im taxi

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Klara
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Beitragvon Klara » 22.12.2007, 23:03

im taxi

Anhören

kleine zwerge hängen vom rückspiegel lächeln ihre plastikmünder sind rot mit kleinen abgebrochenen stellen sie klebt ihren blick daran. hört die kratzige stimme des dauerrauchers wo soll's n hinjehn er klopft mit den händen aufs steuer könn' ja nich ewich hier stehn bleim aber wenn es nach ihr ginge könnten sie das und sein dreckiges berlinerisch kann er sich in sein dreckiges maul zurückstecken diese zwerge machen sie fertig mit ihrem lächeln mit ihrem lächeln.
potsdam schloss sanssouci hab dort etwas zu erledigen es ist ein befehl mitten in der nacht fragt er nicht ob die frau im fond einen an der waffel hat fährt schweigend eine lohnende fahrt sie sieht nicht aus als ob sie kein geld hätte, nur kein händchen, und das geht ihn nichts an.
die giftzwerge lächeln die lichter der autobahn belästigen ihre augen darf ich einen haben wat meinst’n so einen giftzwerg sie zeigt auf die dinger. sind doch keene giftzwerge er grummelt gegen ihre sorgfältige diktion grabbelt mit dicken gelben fingern einen vom spiegel und reicht ihn nach hinten wo sie die schadhaften plastiklippen küsst und dann das männeken in ihren ausschnitt schiebt der sehr viel haut zeigt ihre dürre faltige braune brust erregt ihn wider willen und er ertappt sich dabei wie er nun doch gerne wüsste was sie sich eigentlich dabei denkt.
am ende gibt sie ihm keinen cent trinkgeld und er ärgert sich nun wird einer seiner zwerge an ihrer haut liegen für werweißwielange nur einer. außerhalb seiner kontrolle.

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 23.12.2007, 06:17

Hallo Klara,

für mein Empfinden ist da ein Riesenunterschied zwischen Hör- und Schriftversion. Während die kommalose Schrift auf mich rasant fließend wirkt, ist die Hörversion vollgefüllt mit Kommas und nachdenklichen Pausen.

Die in der Schrift wirkende Aggression gegen die Zwerge beispielsweise, sowie andere bissige Textstellen, wirken in der Hörversion hingegen kleinlaut, warm, zerbrechlich. Die Erzählerin hat zwar nicht die Rolle des Fahrgastes, aber die Schriftform der Erzählung besteht reichlich aus direkter Rede, irgendwie auch an solchen Stellen, wo aus grammatischer Logik keine direkte Rede repräsentiert wird. Die Erzählerin liest nicht die markante originale Schreibweise, sie liest so etwas wie ein vielzeiliges Gedicht in einem stillen Café; von Taxi keine Spur.

Zwei Medienversionen, zwei Welten. Eine einzelne Medienversion für sich will ich hier nicht kritisieren, lediglich ihren sinnesorganischen Zusammenhang. Falls beabsichtigt sein sollte, dass beide Versionen korrespondieren, dann wirkt, je nach dem, entweder die Schrift oder der Ton auf mich unwahr.

Wenn ich wählen könnte, ob eher der Ton oder lieber die Schrift Maß geben soll, dann hätte es mir persönlich besser gefallen, wenn der Ton sich nach der Schrift richtete, also: mehr Taxi, mehr Motor, mehr Pfeffer, ein bisschen unverschämter etc. ohne dabei jedoch diese gewisse durchgehende poetische Eleganz zu verlieren.


Salute

Pjotr

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.12.2007, 09:44

Liebe Klara,

Ich war nun recht erstaunt, den Text, der optisch nur so dahinfliegt, eine stylische Schreibweise hat, hier dann ganz klassisch, konservativ und "normal" zu hören. Hier ist nichts von Fliegen ohne Punkt und Komma zu hören, das finde ich nicht konsequent.

Dann müsste der Text auch so geschrieben sein. (Gefiele mir persönlich eh viel besser).
Wenn es aber darum geht, 1:1 zu bleiben, dann muss das ganz anders gehört werden können.

Lieben Gruß
ELsa
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Beitragvon Klara » 02.01.2008, 17:25

Hallo Pjotr,

Hallo Elsa,

(FROHES NEUES JAHR)

Danke fürs Hören.
Mir ist das im Moment so weit weg - Text und Lesung - , dass ich auf eure Kritik gar nicht angemessen reagieren kann. Ich nehme jedoch an, dass ihr Recht habt. Bzw.: Das Schriftbild ist innerer Monolog. Die Lesung ist Vortrag. Atemlosigkeit war auch beim Text nicht intendiert, eher dieses Ineinanderfließen von Gedanken und Gefühlen und Zuständen, wie es beim Taxifahren (oder halt im gesamten Leben) passiert. Ich habe (noch?) nicht gewagt bzw. ist es mir noch nicht gelungen, dafür eine adäquate Sprechform zu finden, ohne Unverständlichkeit in Kauf zu nehmen.

Das Urteil "unwahr" erschließt sich mir nicht.

Lieber Gruß
Klara

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 02.01.2008, 19:00

Hallo Klara.

Klara hat geschrieben:Das Urteil "unwahr" erschließt sich mir nicht.


Die Pausen im Vorlesen korrespondieren nicht mit der Pausenlosigkeit des Schriftbildes. Unter Wahrheit verstehe ich die Übereinstimmung zwischen A und B.


Cheers

Pjotr

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Beitragvon Klara » 02.01.2008, 20:33

Unter Wahrheit verstehe ich die Übereinstimmung zwischen A und B.

nach dem Motto "wer A schreibt, muss auch B sagen"?

Ich selbst verstehe unter Wahrheit das Aushalten von Widersprüchen zwischen A und B. Allerdings führt das vom Thema weg. Was diese obige Lesung betrifft: Ich nehme an, es gibt bessere.

Grüße
Klara
EDIT Dein aktuelles Avatar-Bild ist interessant. Auf jeden Fall hübscher als Herr Mdorn ,-)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 02.01.2008, 21:30

(So vorzulesen, wie man schreibt, muss man nicht, finde ich. Ich bezog mich nur auf eine Nebenssache, nämlich auf den Zusammenhang zwischen Schriftbild und Vorgelesenem. Man kann ja beides trennen, also jedes für sich stehen lassen, und somit den Widerspruch beheben.

Ich denke, Deine Wahrheitstheorie ist dieselbe wie die meine. Um Deine Worte zu gebrauchen: Meiner Ansicht nach steht das Schriftbild im Widerspruch zum Vorgelesenen, und dieser Widerspruch wird nicht ausgehalten. Nebenbei: Wer oder was wäre denn zuständig für das Aushalten?)


Salud

Pjotr


(Interessant!)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 02.01.2008, 23:33

Hi Klara,

ich sehe hier auch zwei Paar Stiefel.

der Text an sich hat ein ganz anderes Tempo ob seiner (fehlenden) Interpunktion als die Lesung.

Den Text würde ich ungehört vorziehen. Die Lesung nur dann, wenn ich den Text nicht mitlesen könnte. Jedes einzelne für sich gut, aber es geht nicht zusammen.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Klara
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Beitragvon Klara » 03.01.2008, 10:51

Hi Tom,

ich sehe hier auch zwei Paar Stiefel.

"Du hast ja verschiedene Strümpfe an", sagte mein Sohn neulich zu meiner Mutter (es handelte sich um ihre heißgeliebten selbstgestrickten Wollsocken). Der Junge klang vorwurfsvoll und rechthabglücklich, einen Erwachsenen bei einem Fehler ertappt zu haben.

Meine Mutter antwortete gelassen: "Und wer sagt, dass man zwei gleiche Strümpfe anziehen muss?"

Neujahrsgrüße
Klara


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