Die wüste Braut (Rala), gelesen von Magic

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Mucki
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Beitragvon Mucki » 08.11.2006, 19:48

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Die wüste Braut (von Rala) - gelesen von Magic -

Die Straße führte ohne Ende schnurgerade durch die Wüste. Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war oder wohin er eigentlich ging. Es musste Wochen her sein, dass er von zu Hause aufgebrochen war.
Nach einer für ihn nicht abschätzbaren Zeitspanne (die Tage verschwammen in seinem Kopf zu einem einzigen, nie enden wollenden) sah er am Straßenrand plötzlich einen Meilenstein mit der Zahl 943 im Staub stehen. Seltsam, von den Steinen 1 bis 942 hatte er nichts gesehen. Aber vielleicht war dieser Stein einfach vom Himmel gefallen. Er zuckte mit den Schultern und ging weiter.
Irgendetwas hatte einen Teil seines Gehirns einfach ausgeknipst wie eine Schreibtischlampe. Hätte er noch klar denken können, hätte er sich wohl gewundert, wie er wochenlang ohne Nahrung, ohne Wasser und ohne Schlaf, ohne auch nur einmal Halt zu machen, in glühender Hitze durch die Wüste wandern konnte, ohne dass ihn seine Kräfte verließen.
Ein paar Tage später gelangte er an ein Schild mit der Aufschrift „Café Ohne Zucker 200m“. Darunter ein Pfeil, der nach rechts von der Straße weg mitten in die Wüste hineinwies. Warum eigentlich nicht? Ein bisschen Gesellschaft konnte nicht schaden.
Der Weg wurde beschwerlicher, da er ständig im heißen Sand einsank. 200 Minuten später stand er vor einem prächtigen Gebäude. Es sah aus wie ein europäisches Rokokoschlösschen, ganz in zartem Rosa und strahlendem Weiß gehalten. Über dem Eingangsportal stand in dunkelbrauner Schnörkelschrift Café Mit Wenig Milch. Was das andere ja nicht unbedingt ausschloss.
Schattige Tannen umstanden das Schloss und sein Vorplatz war mit Kies bestreut. Es gab Fahrradständer, an einem Seitenfenster wurde Eis am Stiel verkauft, auf einem Spielplatz in der Nähe tobten Kinder.
Als er das Portal durchschritt, verspürte er schon eine leichte Müdigkeit. Vor der Tür zum Café selber empfing ihn ein Diener in etwas altmodischem Gewand. Er mochte aus einem Wiener Kaffeehaus des 18. Jahrhunderts stammen, was auch sein vornehm knochenbleicher Teint, seine ungewöhnlich großen schwarzen Augen, die Glatze, dieses breite Grinsen in seinem hohlwangigen Gesicht, und nicht zuletzt sein Wiener Dialekt vermuten ließen.
„Wie hätten's denn gern Ihren Kaffee, der Herr?“
„Also, um ehrlich zu sein – am liebsten schwarz. Wäre das möglich?“
„Aber nein, da sind's hier falsch. Können's denn nicht lesen?“
„Oh ... äh ...Verzeihung.“
„Macht nix. Da müssen's halt noch 3°25'7'' nach Westen gehn, dann kommen's zum Café Schwarz, bittschön.“
„Dankeschön.“
„Keine Ursache. An schönen Tag noch, habedieehre.“
Das Café Schwarz schien schon von Weitem der krasse Gegensatz zum Café Mit Wenig Milch zu sein. Es ähnelte mit seiner Veranda und den hölzernen Schwingtüren am Eingang mehr einem Saloon aus dem Wilden Westen und fügte sich unauffällig in das Wüstenbild ein. Als er jedoch näher kam, hatte er den Eindruck, sich verlaufen zu haben. Über dem Eingang stand Whisky. Vor dem Haus waren ein paar Pferde geparkt. An einem Pfosten lehnte ein Cowboy, der gelangweilt an einem trockenen Grashalm kaute.
„Entschuldigen Sie, ich suche das Café Schwarz. Können Sie mir weiterhelfen?“
„Yeah.“
„Äh ... und ... wo ist das Café Schwarz?“
„Is nich mehr.“
„Bitte?“
„War früher mal hier. Musste schließen, als die Rindergewerkschaft die Milchabnahmepflicht für Cafés durchgesetzt hat. Jetz is hier das Whisky.“
„Ähm ...das heißt also, hier gibt es nur Whisky, ja?“
Der Cowboy starrte ihn an, als käme er von einem anderen Stern.
„So ne bescheuerte Frage hat hier noch niemand gestellt.“
„Tja, also ... das ist mir natürlich peinlich ... gibt es hier vielleicht irgendwo ein ... Bier?“
„Yeah. Aber ich würd da nich hingehn. Is'n verflucht übler Schuppen.“
„Wo ist es denn?“
„Also, bitte, wenn Sie meinen ... 70 Gramm nach links.“
Er ging weiter, mittlerweile verspürte er Durst. 70 Gramm später stand er vor einem kantigen, schmutzig wirkenden Backsteingebäude, an dem mit leuchtendblauer Neonschrift in schwungvollem Schriftzug Bier stand. Als er die Tür öffnete, dröhnte ihm laute Rockmusik entgegen.
Drinnen war es dunkel bis auf die bunten Lichter, die durch die verräucherte Luft blinkten, an der Theke und an den Billardtischen hingen zwielichtige Gestalten in engen Jeans und Cowboystiefeln. Einen Moment lang überlegte er, ob er hier nicht besser einfach nach dem Wasser fragen sollte, aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Er war zu erschöpft dazu, seinen Marsch fortzusetzen.
Ein wenig zögernd ging er zur Bar und setzte sich auf einen freien Hocker. Ein Typ neben ihm gähnte und schnitzte sich mit seinem Springmesser lustlos Ornamente in den Unterarm.
„Hey, Kumpel, was darf's sein?“
„Ein ... ein Bier, bitte.“
Der Barkeeper nickte. Er atmete auf. Wenn er jetzt versehentlich einen Gin Tonic verlangt hätte, wäre das wahrscheinlich sein Ende gewesen. Er hoffte, dass es nur die farbigen Lichter waren, die den anderen Gästen der Bar dieses gespenstische Aussehen verliehen.
Plötzlich schob sich von links eine falsche Blondine an ihn heran.
„Hey, Süßer.“ Ihre Stimme war rauchig wie die Luft um sie herum.
Sie musste mindestens einen halben Zentimeter Make-up aufgelegt haben.
„Haste mal Feuer für mich?“
Verlegen tastete er seine Taschen ab. Er fand tatsächlich ein nagelneues Feuerzeug, obwohl er sich sicher war, keines mehr besessen zu haben, seit er sich das Rauchen abgewöhnt hatte. Er gab ihr Feuer. Sie inhalierte und blies ihm den Rauch direkt ins Gesicht. Ihre Brüste hatte sie unterdessen dekorativ auf der Theke drapiert. Der Schnitzer unterbrach seine künstlerische Tätigkeit für einen Augenblick und meinte zu der Blonden:
„Mensch, Lola, lass den doch in Ruh. Siehste nich, dass das ne Karotte is?“
Er verschluckte sich fast an seinem Bier.
„Der hätte am besten ins Wasser Ohne Kohlensäure gehen sollen.“ Kichernd widmete er sich wieder seinem Zeitvertreib.
„Hör nich auf Sal, Süßer“, meinte sie, „er is nur eifersüchtig. Wie heißte denn überhaupt? Ich bin Lola, L-O-L-A, Lola, wie in dem Song, weißte?“
„Aha, hm ... Scheiße! Ich hab's vergessen!“
„Was haste vergessen?“
„Na ... wie ich heiße.“
Sal brach in brüllendes Gelächter aus.
„Hey, Leute, habt ihr das gehört? Die Weichgurke da hat ihren eigenen Namen vergessen!“
Jetzt lachte das ganze Lokal. Er wünschte, er wäre auf der Stelle unsichtbar.
„Hey, Süßer, wo biste denn plötzlich hin?“
Er sah sie verständnislos an. „Ich bin doch hier, wo ich schon die ganze Zeit sitze.“
„Ich seh dich aber nich.“
„Haste jetzt vielleicht auch noch vergessen, wiede aussiehst?“ fragte Sal, immer noch lauthals lachend.
Er blickte an sich herunter. Tatsächlich, er war unsichtbar, aber trotzdem noch da, das konnte er fühlen. Verwirrt griff er nach seinem Bierglas.
„Hey!“ Lola schrie auf. „Kuck ma, da is ja deine Hand!“
Un wirklich, seine rechte Hand und der halbe Arm waren wieder zu sehen.
„Wie kommt das?“
Auf einmal fiel es ihm ein wie das Dach eines Abbruchhauses. Er stand von seinem Hocker auf und trat einen Schritt zur Seite.
„Ey, da biste ja wieder! Hab mir schon Sorgen gemacht, Süßer. Weißte jetzt auch wieder, wiede heißt?“
Auch angestrengtes Nachdenken half nichts.
„Na, macht nix, ich werde dich einfach Al nennen, okay?“
Er zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen.“
Als er sich wieder setzte, wurde er erneut teilweise unsichtbar.
„Hör doch auf mit dem Blödsinn, Al“, säuselte Lola. „Lass uns lieber nach oben gehn.“
Sie packte ihn an seiner noch sichtbaren rechten Hand und zog ihn mit sich zu einer Treppe hinter der Theke. Er ließ es widerstandslos geschehen. Jetzt war ihm ohnehin alles egal.
Das Zimmer, in das sie ihn führte, war klein, schäbig und roch muffig.
„Mach's dir bequem.“
Er setzte sich aufs Bett und sah ihr beim Ausziehen zu. Sie hatte einen Körper wie aus einem Hochglanzmagazin ausgeschnitten, perfekt, einfach zu perfekt. Alles an ihr wirkte unecht. Es passte zu dem übertriebenen Make-up und den blondierten Haaren. Wahrscheinlich waren sogar ihre Zähne falsch.
„So, und jetzt du.“ Sie ging auf ihn zu, drückte ihn sanft auf die Matratze und begann, seine Hose zu öffnen. Dabei spürte er ihren Atem auf seinem Gesicht. Er war eiskalt und roch nach Verwesung. Trotz allem schaffte sie es auf unerklärliche Weise, ihn zu erregen.
Als er schließlich in sie eindrang, fühlte es sich scheußlich an, als stieße er in einen Haufen trockenen Sandes. In diesem Moment wurde ihm alles klar. Zu spät. Die Wüste hatte ihn unentrinnbar in ihren Fängen und würde ihn nicht mehr loslassen, bis sie den letzten Tropfen Lebensenergie aus ihm herausgesaugt hatte.
Zuletzt geändert von Mucki am 08.11.2006, 21:10, insgesamt 1-mal geändert.

Trixie

Beitragvon Trixie » 08.11.2006, 20:48

Liebe Gabriella!

Erst mal sorry, dass es doch so lange gedauert hat. Zu der wunderbaren Lesung später noch mehr.

Lieben Gruß
Trixie

Trixie

Beitragvon Trixie » 09.11.2006, 12:48

Halli Hallo!

So, jetzt höre ich zum xten Mal diese Lesung. Das könnte ich in einer Endlosschleife hören, ehrlich. Du hast so eine angenehme, warme Stimme, das ist unglaublich. Ich hatte mal eine Masseurin, die mich mit ihren Geschichten fast immer zum Einschlafen brachte und doch musste ich gebannt zuhören. Das ist ein irrer Effekt. Den du hier auch schaffst! Das hört sich total souverän an und gekonnt, wie du das liest. Sehr ruhig und doch nicht monoton. Auch die Akzente finde ich hervorragend imitiert, auch wenn sie nicht hunderpro original sind, aber genau das finde ich so toll, weil sie so noch verständlich sind und nicht so, dass man sich anstrengen müsste beim Entziffern von dem, was da eigentlich gesagt wird. Eine hervorragende Lesung nach der anderen hier ;-)!! Also von mir: :hand0051: :daumen2: !!

Begeisterte Grüße
Trixie

Gast

Beitragvon Gast » 09.11.2006, 13:33

Liebe Magic,

du hast dir einen relativ schwer zu lesenden Text ausgesucht. Aber ich muss sagen, unter dieser Prämisse betrachte ich die Lesung als GELUNGEN.
Schwer deshalb, weil so viele Personen in wörtlicher Rede vorkommen.
Da hakt es dann auch ab und zu. Meist umschiffst du diese Klippen, aber es wäre ja auch ein Wunder, wenn du es wie eine ausgebildete Sprecherin mit unterschiedlich verstellter Stimme alles mal eben so vortragen könntest.
Also mir gefällt deine Lesung, besonders auch hier - ich schrieb es eben schon bei Trixies Bang Bang- Lesung, dass du es hinbekommen hast, die erzählenden Teile fließen zu lasen und auch bei lauten Passagen sich niemand die Ohren zuhalten muss.

Also: Eine feine Lesung.

Danke
Liebe Grüße
Gerda

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.11.2006, 13:58

Liebe Trixie, liebe Gerda,

danke euch beiden:-)

Ja, die verschiedenen Stimmen, das war schwierig. Die Akzente *lach, bei dem Wiener hab ich versucht, so g e d e h nt wie möglich zu sprechen, so wie es die Wiener halt machen und beim Cowboy dachte ich mir, da muss irgendwie so ein bisschen was "anderes" rein, (die ganze Story ist ja bizarr) deshalb habe ich versucht, einen "amerikanischen Akzent" reinzusprechen, obwohl ich gar nicht weiß, ob es von Rala so gedacht war *g*. Ich bin mal gespannt, was sie dazu meint.

Gut, dass meine Stimme nicht einschläfert, Trixie! :mrgreen:
Saludos
Gabriella, der das Lesen echt Spaß gemacht hat ;-)

Rala

Beitragvon Rala » 09.11.2006, 18:19

Hallo Magic!

Vielen Dank, dass Du das gemacht hast!!! Konnte leider nur kurz reinhören, da ich kein DSL habe und das Runterladen ewig dauert (muss das bei Gelegnheit bei meinem Bruder anhören), aber der Anfang gefällt mir schon mal sehr gut! ich mlede mich noch mal, wenn ich alles gehört habe.

Liebe Grüße,
Rala

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 09.11.2006, 18:33

Liebe Magic,
ach, danke, dass du für mich diesen Text hörbar gemacht hast - ich wollte ihn zu gerne hören! Du hast die verschiedenen Stimmen gut gesprochen - da wäre ich schon mal aufgeschmissen gewesen und es ist richtig schwer (das hatte ich gar nicht bedacht). Das einzige, was mir etwas zu ruhig ist, ist das Erzähltempo, da fehlt ein ganz bisschen Spannung, aber deine Stimme macht das wieder gut und außerdem ist es so schön, es einfach zu hören!

Tausend Dank, du hast mir damit eine riesegroße Freude gemacht!

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 09.11.2006, 20:06

Liebe Rala,

klar, ohne DSL ist man dann ziemlich aufgeschmissen. Puh, die mp3 hat über 10,5 Megabyte. Ja melde dich, wenn du es gehört hast. Gerade DEINE Meinung ist mir natürlich sehr wichtig ;-)
Ist ja schließlich dein Text. Bei der einen Richtungsangabe wirst du herzlich lachen, weil ich sie völlig falsch interpretiert habe :mrgreen:, ich hab nicht gecheckt, dass es eine nautische Angabe war. Ich sah die zwei Striche als Zoll an und nicht als Sekunden! Und mit dem Strich konnte ich gar nichts anfangen, also hab ich "Strich" gelesen *kicher*.

Liebe Lisa,
danke dir für dein Lob.
Ja, bei der Erzählstimme habe ich geschwankt, wie ich sie sprechen soll. Aber mich dann für das ruhige Erzählen entschieden mit Betonung an den entsprechenden Stellen, weil durch die Dialoge ja sehr unterschiedliche Tempi kamen. Nur den Schluss habe ich in der Erzählstimme ein bisschen variiert, zwar ruhig, aber etwas unheimlicher, damit das Ende so rüberkommt.

Ich habe meinen Mann gebeten, sich das anzuhören, ohne den Text dazuzulesen. Der hat oft gelacht, vor allem bei den Richtungsangaben, sagte immer wieder: Wow, was für eine verrückte Story! Also, Rala, auch hier ein Lob von meinem Mann an dich:-)
Saludos
Gabriella


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