
Beim Doktor anhören
Schlurf. Klopf. „Isch misst zum Dokta!“ „Guten Tag Frau Simmert! Der Doktor hat gleich Zeit für Sie. Nehmen Sie doch noch einen Augenblick Platz im Wartezimmer!“ Schlurf, Kopfnick. Das pubertierende Mädchen kann nichts mit Höflichkeit anfangen und flüchtet sich in die bunte Welt der Echo der Frau. „Was?“ – „Was?“ rufen sich zwei alte Männer zu, die beide kaum hören können. Vermutlich haben sich ihre Ohren dem Gezeter ihrer Ehefrauen nach gut 50 Jahren endlich erfolgreich verwehrt. Die Pharmareferentin weist im Gesamtportrait keinerlei Falten auf und ist Höflichkeit gewohnt. Hören können etwa 37 Prozent der Anwesenden. Darunter offensichtlich auch ein deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund, der in täuschend echten Akzent jemandem über sein Mobiltelefon erklärt, dass er „heut obe uff jede Fall dabei sei wed, verstehst Alda?!“, egal, was der Doktor ihm zu sagen hätte.
Währenddessen lacht der Assistenzarzt mit einer 17Jährigen, die Kopfschmerzen vortäuscht, um nicht zum Sportunterricht zu müssen. Er hat einen siebenjährigen Sohn. Der spielt Hockey und hat nie Kopfschmerzen. Im Wartezimmer tritt eine Alte ein und zieht mit einem lautstarken „Morsche“ die gesamte Aufmerksamkeit auf sich und ihren brandneuen Gehstock der Marke Quattro Comfort-Derby rechts bronce. Eine andere schlägt die transparente Hand vor den leicht verschmierten Mund und krächzt „Elfriede, isch heb gedengt, du bisch dood!“. Daraufhin kippt sie vom Plastikklappstuhl und schlägt mit dem Kopf gegen ein hölzernes Kinderspielzeug. Ich stelle mir vor, wie der Assistenzarzt derweil seiner Patientin an den Busen greift und mache mich schweigend auf den Weg zur Arbeit.