Günderrode

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Caty

Beitragvon Caty » 29.01.2008, 08:07

Günderrode

Auf meinen Schultern
Trag ich geschnürten Himmel hin
Durch die kleine Stadt. Gezähmt, vergewaltigt
Die Gerüche, traut, aus Häusertoren,
Vernagelten Fenstermäulern. Abgestorben,
Totgeburt wie sie mir der Freund.

Marmorn
Die Augen der Menschen.
Sanft ihr Geplauder.

Ich trag alle Last der Welt. Ich krümm
Mich lächelnd, ein letztes Mal, heimlicher Haken
Im Mikado der falschen Spieler.
Meine Füße gebrochene Säulen des Herkules.
Mein Herz voll schwarzen Eises.

Schwer ist mein Himmel.
Du, Bruder Dolch, Herzensfreund,
Bist mir leicht, einzig
Der Freundin wahrer Gefährte.


Hörversion

Max

Beitragvon Max » 30.01.2008, 20:45

Liebe Caty,

ich habe den Text von der Sprachkraft her gemocht.

Darum habe ich ihn nun schon mehrfach gehört und gelesen. Ich muss allerdings sagen, dass mir vermutlich der historische Bezug fehlt. Könntest Du einen Hinweise geben?

Liebe Grüße
Max

Klara
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Beitragvon Klara » 30.01.2008, 22:09

Hey Max, Karoline von Günderrode, Dichterin des 18. Jahrhunderts, die sich mit 26 Jahren selbst erdolchte. Wenn du was wirklich Gutes lesen willst, eine Art fiktive Einfühlung in : Christa Wolf, Kein Ort. Nirgends. Eines der besten Bücher, das ich kenne. Wolf führt darin Kleist und Günderode zusammen (die sich beide im selben Jahr umbrachten, aber in Wirklichkeit glaub ich keinen Kontakt hatten?) Catys Text erinnert mich daran, scheint davon beeinflusst zu sein. Das ist als Kompliment gemeint.

Lieber Gruß
Klara

Gast

Beitragvon Gast » 31.01.2008, 00:06


Caty

Beitragvon Caty » 31.01.2008, 06:41

Liebe Klara, liebe Gerda, lieber Max,

ja, natürlich. Was die Günderrode angeht, so bin ich da sehr beeinflusst von Christa Wolf, um nicht zu sagen, einzig von ihr. Sie hat sich mit diesem Dichterschicksal ausführlich beschäftigt. Neben dem fiktiven Zusammentreffen mit Kleist in ihrem "Kein Ort. Nirgends" gibt es bei Insel eine Gedichtsammlung der Günderrode, herausgegeben von Christa Wolf mit einem sehr einfühlenden, auch die Zeitumstände berücksichtigenden Essay.

Max, die Günderrode lebte von 1780 bis 1806. Sie hat also als Kind indirekt die Auswirkungen der Französischen Revolution verspürt, den geistigen Aufbruch in der damaligen intellektuellen Gesellschaft, das Abwürgen der Revolution durch die Bourgeoisie, die danach folgenden (auch geistigen) Wirren ebenso, die Anfänge des frühesten Kapitalismus im Schoße des restaurativen Feudalismus. Das Unbehagen an ihrer Zeit findest du in ihren Gedichten. Sie war den Männern keine "gute Partie", nicht nur wegen ihrer Armut, ihr eigenständiges, selbstbewusstes Denken
stieß sie geradezu ab. Sie dachte zum Beispiel über so abwegige Dinge nach wie Selbstentfremdung und machte damit den Männern natürlich Konkurrenz, was die sehr schwer verkrafteten. Sie war Teil der damaligen Intellektuellenszene um die Brentanos. Bettina war ihre beste Freundin. In ihren Gedichten, durch die auch immer die Zeit lugt, verarbeitet sie ihr eigenes Leben, das geprägt war von vergeblichen Lieben. Aber meiner Ansicht nach hat sie sich nicht wegen der Liebe das Leben genommen, sondern wegen der Nichtliebe. Sie war nicht in der doch teilweise bevorzugten wirtschaftlichen Lebensstellung der Droste-Hülshoff, ihrer Schwester im Geiste. Ihr gesamtes Leben war darauf ausgerichtet, als Stiftsdame in einem Damenstift in Frankfurt am Main zu verdämmern. Karoline zog diesem langsamen Tod den leiblichen Tod vor. Was ihre Gedichte angeht: Sie haben mit der Zeit ein wenig Staub angesetzt, aber in einigen, besonders in denen von der Liebe, ist sie, glaub ich, moderner und weltoffener als manch heutige Lyrikerin, die uns ganze Sexualakte freimütig als Lyrik vorsetzt. Max, aber wenn du dich wirklich für die Günderrode interessierst, lies den Essay von Christa Wolf, da hast du die ganze Günderrode und ihre Zeit. Caty

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 31.01.2008, 08:08

Hallo,

der Essay von Christa Wolf ist wirklich empfehlenswert. Sehr schön geschrieben.

Und deine Lesung, Cathy, wie immer erfreulich zu hören.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Max

Beitragvon Max » 31.01.2008, 16:15

Hey Max, Karoline von Günderrode, Dichterin des 18. Jahrhunderts, die sich mit 26 Jahren selbst erdolchte. Wenn du was wirklich Gutes lesen willst, eine Art fiktive Einfühlung in : Christa Wolf, Kein Ort. Nirgends.


Liebe Klara,

arg .. das Buch kenne ich, aber mein Namensgedächtnis ist so schwach, dass ich jeden Morgen mein eigenes Haustürschild lesen muss.

Danke
Max


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