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Franz Kafka: Auf der Galerie

Verfasst: 31.10.2006, 14:44
von lichelzauch
(Das Pony ist auch wieder mit dabei)


Auf der Galerie

Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, riefe das: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, .zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherläuft; die Sprünge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wütend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Saltomortale das Orchester mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge schweigen; schließlich die Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen küßt und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet; während sie selbst, von ihm gestützt, hoch auf den Fußspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.

Hörversion

Verfasst: 01.11.2006, 12:15
von Trixie
Hallo ihr zwei!!

Wow, das ist toll! Da habe ich sehr gerne zugehört. Und Lisa, das Pony fand ich gar nicht schlimm. Vielleicht liegt das an den neuen Kopfhörern? Aber in diesem Fall passt es ja :mrgreen:! Nein, ganz im Ernst: Wie seid ihr auf die Idee gekommen genau das zu lesen und wieso zu zweit? Es gefällt mir sehr gut und ich finde, ihr habt das total profesionell gemacht!! Das ist echt klasse und ich werd mir das auf jeden Fall noch öfter anhören. Danke für diese bravouröse Lesung!

Beeindruckte Grüße
Trixie

Verfasst: 01.11.2006, 12:24
von Lisa
Liebe Trixie,
nur ganz flugs die Antwort: Wie wir auf die Idee gekommen sind? Na du hast doch gesgat, es wäre toll Gemeinschaftsprojekte zu machen und da dahcten wir.... :bussi: .

(was es aber nicht besser macht :mrgreen: )

Liebe Grüße,
Lisa

Verfasst: 01.11.2006, 12:51
von Trixie
Oh, Lisa, ich fühle mich geehrt, dass ihr meiner Aufforderung so schnell nachkommt!!

(ist egal :cool:)

Schönen Feiertag
Trixie

Verfasst: 01.11.2006, 14:26
von Louisa
Hallo L und L !

Ich mochte diesen tiefen, dramatische Lichel-Zirkus und den weichen Märchen-Zirkus zusammen mit dem authentischen Anfangs-Orchester sehr! (Mich hat der Anfang an diese Kino-Firma mit dem brüllenden Löwen erinnert...war es das sogar?)

Es war wieder eine zauberhafte "Mischung" von euch beiden!

mit englischen Ausrufen zu warnen versucht


...was sind denn das für Ausrufe :smile: ?

ALso ich fand es (wie Madame Trixie) very impressive !

Viel Spaß in der Manege!
L Nr. 3

Verfasst: 03.11.2006, 20:17
von Paul Ost
Lieber Lichel,

Deine Stimme klingt anders als Dein Bild, möchte ich sagen. Spannend. Was ist das für eine Klangfarbe in Deiner Aussprache? Ich rate lieber nicht, sonst verrate ich mich noch. Gut gelesen.

Liebe Lisa,

das ist bezaubernd. Dein Pony könntest Du aus der Manege schicken, wenn Du bei den Plosivlauten (b,p) nicht ins Mikro sprechen oder bewusst weniger betonen würdest. Du kannst auch versuchen, das Mikro seitlich zu stellen und gewissermaßen ins Leere sprechen...

Glückwunsch zu dieser beeindruckenden Lesung

Verfasst: 03.11.2006, 20:45
von Max
Liebe Lisa, öieber Lichel, lieber Paul,

ich habe es sehr gern gehört, besonders das Pony ... es ist immerhin einer der für mich eindringlichsten Kafkalesungen :-).

Liebe Grüße
,ax

Verfasst: 04.11.2006, 00:51
von lichelzauch
Danke ihr drei für euer Lob! :blumen:

Paul?

Was ist das für eine Klangfarbe in Deiner Aussprache?
Was meinst du damit? :smile:

Liebe Grüße,
lichelzauch

Verfasst: 04.11.2006, 08:02
von Paul Ost
Lieber Lichelzauch,

gegen Lisas Hochdeutsch fällt doch auf, dass Du ein wenig anders sprichst. Das ist kein Dialekt, aber eine Klangfarbe. Ich wollte aber nicht raten.

Grüße

Paul Ost

Verfasst: 10.11.2006, 01:41
von Gast
Tja, liebe lisa, lieber lichelzauch, was soll ich sagen:

Jeder für sich eine tolle Lesung!


Mich würde interessieren, wie sich der Text, komplett einmal von Lichelzauch und einmal von Lisa anhören würde...
Ich empfinde den Wechsel störend.
Auch die Musik zu Beginn, sorry, obwohl ja Zirkus-Rumtata, scheint sie mir zu diesem Text irgend wie nicht recht zu passen.
Ich weiß, ihr wolltet ein Gemeinschaftsprojekt schaffen, aber genau das ist es so nicht geworden. Es sind 3 Teile, die mit guter Absicht zusammen gefügt wurden.
Ich glaube nicht, dass sich dieser Text wirklich dazu eignet, von zwei Personen gelesen zu werden..
Könnt ihr nicht noch Mal bei Gelegenheit, jeder das Ganze...
Hoffentlich ist das jetzt nicht unverschämt.

Liebe Grüße und auf jeden Fall vielen Dank für eure Mühe.
Gerda

Verfasst: 10.11.2006, 10:23
von Lisa
Liebe gerda,
mit der Zirkusmusik hast du letzlich sicher recht. Der arme lichel kann da auch nichts für, ich habe das als "gag" noch davor geschnitten, ich mag manchmal einfach solche "ideen", ob die aber Sinn mache, ja, da bin ich selbst nicht so sicher - sehr skurrill eben :-).

Dafür, dass wir den Text mit zwei Stimmen gelesen haben, gibt es schon einen Grund: Denn der Text ist ja zweigeteilt (Interpretation, der erste Teil sagt ja das gegenteil vom zweiten ) - sicher aber sollte man bei Kafka immer leicht/schlicht bleiben, warum es bei uns sicher durch "zu viel" eher an Kafka vorbeigeht. Letztlich bleibt ein Versuch hier "unter uns"

Liebe Grüße,
Lisa :lachen0042: