Liippenstift am Glasrand
Hörversion
Der Bass liegt quer auf den Brettern, dafür ein Klavier, ein Schlagzeug, Saxophon und Gitarre, der Eintritt umsonst, die Getränke teuer, der Club ist bekannt in der Stadt: Hier spielen nur die Versierten und die Verkannten. Auf der Bühne halten sie die Zeit an und sind doch im Takt, die ganze Zeit, immer intakt.
Ich wippe mit dem Fuß und lächle mit roten Lippen, mehr tue ich nicht, sind ja die anderen am Mikro, sind die anderen, die küssen, sich vergessen. Ich vergess nur die Zeit, zähl nicht mit, sondern lausche den Tonleitern, wie sie Akkorde kreuzen, genieße den feinen Witz darin: kein Trost, aber eine Wahrheit.
In der Pause hebt einer den Bass auf und bringt ihn weg. Schade, finde ich, denn schon der Anblick des Instruments pulsiert. Die Musiker hören trotzdem gut aufeinander, machen sich passend, und ich verehre ihre absolute Gegenwart, huldige ihrer Hingabe an das Vergehen. Irgendwann ist Schluss, wie immer. Ich bin betrogen und weiß nicht worum.
Draußen ist keine Welt, jedenfalls nicht meine. Niemand wartet, denn ich schaue nur zu, trinke aus dem schönsten Glas. Sitze nah am Ausgang, oder bleibe stehen, wenn es geht, damit ich sofort gehen kann, wenn’s mir nicht passt. Manchmal bleib ich länger, bis zum Morgengrauen, manchmal passe ich länger hin, doch ich hebe die Zeit nicht auf. Meinen Lippenstift am Glasrand wird der Barmann wegwischen. Der Bass hat gefehlt, denke ich. Würde gern wissen, wo die Akkorde sind zu meiner Melodie, und es fühlt sich an, als wär’ ich zu Gast in meinem eigenen Leben.
Lippenstift am Glasrand (Kurzprosa)
Hallo Klara,
ich freue mich, zur Abwechslung auch mal wieder ein Kompliment austeilen zu können. Der Text gefällt mir, ich kann die Stimmung (für meine Begriffe) nachempfinden, die Situation kommt mir bekannt vor. Eine schöne typische Klaraeske.
Zur Audio-Version: Den Text zuvor gelesen und eher als sanft-melancholisch wahrgenommen, hat mich die Nüchternheit und Härte in Deiner Stimme überrascht. Es sind zwar weiche Stellen drin, werden aber immer wieder in die Härte der Selbstbeherrschung zurückgerückt. Im Laufe der Lesung bekam ich dann den Eindruck, dass diese Nüchternheit so eine Art Schutzmechanismus ist, was wiederum sehr wohl die darunter verborgene Melancholie offenbart. Der letzte Satz bestärkt meine Vermutung, da höre ich ein leichtes Vibrieren in der Stimme, wie wenn mit letzter Mühe noch einen Weinen verhindert worden wäre. Die Selbstbeherrschung reicht gerade noch bis zur Stop-Taste.
Mein Eindruck.
Cheers
Pjotr
Edit:
Das sind solche Textstellen, die mit der von mir empfundenen Nüchternheit in der Stimme nicht mehr glaubwürdig übereinstimmen, beziehungsweise die zeigen, dass die Nüchternheit der Stimme nur ein Produkt der Selbstbeherrschung ist und sehr wohl Melancholie darunterliegt. Die Sprecherin lässt sie nur nicht raus. (Das ist jetzt keine Wertung, nur eine Erläuterung zu meinem Kommentar oben).
ich freue mich, zur Abwechslung auch mal wieder ein Kompliment austeilen zu können. Der Text gefällt mir, ich kann die Stimmung (für meine Begriffe) nachempfinden, die Situation kommt mir bekannt vor. Eine schöne typische Klaraeske.
Zur Audio-Version: Den Text zuvor gelesen und eher als sanft-melancholisch wahrgenommen, hat mich die Nüchternheit und Härte in Deiner Stimme überrascht. Es sind zwar weiche Stellen drin, werden aber immer wieder in die Härte der Selbstbeherrschung zurückgerückt. Im Laufe der Lesung bekam ich dann den Eindruck, dass diese Nüchternheit so eine Art Schutzmechanismus ist, was wiederum sehr wohl die darunter verborgene Melancholie offenbart. Der letzte Satz bestärkt meine Vermutung, da höre ich ein leichtes Vibrieren in der Stimme, wie wenn mit letzter Mühe noch einen Weinen verhindert worden wäre. Die Selbstbeherrschung reicht gerade noch bis zur Stop-Taste.
Mein Eindruck.
Cheers
Pjotr
Edit:
Ich wippe mit dem Fuß und lächle mit roten Lippen, [...] Ich vergess nur die Zeit [...]
Das sind solche Textstellen, die mit der von mir empfundenen Nüchternheit in der Stimme nicht mehr glaubwürdig übereinstimmen, beziehungsweise die zeigen, dass die Nüchternheit der Stimme nur ein Produkt der Selbstbeherrschung ist und sehr wohl Melancholie darunterliegt. Die Sprecherin lässt sie nur nicht raus. (Das ist jetzt keine Wertung, nur eine Erläuterung zu meinem Kommentar oben).
Liebe Klara,
ich kann Pjotrs Einschätzung hier überhaupt nicht empfinden. Ein wirklich trauriger Ton zieht mit deiner Stimme durch den schönen Text. Komisch, wie verschieden man doch hört?
Ob Frauen anders ...?
Mir gefällt's!
Lieben Gruß
ELsa
ich kann Pjotrs Einschätzung hier überhaupt nicht empfinden. Ein wirklich trauriger Ton zieht mit deiner Stimme durch den schönen Text. Komisch, wie verschieden man doch hört?
Ob Frauen anders ...?
Mir gefällt's!
Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen
Hallo Elsa,
ich sagte nicht, ich würde keinen traurigen Ton hören. Vielleicht habe ich meinen Kommentar zu kompliziert ausgedrückt und die Feinheiten meiner Gedanken sind untergegangen.
(Traurig, fröhlich. Männder, Frauen. Warum immer dieses Schwarzweiß, Elsa?)
Salute
Pjotr
ich sagte nicht, ich würde keinen traurigen Ton hören. Vielleicht habe ich meinen Kommentar zu kompliziert ausgedrückt und die Feinheiten meiner Gedanken sind untergegangen.
(Traurig, fröhlich. Männder, Frauen. Warum immer dieses Schwarzweiß, Elsa?)
Salute
Pjotr
Hallo Pjotr,
Ich beziehe mich darauf:
Und ich wollte dich nicht angreifen, ehrlich! Hab nur eben anders gehört als du, das ist alles.
Lieben Gruß
ELsa
Ich beziehe mich darauf:
und höre keine Härte bei Klara heraus.Den Text zuvor gelesen und eher als sanft-melancholisch wahrgenommen, hat mich die Nüchternheit und Härte in Deiner Stimme überrascht.
Nicht immer, aber immer wieder.(Traurig, fröhlich. Männder, Frauen. Warum immer dieses Schwarzweiß, Elsa?)
Und ich wollte dich nicht angreifen, ehrlich! Hab nur eben anders gehört als du, das ist alles.
Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen
Hallo,
danke für euer freundliches Feedback, Mucki, Elsa, Pjotr! Freut mich, dass auch ein Prosatext angehört wird (ist ja schließlich länger, näch?).
Interessiert mich sehr, Pjotr! Die harten und nüchternen Stellen! Ich glaube, ich weiß, was du mit deinem Kommentar meinst (wenn ich richtig verstehe, hat es nichts mit Mann oder Frau als Hörer/in zu tun, sondern mit individueller Hörerwartung an einen zuvor gelesenen Text).
Lieber Gruß
Klara
danke für euer freundliches Feedback, Mucki, Elsa, Pjotr! Freut mich, dass auch ein Prosatext angehört wird (ist ja schließlich länger, näch?).
Falls Interesse besteht, welche Stellen ich als "hart und nüchtern" bezeichne, werde ich mir die Arbeit machen und die Sache Zeile für Zeile erläutern. "Hart und nüchtern" sind relative Begriffe, vielleicht sieht nicht jeder sofort, was ich damit meine.
Interessiert mich sehr, Pjotr! Die harten und nüchternen Stellen! Ich glaube, ich weiß, was du mit deinem Kommentar meinst (wenn ich richtig verstehe, hat es nichts mit Mann oder Frau als Hörer/in zu tun, sondern mit individueller Hörerwartung an einen zuvor gelesenen Text).
Lieber Gruß
Klara
Elsa, wie gesagt, Du hörst nicht anders, auch ich höre natürlich dieTraurigkeit, aber das schließt das andere ja nicht aus. Es ist ein Wechselspiel aus nachgebendem Hinsetzen und selbstbeherrschtem Aufstehen. Ich finde, das ist offensichtlich. Aber vielleicht höre ich auch einfach nur allzu genau hin und höre die Flöhe husten. Ich kann nicht oberflächlich hören. Mir fehlt da der Filter.
Nein, es schließt das andere nicht aus, das stimmt.
Lieben Gruß
ELsa
Das hier verstehe ich nun, ja, Übereinstimmung!Es ist ein Wechselspiel aus nachgebendem Hinsetzen und selbstbeherrschtem Aufstehen. Ich finde, das ist offensichtlich.
Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen
Das Fettgedruckte ist beherrschter, gefasster, nüchterner gesprochen im Gegensatz zum Rest, der weich (teilweise sehr weich) klingt. Hinsichtlich "lächelnd fußwippend und zeitvergessend" war ich überrascht, dass die von mir aus dem Text erwartete bluesige Lockerheit weniger ausgedehnt ist in der Tonversion. Das ist alles was ich sagen wollte. Einfach nur ein bißchen ausführlicheres Feedback. Dass ich überrascht bin, ist ja keine Wertung. Überraschungen sind eine feine Sache.
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Lippenstift am Glasrand, von Klara.
Der Bass liegt quer auf den Brettern, dafür ein Klavier, ein Schlagzeug, Saxophon und Gitarre, der Eintritt umsonst, die Getränke teuer, der Club ist bekannt in der Stadt: Hier spielen nur die Versierten und die Verkannten. Auf der Bühne halten sie die Zeit an und sind doch im Takt, die ganze Zeit, immer intakt.
Ich wippe mit dem Fuß und lächle mit roten Lippen, mehr tue ich nicht, sind ja die anderen am Mikro, sind die anderen, die küssen, sich vergessen. Ich vergess nur die Zeit, zähl nicht mit, sondern lausche den Tonleitern, wie sie Akkorde kreuzen, genieße den feinen Witz darin: kein Trost, aber eine Wahrheit.
In der Pause hebt einer den Bass auf und bringt ihn weg. Schade, finde ich, denn schon der Anblick des Instruments pulsiert. Die Musiker hören trotzdem gut aufeinander, machen sich passend, und ich verehre ihre absolute Gegenwart, huldige ihrer Hingabe an das Vergehen. Irgendwann ist Schluss, wie immer. Ich bin betrogen und weiß nicht worum.
Draußen ist keine Welt, jedenfalls nicht meine. Niemand wartet, denn ich schaue nur zu, trinke aus dem schönsten Glas. Sitze nah am Ausgang, oder bleibe stehen, wenn es geht, damit ich sofort gehen kann, wenn’s mir nicht passt. Manchmal bleib ich länger, bis zum Morgengrauen, manchmal passe ich länger hin, doch ich hebe die Zeit nicht auf. Meinen Lippenstift am Glasrand wird der Barmann wegwischen. Der Bass hat gefehlt, denke ich. Würde gern wissen, wo die Akkorde sind zu meiner Melodie, und es fühlt sich an, als wär’ ich zu Gast in meinem eigenen Leben.
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Lippenstift am Glasrand, von Klara.
Der Bass liegt quer auf den Brettern, dafür ein Klavier, ein Schlagzeug, Saxophon und Gitarre, der Eintritt umsonst, die Getränke teuer, der Club ist bekannt in der Stadt: Hier spielen nur die Versierten und die Verkannten. Auf der Bühne halten sie die Zeit an und sind doch im Takt, die ganze Zeit, immer intakt.
Ich wippe mit dem Fuß und lächle mit roten Lippen, mehr tue ich nicht, sind ja die anderen am Mikro, sind die anderen, die küssen, sich vergessen. Ich vergess nur die Zeit, zähl nicht mit, sondern lausche den Tonleitern, wie sie Akkorde kreuzen, genieße den feinen Witz darin: kein Trost, aber eine Wahrheit.
In der Pause hebt einer den Bass auf und bringt ihn weg. Schade, finde ich, denn schon der Anblick des Instruments pulsiert. Die Musiker hören trotzdem gut aufeinander, machen sich passend, und ich verehre ihre absolute Gegenwart, huldige ihrer Hingabe an das Vergehen. Irgendwann ist Schluss, wie immer. Ich bin betrogen und weiß nicht worum.
Draußen ist keine Welt, jedenfalls nicht meine. Niemand wartet, denn ich schaue nur zu, trinke aus dem schönsten Glas. Sitze nah am Ausgang, oder bleibe stehen, wenn es geht, damit ich sofort gehen kann, wenn’s mir nicht passt. Manchmal bleib ich länger, bis zum Morgengrauen, manchmal passe ich länger hin, doch ich hebe die Zeit nicht auf. Meinen Lippenstift am Glasrand wird der Barmann wegwischen. Der Bass hat gefehlt, denke ich. Würde gern wissen, wo die Akkorde sind zu meiner Melodie, und es fühlt sich an, als wär’ ich zu Gast in meinem eigenen Leben.
Ja, Elsa. -- Noch eine weitere Assoziation, heute ist ja der Tag der hochziehbaren Brauen: Was hier diese Wellenbewegung (ich nenne sie Dynamik) akustisch bewirkt, erzeugt im Visuellen (unter anderem) die bewegliche Braue*. Beide, die akustischen und die visuellen "Dynamiken", sind wichtig, damit das Publikum nicht einschläft. Das andere einschläfernde Extrem wäre eine monotone Roboterstimme und steif fixierte Brauen.
Salute
Pjotr
* Vor etwa zwei Jahren schließlich hatte auch Angela Merkel diesen Effekt entdeckt.
Salute
Pjotr
* Vor etwa zwei Jahren schließlich hatte auch Angela Merkel diesen Effekt entdeckt.
Gestern war es der Tag der Ausrasterei.Ja, Elsa. -- Noch eine weitere Assoziation, heute ist ja der Tag der hochgezogenen Brauen:
Bin schon gespannt, was Morgen für einer ist. (OT)
Gut gesagt! Wenn diese "Dynamiken" zum Automatismus verkommen, fehlt der innere Moment. In Gedanken zu formen, ehe man laut formuliert.Was hier diese Wellenbewegung (ich nenne sie Dynamik) akustisch bewirkt, erzeugt im Visuellen (unter anderem) die hochgezogene Braue. Beide, die akustischen und die visuellen "Dynamiken", sind wichtig, damit das Publikum nicht einschläft. Das andere einschläfernde Extrem wäre eine monotone Roboterstimme und steif fixierte Brauen.
Das trifft auch auf Musiker zu. Wenn einer einen Song zum 110. Mal, kann passieren, dass kein Gefühl mehr transportiert wird, weil es nur noch "außen" gespielt wird.
Es gibt auch routinierte Vortragende, die gar nicht mehr merken, dass ein SingSang entsteht, weil sie den Text nicht mehr "vordenken". Das sind dann die Roboter.
Ok, das alles hat jedoch nichts mit Klaras Stimme zu tun, es war nur ein lautes Denken, Entschuldigung.
Lieben Gruß
ELsa
edit: Achja, die Merkel, genau!
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