gesellt sich die Kindermeute dazu, übertönt um Weiten den Rasenmäher, den er inzwischen in Betrieb genommen hat. Mir ist schwindelig. Immer noch nichts gegessen, außer Tabletten. Ein Minuspunkt nach dem anderen. Wo sind die positiven, damit ich den Satz aussprechen kann? Sieht schlecht aus. Wie kann all das aufgewogen werden. Müsste schon ein tonnenschwerer Pluspunkt sein. Anrufbeantworter ist angeschaltet, mein Handy aus. Ich möchte nicht erreichbar sein, nicht reden, bloß nicht reden. Ich flüchte ins Wohnzimmer, lege mich mit blanken Nerven auf die Couch, ziehe die Decke über den Kopf, bin dem inneren Hämmern ausgeliefert, spüre die Krämpfe im Magen, befinde mich kurz vor einer Hyperventilationsattacke, möchte brüllen, toben, schreien. Nicht auch noch das! Bitte nicht! Ich drehe mich schnell um, muss flach in den Bauch atmen. Unbedingt! Sonst droht ein Erstickungsanfall. Drücke den Kopf fest ins Kissen, kralle mich in die Seitenpolster, ringe nach Luft. Nein, es klappt nicht. Mein Notfallmedikament muss doch herhalten. Mühsam richte ich mich auf, als ich ein lautes Piepsen höre. Überrascht schaue ich zum Fenster. Ein bunt schillender, ziemlich großer Vogel sitzt auf der Bambusmatte. Er schaut mich direkt an und beginnt, unbeschreiblich laut und unbeschreiblich schön zu singen. Ich weiß nicht, was das für ein Vogel ist. Hab ich noch nie gesehen. Ganz langsam schleiche ich zum Fenster, möchte ihn doch nicht verscheuchen. Er bleibt hocken, wendet seinen Kopf zu mir, wippt ihn gleichmäßig auf und ab. Die blauen Schwanzfedern fächern sich auf. Fasziniert setze ich mich vor die Terrasse, bewege mich im gleichen Rhythmus wie mein unerwarteter Besucher, lausche seinem Gesang. Minutenlang. Schließlich gibt er noch einen Schlussfiepser von sich und fliegt davon.
Verblüfft stelle ich fest, dass ich völlig normal atme und sich meine Schmerzen in Luft aufgelöst haben. Ich gehe fröhlich in die Küche, um mir etwas Leckeres zu kochen.
Ja, es war ein guter Tag!
28.08.2007

Gast

Beitragvon Gast » 29.08.2007, 00:58

Im Liegestuhl – hinter geschlossenen Augen ...

An Kleiderbügeln befestigte Masken werden auf eine Leine gehängt. Sie sehen sich alle ähnlich. Wieso müssen sie trocknen und warum grinsen sie blöde, wie Vollmondlaternen?

Dann Glut in Pinselstrichen, wie ein Gemälde, das sich selbst malt, Umrisse von Hochhäusern formt. Strahlen, orangefarben eine skurrile Skyline, die sich wieder löscht.
Urplötzlich überblendet ein Gemälde von Georgia O’Keeffe das Bild hinter der Stirn. Eine Gletscherlandschaft brennt sich ein, völlig blank poliert in ihrer blaugrünweißen Unergründlichkeit. Ich wundere mich, denn sie hat nie eine Eislandschaft gemalt. Es ist ihre Wüstenheimat Neumexiko aber in Eis. Da sind Nischen und Erker, Ebenen, tischartige Vorsprünge, Plateaus. Vereinsamte dunkelrote Rosen hier und da? Nein es sind die schwarzvioletten Petunien von OK, aber ebenso rar und allein.

Als ich die Lider hochschlage ist die Wäscheleine leer.

Gast

Beitragvon Gast » 30.08.2007, 12:05

Im Kriminalroman schickt der Autor seinen Helden oder die Heldin, meist eine Runde um den Block oder in den Stadtpark spazieren, wenn sie keine Lösung für ihren Fall finden.
Ich habe keinen Fall zu lösen, aber ein Formulierungsproblem. Mir fehlt ein Stadtpark und auch ein Block um den ich gehen könnte. Es gibt Felder, den Schlosspark und einen nahen Wald. Je mehr ich überlege das Schreiben zu unterbrechen, eine Pause einzulegen, meine Gedanken - mich - zu bewegen, desto einsamer komme ich mir vor. Aber ich gehe. Eine ungesunde Leere macht sich breit.
Diese Helden die Spazierengehen, um sich selbst oder Lösungen zu finden, kommen mir beim Lesen nicht halb so allein vor wie ich mir, jetzt auf dem Rückweg.
Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich glaube beim Lesen an ihrer Seite zu sein …

Nifl
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Beitragvon Nifl » 01.09.2007, 00:31

"Hey hallo! Wie geht es dir?"
Ich checke kurz, ob sie das wirklich wissen will. Bin mir nicht sicher, aber in jedem Fall erwartet sie eine Antwort.
"Och ja, muss ja", dabei grinse ich blöde.
"Und bei dir?", frage ich, weil sich das eben so gehört und weil ich von einer wirklichen Antwort ablenken möchte.
Sie hat offensichtlich keine Probleme mit dieser Frage. Plappert drauf los.
Scheiße, du bist immer noch verdammt schön, denke ich. Obwohl ich überhaupt nicht auf Blond stehe. Als ich ihr das gestand, war sie beleidigt.
Ihre Lippen bewegen sich eigentümlich beim Sprechen, fast, als sei eine Plauderei eine logopädische Übung. Mancher Satz endet mit einem schrägen Zucken bis tief in den Mundwinkel hinein. Heiße Küsse. Ihre Augen, blau, immer gehetzt. Es ist nicht so, dass sie einen nicht ansieht, aber sie blickt auch überall sonst hin, auf den Boden, in die Luft,… Vielleicht fällt mir das aber auch nur immer auf, weil ihr Körper sonst völlig regungslos ist. Selbst die Hände, keine Gesten. Sie lagen auch schlaff auf meiner Brust. Danach. Ich liebte das. Stille. Verdammt, ich muss was sagen.
"Schön. Dann mach's mal gut, ich muss weiter"
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Gast

Beitragvon Gast » 01.09.2007, 03:05

Ich kann es nicht lassen. Wieder und wieder schaue ich dieses Gesicht an. Von der Seite, dann wieder von vorn, wenn er sich mir beim Sprechen zuwendet. Das tut er oft. Er sieht nicht wirklich indianisch aus, aber für mich ist er der Häuptling - immer noch. Sehe ihm in die Augen, ganz unverfänglich. Schließlich sind wir gute Freunde. Die Wangenknochen wie gemeißelt, der weiche Mund. Ich weiß ganz genau wie sich das alles anfühlt, einschließlich des Dreitagebartes, der mich auch heute bei der Begrüßung an feines Schmirgelpapier erinnerte. Sanft. Ich weiß, dass nur wenig unterhalb des Halsausschnitts des T-Shirts sich sein Brusthaar kräuselt. Gerade so viel, dass ich es mag. Nein, ich sinne jetzt nicht weiter, nein! Ich gebe ihm die Speisekarte mit einem Lächeln zurück und lege ihm völlig locker meine Hand auf den Unterarm. Er fesselt mich wie eh und je mit seiner Art zu erzählen und überhaupt denke ich, hat das denn nie ein Ende … aber meine Hand nimmt er nicht.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 01.09.2007, 19:38

Seit Stunden regnet es in Strömen. Schlecht gelaunt sitze ich vor meinem PC und vertreibe mir die Zeit mit Mahjong. Mist, geht nicht auf. Zwei identische Steine liegen übereinander. Eine neue Partie? Nein, keine Lust.
Gelangweilt gucke ich aus dem Fenster. Im Hinterhof kommt Frau Weiland pudelnass nach Hause. Die eh immer strähnigen Haare kleben an ihrem hässlichen Gesicht. Sie hantiert so ungeschickt mit ihrem Hausschlüssel, dass ihr die prall gefüllten Lidltüten aus der Hand fallen. Na, was haben wir denn eingekauft? Ich kann Raviolidosen, Spaghetti, Ketchup und Eier ausmachen. Besser gesagt, Rührei. Höre sie fluchen und mich vor Schadenfreude glucksen. Ich kann sie nicht leiden, weil sie die ätzende Angewohnheit hat, immer direkt am Fenster laut und lange zu telefonieren mit Heino im Hintergrund. Dieser viereckige Hinterhof ist wie ein Megaphon mit eingebautem Booster. Jedes Wort kann ich deutlich hören, ob ich möchte oder nicht. Was interessiert es mich, dass sie heute bereits die Betten neu bezogen hat oder Alberto seine Liebste in irgendeiner mir fremden Telenovela betrogen hat, obwohl sie doch ein Kind von ihm erwartet? Die Alte steigert sich derart hinein, wird geradezu hysterisch, wenn sie eine Folge von dem Gedöns verpasst hat. Nee, nicht meine Welt.
Ich gehe ins Wohnzimmer, um mir eine Zigarette zu holen. Möchte das Rauchen reduzieren. Bis vor zwei Wochen hatte ich immer eine Packung am PC liegen und geraucht wie ein Schlot. Eine Lösung musste her. So stecke ich die Zigaretten jetzt immer in eine Schublade in meinen Sekretär und muss meinen Arsch in Bewegung setzen, um an eine Zigarette zu gelangen. Mehr Bewegung, weniger Rauchen. So einfach ist das. Und es funktioniert, rauche nur noch die Hälfte, wenn nicht sogar weniger.
Am Sekretär fällt mein Blick auf die Terrasse. Ob er mich noch mal besuchen wird, mein gefiederter Retter? Seitdem er mich aus der heiklen Situation befreit hat, nur durch seinen wunderbaren Gesang, steht ein großes Vogelhäuschen links in der Ecke mit reichlich Körnern und Holunderbeeren. Vielleicht mag er sie. Außerdem kann ihm das Dach Schatten spenden oder vor Regen schützen. Hoffentlich räubern nicht andere Vögel alles weg, grüble ich und denke an seine breiten, blauen Flügel, mit denen er elegant davon geflogen war. Moment mal. Im Häuschen herrscht ja totales Chaos! Ich öffne die Terrassentür und schaue mir das genauer an. Da liegen nur noch die Schalen der Körner. Und von den Beeren die leer geknabberten Äste. Ob er es war oder doch andere Vögel? Mein Herz macht einen Freudensprung, als ich auf dem Boden eine blaue Feder sehe. Hey, das nächste Mal werde ich da sein, verlass dich drauf!
01.09.07

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 01.09.2007, 20:32

Seit Freitag mittag 14:50 Uhr plagt mich ein ungutes Gefühl. Mehr als das, etwas schnürt mir die Kehle ab.
Es war mir, als wäre etwas geschehen.
Ich fuhr gerade Auto, hörte laut Musik. Sang fröhlich. Und dann…
schluckte ich, hart. Und wusste nicht woran.
Nun ist es so, dass ich nicht an so was glaube. Eigentlich… Aber was, wenn doch? Was, wenn da etwas ist, das ich spürte, nur nicht sah?
Wen soll ich fragen? Wen kann ich fragen, ohne dass man mich für verrückt hält? Was geschah? Geschah etwas? Warum schaute ich auf die Uhr? Um die Zeit festzuhalten? Etwas zu halten, das ist? Was ist die Zeit denn, wenn ich nicht weiß, was in ihr ist?
Nun warte ich...ruhelos…und hoffe inständig, dass es nur ein Hirngespinst ist, das mich quält…grundlos. Gibt es das?
Und wenn doch...?

Gast

Beitragvon Gast » 03.09.2007, 00:43

Der September wird sich ziehen. Ich spüre es bereits heute im Kopf und im Körper. Er wird auf mir lasten, nicht kurzweilig sein, wie der August es war.
Was bedeutet es, dass ich den kommenden Monat so endlos vor mir ausgebreitet sehe, dass er mir Angst macht, mich zweifeln lässt (wieder einmal) am Leben und dessen Sinn. Weshalb spielt das Zeitempfinden mir diesen Streich? Pläne, Termine spielen anscheinend keine Rolle ...

Vor Zwei Wochen beschloss ich, „Montauk“, von Max Frisch zu lesen. Ich war mir nicht sicher, ob ich es je gelesen hatte und lieh es in der Stadtbücherei aus. Heute Morgen dann schon bei den ersten Zeilen: Erkennen! Aber keine Ahnung wie es weiter geht. Jeder Schritt der Protagonisten scheint mir so bekannt. Gibt es das, dass man sich nicht einmal auf den Titel eines Buches oder einzelne Szenen besinnt? Dass sich die Erinnerung erst im Moment des Lesens einstellt?

Klara
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Beitragvon Klara » 06.09.2007, 00:42

Über Musik

Musik kann verstörend sein, denn wenn sie berührt, kommt sie aus dem Innersten, das in der "Öffentlichkeit" ja eigentlich nichts zu suchen hat. Das kann geradezu unanständig sein! Ich finde es deshalb schwierig, Musik zu hören, weil ich mich nicht jedem xbeliebigen Innersten aussetzen mag. Nicht zu jedem xbeliebigen Zeitpunkt.

Man kann natürlich auch Musik hören, wenn man in einer Bar sitzt und nebenbei trinkt, und beides ist nicht so wichtig. Schwierig wird’s aber sofort, wenn sich jemand dazu unterhalten will. Dann lenkt die Unterhaltung ab von der Musik oder umgekehrt, und es gibt einen Kampf.

Gut kombinierbar dagegen sind Sex und Musik. Vielleicht sind sie nur füreinander geschaffen. (Und die Gedanken darüber schwebend wie eine lockere, weiche Sopranstimme: kein Stress. Ohne Musik schweben die Gedanken nicht, sondern zerren an einem.)

Ich glaube, das Innerste eines Menschen kann man nicht sehen. Wenn überhaupt, kann man es nur hören: wenn jemand singt.


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