Frolic, Musil und die Grundregel des Erwachsenseins
Verfasst: 20.07.2007, 14:12
Mit freundlicher Erlaubnis von Max Dernet habe ich zur Abwechslung auch mal einen langen Prosatext gelesen.
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Frolic, Musil und die Grundregel des Erwachsenseins
...Seit jenem Nebeltag in Daglfing, an dem sie das Pferd gekauft hatte, waren Bellas Besuche seltener geworden.
„Ich muss mich um Strolch kümmern, Max. Er steht seit einer Woche im Reiterhof am Steinsee und gewöhnt sich nur schwer ein.“
Sie erschien jetzt stets in Begleitung ihrer kleinen Spanielhündin, die sie bisher der Obhut ihres Vaters anvertraut hatte.
Susi ließ sie bei mir, als sie ins Theater fuhr, um das erste Mal ihren Job anzutreten. Elegant hatte sie sich zurecht gemacht, ein graues Kostüm, die Haare hochgesteckt.
„Du wirst schöner sein, als alle Damen in Publikum, das verzeihen die dir nie“, sagte ich.
Sie lächelte.
„Drück mir die Daumen!“
Weg war sie.
Susi und ich musterten einander. Ihr kupiertes Stummelschwänzchen ging wie rasend. Ich gab ihr eine Tasse voll Frolic und kam mir noch seltsamer vor als gewöhnlich.
‚Immerhin hat sie mir nicht ihr Pferd dagelassen’, dachte ich, befahl „Platz!“
Zögernd ließ sich die Hündin in ihrem Korb nieder und beäugte mich weiter.
Ich setzte mich in den Sessel am Fenster und blätterte im ‚Mann ohne Eigenschaften’. Das Buch hatte ich bei Vaters Büchergilde bestellt, als letztes Exemplar vor der Kündigung.
„Such dir ruhig was aus, Max, eines müssen wir ihnen noch abnehmen. Dann brauchen wir nie mehr ein Buch lesen!“
In solchen Momenten, fragt ich mich, was diesen Mann dazu getrieben hatte, seiner Frau ein Kind zu machen.
‚Man weiß ja nicht, worauf es ankommt’, stand da. Ich betrachtete den dösenden Hund, starrte in die Dämmerung hinaus und fühlte mich verstanden, dachte daran, daß mein Großvater, obwohl Schneidermeister, genau derselben Ansicht gewesen war.
„Nichts Genaues weiß man nicht, aber irgendwann muss man trotzdem so tun, als ob. Das ist die Grundregel des Erwachsenseins. Befolgt man die nicht, Maxl, dann kann man vom Glück reden, wenn sie einen nur für seltsam halten.“ Eindringlich hatte er dabei von dem Stoffpacken hochgeblickt, aus dem er Krägen für Straßenbahnerjacken zuschnitt und mir die blaue Ölkreide aus der Hand genommen.
Nach dem Tod seiner Frau allerdings verlor er den Glauben an sein ‚als ob’. Das rentiere sich für ihn einfach nicht mehr, versicherte er uns und kehrte in die Ahnungslosigkeit der Kinder, Narren und Mystiker zurück. Schnell wurde er hinfällig und verwahrloste trotz aller Bemühungen der Familie. Bald darauf starb er. Mit einem Ausdruck großen Erstaunens in den Augen, wie mir Mutter erzählte. Als es mit ihm zu Ende ging, fuhr ich gerade durch Marokko, bei meiner Rückkehr war er schon eingegraben.
Als ich Bellas Mini gegen Mitternacht vor dem Haus parken hörte, lockte ich Susi auf meinen Schoß, um einen heimeligen Anblick zu bieten.
„Mir ist wieder eingefallen, wie man erwachsen wird, das wolltest du doch neulich auf dem Falkenberg wissen“, sagte ich, als sie ins Zimmer trat.
Bella zog die Brauen hoch.
„Du sitzt da wie mein Vater“, sagte sie.
„Erwachsene sitzen eben so“, erwiderte ich mit Nachdruck, um den Schlag zu verdauen.
Sie lächelte, zögerte.
„Hast du ein Bier für mich? Ich bin zu müde, um noch nach Hause zu fahren.“
Ich hob Susi auf den Boden, ging in die Küche und holte zwei Flaschen aus dem Kühlschrank, gab Bella eine, erzählte von Großvater und seiner Grundregel.
Bella nuckelte versunken an ihrem Bier.
„Max, du hast eine Neigung zur Grübelei, wahrscheinlich, weil du aus einer Familie von Sonderbaren kommst. Ich dagegen stamme aus einer ostpreußischen Sippe. Deren Lebensprinzip ist ‚Haltung, egal was kommt’. Doch das ist mir zu öde. Ich will nichts anderes, als ein ganz normales Leben führen. Das muss möglich sein, alle anderen schaffen es ja auch!“
Sie schaute mit großen Kinderaugen irgendwohin.
„Mein Wolkenmädchen“, sagte ich, weil ich wusste, es würde ihr nicht gelingen. Normalität ist keine Eigenschaft, die man erlernen kann, sie resultiert aus der Abwesenheit unnormaler Zustände.
„Wie war es im Theater?“ fragte ich, weil das Lächeln über mein Kompliment von Nachdenklichkeit überschattet wurde.
„Bühnenreif“, sagte sie. „Das Publikum bot Anlass zur Erheiterung, die Kolleginnen studieren, oder sind schon im verbitterten Alter, der Bühnenmeister weiß nicht, dass er schwul ist, der Direktor dagegen ist stolz drauf, es zu sein. In die schräge Truppe der Kulissenschieber würdest du gut reinpassen. Hast du keine Lust? Sie suchen noch Leute. Arbeitszeit wäre auch für dich immer am Abend und wir könnten gemeinsam nach Hause fahren.“
„Mal sehen, Geld verdienen wäre nicht schlecht“, sagte ich.“ Abends werde ich wohl Zeit haben, zumindest in den ersten Semestern.“
„Du willst also wirklich Philosophie studieren?“
Als ich nur nickte, fragte sie: „Was wolltest du als Kind werden?“
„Als Kind? Da wünschte ich mir, eines Tages zu sein wie mein Urgroßonkel, der Forstmeister. Er war auch Verfasser dieses Standardwerkes.“
Ich trat ans Regal zog sein Buch heraus, reichte es ihr
„‚Aufzucht und Dressur des deutschen Jagdhundes“, las sie halblaut.
Wir betrachteten das Titelbild.
Stolz stand da mein Großonkel, in waidmännischem Loden, die Flinte geschultert, über seinen brustlangen Bart hinweg blicke er würdevoll hinab auf sein Deutsch-Kurzhaar, das beflissen zu ihm empor hechelte.
„Schau dir seinen Wastl an! Zu einem solchen grundsoliden ‚Sitz!’ ist das heutige antiautoritäre Hundepack gar nicht mehr in der Lage“, knarrte ich und deutete auf Susi, die sich zu Bellas Füßen niedergelegt hatte, mich aber nicht aus den Augen ließ. Susis Schwanzstummelchen fing wild zu trommeln an.
„Dann studier doch Forstwesen“, sagte Bella.
„“Nein“, sagte ich. „Als Förster ist man heutzutage ein Fichtenbetriebswirt.“
„Warum wirst du dann nicht Verhaltensforscher wie der Lorenz?“
„Weil ich das meiste Verhalten langweilig finde. So regelmäßig, notwendig irgendwie und doch letztlich zufällig, wie alles, was die Evolution hervorbringt.“
„Diese endlosen Gedankenspielereien und willkürlichen Begriffssysteme in der Philosophie, sind die nicht ebenso langweilig?“ fragte sie skeptisch.
„Schon, aber das kann man alles kritisieren, Verhalten kann man bloß erforschen", erwiderte ich.
„Stimmt, die Natur zu kritisieren, das wäre blöd“, sagte sie und prüfte den Pegel in ihrer Flasche.
„Was wolltest du denn werden, als Kind?“ fragte ich.
„Alles, bloß nicht wie meine Mutter“, antwortete sie. „Gehen wir schlafen?“
Sie trank aus, streifte die Pumps von den Füßen und schlüpfte aus ihrem Kostüm, zog den Slip von den Schenkeln.
Ich schlug die Decke zurück, sie ließ sich ins Bett fallen, räkelte sich auf dem Leinen, breitete lächelnd die Arme aus. Neben sie legte ich mich und küsste ihre Lippen, den Hals, die rosigen Augen ihrer Brüste, das salzige Grübchen des Bauchnabels.
„Nun verhalt dich mal schön“, flüsterte sie und spreizte ihre Schenkel.
Während ich sie leckte, überlegte ich, ob wir nicht doch zu unterschiedlichen Göttern beteten.
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Frolic, Musil und die Grundregel des Erwachsenseins
...Seit jenem Nebeltag in Daglfing, an dem sie das Pferd gekauft hatte, waren Bellas Besuche seltener geworden.
„Ich muss mich um Strolch kümmern, Max. Er steht seit einer Woche im Reiterhof am Steinsee und gewöhnt sich nur schwer ein.“
Sie erschien jetzt stets in Begleitung ihrer kleinen Spanielhündin, die sie bisher der Obhut ihres Vaters anvertraut hatte.
Susi ließ sie bei mir, als sie ins Theater fuhr, um das erste Mal ihren Job anzutreten. Elegant hatte sie sich zurecht gemacht, ein graues Kostüm, die Haare hochgesteckt.
„Du wirst schöner sein, als alle Damen in Publikum, das verzeihen die dir nie“, sagte ich.
Sie lächelte.
„Drück mir die Daumen!“
Weg war sie.
Susi und ich musterten einander. Ihr kupiertes Stummelschwänzchen ging wie rasend. Ich gab ihr eine Tasse voll Frolic und kam mir noch seltsamer vor als gewöhnlich.
‚Immerhin hat sie mir nicht ihr Pferd dagelassen’, dachte ich, befahl „Platz!“
Zögernd ließ sich die Hündin in ihrem Korb nieder und beäugte mich weiter.
Ich setzte mich in den Sessel am Fenster und blätterte im ‚Mann ohne Eigenschaften’. Das Buch hatte ich bei Vaters Büchergilde bestellt, als letztes Exemplar vor der Kündigung.
„Such dir ruhig was aus, Max, eines müssen wir ihnen noch abnehmen. Dann brauchen wir nie mehr ein Buch lesen!“
In solchen Momenten, fragt ich mich, was diesen Mann dazu getrieben hatte, seiner Frau ein Kind zu machen.
‚Man weiß ja nicht, worauf es ankommt’, stand da. Ich betrachtete den dösenden Hund, starrte in die Dämmerung hinaus und fühlte mich verstanden, dachte daran, daß mein Großvater, obwohl Schneidermeister, genau derselben Ansicht gewesen war.
„Nichts Genaues weiß man nicht, aber irgendwann muss man trotzdem so tun, als ob. Das ist die Grundregel des Erwachsenseins. Befolgt man die nicht, Maxl, dann kann man vom Glück reden, wenn sie einen nur für seltsam halten.“ Eindringlich hatte er dabei von dem Stoffpacken hochgeblickt, aus dem er Krägen für Straßenbahnerjacken zuschnitt und mir die blaue Ölkreide aus der Hand genommen.
Nach dem Tod seiner Frau allerdings verlor er den Glauben an sein ‚als ob’. Das rentiere sich für ihn einfach nicht mehr, versicherte er uns und kehrte in die Ahnungslosigkeit der Kinder, Narren und Mystiker zurück. Schnell wurde er hinfällig und verwahrloste trotz aller Bemühungen der Familie. Bald darauf starb er. Mit einem Ausdruck großen Erstaunens in den Augen, wie mir Mutter erzählte. Als es mit ihm zu Ende ging, fuhr ich gerade durch Marokko, bei meiner Rückkehr war er schon eingegraben.
Als ich Bellas Mini gegen Mitternacht vor dem Haus parken hörte, lockte ich Susi auf meinen Schoß, um einen heimeligen Anblick zu bieten.
„Mir ist wieder eingefallen, wie man erwachsen wird, das wolltest du doch neulich auf dem Falkenberg wissen“, sagte ich, als sie ins Zimmer trat.
Bella zog die Brauen hoch.
„Du sitzt da wie mein Vater“, sagte sie.
„Erwachsene sitzen eben so“, erwiderte ich mit Nachdruck, um den Schlag zu verdauen.
Sie lächelte, zögerte.
„Hast du ein Bier für mich? Ich bin zu müde, um noch nach Hause zu fahren.“
Ich hob Susi auf den Boden, ging in die Küche und holte zwei Flaschen aus dem Kühlschrank, gab Bella eine, erzählte von Großvater und seiner Grundregel.
Bella nuckelte versunken an ihrem Bier.
„Max, du hast eine Neigung zur Grübelei, wahrscheinlich, weil du aus einer Familie von Sonderbaren kommst. Ich dagegen stamme aus einer ostpreußischen Sippe. Deren Lebensprinzip ist ‚Haltung, egal was kommt’. Doch das ist mir zu öde. Ich will nichts anderes, als ein ganz normales Leben führen. Das muss möglich sein, alle anderen schaffen es ja auch!“
Sie schaute mit großen Kinderaugen irgendwohin.
„Mein Wolkenmädchen“, sagte ich, weil ich wusste, es würde ihr nicht gelingen. Normalität ist keine Eigenschaft, die man erlernen kann, sie resultiert aus der Abwesenheit unnormaler Zustände.
„Wie war es im Theater?“ fragte ich, weil das Lächeln über mein Kompliment von Nachdenklichkeit überschattet wurde.
„Bühnenreif“, sagte sie. „Das Publikum bot Anlass zur Erheiterung, die Kolleginnen studieren, oder sind schon im verbitterten Alter, der Bühnenmeister weiß nicht, dass er schwul ist, der Direktor dagegen ist stolz drauf, es zu sein. In die schräge Truppe der Kulissenschieber würdest du gut reinpassen. Hast du keine Lust? Sie suchen noch Leute. Arbeitszeit wäre auch für dich immer am Abend und wir könnten gemeinsam nach Hause fahren.“
„Mal sehen, Geld verdienen wäre nicht schlecht“, sagte ich.“ Abends werde ich wohl Zeit haben, zumindest in den ersten Semestern.“
„Du willst also wirklich Philosophie studieren?“
Als ich nur nickte, fragte sie: „Was wolltest du als Kind werden?“
„Als Kind? Da wünschte ich mir, eines Tages zu sein wie mein Urgroßonkel, der Forstmeister. Er war auch Verfasser dieses Standardwerkes.“
Ich trat ans Regal zog sein Buch heraus, reichte es ihr
„‚Aufzucht und Dressur des deutschen Jagdhundes“, las sie halblaut.
Wir betrachteten das Titelbild.
Stolz stand da mein Großonkel, in waidmännischem Loden, die Flinte geschultert, über seinen brustlangen Bart hinweg blicke er würdevoll hinab auf sein Deutsch-Kurzhaar, das beflissen zu ihm empor hechelte.
„Schau dir seinen Wastl an! Zu einem solchen grundsoliden ‚Sitz!’ ist das heutige antiautoritäre Hundepack gar nicht mehr in der Lage“, knarrte ich und deutete auf Susi, die sich zu Bellas Füßen niedergelegt hatte, mich aber nicht aus den Augen ließ. Susis Schwanzstummelchen fing wild zu trommeln an.
„Dann studier doch Forstwesen“, sagte Bella.
„“Nein“, sagte ich. „Als Förster ist man heutzutage ein Fichtenbetriebswirt.“
„Warum wirst du dann nicht Verhaltensforscher wie der Lorenz?“
„Weil ich das meiste Verhalten langweilig finde. So regelmäßig, notwendig irgendwie und doch letztlich zufällig, wie alles, was die Evolution hervorbringt.“
„Diese endlosen Gedankenspielereien und willkürlichen Begriffssysteme in der Philosophie, sind die nicht ebenso langweilig?“ fragte sie skeptisch.
„Schon, aber das kann man alles kritisieren, Verhalten kann man bloß erforschen", erwiderte ich.
„Stimmt, die Natur zu kritisieren, das wäre blöd“, sagte sie und prüfte den Pegel in ihrer Flasche.
„Was wolltest du denn werden, als Kind?“ fragte ich.
„Alles, bloß nicht wie meine Mutter“, antwortete sie. „Gehen wir schlafen?“
Sie trank aus, streifte die Pumps von den Füßen und schlüpfte aus ihrem Kostüm, zog den Slip von den Schenkeln.
Ich schlug die Decke zurück, sie ließ sich ins Bett fallen, räkelte sich auf dem Leinen, breitete lächelnd die Arme aus. Neben sie legte ich mich und küsste ihre Lippen, den Hals, die rosigen Augen ihrer Brüste, das salzige Grübchen des Bauchnabels.
„Nun verhalt dich mal schön“, flüsterte sie und spreizte ihre Schenkel.
Während ich sie leckte, überlegte ich, ob wir nicht doch zu unterschiedlichen Göttern beteten.