Frühstück!

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 13.06.2007, 18:00

Hörversion

Hörversion 2

Frühstück!

„Emma!“
Er brüllt schon wieder. Ich klatsche die Nylonstrümpfe ins Seifenwasser zurück, drücke sie noch einmal durch.
„Emma!“
Ja, gleich. Es ist bald Mitternacht, und es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich ihn fünf Minuten länger warten lasse. Ich drehe die Strümpfe ins Handtuch ein, hänge sie dann auf die Leine über der Badewanne.
„Emma!“ Ein drittes Mal.
Er stiefelt auf mich zu. Ich spüre seine Schläge kaum noch. Nach zehn Jahren bestehe ich aus Hornhaut.
„Aua“, sage ich gelangweilt und warte, dass es vorbei geht.
„Blödes Miststück! Wenn ich nach dir rufe, hast du s o f o r t anzutanzen!“
„Ich habe noch die Strümpfe ...“
Peng! Seine Hand knallt mich ins Dunkel. Mann, mitten aufs Auge. Mein Atem pfeift. Er stößt mich vor sich her ins Schlafzimmer. Keuchend lässt er die Hosen fallen, ich lege mich hin. Immer die gleiche Prozedur. Später, als er sich auf seine Bettseite gerollt hat und eingeschlafen ist, stehe ich leise auf, um mich zu waschen und mein Auge zu inspizieren.

Am Morgen ist es zugeschwollen. Georg liest die Sportseite der Zeitung. Ohne aufzublicken sagt er: „Noch eins.“
Ich schmiere ihm ein zweites Brötchen, lege es auf seine Handfläche. Ich höre es zwischen seinen Zähnen knuspern. Dann hustet er. Schließlich wirft er die Zeitung beiseite, greift sich an die Kehle. Seine Augen quellen aus den Höhlen, er keucht ähnlich wie nachts auf mir. Nur dass die Luft irgendwo im Hals stecken geblieben ist. Sein Brustkorb krampft, nichts kommt rein.
Ich habe mal von diesem Heimlich-Griff gelesen und trete hinter Georg, um ihn anzuwenden. Früher liebte ich seinen Geruch, aber jetzt dreht mir seine Ausdünstung den Magen um. Ich nehme Abstand. Ich habe keine Erste-Hilfe-Kurse gemacht. Heimlich-Griff? Nie gehört.

Genau genommen ist das wie ein Sechser im Lotto. Die Chance liegt bei eins zu dreizehn Millionen. Ich setze mich an die andere Seite des Küchentisches, warte. Seine Hand kratzt am Kehlkopf, als wolle sie den feststeckenden Brocken herausreißen. Mit der anderen fuchtelt er in der Luft, winkt mir. Ich hebe zwei Finger zum Victoryzeichen hoch.
Er würde mich zu Tode prügeln, falls er das hier überlebt. Er verdreht die Augen verzweifelt, schlägt sich auf die Brust, zuckt und ringt nach Luft.
Ich taste in der Bestecklade hinter mir und ziehe das Tranchiermesser heraus. Lege es parallel zur Kante vor mich hin.
Georgs zuckende Beine schlagen gegen den Tisch. Ich rücke ihn zurecht. Dann rede ich.
„Schön, Georg, ungefähr so fühle ich mich seit Jahren. Ich weiß nicht genau, warum ich geblieben bin.“
Es gurgelt in seiner Kehle.
„Liebe?“
Ein klebriger Faden sickert aus seinem Mundwinkel. Ich schüttle den Kopf. „Kann nicht sein. Ich glaube, es war Angst. Und ich war’s ja gewohnt. Der Vater hat es auch gemacht. Immer die gleiche Prozedur.“
Ich muss lachen. Georg versucht, sich selbst auf den Rücken zu schlagen. Er wird blau im Gesicht. Vorsichtig fahre ich über die Schneide. Mein Daumen blutet.
„Hab keine Sorge. Es tut nicht weh. Jedenfalls nicht so, wie du mir weh getan hast. Die paar Tropfen sind nichts dagegen. Gar nichts.“
Er fuchtelt in meine Richtung, formt mit den Lippen: „Hilfe.“
„Vergiss es! Ich rufe den Notdienst nicht an. So wie du neulich bei meiner Gehirnerschütterung.“
Georg kippt vom Stuhl. Ich stehe auf, um ihn sehen zu können. Er windet sich auf dem Boden. Würgend.
„Am Anfang liebte ich dich doch irgendwie. Du warst so ... so verwegen. Wie du in der Kneipe am Tresen lehntest und Sprüche klopftest. Du hast gesagt: Meine Schöne. Immer, wenn ich dir den nächsten Schnaps hinstellte. Das mochte ich.“
Dass eine Zunge so anschwellen kann. Sieht aus wie bei einem Tier, wie er sie mir herausstreckt.
„Davor hatte nie wer meine Schöne zu mir gesagt. Bloß blöde Fotze oder Mistsau. Oder Trampel, wie mein Vater mich gern nannte. Meine Ma hat weggesehen. Immer. Was hätte sie auch machen sollen? Sich totschlagen lassen vom Vater? Wie ich dann mit sechzehn von daheim abgehauen bin und dir begegnete ... du hast mich so fest in die Arme genommen, das tat einfach gut. Ich kam mir so ... beschützt vor. Es waren zwei schöne Jahre. Zuerst.“
Bald werden seine Augen auf den Boden rollen, so weit treten sie hervor. Geschickt weiche ich seiner Hand aus, die nach meinem Fuß greift, setze mich auf die Tischplatte außer Reichweite.
„Aber dann ging es los. Ich freute mich, dass ich schwanger war. Du schlugst unser Kind aus meinem Bauch. Der Blutklumpen schwamm im Klo. Wär eh nur belastend, hast du gemeint.“
Er hört wohl aufmerksam zu, ganz still liegt er da.
„Als ich Buchhaltung lernen wollte, um auf eigenen Beinen zu stehen, ging es weiter. Du bist auf der Welt, um für mich da zu sein. Das ist alles. Sagtest du. Und ich sage dir, alles kommt einem zurück. Für dich heute. Jetzt. So oder so. Einmal wollte ich mich verpissen. Du warst in der Kneipe. Ich packte eine Tasche, bin zur Tür raus ... war irgendwie ein komisches Gefühl. Als ich die Treppe runterlief, dachte ich plötzlich, dass ich eigentlich gar nicht wusste, wo ich hin sollte. Man darf nicht denken. Du bist spät nach Hause gekommen an diesem Abend ...“
Das Zucken hört auf. Georgs Arme fallen mit einem dumpfen Laut zur Seite. Die Zunge leuchtet in dunklem Violett.
Ich lege das Messer in die Bestecklade zurück, klebe ein Pflaster auf den Schnitt im Daumen und wähle die Nummer des Notrufs.


(c) Elsa Rieger
Zuletzt geändert von Elsa am 26.06.2007, 19:13, insgesamt 1-mal geändert.
Schreiben ist atmen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.06.2007, 19:59

Liebe Elsie,

Bisschen was habe ich verschluckt, aber das gehört so, wenn man dem Mann ersticken lässt :-)


ja, das passt sehr gut, finde ich. Ich sach ja, mittendrin!
Saludos
Mucki

Trixie

Beitragvon Trixie » 27.06.2007, 12:04

Hallo ELsie!

Jetzt bin ich auch endlich dazu gekommen...
Einfach fantastisch! Ich werde mitgerissen und bleibe trotzdem da, wo ich bin. Finde ich sehr gelungen...Bei der ersten Version bleibe ich noch eher in der fünften Reihe sitzen und schaue mir an, was da auf der Bühne passiert. In der neuen Version sitze ich in der ersten Reihe und rieche richtig den Schweiß der Schauspieler. Ganz toll! *neidisch sei* ;-)

Liebe Grüßlein
Trixe

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.06.2007, 13:54

Liebe Trixie,

Danke, wie schön! Also schön hast du den Unterschied zwischen den beiden Versionen hier beschrieben. *freu*

Und sei nicht neidisch, wenn du über 50 bist, hast du das auch drauf :-) Genieße deine junge Stimme, die kann's voll!

LiebGruß
ELsie
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Gast

Beitragvon Gast » 29.06.2007, 13:42

Lieber Elsa,

Mir gefällt die zweite Version auch schon besser.
Du merkst an der Formulierung, dass ich noch nicht begeistert bin, ich will aber auch nicht darüber diskutieren, was angebracht wäre, jeder empfindet auch sicher unterschiedlich, denn Mucki findet die Lesung ja sehr treffend.
Dennoch schreibe ich dir meine Empfindungen so genau wie möglich auf.

Ich glaube, dass der meiner Meinung nach notwendige große Unterschied zwischen der "Allwissenden Erzählerin" und dem "Erleben deiner Protagonistin" ganz schwer klanglich auszudrücken ist.
Es fällt mir schwer der Protagonisten, das Reflektierende abzunehmen und je öfter ich den Text höre, umso mehr Zweifel bekomme ich, daran, dass sie sich so "cool" verhalten kann. (sie hat ja keine Übung darin)
Da ist weder Erstauen, Angst, noch ein gewisses Grauen, ob der der eigenen Handlungsweise in der Stimme zu spüren. Wenn das so gewollt ist, müsste aber ein Sarkasmus oder Zynismus an diese Stelle treten.
(Ich weiß, ich hab gut reden ...) :pfeifen:

Deine Stimme ist eine wunderbare Erzählstimme, bei Zimmerlautstärke klingt sie weich und warm, eher dunkel.
An jenen Stellen, an denen du die wörtliche Rede Georgs intonierst, wird die Färbung auf Grund der Lautstärke dann heller, was nicht so recht passt. (Aber das ist schon sehr spitzfindig und ich weiß nicht wie man das anders machen kann).

Ich glaube, dass es eine Abgrenzung zwischen der wörtlichen Rede deiner Protagonistin und deren Gedanken im Ton gar nicht gezogen werden muss. Das reflektierende Erzählen während der „Tat“ ist das, was ich der Erzählerin nicht abnehmen kann, gleich ob es sich um wörtliche Rede oder die Gedanken handelt. Wenn das erstaunter, gehetzter, angstvoller oder brutaler, sarkastischer, zynischer kommen würde, dann, so glaube ich, wärst du dran an deiner Figur. So refelktierst du stimmlich ihr Verhalten.

Vielleicht ist die Lösung eben doch jene, nicht so viel zu betonen, insgesamt distanzierter zu bleiben.
Dieser Text ist eine echte Herausforderung an die Sprechstimme.
Ich bewundere deinen Mut, wie du mit einem solchen Text umgehst.

Liebe Grüße
Gerda

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 29.06.2007, 19:59

Liebe Gerda,

danke für diese vielen Gedanken.

Da ist weder Erstauen, Angst, noch ein gewisses Grauen, ob der der eigenen Handlungsweise in der Stimme zu spüren.
Ich sehe an deinem genauen Hinhören, es fehlt hier tatsächlich die Mimik. Vermutlich funktioniert die Lesung bei diesem Text schlichtweg nur audiovisuell. Davon habe ich mich bei Live-Lesungen überzeugen können, denn gerade "Frühstück" kommt sehr gut an.

Beim bloßen Hören klingt es vermutlich reflektierend, ich selbst höre das nicht, bin zu nahe an dem Gefühl dran, klar.

Was wieder beweist, es ist sehr schwierig, aktionsreiche Prosa ohne Bild dazu, den richtigen Drive zu verpassen.

Ich freu mich sehr über die Sorgfalt deiner Worte!

Lieben Gruß
ELsa
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 29.06.2007, 20:32

Wo wir gerade dabei sind: Elsa, hast Du schon mal probiert, ohne Blatt in der Hand, ohne gesenkten Kopf zu lesen, stattdessen den gesamten Körper intensiv mitgehen lassen, als ginge es um visuelles Schauspiel, so, wie es Synchronsprecher tun, und damit meine ich nicht angedeutete seichte Bewegungen, sondern richtig heftige, stehende, liegende, alles; das mag übertrieben vorkommen, ist aber für den bloßen Hörsinn gerade ausreichend genug, man hört den Körper arbeiten, und das ist überhaupt nicht übertrieben, übertrieben ist höchstens, dass ich hier meinen gesamten Kommentar in einen Satz quetsche und ihn auch noch mit einem Fragezeichen abschließen muss, weil er insgesamt ein Fragesatz ist?

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 29.06.2007, 21:05

Nun, bei Lesungen machen ich das, klar.
Da stehe ich meist und agiere. Hier müsste ich das Mikro auf ein Stativ fummeln, dann könnte es auch gehen, ja.

Und deine Bandwurmsatzsache inklusive Fragezeichen habe ich vollinhaltlich kapiert, Pjotr :-)

Beim nächsten Text werde ich das mal ausprobieren, nicht vor dem PC, ein Auge auf den Text, das andere auf die Aufnahmekurve und das dritte auf die Aussteuerung gerichtet. Vielleicht klappt es ja dann?
Liegen geht nicht, denn ich bin ja ans Mikro gebunden und habe kein Studio, hm?

Lieben Gruß
ELsa
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Beitragvon Pjotr » 29.06.2007, 21:48

Elsa hat geschrieben:Und deine Bandwurmsatzsache inklusive Fragezeichen habe ich vollinhaltlich kapiert, Pjotr :-)

(Oje, aber hoffentlich nicht falsch kapiert. Da besteht kein Zusammenhang, das war nur eine spontane Albernheit, ohne Zweideutigkeit.)

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Beitragvon Elsa » 29.06.2007, 21:52

Pjotr hat geschrieben:
Elsa hat geschrieben:Und deine Bandwurmsatzsache inklusive Fragezeichen habe ich vollinhaltlich kapiert, Pjotr :-)

(Oje, aber hoffentlich nicht falsch kapiert. Da besteht kein Zusammenhang, das war nur eine spontane Albernheit, ohne Zweideutigkeit.)


Nein, ich fands auch einfach lustig, muss doch nicht immer alles so schwermütig sein, oder?

Lieben Gruß
ELsa
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Orit

Beitragvon Orit » 01.07.2007, 21:54

Liebe Elsa!

Deine Lesung hat mich aus dem Sessel gehoben!!! :angst_2: :hand0051:
Ich kannte mal zwei Menschen, die so dicht an Emma und George drann sind. Nur mit zwei kleinen Unterschieden :mrgreen: : Er nannte sie "dusslige Kuh" und hat es beim Frühstück geschafft, sich frei zu husten ... Sie sprach über ihr Leben auch in einem abgeklärten Unterton, selbst wenn sie weinte. Zwei oder drei Tage nach seinem Tod besuchte ich sie.
Irgendwie war sie schon traurig aber sie zog auch eine Bilanz.
Erinnerten uns an die eine oder andere Begebenheit, z.B. wie er beim Frühstück seine Hand aufhielt und noch ein fertig belegtes Brötchen forderte.
Vor allem mit deiner zweiten Lesung bist du mitten drinn :hut0039:

Liebe Grüße
Orit

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 01.07.2007, 23:28

Liebe Orit,

*strahl* das freut mich, danke schön!

Sie sprach über ihr Leben auch in einem abgeklärten Unterton, selbst wenn sie weinte.
Das habe ich auch drauf :-) Ich meine im echten Leben. Wenn man etwas lange genug mitmacht, wird man auch kritisch sich selbst gegenüber, was ja zur Abklärung führt, selbst wenn man die Umstände nicht ändern kann/will.

Erinnerten uns an die eine oder andere Begebenheit, z.B. wie er beim Frühstück seine Hand aufhielt und noch ein fertig belegtes Brötchen forderte.
Das ist ja .... es gibt nichts zu schreiben, was es nicht schon in Wirklichkeit gibt.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Gast

Beitragvon Gast » 02.07.2007, 12:34

Liebe Elsa,

das glaube ich dir ohne Weiteres, dass diese "Schwächen" der Hörproduktion, im persönlichen Vortrag keine Rolle spielen.
Es ist einfach sehr schwer, die Feinheiten alle hörbar zu machen.


Liebe Grüße
Gerda

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 02.07.2007, 13:43

Liebe Gerda,

danke, dass du dich noch einmal dazu meldest. Ich denke, du bringst es hier auf den Punkt: Es ist einfach sehr schwer, die Feinheiten alle hörbar zu machen.

Man muss sich sehr genau aussuchen, was man laut machen will, damit es ein gutes Hörerlebnis wird.

Lieben Gruß
ELsa
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Max

Beitragvon Max » 02.07.2007, 22:34

Liebe Elsa,

ein dickes Lob für diese Geschichte und auch für die Art sie zu lesen!!

Liebe Grüße nach Wien
Max


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