Schiller-Handschuh-Projekt

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Trixie

Beitragvon Trixie » 16.01.2007, 18:10

Halli Hallo!

Hier haben wir wieder ein neues Projekt am Laufen, an dem sich hoffentlich wieder recht viele beteiligen! Wer seine Lesung von Schillers Handschuh hier veröffentlichen will, der soll sie einfach wie immer an hoerbarfee@yahoo.de schicken! Freue mich auf vielerlei Interpretationen :-) !


Der Handschuh


Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.
Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor,
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern die greulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
»Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
Wie Ihr mir's schwört zu jeder Stund,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf.«

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen's die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick –
Er verheißt ihm sein nahes Glück –
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verläßt sie zur selben Stunde.


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Hörversion von Trixie
Hörversion von Schwarzbeere
Zuletzt geändert von Trixie am 28.03.2008, 12:53, insgesamt 6-mal geändert.

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Beitragvon Schwarzbeere » 23.01.2007, 16:09

Liebe Lisa

wenn du die Tugendhaftigkeit des Ritters ergründen willst, wirst du Schwierigkeiten haben, denn wenn ich die 12 Rittertugenden ansehe und gegen die Handlungsweise des Ritters halte, stelle ich fest

Weisheit ja, denn die Dame war unpassend! doch unklug
Wahrheit nein, denn er hatte wohl Werbetechnik betrieben
Gerechtigkeit ?
Barmherzigkeit nein, denn das arme Weib wurde blamiert
Friedfertigkeit ?
Stärke ja, denn er hätte den Dank ja auch konsumieren können
Glaube nein, eher blindes Selbstvertrauen
Mäßigkeit nein, handelt provokant
Güte nein (siehe Barmherzigkeit)
Demut nein
Hoffnung ?
Liebe nein

Insgesamt dürfte deine kindliche Reaktion durchaus angemessen gewesen sein, da der Edle eben nicht sehr edel handelte, doch was willst du von einem Dummkopf erwarten, der aus Angeberei sein Leben leichtsinnig aufs Spiel setzt?

Übrigens wird ja der Handschuh auch in Uhlands Graf Richard Ohnefurcht zum wichtigen Requisit, und die Herausforderung zu einer sinnlosen Heldentat mit der Aussetzung einer holden Partnerin als Preis finden wir gleich wieder im Taucher. Wo ist Heldenmut, wo ist Tugend, wo ist Dreistigkeit und Sadismus? Klüger waren die Menschen auch früher nicht und bestimmt nicht besser als wir!

Liebe Grüße von einer auch nicht sehr tugendhaften Schwarzbeere

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Beitragvon Lisa » 23.01.2007, 16:27

Liebe schwarzbeere,
ja, da hast du recht, aber ich hatte das Gefühl Schiller wollte den Ritter als tugendhaft darfstellen?? (Also weißt du, was ich meine?)

Oder les ich falsch?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Niko

Beitragvon Niko » 23.01.2007, 17:11

vielleicht, lisa, muss man es auch im zeitzusammenhang sehen. bin da ja nicht so bewandert. aber ich glaube, dass das "mannhafte" nie in frage gestellt sein durfte. wäre es aber gewesen, wenn er sich der herausforderung nicht gestellt hätte. ritter sind vona allen tugenden, die schwarzbeere auflistet, immer auch mit dem etikett der unerschrockenheit versehen. somit wäre sein ritterliches ansehen in gefahr (und später beschädigt) gewesen, hätte er das aufheben des handschuhs abgelehnt.
schwarzbeere.......deine tugendhaftigkeiten und der beantwortung, ob der ritter dem in den einzelnen punkten folge leistete, könnte man auch ganz anders beantworten. alles auslegungssache.
ich glaube auch dass das "abwatschen" der dame so viel tiefsitzender ist. er hätte ihre liebe haben können, da er ihren wunsch erfüllte. er aber schlug sie aus. das ist ein wirklicher triumpf.
im übrigen glaube ich, dass solche netten spielchen auch heute geläufig sind. ohne löwen und handschuh, versteht sich, aber mit den gleichen ergebnissen. und in allen bevölkerungsschichten. nicht nur wie seinerzeit in den "erhobenen" ständen.
lieben gruß: Niko

Max

Beitragvon Max » 23.01.2007, 19:15

Lieber Schwarzbeere,

ich habe das Gedicht auch so gelesen, dass der Ritter Schillers nicht die typischen von Dir aufgezählten Rittertugenden verkörpern soll.

Oder täusche ich mich?

Liebe Grüße
max

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Beitragvon Schwarzbeere » 23.01.2007, 23:39

Ob er tugendhaft sein sollte?

Ich weiß nicht, ob dazu welche Informationen von Schillerforschern erhältlich sind, denke aber, dass dies unerheblich sein sollte. Die Absicht Schillers war es wohl kaum, hier einen eitlen Haudegen darzustellen. Ich vermute, dass Schiller vielleicht den Hofdamen eines auswischen wollte.

Mit dir, lieber Niko, stimme ich voll überein, wenn du meinst, man könne die Auswertung der Tugendskala nach Gutdünken variieren, und es war für mich eben nur ein Spielchen. Man könnte sogar darüber eine Meinungsumfrage abhalten, aber das sollten wir uns wohl für wichtigere Dinge aufsparen.

Wenn wir aber denken, dass Schiller hier eine Moralbelehrung vorgenommen hat, so können wir das mit Sicherheit annehmen!

Niko

Beitragvon Niko » 24.01.2007, 00:14

wie hätte ein anderes ende aussehen können?
schiller wirft den ritter den löwen zum fraß vor. - dund nimmt so die einführung des dosenfutters vorweg.
oder aber der ritter kneift und hebt den handschuh nicht auf. anschließend geht er ins kloster und strickt für gemeinnützige zwecke..na was wohl....handschuhe.
eine andere möglichkeit wären natürlich, dass der ritter oder könig franz die dame selbst in den greulichen zwinger bittet.......

ich glaub, schiller hat das schon alles richtig so gemacht.

grüße von niko, der den leun maximal von des altans rand begutachten würde...

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Beitragvon aram » 24.01.2007, 04:31

NJKahlen hat geschrieben:wie hätte ein anderes ende aussehen können?
schiller wirft den ritter den löwen zum fraß vor. - und nimmt so die einführung des dosenfutters vorweg.
ich glaub, schiller hat das schon alles richtig so gemacht.


*lach* ...der kommentar dieser nacht, niko!

Lisa hat geschrieben:Übrigens, ich weiß, dass mich das schon als Kind bis ins Unendliche gewurmt hat und jetzt kommt es wieder hoch: Wäre es vom Ritter nicht tugendhafter gewesen, wenn er den handschuh gar nicht rausgeholt hätte, sondern gleich gegangen wäre?


liebe lisa, als kind hattest du ja noch gar keine ahnung von männern .-)

- gegenüber deinem vorschlag hätte es ja noch größerere berechtigung zu verlangen, ein rüde, der längst an der leine geht und prächtig mit (dosen)futter versorgt wird, müsse doch auf das revier- und rudelverhalten anderer hunde gar nicht mehr reagieren, könne doch einfach darüber hinwegsehen und brauche sich nicht darum kümmern, wer wo hinpinkelt.

- schillers ritter gerät in dieser story ja auf zwei ebenen in bedrängnis:

1. gegenüber der frau, die er begehrt.

2. in seinem allgemeinen ansehen als ritter unter rittern.

letzteres hätte durch handeln nach deinem vorschlag nicht beschädigt werden müssen, denn es war möglicherweise offensichtlich, dass der dame der nötige ernst fehlte und sie sich danebenbenahm indem sie übers ziel schoss.

punkt eins konnte er aber nicht anders lösen, falls ihm wirklich an der frau gelegen war - das feste setting an 'spielregeln' zwischen mann und frau ('fest', weil es primär nicht sozial vereinbart, sondern instinktgesteuert ist) erzeugt das paradoxe an der situation:

wär 'sie' 'ihm' von vornherein egal gewesen, hätte er natürlich gleich gehen können. wäre er aber gegangen, obwohl sie ihm nicht egal war, hätte er wirklich "ins kloster gehen" müssen, d.h. er hätte seine männlichkeit aufgeben müssen, die in dem fall darin bestand, nicht nur 'überhaupt' zu werben, sondern 'in lauterer absicht' zu werben, d.h. sich durch hingabe an die frau einer annahme seines werbens auch würdig zu erweisen -

männliches werben besteht ja darin (auf instinktebene) zu kommunizieren: ich will dich und bin deiner auch würdig (d.h. in der lage, deinem mutterinstinkt voll zu genügen - deinem dem überleben deiner kinder zu gute kommenden wohlergehen etc. voll zu dienen) -

seine durch sein werben bedeutete, von der frau daraufhin der prüfung unterzogene hingabefähigkeit wäre falsifiziert: sie schließt ja fundametal ein, für die frau (in unterstützung/ als entsprechung ihres mutterinstinktes, den der mann ja nicht hat) wenn nötig = wenn von der frau als nötig erachtet (die diesen instinkt hat im ernstfall also ihr leben einsetzt) ebenfalls sein leben einzusetzen.

die 'spielregeln' bedingen, dass das ermessen bei der frau liegt und der mann ihm zu dienen hat (das verstehen viele frauen gedanklich bis heute nicht - sonst aber schon - anm. des autors .-)

der ritter kann der lauterkeit seiner absichten also nur treu bleiben, indem er die herausforderung animmt; sich von der damit verbundenen todesgefahr nicht abhalten lässt.

nachdem dies gelungen ist, muss er die frau aufgrund ebenderselben treue zur lauterkeit seiner absichten zurückweisen: er könnte sich jetzt natürlich mit ihr vergnügen, aber seiner absicht seinen genpool zu verbreiten wird diese frau nun nicht mehr gerecht, er könnte ihr also offensichtlich nicht mehr treu sein. (unabhängig davon, ob er das sonst 'wirklich' könnte)

begründung: die frau hat sein leben unnötig aufs spiel gesetzt und ihn damit als beschützer ihrer mutterschaft selbst disqualifiziert

- was ich nicht beurteilen kann ist, ob das werben des ritters im schillerschen kontext "echt" war (spricht einiges dafür) oder ein "höfisches spiel" ohne unbedingte "umsetzungsabsicht" - auch letzteres würde jedoch nur bedeuten, dass punkt 1. in 2. aufgeht.

höfische grüße
aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Niko

Beitragvon Niko » 24.01.2007, 05:40

hallo aram!
schiller selbst hätte nicht besser erklären können!!! ;-)
(v)erklärte grüße: Niko

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Beitragvon leonie » 24.01.2007, 15:48

Hallo zusammen,

ich wollte auch noch einmal "Danke" sagen für die Rückmeldungen und für alle Lesungen. Ich finde es sehr spannend und gewinnbringend, die Unterschiede zu hören. Mir hat Deine, Schwarzbeere, auch besonders gut gefallen (auch wenn das hier kein Sängerwettstreit ist, möchte ich es Dir gerne sagen). Ich bewundere, dass Du den Mut hast, so ausgeprägt und betont zu lesen.
Aber auch die anderen Lesungen haben mir gut gefallen!

Liebe Grüße

leonie


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