Übersetzen?

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Quoth
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Beitragvon Quoth » 09.06.2020, 09:21

https://poets.org/poem/i-saw-emmett-til ... 8618eebc5b

Ein englisches Gedicht von Eve L. Ewing. Übersetzen?

Emmet Till ist mein Jahrgang. Er wurde 1955 14jährig gelyncht.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 09.06.2020, 19:34

Was für einen Hut hatte er auf? Ein porkpie hat ist eine Kreissäge. Aber die ist aus Stroh, und er steckt seinen Eindollarschein zwischen Hutband und Filz. Also ein Fedora? Nach einem Foto von Emmet Till im Netz eher letzteres.
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birke
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Beitragvon birke » 10.06.2020, 10:10

interessantes gedicht, fließt schön... und ganz aktuell, leider!

ich würde den "porkpie" gar nicht übersetzen, da er ja ein ganz eigenständiger hut ist, der auch hier am ehesten oder überhaupt unter diesem namen bekannt ist (?)

hier aus wiki:
"... ist ein runder Hut mit einer flachen Hutkrone mit Tellerbeule („Ententeich“), einer schmalen Krempe, einem leicht aufgebogenen Rand mit einer Schnittkante und einem einfarbigen Ripsband (Hutband) mit seitlicher Schleife.[1][2] Als Materialien finden sowohl Stroh, Filz, Baumwolle als auch Leinwand oder Seide Verwendung."


(sollte man diesen faden vielleicht in die interne ecke in den übersetzungs-bereich verschieben??)

lg
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Beitragvon Quoth » 10.06.2020, 11:19

Das ist die Lösung! Dass Porkpie ein eigener Huttyp ist, wusste ich nicht.
Ob verschieben oder nicht, müssen die entscheiden, die verschieben können. Ich habe doch nur einen Link reingeschrieben, nicht den Gedichttext. Bei der Übersetzung des Gedichts von Susan Cataldo war sogar der Text hier gepostet.
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Beitragvon birke » 10.06.2020, 11:46

ich könnte glaub ich sogar ... aber hast recht mit dem anderen gedicht... egal, lassen wirs so, ich denke, das ist in ordnung.

porkpie - was für ein name überhaupt für einen hut, lach!
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Quoth
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Beitragvon Quoth » 16.06.2020, 23:21

Eve L. Ewing
Ich sah Emmet Till diese Woche im Lebensmittelgeschäft.
Er sah die Pflaumen durch, eine nach der anderen,
hielt jede vor seine Augen und
drehte sie langsam wie einen kleinen Globus,
suchte Pockennarben auf der weichen Haut
oder Zeichen von Fäulnis, unfreundlichen Tagen oder Leuten,
dann ließ er sie sanft in den Plastikbeutel gleiten.
Leise pfeifend legte er sie mit seinem schlanken wolligen Arm
in den Einkaufswagen, hielt sie über dem Drahtgitter in der Schwebe,
erkannte dann die Gefahr, sie zu quetschen,
hob sie wieder heraus und barg sie
in der Beuge des Ellbogens, bis
etwas Härteres den Boden (des Einkaufwagens) bedeckte.
Ich erkannte ihn an seinem Hut, eins jener
eleganten Porkpie-Teile, die es in der Roosevelt Road
gab, es hatte seine Feder verloren, aber
dafür hatte er eine Eindollarnote sorgfältig zusammengefaltet
und zwischen Hutband und Filz gesteckt,
und sie stand stramm. Er trug sein Geld.
Aufrecht und stark stand er an der Kasse,
als ich zu ihm aufschloss. Ich rief seinen Namen,
und er wirbelte herum wie ein Tänzer, einen Schokoriegel in der Hand,
sah mich für einen Moment fragend an und
erkannte mich dann am Gesicht. Er lächelte. O,
hallo, junge Frau.
- Hallo, frisch heute.
- Hätte wie Sie meinen warmen Mantel anziehen sollen, ja, kalt für August in Chicago.
- Wie läuft’s bei dir so?
- Och, seufzte er und legte den Riegel aufs Band,
es geht so, es geht.
Zuletzt geändert von Quoth am 18.06.2020, 07:30, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon birke » 17.06.2020, 14:40

das klingt für mich gut, quoth, flüssig und sprachlich schön, nicht verquer.
einzig den "lebensmittelmarkt" würde ich überdenken, zwar ist das korrekt übersetzt, denn es scheint ja einen unterschied zu geben zwischen einem "supermarket" und einem "grocery store", aber dennoch klingt "lebensmittelmarkt" etwas seltsam, jedenfalls in meinen ohren ;) entweder würde ich einfach auf "supermarkt" gehen oder aber vielleicht, wenn schon, "lebensmittelgeschäft"?
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Beitragvon Quoth » 17.06.2020, 20:36

Vor allem auch deshalb: Man geht auf den Markt, nicht in den Markt. Danke! Hab's geändert.
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Beitragvon jondoy » 21.06.2020, 16:53

Als ich die Anfrage gelesen hatte, hab ich mich als erstes gefragt, warum man denn einen Vierzehnjährigen lyncht? Ich kannte den Namen und die Begebenheit nicht.

Eine letzte Anmerkung, wie dieses grocery store auch übersetzt werden könnte.
Im Internet kursiert tatsächlich ein Foto von der Ruine des Hauses, in dem sich dieses Ladengeschäft befand.
Es könnte in einer amerikanischen Geisterstadt stehen. Es erinnert mich ein bischen an dieses "Whistle Stop Cafe" aus dem Roman ´Grüne Tomaten´, dessen Glanzzeit jedoch zeitlich vermutlich weit mehr zurück zu datieren ist.
Jedenfalls der hier kann im Jahre 1955 kein großer Laden gewesen sein. In der Holzbruchbude, die dieses Foto zeigt, hat im Erdgeschoss nur ein kleiner Laden Platz.


Ich hab mich dann wieder an einen Begriff erinnert, den ich schon fast vergessen hatte.
Der "grocery store" aus dem Jahre 1955 in diesem Text, dessen reales Vorbild wohl von einem Besitzerehepaar geführt wurde, liese sich m.E. in diesem Text durchaus auch mit "Tante Emma Laden" ins Deutsche übersetzen, zumal, wenn man die Umrisse des realen Hauses auf dem Foto gesehen hat.

Ich kenn noch von früher so alte Tante Emma Läden hier in unseren Regionen, in einem musste die Verkäuferin mit ihrem Gehstock oben im Schrank die Nudelpackung herunterschlagen, die dann auf den Boden fiel, damit sie diese dort dann aufheben und mir, dem Kunden, mit einem Lächeln überreichen konnte..ich grinste mindestens genauso, an ihrer Stelle wäre ich auch nicht mehr auf eine Leiter gestiegen, in einem anderen Laden jener Art dachte ich mir, als ich ihn betrat, ich bin in einem geöffneten Museum gelandet, ich hätte den ganzen Laden samt Besitzerehepaar sofort unter "Denkmalschutz" gestellt, er war wie aus der Zeit gefallen, nostalgisch edel, es ging in diesem Laden zudem auch noch bergab, er bestand quasi aus zwei versetzten Ebenen, irgendwie windschief, allein schon dieses Detail war äußerst ungewöhnlich....wie auch ein Kino, in dem ich für die Kinobesitzerin, die ganz alleine die Eintrittskarten in diesem Kino verkaufte, weil sie mich darum bat, für sie das zu übernehmen, das Geld, mit dem ich den Eintritt zahlte, auf deren Bitte hin in deren antiquarische Registrierkasse hineinlegte und mir sodann aus das Rückgeld aus dieser wieder herausholte, da sie, wie sie mir erklärte, wegen ihrer schlechten Augen selbst nicht mehr den Wert der Münzen und Scheine lesen konnte.

An diesem Text gefällt mir der Schluss. Wie geht es dir so? Oh, es geht, es geht.

Quoth
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Beitragvon Quoth » 22.06.2020, 10:57

Ja, das war sicherlich ein Tante-Emma-Laden, lieber jondoy, in dem Emmet die weiße Inhaberin "babe" nannte oder sogar "anzüglich" pfiff ... Aber Eve L. Ewing hat ihn sich in einem Laden vorgestellt, der moderner ist, wie man am Band an der Kasse erkennen kann, aber auch schon am Einkaufswagen. Sie hat ihn sich in dem Supermarkt vorgestellt, in dem sie heute selbst einkauft. Ein interessantes und lebendig machendes Detail: Wollte Emmet den Schokoriegel "mitgehen lassen" und legte ihn erst aufs Band, als er sich erkannt fühlte? Warum wirbelt er herum wie ein Tänzer, als er seinen Namen hört?
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jondoy
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Beitragvon jondoy » 22.06.2020, 23:14

Quoth hat geschrieben:Ja, das war sicherlich ein Tante-Emma-Laden, lieber jondoy, in dem Emmet die weiße Inhaberin "babe" nannte oder sogar "anzüglich" pfiff ... Aber Eve L. Ewing hat ihn sich in einem Laden vorgestellt, der moderner ist, wie man am Band an der Kasse erkennen kann, aber auch schon am Einkaufswagen. Sie hat ihn sich in dem Supermarkt vorgestellt, in dem sie heute selbst einkauft. Ein interessantes und lebendig machendes Detail: Wollte Emmet den Schokoriegel "mitgehen lassen" und legte ihn erst aufs Band, als er sich erkannt fühlte? Warum wirbelt er herum wie ein Tänzer, als er seinen Namen hört?


das ist eine interessante Antwort, quoth, danke dir sehr dafür, du öffnest mir damit die Augen für Details, die ich vorher überlesen hatte. Ich kannte die Geschichte, diesen Vorfall überhaupt nicht, mich hat die Geschichte interessiert Ich hab dann einiges darüber gelesen, sonst wüsste ich jetzt gar nichts mit deinen Anmerkungen anzufangen. Erst durch dieses Vorwissen versteh ich ziemlich gut. Ich hab mir versucht, mir diesen Emmet vorzustellen. Dieses Money, irgendwo im sumpfigen Missisipidelta vor der Küste, das laut Netz im Jahre 1955 rund 400 Einwohner gehabt haben soll, weil zu der Zeit dort in der Nähe eine Baumwollfabrik stand, die produzierte. Woher die Arbeiter kamen, die da drin und auf den Feldern drum herum arbeiten mussten, kann ich mir vorstellen. Heute sollen in Money nur noch rund 100 Leute leben. In einem Ort mit nur 400 Einwohnern kennt jeder jeden.. Ich hab versucht, mir einen Laden vorstellen in den fünfziger Jahren im einem Nest in der Hitze des Südens, in Missisippi, im Hinterland von New Orleans. Dieser Emmet war, find ich, für sein Alter ungewöhnlich groß und auch seine Vorliebe, einen Anzug und einen Porkpie zu tragen, find ich bemerkenswert, für einen Vierzehnjährigen, ich hätte freiwillig niemals mit 14 Jahren einen Anzug anziehen wollen. Schade, dass ich nicht mit schwarzen Jungs großgeworden bin, da hätte ich viel lernen können. Ich stell mir vor, die haben dort ein Leben wie in der Appartheit Südafrikas geführt. Ich hab gelesen, was man ihm vorgeworfen hat. Sie soll eine junge hübsche Frau gewesen sein. Er ein junger hübscher Heranwachsender. In unserem grocery-store in Old Europe haben früher nahezu die Hälfte aller Kinder des Dorfes regelmäßig geklaut. Wenn du als Erwachsener zwischen denen an der Kasse gestanden hast, hast du oft über deren Aktionen lachen müssen. Auch die Kassiererinnen haben es alle gewusst und mitgekriegt. Aber in so einem kleinen Kosmos trauten sich die Ladenbesitzer oft nicht, Anzeige zu erstatten, weil sonst deren Eltern dort nicht mehr eingekauft hätten und so hatten die Kassiererinnen wohl von oben die stillschweigende Anweisung erhalten, wegzusehen, es nicht zu bemerken. Wenn da etwas aus der Kleidung eines Kindes versehentlich rausfiel aufs Band, hat die Kassiererin mindestens ebenso betreten geschaut wie das Kind. Wohl vom Himmel gefallen. In unserem noch kleinerem war Aufschreiben normal. Manchmal durfte man nicht drei Packungen eines gleichen Produkts kaufen, dies wurde einem vom Ladenbesitzer verboten, man musste zwei Packungen zurücklegen, weil sonst ja das ganze restliche Dorf nudelfrei ein ganzes Wochenende hätte überstehen müssen. Die junge Eve Ewing hat das damalige Ereignis in die heutige Zeit transferiert. In einen amerikanischen grocery store. Der geografisch wohl in einem Mikokosmos unterschiedlicher Mentalitäten steht. Sie hat die Geschichte gut enden lassen. Sie hat ein großes Herz. Dass seine Geschichte sie berührt hat, bin ich mir sicher. Sie lässt ihn zärtlich mit den Pflaumen umgehen. Sie könnte seine große Schwester gewesen sein.
Zuletzt geändert von jondoy am 24.06.2020, 21:14, insgesamt 3-mal geändert.

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Beitragvon Quoth » 23.06.2020, 22:26

Ja, auch wenn man weiß, wie schrecklich sie ihn zugerichtet haben (er konnte nur durch einen Ring identifiziert werden), ist die Zartheit, mit der er das Obst behandelt, herzzerreißend. Tröstlich ist, dass seine Mutter, indem sie in Chikago ihren Sohn im offenen Sarg ausstellte, massiv zur Auslösung der Bürgerrechtsbewegung beigetragen hat.
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Gondwana
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Beitragvon Gondwana » 24.06.2020, 20:21

Hallo quoth,

hier mal mein Versuch, wobei der weniger getreu ist als deine Übersetzung aber als Kontrast vielleicht?

Ich sah Emmet Till diese Woche im Lebensmittelshop
die Pflaumen begutachten, eine nach der anderen
ans Auge heben und bedächtig drehen
einen Miniglobus, die glatte Haut nach
Schadstellen checken und Fäulnispocken
Anzeichen grober Tage oder Menschen,
sie sacht eintüten, leise pfeifend
mit schmalem, wolligen Ärmel
zunächst im Einkaufswagen balancieren
bis er erkannte, dass er im Begriff war,
sie möglicherweise zu quetschen,
darum barg er sie lieber in der Ellenbogenbeuge
damit der Drahtboden Stabilerem vorbehalten blieb.
Ich erkannte ihn am Hut, einer von den feinen
Filzdeckeldingern aus der Roosevelt Road. Die Feder war futsch
aber er hatte sorgsam eine Dollarnote gefaltet
Und sie zwischen Hutband und Filz gesteckt,
wo sie keck herausstach. Das Geld trug er aufrecht, stark,
war schon auf dem Weg zu Kasse, als ich zu ihm aufschloss.
Ich rief seinen Namen, er drehte auf dem Absatz wie ein Tänzer,
ein Snickers in der Hand, und sah mich für einen Moment grübelnd an
bis ihn die Erinnerung an mich lächeln ließ.
Hallo junge Dame, hallo,
heute ists ganz schön frostig, ich hätte wie du meinen warmen Mantel
tragen sollen,
ja ist kühl für einen Chicagoer August
wie läufts denn
o seufzte er und legte den Riegel aufs Band
passt schon, passt schon.
Zuletzt geändert von Gondwana am 25.06.2020, 21:39, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Quoth » 24.06.2020, 20:52

Ja, gefällt. Du bist bestimmt jünger als ich und sprichst entsprechend eine andere Sprache. Schön, dass Du Dich eingeklinkt hast. Korrektur: "Ich erkannte ihn am Hut, eins von den Filzdeckeldingern"... Ich bin Emmet Tills Jahrgang, das hat mich ihm gleich nahe gebracht. Gruß Quoth
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