Phileas Tagebuch

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.09.2006, 15:48

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Phileas Weltenbummler war ein ziemlich durchschnittlicher Typ. Ob er das bleiben wird, wer weiß. Jedenfalls zog er eines plötzlichen Tages hinaus, aus seiner Wohnung und in die Welt, ohne genau zu wissen warum und wohin. Auf seiner Reise wird er einiges erleben und er macht sich so seine Gedanken... gut, da es sich um ein Mitschreibprojekt handelt, ist unser guter Phileas nun ein wenig multip - aber wen stört das schon?





:idee: Wie kann ich mitmachen?


1) Die Figur sollte dir ein wenig vertraut sein. Und falls nötig sollte das Geschehen sich am letzten Beitrag orientieren. Wenn dort steht, dass Phileas gerade in Australien gelandet ist, macht es nicht viel Sinn ihn den Kölner Dom bewundern zu lassen.

2) Der letzte Eintrag gilt immer als die Nahtstelle, an die du deine Tagebuchnotizen anschließt.

3) Grundsätzlich gilt: Es wird in der Ich-Form (1. Person Sg.) geschrieben. Beiträge, die nicht in dieser Form gehalten sind, werden editiert oder nicht berücksichtigt.

4) Phileas ist weder Idiot noch zwanghafter Intellektueller. Er kann also sehr wohl philosophisch aufgelegt sein als auch platte Wortwitze machen -- aber auch wenn Phileas nur eine Figur ist, hat er eine Schmerzgrenze. Nicht zu akzeptierende Beiträge (In Anlehnung an Punkt 5 des Regelwerks dieses Forums) werden gelöscht.

Neugierig?

Dann schreib die Welt von, um , mit und über den Weltenbummler Phileas. Oder beginne einfach damit zu lesen, was ihm schon alles passiert ist. Wenn du chronologisch beim Lesen vorgehen willst und nicht nur den neuesten Beitrag suchst, dann beginne hier:
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.09.2006, 15:53

Bisherige Beiträge (Phileas zog vom Forum ins freie Web und nun wieder hierher, daher sind die ersten Beiträge von der Administration gelistet)

[Tagebucheintrag 1]
Autor: Lisa

Obwohl es in Strömen regnet, habe ich beschlossen heute auszuziehen. Zunächst aus meiner Wohnung. Wohin? Ich weiß es nicht. Ausziehen aus einer Wohnung ist vielleicht nicht ganz so gut wie selbst von einer Frau ausgezogen werden, das gebe ich zu und trotzdem: Es hat was, man verlässt und erreicht zugleich. Anders als ein Umzug. Da hat man viel zu viel zu tun und nachher sieht es doch nur wieder aus wie vorher, nur halt etwas sauberer und weniger staubig, weil man ja selbst auch nicht jemand anders ist als in der alten Wohnung. Ne ne, ich muss einfach nur den Schlüssel im Schloss umdrehen und schon ist gut mit dem alten Abwasch und all dem herumliegenden Zeug. Ich gebe schon zu, seit Nina „mich verlassen hat“ um das mal ganz allgemein auszudrücken, lag mit der Zeit eine immer größere Menge dieses Zeugs herum. Können Frauen eigentlich Zeug besitzen?

Was ich mitnehme, habe ich die letzten Tage überlegt. Eigentlich gar nicht, weil mir so viele Dinge eingefallen sind, die ich bei mir haben möchte, sondern eher, weil sich diese Frage automatisch aufdrängt, wenn man sich selbst als jemanden betrachtet, der weggeht. Man stellt sich die Frage einfach, weil sie einem jeder stellen würde, dem man von seinem Ausziehen erzählen würde. Ich meine dies beweist schon alleine die Tatsache, was alles so in eine Frauenhandtasche reinpasst. Wenn ich da an Ninas denke, unglaublich, alles drin, hätte sie einen Amboss gebraucht, hätte sie ihn dabeigehabt. Aber, ach, an Nina wollte ich doch erst mal nicht mehr denken. Habe ich meinem Hirn verboten, weil es dem Herz eh nicht helfen kann. Somit ist wohl konsequent betrachtet auch das Denken an ihre Handtasche tabu. Also zurück zu eben: Mir ist bis jetzt nichts eigentliches eingefallen, das ich unbedingt mitnehmen müsste. Unterhosen und so was, klar. Und das Buch hier samt Stift zum Aufschreiben. Personalausweis, gut, den nehme ich auch mit, den zuhause zu lassen, ne, so cool bin ich dann auch wieder nicht.

Ich frage mich, ob es in der Sprache der Nomaden das Wort Zuhause gibt?

Außer meinem alten Freund Linus habe ich jedenfalls keinem was gesagt. Der „wohnt“ jetzt erst mal in meiner Wohnung, anders will ich das mal jetzt nicht formulieren. Drauf Aufpassen deckt sich einfach nicht mit meinen Vorstellungen. Was nicht heißen soll, dass ich Linus für keinen guten Freund halte.
Na gut, dann will ich mal. Wohnungstür ist zugezogen, Schlüssel bei Linus, ab die Treppen runter. Wie oft habe ich diese vierzehn Stufen des Treppenhauses schon gezählt. Ob jemand anders weiß, dass es vierzehn Stufen sind? Ob schon mal einer drauf geachtet hat? Und ob ich von Wissen sprechen darf, falls es keiner weiß? Ich zähle immer wieder mal nach, ob ich mich auch nicht getäuscht habe. Mal sehen, ob ich noch mal an die Treppenstufen denken werde. Haustür auf und los geht’s [...]

[Tagebucheintrag 2]

Autor: Max

Also gehe ich los. Aber losgehen, ist eine Sache, ein Ziel zu haben eine andere. Wohin also gehe ich? Immer der Nase nach, schön, aber das ist dann doch ein bisschen zu allgemein. Und so reift ein Entschluss (und wieder denke ich an Nina, die immer meine Unentschlossenheit bemängelte): Ich will gehen, von hier, München, die Stadt lässt sich doch nicht verstecken, quer durch die Alpen, bis ich in Italien bin oder ein anderer Wunsch drängender wird.

Ich schultere meinen hellgrünen Armeerucksack und mache den ersten Schritt. Es regnet noch immer. Sei’s drum – das Wetter passt zu meiner Stimmung. Gleich an der ersten Kreuzung lauert eine Versuchung – der U-Bahnschacht. Aber wenn meine Reise einen Sinn und damit ein Ziel haben soll, dann kann dieses Ziel nur ich selbst sein. Ich beschließe, dass etwas derart Elementares nicht mit der U-Bahn erreichbar ist. An der dritten Kreuzung wende ich mich gen Süden. Bei Fön kann man von hier die Alpen sehen. Heute sieht man noch nicht einmal die Ampel am Ende der Straße. Meine Turnschuhe beginnen durchzunässen und ich bereue nicht die Bergschuhe angezogen zu haben. Linus wird sie sicher nicht brauchen. Aber ich kann jetzt nicht umkehren, so viel bin ich meiner Ehre schuldig. Trotzig stapfe ich weiter.

Als ich den Stadtrand erreiche, sind nicht nur meine Schuhe durchweicht. Die Kleider kleben mir am Körper. Von meinen Haaren fließt ein dünnes Rinnsal beständig meinen Rücken hinab. Die Farbe meines Rucksacks ist in ein sattes Dunkelgrün übergegangen. Ich vermute, dass sich auch darin keine trockene Kleidung mehr finden lässt. Wie zum Hohn wird der Regen noch eine Nuance stärker. Er kommt direkt aus Süden und schlägt mir ins Gesicht. Ich flüchte in ein Bushäuschen. Wie bestellt hält die Linie 328. Hätte ich mitfahren wollen, hätte ich sicher eine halbe Stunde gewartet. So gebe ich dem Fahrer ein Zeichen: Er kann weiterfahren. Eine Frau, die auch Unterschlupf gesucht hat, deutet die Geste falsch. Sie drückt mir 2 Euro in die Hand: „Kommen Sie, steigen sie ein!“

[Tagebucheintrag 3]

Autor: Maija

So fahre ich nun mit dem Bus von Haltestelle zu Haltestelle. Ich will mich nur etwas aufwärmen und trocknen. Hunger bekomme ich plötzlich auch. Was muss ich Trottel auch ohne Essen abhauen. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Was war geschehen? Warum bin ich gleich abgehauen und ließ alles hinter mir. Ekel kommt mir hoch. Immer diese Bilder, die mir keine Ruhe gönnen.
Sie liebt mich nicht mehr! Wie konnte das geschehen? Vor ein paar Tagen hatten wir noch unsere gemeinsamen Träume. Was wollten wir nicht alles gemeinsam erleben?
Wozu mir jetzt noch darüber Gedanken machen! Immer dieser pochender Schmerz im Kopf. Außerdem diese stechenden Schmerzen im Herz. Sie machen mich müde. Ich muss mir etwas zum Essen beschaffen. Auch eine Tasse heißer Kaffee wäre nicht schlecht. Vielleicht denkt es sich so besser, als mit leeren Magen.
Plötzlich hält der Bus und der Fahrer ruft: „Alles aussteigen-, Endstadion!“
Ich steige aus dem Bus und nehme einen angenehmen Duft wahr der von der Straße her kommt. Es riecht nach Kaffee und frischen Backwaren. Der Hunger zieht mich in ein kleines Kaffeehaus hinein. In der Ecke steht ein kleiner runder Tisch. Ich sehe zwei Stühle und steuere gerade darauf zu. Eine etwas korpulente Dame sagt: „Sie wünschen mein Herr?“ Tausend Gedanken schießen in meinen Kopf herum. Was wünsche ich mir...? Wie aus einem Traum erwacht sage ich zu der Dame: „Eine große Tasse Kaffee und zwei belegte Salamibrötchen, bitte!“
Die Dame notiert sich meine Bestellung, geht hinter den Verkaufstand und ich atme erleichtert auf.

[Tagebucheintrag 4]
Autor: Lisa

Ich lasse meinen Blick im Kaffeehaus umherschweifen. So viele Menschen, die alle ein Leben haben, wie ich eines habe. Es hat mich schon oft gegruselt, wenn ich mir all diese Bewusstseine, ihre Köpfe, Gehirne und Geister als eine Art Seifenblase vorstelle, in denen nach und nach Sätze, Gedanken und Bilder erscheinen. Ich werde dann den Gedanken an Aliens nicht los, was natürlich Quatsch ist. Wenn man alle Gedanken als Stimmen hören könnte, die vor sich hinflüsterten - ich kann nichts dagegen tun, ich empfinde es als unheimlich und bekomme eine Gänsehaut. Im Endeffekt ist die Welt ja genau so. Aber kann man das wirklich verstehen? Ich meine, jeder Mensch kennt die Welt nur durch sein Bewusstsein, mit seinem Bewusstsein. Kann man sich wirklich vorstellen, dass dort GENAU solche Bewusstseine sind wie man selbst eines hat? Und das es mal eine Welt gab, die ohne mein Bewusstsein war? Und dass es eine Welt geben wird, ohne mein Bewusstsein. So wie es nun ja auch eine Welt gibt ohne Ninas Bewusstsein, das mir so oft Rätsel aufgegeben hat. Ja, das hat es, Nina...“So hier ist Ihre Bestellung. Zwei belegte Salamibrötchen und eine Tasse Kaffee für den Herrn“. Die Stimme der rundlichen Dame reißt mich aus meinen analytischen Purzelbäumen. „Sie können Übrigens, wenn Sie wollen, Ihre triefenden Sachen bei mir trocknen. Ich habe dort hinten einen Trockner stehen. Schon allein, weil Sie mir dann nicht das ganze Cafe unter Wasser setzen“. Sie lächelt mich an und deutet auf meine Füße.
„Danke“, sage ich stumpf und blicke auf meine Füße, wo sich eine recht stattliche Wasserlache gebildet hat. Die Dame wackelt noch zu einem anderen Tisch und stellt sich dann wieder hinter die Theke. Ich betrachte sie. Ob sie Muttergefühle für einen so armen Tropf wie mich empfindet? Arg, warum denke ich so etwas. Ich meine, wenn diese Dame nun so alt wie ich wäre oder besser noch ein, zwei bis fünf Jahre jünger, sagen wir 22, und dazu weniger rund, eben rundherum attraktiv, hätte ich dann solche Gedanken? Nein, sicher nicht, schon allein, weil ich dann nicht mehr hier säße. Mein Gott, was bin ich platt.
An der gegenüberliegenden Wand hängt ein Schild, auf dem in altdeutschen Lettern geschrieben steht: „Weil beim Mann auf Genuß Verdruß folgen muß, muß folgen, daß beim Weib auf Treue Reue folgt. „Das hat was Anklagendes, ich meine, das ist doch kein Zufall. Sonst steht auf dieser Art Schilder immer so was wie „Tritt ein, bring Glück herein“ oder „My home is my castle“. Ich stopfe die beiden Salamibrötchen in mich hinein. NatÜrlich sind sie mit Remoulade gemacht. Ich hasse Remoulade. Ich beschließe ab eben diesem Moment jemand zu sein, der Remoulade mag. Ohne Wohnung ist das möglich. Und ich beschließe jemand zu sein, der korpulente Frauen nicht automatisch für seine Mutter hält. So viele Mütter hält sowieso kein Mensch aus. Dann stehe ich auf und trete zu der Dame hinter dem Tresen.

[Tagebucheintrag 5]
Autor: Max

„Und wo genau könnte ich meine Sachen trocknen?“ frage ich sie. Sie deutet mit dem Daumen auf einen Raum in ihrem Rücken. „Dahinten.“ Dann wird sie abermals an einen Tisch gerufen.
Ich begebe mich in eine kleine Kammer an der Rückseite der Theke, in der es außer einer Waschmaschine und einem Trockner nur noch einen Stuhl und eine Couch gibt. Ich schließe die Tür und entkleide mich bis auf die Unterwäsche. Die nasse Wäsche lege ich in den Trockner und werfe ihn an. „Wenn jetzt nur niemand hereinkommt“, schießt es mir durch den Kopf. Aber die Tür hat keinen Schlüssel, somit bleibt mir nichts als mich in mein Schicksal zu ergeben. Ich beschließe mich, solange der Trockner läuft, auf die Couch zu legen. Dieser erste Tag hat mich müde gemacht und das monotone Summen des Trockners tut sein Übriges. Ich schlafe ein und träume von Nina.
Ein spitzer Schrei reißt mich aus meinen Träumen. „Mama, ein Einbrecher!“ Ein siebzehnjähriges Mädchen steht in der Tür. Ich schnelle von der Couch hoch, stehe ihr in Unterwäsche gegenüber. Ihr Schrei wird lauter. Ich reagiere panisch. Blitzschnell renne ich zum Trockner, reiße meine Sachen hinaus, schnappe mir meinen Rucksack und fliehe durchs Fenster.

[Tagebucheintrag 6]
Autor: Mr.Bluewater

So schnell ich kann laufe ich die Straße hinunter, nach dreihundert Metern
werde ich langsamer und muss arg schnaufen, schnelles Laufen ist nichts für
mich, meine Beine fühlen sich schwer an. Wieso bin ich eigentlich so schnell
weggelaufen? Niemand scheint mich zu verfolgen, also kann ich mich erst mal
da drüben auf die Bank setzen und ein wenig ausruhen.

Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, aber die Luft ist feucht und kühl,
ich hätte mich wärmer anziehen sollen. Wenn Nina mich so sehen könnte würde
sie garantiert den Kopf schütteln, das hat sie oft getan, wenn sie mein
Verhalten merkwürdig fand. Schon wieder denke ich an Nina, ich hatte mir
doch vorgenommen nicht mehr an sie zu denken, scheint jedoch schwieriger zu
sein als ich dachte. Wahrscheinlich kommt es daher, dass ich allein
unterwegs bin, wenn ich jemanden bei mir hätte mit dem ich reden könnte,
würde ich garantiert keinen einzigen Gedanken an sie verschwenden. Ich
sollte endlich meine Reise fortsetzen und vielleicht findet sich ja jemand
der mich ein Stück begleitet. Von dort bin ich gekommen, also werde ich in
die andere Richtung weitergehen, diese Gegend kenne ich noch nicht, mal
sehen was mich als nächstes erwartet.

[Tagebucheintrag 7]
Autor: Nifl

Andererseits könnte ich auch einfach in meine Wohnung zurück, mich auf's
Sofa legen und mich durch die Vorabendserien zappen. So eine ziellose
Selbsterfahrungssache ist doch recht anstrengend. Ich habe ja auch schon
viele Erfahrungen gesammelt:
Man nehme einen Rucksack, lasse sich durchregnen und gleich betrachten
dich die Leute als einen Stadtstreicher. Und obwohl ich mich mit meinen 27
Lebensjahren einigermaßen kennen sollte, fühle ich mich sogar auch als
solcher. Gesellschaftliche Indoktrination? Ein Schutzautomatismus in mir
sucht sofort nach Eigenschaften, die mich über diesen Status erheben
könnten. Job? Geld? Intelligenz? ...

Ich werde jäh aus meinen Gedanken gerissen. Eine johlende Menschenmenge
stürmt die Straße hinunter. Das Bild erinnert an mittelalterliches
Lynchszenario. Vornweg läuft ein korpulenter Mann in traditioneller
Metzgerkleidung. Seine schwere Schürze ist vergilbt. Alle brüllen wild
durcheinander und schwingen ihre Fäuste in die Luft. Noch kann ich nichts
verstehen, aber das wird sich gleich ändern, denn sie kommen direkt auf
mich zu. Nun erkenne ich auch das Mädchen aus dem Wäscheraum. Sie zeigt
mit ihrem dünnen Zeigefinger direkt auf mich. Mir wird mulmig. Jetzt
verstehe ich einige Wortfetzen: "Dieb", "Triebtäter", "Raubmörder" ...

Fortsetzung ab hier bitte in einzelnen Beiträgen von euch ....:blumen:
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 08.01.2007, 17:35

[Tagebucheintrag 8]

...und verstehe. "Nix wie weg hier", denke ich und nehme die Beine in die Hand. Der Rucksack schlägt mir ins Kreuz, irgendwie habe ich mir das alles anders vorgestellt. Nostalgischer, klassischer, mit einem Hauch von Tabakplantagen, Selbsterfahrungstrips in Klostern und weiß der Teufel was. Metzger jedenfalls kenne ich schon zur Genüge! (Ninas verdammter Vater war Metzger).
Plötzlich kreuzt ein Laster von rechts, schert vor mir ein, er ist ungeheuer langsam, tuckert vor sich hin, aber immerhin noch schneller als die Metzgertruppe. Die Ladefläche lockt mich scheppernd, ist zum Greifen nah und ich springe auf - denke das zumindest, schaffe es aber nicht und lande der Länge nach auf dem Asphalt, was WIRKLICH weh tut, der Rucksack schmeißt sich auf mich wie ein Wrestling-Star - ich kann nicht mehr.
Allein die Angst vor dem Mob lässt mich noch einmal den Kopf heben, um zu schauen, wie weit meine schlimmsten Phantasien noch entfernt sind. Doch nichts ist zu sehen, alles ist ruhig. Irgendwie habe ich mich davon gerettet, wahrscheinlich, weil die anderen einfach noch weniger Puste haben als ich und ich überlege, ob man da eine mathemathische Formel draus machen könnte, die errechnet, wie viel Fleisch man pro Tag zu sich nehmen kann, um im Falle des Falle einen mutmaßlichen, unsportlichen Triebtäter einholen zu können (natürlich wird in dieser der Wutfaktor mit dem jeweiligen Verwandtschaftsgrad multipliziert). "Ne ne, lassen wir das jetzt mal" brummt mein Schädel zurück und ich klatsche mein Gesicht zurück auf den Ashpalt.

"Hallo, hallo, haben Sie sich etwas getan? Soll ich einen Arzt rufen?" krächzt es leise neben mir und ich hebe erneut den Kopf.
Ein WIRKLICH alter Mann steht neben mir und versucht sich zu mir hinabzubeugen. "Äh, nein, nein, es geht schon", antworte ich, stehe auf.
Das Pochen im Kopf sagt mir, dass das keine gute Entscheidung war. Ich klopfe mich ab, will dem Mann in den Augen schauen und sehe, dass er mindestens zwei Köpfe kleiner ist als ich. Also WIRKLICH klein. Immerhin ist er nicht der Tod (mein erster Gedanke, als ich in sein Gesicht blickte), du hast das hier also überlebt, denke ich. "Soso, ja, äh äh, öh", gibt der Mann von sich und wibbt (oder zittert) mit dem Fuß und schaut verstohlen zum Laster.
Er erscheint mir schuldbewusst, mir scheint, er gibt sich die Schuld am Unfall, aber drauf zu sprechen kommen will er anscheinend auch nicht. Wahrscheinlich weil er Angst hat, ich rufe die Polizei und sie nehmen ihm den Führerschein weg. Ich schaue mir den Laster oberflächlich an. Als ich sehe, dass er ein griechisches Kennzeichen hat, beschließe ich die Situation nicht aufzuklären. "Fahren Sie mit dem Laster nach Griechenland?", frage ich ihn.
Der Mann antwortet zögernd. "Ja,ja, si si".
"Ah, si, ich sehe". Na dann können Sie mich vielleicht mitnehmen? Damit wäre der Vorfall dann für mich gebongt...sozusagen...", versuche ich zu pokern.
Der alte Mann lacht mich aus und jetzt, wo ich seinen offenen Mund sehe, denke ich, dass er vielleicht doch der Tod ist. "Jaja, si si, steig ein, signore", sagt er dann.
Es beunruhigt mich, dass er versucht, scheinbar wie ein Ausländer zu wirken, seit ich das Kennzeichen gesehen habe. Und zwar weil er Rudimente des Italienischen spricht und der Laster doch offensichtlich aus Griechenland kommt. Ist er senil? Dann sollte ich in seinem Auto nicht eine solche Strecke zurücklegen? Oder verbirgt er was? Dann gilt dasselbe. Oder ist er senil und kriminell zugleich? Mir schwirrt der Kopf und mein Körper beschließt einzusteigen. "Wohin geht es?", frage ich.
"Nach Delpi", sagt der Mann, steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und startet heiser den Laster. Als er das Radio anschaltet, läuft italienischer Schlager. Ich beschließe, dass es wohl besser ist, eine Weile zu schlafen.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.08.2012, 14:57

[Tagebucheintrag 9]

Ein starkes Ruckeln weckt mich. Es ist Nacht. Wo bin ich? Ach ja, dieser Italo-Grieche hat mich mitgenommen. Habe wohl lange geschlafen. Mein Kopf hat das Hämmern zum Glück aufgegeben. Im Scheinwerferlicht sehe ich eine nicht asphaltierte Straße mit tiefen Schlaglöchern. Im Radio röchelt Adriano Celentano sein 'Una festa sui prati'. Nina hat dazu immer getanzt. Und wie sie getanzt hat! Wenn sie mich zu einer Karaokenacht überredet hatte, und das gelang ihr oft, hat sie sich jedes Mal diesen Oldy gewünscht und voller Inbrunst mitgesungen. Dieser Haudegen. Wie alt der wohl heute ist? Na, über 70 alle Mal.
Hatte der Alte nicht gesagt, dass er nach Delphi fährt? Ich werde, falls ich tatsächlich bis dahinkomme, zum Orakel gehen. Ruine hin oder her. Ich werde mir voraussagen lassen, wohin mich dies alles führen wird. Ich bin 27 Jahre alt. Ach du Schreck. 27! Das Todesalter. Der Club der 27er. Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain ... Vielleicht ist dies meine letzte Reise?
Mein Fahrer weicht gerade wieder einem Schlagloch aus und ich knalle in die Seite.
"Ah, wach, si?", meint er.
"Ja, wach. Sehr wach. Warum fahren wir nicht auf einer Autobahn?"
"Si, si, nix Autobahn, dobbiamo essere attenti. Attenzione! Aber, nix problema!" Er legt seinen Finger auf die Lippen.
Wir müssen vorsichtig sein. Warum das denn? Er wird doch wohl keine Drogen im Laster transportieren? Der Alte wird mir unheimlich.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 19.08.2012, 16:47

[Tagebucheintrag 10]

Ich starre aus dem Seitenfenster, versuche, mich zu orientieren. Dunkelheit. Wo sind wir? Ich blicke zur Uhr und stelle fest, dass diese im Gegensatz zu mir den Ladeflächen-Stunt nicht überlebt hat. "Wieviel Uhr haben wir's?" frage ich. Der Alte schaut verständnislos zu mir herüber. "Wie spät? Hora?" probiere ich es, er lacht zur Antwort und zeigt auf das Radio. Ach ja, das hat eine Uhr. Es ist kurz nach elf. Draußen ist es stockfinster, keine Lichter, nichts außer dem Lichtkegel vor uns, der über die bucklige Piste tanzt. Ich erkenne Büsche und Bäume an uns vorüberhuschen. "Wo sind wir?" versuche ich noch mal. Er antwortet: "In die Berge, signore, montagna, capisce?" "Si, claro", denke ich, "in den Bergen. Ja aber wo verdammt noch mal in den Bergen? Und warum auf dieser Piste?" Als ich mich wieder an meinen Fahrer wende, dreht der wie zur Antwort das Radio lauter. Diesmal singt eine Frau, ich verstehe zwar nichts, aber ich tippe auf Schlager aus den Fünfzigern. Die Straße ist ein bisschen besser geworden, der Motor brummt gleichmäßig, einlullend.

Gerda

Beitragvon Gerda » 19.08.2012, 19:16

[Tagebucheintrag 11]
Zumindest habe ich die Stimme erkannt. Caterina Valente ist das. Hatte sie italienische Wurzeln? Ich glaube ja. Was da vorn in der Dunkelheit aufblinkt könnte ein See sein. Inzwischen haben wir die Pista verlassen und fahren in Serpentinen durch eine waldreiche Gegend langsam höher. In Gedanken gehe ich die westlichen Alpenseen durch. Während mir klar wird, dass es weder der Luganer See noch der Maggiore sein kann, weil das, was unter uns ab und zu aufblitzt schlicht zu klein ist.

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Eule
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Beitragvon Eule » 19.08.2012, 22:35

[Tagebucheintrag 12]

Fühle mich ertappt, wieder einer dieser Touristen, denkt er jetzt vielleicht. Aber immerhin, sein Lachen war freundlich und ich hatte inzwischen schon reichlich Zeit in Überlegungen zu den Reiserisiken investiert. Also gebe ich mir selber den Rat, gespannt auf die Fortsetzung dieser Etappe zu warten, in der ich sowieso mittendrin stecke. Die Geländepiste führt uns immer tiefer ins Hinterland und mir kommt der Verdacht, daß es mehre Orte mit demselben Namen geben könnte. "Delphi ?" frage ich deshalb vorsichtig, aber mein Fahrer scheint nun vollständig in seiner eigenen Gedankenwelt versunken zu sein, deshalb rufe ich wiederholt und immer lauter, bis er verwundert zu mir herüberschaut. "Delphi, si, si !", sagt er, bis hinter beide Ohren grinsend.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 20.08.2012, 19:03

[Tagebucheintrag 13]

Die Uhr auf dem Radio zeigt 2.00 Uhr. Wieder sind Stunden vergangen. Mir geht das Gedudel im Radio auf den Wecker. Ich langweile mich. Außerdem knurrt mein Magen. Warum hat er vorhin so gegrinst, als er Delphi sagte. Der Mann veräppelt mich doch. Auch hat er, als ich vor seinem Laster auf der Straße lag, tadelloses Deutsch gesprochen und macht jetzt einen auf Nix verstehen. Was soll diese ganze Heimlichtuerei? Ich brauche seinen Namen. Dann wird er mir nicht mehr unheimlich sein. Ich wage einen Vorstoß und drehe das Radio leise. Vorwurfsvoll schaut er mich an.
"Ach kommen Sie! Jetzt fahren wir schon so lange. Lassen Sie uns miteinander reden. Ich weiß doch, dass sie hervorragend Deutsch sprechen. Wie lange leben Sie schon in Deutschland?" Der Alte zuckt nur mit den Schultern.
"Was wäre Deutschland ohne die italienische Küche? Mmmh, ich liebe Pasta in allen Variationen, vor allem Spaghetti aglio e olio oder Pizza frutti di mare. Einfach köstlich! Apropos Essen, ich hab Hunger, Sie nicht?" Als ich die Spaghetti erwähne, leckt er sich über die Lippen, schweigt jedoch weiter.
"Und erst die Antipasti! Da weiß ich nie, ob ich Carpaccio oder Caprese wählen soll. Jetzt eine Portion Spaghetti, das wär's!"
"Kannst du nicht deinen Mund halten? Jetzt hab ich auch Hunger!", motzt er mich an. Na also, geht doch, denke ich schmunzelnd.
"Sie haben ja auch schon eine ziemliche Strecke hingelegt, brauchen mal eine Pause, ein bisschen was essen, die Beine vertreten, hm?" Er zündet sich eine Zigarette an.
"Hier gibt es weit und breit kein Restaurante. Sonst hätte ich längst gehalten", knurrt er.
"Wie heißen Sie?" Misstrauische Augen mustern mich. Nach einer Weile sagt er:
"Raffaele und wie heißt du, du neugieriger Junge?"
"Phileas, aber alle sagen Phil zu mir, hallo Raffaele!", antworte ich vergnügt.
"Hm ... Phileas, wie dieser komische Kerl aus Jules Vernes 'Reise um die Erde in 80 Tagen?"
"Ja, genau! Ich beginne auch gerade eine Reise!", erwidere ich begeistert darüber, dass er dieses Buch kennt.
"Porca miseria!", brüllt Raffaele plötzlich. Hab ich ihn so verärgert? Er tritt auf's Gaspedal und rast im Affentempo durch die Wildnis. Ich staune, dass dieser Laster so schnell fahren kann.
"Was ist denn los?", frage ich verwundert. Er zeigt auf den Rückspiegel. Mehrere große Scheinwerfer sind auf uns gerichtet und nähern sich schnell. Ich erkenne vage eine Art Jeep. Nein, es sind zwei Landrover, die jetzt laut hupen und nur noch wenige hundert Meter von uns entfernt sind.
"Wollen die was von uns? Wieso hupen die?"
"Madre di Dio! Wir müssen flüchten, presto!" Raffaele bekreuzigt sich. Jetzt wird mir mulmig zumute.
"Polizei?"
"Nein, keine Polizei!"
"Doch nicht die Mafia?", entwischt es mir.
"Halt endlich die Klappe, porca miseria!", zischt Raffaele. Ach du liebe Güte. Ich werde doch wohl nicht ins Schwarze getroffen haben? Mein Herz pulst bis zum Hals. Die beiden Landrover befinden sich jetzt direkt hinter uns. Sie nehmen die gesamte Straße ein.
"Merda!", flucht Raffaele und legt eine Vollbremsung hin. Keine 50 m vor uns stehen ebenfalls zwei Wagen mit hellen Scheinwerfern und versperren uns den Weg.
"Wir sitzen in der Falle", krächzt der Alte und bekreuzigt sich erneut.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 20.08.2012, 23:53

.... Phileas grinst, er schließt die Augen und öffnet sie wieder, er träumt doch nicht, alles noch da, an seinem schrägen Platz, seiten- und spiegelverkehrt, das Leben verliert in solchen Momenten seine Schrecken, die Realität, erhellt vom Augenblick wie die Nacht vom Blitz am Himmel, hält ihm einen verführerisch-schillernden, surrealen Blumenstrauß vor die Nase, er riecht daran, voller Neugierde, das ihm glasklar vor Augen wird, es duftet so abgrundtief absurd und verführerisch intensiv nach Angst und purer Lebensfreude, er fühlt sich lebendig, wie zu wenig im Leben zuvor, das Blut in ihm pocht, eben noch unterwegs zum Delphischen Orakel, hat sich die Szenerie geändert, läuft vor ihm ein dokumentesker Mafiafilm mit ungewissem Ausgang, die Zeit ist aus dem Rahmen gefallen, es ist fern von Uhr, die Zukunft liegt deutlich vor ihm wie ein flüchtiger Moment, eine Wanderung, auf ihrem Weg durch die Wüste hier an diesem Ort ihm begegnend, dem Durchschnittsmenschen...

Aus den beiden Wagen im Film vor ihm steigen dunkle Lichtgestalten, ihrem Bart nach Einheimische, tragen sie Knarren statt Krawatten am Anzug, fragt er sich, ihre Sonnenbrillen schwärzen die Nacht.
"Wir sitzen im falschen Film", denkt sich Phileas..

[Tagebucheintrag 13 a] (...nachträglich eingefügt, nur eine kleine Zeichnung)

ein kleiner Kreis mit zwei Punkten und einem Halbmond innen drin

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Eule
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Beitragvon Eule » 28.08.2012, 10:03

Muß wohl übermüdet sein, stellt er fest, das Schild Guardia forestale im Heckfenster erkennend, als aus den Maschinengewehren wieder Kleidungsteile werden. Die Typen mit den Sonnenbrillen unterhalten sich energisch mit Raffaele, zeigen zwischendurch auf mich und kontrollieren nebenbei ziemlich nachlässig Ladefläche und Fahrgestell.
Der Fahrer steckt sein Portemonnaie wieder ein, schimpft laut über Gott und die Welt, die Regierung und das viele Geld, als er zurückkommt, aber lacht dabei. Wir können wohl weiterfahren und ich frage mich, ob ich darüber froh sein soll.
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 23.09.2012, 11:28

[Tagebucheintrag 15]
Wir sind noch den Rest der Nacht gefahren. Jetzt steht der Wagen in einer Scheune eines kleinen Gehöfts. Raffaele unterhält sich mit dem nicht minder alten Bauern. Ich liege mit halb geschlossenen Augen im Schatten einer Kastanie und hoffe, dass sich die Ereignisse der letzten Nacht doch nur als durch meine Phantasie übersteigert herausstellen. Mich zwickt der Hunger und der zarte Duft von frisch Gebackenem, der zu mir herüberweht, lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Im Haus singt eine Frau mit heller Stimme. Die Frau des alten Bauern? Seine Tochter, seine Enkelin? Ich stelle sie mir so vor wie ihre Stimme klingt, kräftig, wohlgeformt. Mein Fahrer ruft, winkt mir zu.

Trixie

Beitragvon Trixie » 23.09.2012, 13:10

[Tagebucheintrag 16]

Gleichzeitig dringt mit dem nächsten Windstoß der Geruch von frischem Kaffee in meine Nase. Ohne zu zögern springe ich auf und jogge zur Eingangstüre. Die blaue Farbe blättert vom Holz, auch der Rest des Hauses sieht nicht gerade ordentlich und gepflegt aus. Doch das Innere macht diesen Eindruck wieder wett, mir springt eine Behaglichkeit entgegen, dass mir doch tatsächlich der Gedanke kommt, eine Weile hier zu bleiben. Raffaele war nun lange genug mein Begleiter und schließlich soll diese Reise von vielen verschiedenen Erfahrungen geprägt werden. Okay, ich gebe es zu, es gibt noch einen anderen entscheidenden Faktor, der mich dazu bringt, eine Weile im Gehöft bleiben zu wollen. Es ist nicht die gemütliche Eckbank, die mich an die sorglosen Ferien bei meinen Großeltern erinnert. Auch nicht der frisch gemahlene Kaffee oder der Duft nach frischer Wäsche und Kräutern.

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Beitragvon Zakkinen » 24.09.2012, 20:57

[Tagebucheintrag 17]

Die Erinnerung an die Zeit, bevor die Probleme anfingen, fühlt sich schon mal gut an. Vielleicht sollte ich versuchen, dahin zurück zu kommen? Zur Zeit vor Nina. Nina - ich lasse den Namen auf der Zunge liegen, versuche, mir ihr Gesicht möglichst plastisch vorzustellen. Komisch, es gelingt mir nicht.
Stimmen von draußen reißen mich aus meinen Gedanken. Raffaele redet gestikulierend auf den Hofbesitzer ein. Ich verstehe nicht viel. Nur, dass wir anscheinend nicht allzu lange bleiben sollen, weiter, noch diese Nacht, nella notte. Mein Magen zieht sich zusammen, die Erinnerung an letzte Nacht kehrt zurück. Was zum Teufel hat Raffaele zu verbergen? Was immer seine geheime Ladung sein mag, sie muss klein sein, unauffällig.
Die Besitzering der schönen Stimme fragt mich etwas: "Un altro caffè?" Melodisch, klangvoll. Zugegeben, Gaia ist keine klassische Schönheit, aber für mich wird sie mit jedem Wort, jedem Blick anziehender. Hätte ich nur mehr Italienisch gelernt. Oder zumindest einen dieser Sprachführer mitgebracht. Ihr kennt sicher diese kleinen Taschensprachführer, schon in Kapitel drei geht es um Flirten und Sex. Alberne Dinger, wie soll das gehen, wenn man doch keine der Antworten versteht? Mein Entschluss steht jedenfalls fest: ich werde Raffaele sagen, dass erst mal bei Gaia und ihrem Großonkel bleiben möchte, ihn bitten, sie zu fragen, ob das möglich wäre. Ich könnte Tommaso ja ein wenig auf dem Hof helfen. Körperliche Arbeit wäre genau das Richtige für mich. Kräfte aufbauen für die Weiterreise, die solange erst mal warten kann.

jondoy
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Beitragvon jondoy » 25.09.2012, 01:20

Tagebucheintrag Nr. 18

"I won´t let me down". Ich werde mich nicht enttäuschen, dieser in meinem Kopf umgedichtete Refrain eines Songs von alex clare schwirrt mir, klavierklängeunterlegt, durch den Kopf, während ich dem Licht des aufgehenden Tages auf einem Stuhl im Hofraum dieses Gehöfts, in dem Raffaele und ich heute übernachten konnten, nachdem wir mit Gaia und ihrem Großonkel gesprochen hatten, sitzend zusehe, wie sich das Leben auf der Erde mit der Sonne auf den Weg macht.
Die Sonne bemächtigt sich mittels eines diskreten Hüftschwungs des Horizonts und beginnt ihre Wanderung Richtung Fluß Po, in den sie abends schamlos versinken wird, denke ich mir, während ich gedankenversunken an meinem Collinello nippe, den ich vogelfrei übersetzen würde mit Sonnenaufgangswein, und schreibe den Traum auf von vergangener Nacht...

Bald nach unseren nächtlichen Begegnung mit der Guardia forestale im Wald, so selten wohl, wie nächtliche Begegnungen mit Wildschweinen im Wald, mit denen man sich besser auch nicht anlegen sollte, beschloss Raffaele in meinem Traum, sein Laster ruhen zu lassen, schon bald darauf auf streckten sich vier Beine über die Armaturen der technischen Geheimnisse seines bereiften Schoßhundes, die Sterne vor meinen Augen verwandelten sich in Augensterne, Fixsterne, Möchtegerne.

Stunden später sitzen Raffaele und ich frühmorgens in einer Bar, die sich
de Schizzorotto nennt, welche mit greller Leuchtreklame am Dachstuhl einsam am Straßenrand rumlungerte, wie eine holzgewordene Nutte.
Mir brummt der Schädel, kippe gerade meinen zweiten
Cafe doppio runter und frage mich, wie dieser fröhliche Mensch dort vorne an der Bar schon so früh am Tag singend mit einem Waschlappen in der Hand die Tresen so hingebungsvoll bearbeiten kann, als läge sie serpentinenkurvig auf seiner Couch und er wäre Masseur.
Raffaele sieht mit etwas Phantasie fast so aus, als wolle er gerade eine stundenlange Unterhaltung mit mir anfangen, seine Mundwinkel rollen sich zu einer Öffnung, durch die ein leutseeliges Wort hindurchschlüpfen könnte, und ich insistiere, auf Ansprache hoffend: "Buon giorno, Raffaele!".
Er entscheidet sich anstatt für Konservation für seinen Cafe und beglückt seinen Rachenraum mit einer braunen Spülung,
Ich bin froh, dass er nicht schon am Morgen raucht, das kann auch jede unbrauchbare Mutter, gehe zum singenden Barkeeper und zahle die Rechnung für uns beide.

Raffaele hat sich für die Weiterfahrt eine landschaftlich besonders reizvolle Strecke ausgesucht, es geht durch die Weinberge Piemonts, vorbei an Tankstellen, deren Schilder
Aperto anzeigen, die Rolläden am Kassenhäuschen jedoch heruntergezogen sind, an dezent mediteranfarbig bemalten Häusern, die Vendesi - Schilder um den Hals tragen, an Bars, die im Stillen in der Berlusconischen Matrix die Funktion eines örtlichen Altenheims übernommen haben, der Club der Hundertjährigen trifft sich hier jeden Tag, um Liveübertragungen direkt von der Ortsdurchgangsstraße anzuschauen, ich glaub, ich war heute vormittag schon mehrmals im Fernsehen zu sehen, Francescos Mosers Erben flüchten auf modernen Hightechgeräten auf den Straßen vor den Autofahreren, die außerorts in unübersichtlichen Kurven leidenschaftliche Hupkonzerte veranstalten, und meine Stimmung wird zunehmend besser, in meinem Kopf reift ein Entschluss.
"Raffaele, halt mal bitte an", bitte ich ihn in einem Dorf, das auf einem der zahlreichen Hügel liegt (gigantische Maushaufen in XXL-Größe), durch dessen enge Straßen der Laster nur hindurchkommt, indem er seinen blechernen Bauch einzieht.

"Philleas, warum?" deutschelt Raffaele auf einmal erstaunt. Erstaunlich.
"Ach, einfach so."
Am Ortsende hält er an und sieht mich erwartungsvoll an.
"Raffaele, ich steige aus."
Er wiederholt (mit leicht enttäuschtem) Gesicht: "Warum?"
"Mir ist einfach danach. Ich will hier ankommen."
Kurz danach wünschen wir uns beide das Beste, Ciao und Salve, ein letztes Winken, dann sehe ich die Rücklichter seines Lasters hinter einer Kurve verschwinden...


Raffaele schläft vermutlich noch.
Wenn ich hier noch weiter bleiben kann, bleibe ich hier, auch wenn Raffaele weiterfährt, beschließe ich.
Zuletzt geändert von jondoy am 30.09.2012, 20:34, insgesamt 1-mal geändert.


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