Buchrezension: Fünf Kopeken - Debütroman von Sarah Stricker
"Die Spitze eines solchen Berges in jenen Gewässern ist eine Insel..."
Jeder kennt sie, die hohen Berge, fünftausend Meter hoch, die plötzlich vor dir auftauchen wie aus dem Nichts, wie eine Wasserfontäne vor die in die Höhe steigen, sich verstohlen umschauen und fiebrig drehen, und danach wieder in sich zusammenfallen, als seien sie nicht gewesen, ein Schauspiel, dass manchmal ein paar Sekunden, manchmal ein paar Millionen Jahre dauert.
Was oben auf der Spitze eines solchen Berges liegt, sind meist die Gerippe einer vergangenen Zeit, verdrängte Erinnerungen, versteinerter Muschelkalk, tote Fossilien, erloschene Herzen, oft eisbedeckt.
Fünftausendundsechs Meter misst der hier, wer ihn als Leser ihn durchsteigen will, nimmt am besten seine Taschenlampe sowie einen langen Atem mit, im metaphorischen Sinne, der Weg dorthin ist felsig und steinig, nur zwischen den Zeilen funkelt es, aber wie, und wie es sich oben anfühlt, weiss der, der am Ende angekommen ist.
Es liegt schwer im Mund wie neunzigtausend unausgesprochene Worte.
Eine ziemlich bizzarre Bilderlandschaft, an der mich die Erzählstimme des Buches vorbeiführt, nicht schokoladenanerzogen, sie spielt ´seitenverkehrt´, schlägt impulsiv antonyme Purzelbäume, analysiert ironisch und seziert mit einer Leidenschaft, deren Intensität ich kaum nachvollziehen kann, eine, die Eisblumen pflückt, die andere nicht in die Hand nehmen, ihr Hals, an den sie sich lehnt, wenn es aus ihr ausbricht, hat eine ziemlich eigenwillige Anatomie.
Der Plot selbst ist klassisch - langweilig, die Szenerie als Provinz getarnt, der Blickwinkel, aus dem erzählt wird, animant-feminin, zwischendrin kommt Mann mehr als einmal in die Versuchung, die Begehung abzubrechen und nicht bis auf fünftausendundsechs Meter vorzustoßen, seine Absicht in den Müll zu schmeißen, nichts deutet äußerlich darauf hin, dass diese graue Maus in diesem schroffen Gottesackerplateau etwas zu suchen haben könnte, das sich für den Leser zu finden lohnen könnte...
"Bisweilen watete er so tief in Allgemeingültigkeit, dass ihm die erste Person Singular vollends abhanden kam."
Die Sprache des Buchs ist vorwiegend herb, kein Dur, kein Moll, eher ein wütender Septimakkord, ein hinterhältiger Terzbass,
das Wetter am Berg heiter bis bissig, zwischendrin ein paar eiskalte ironische Schauer. Nicht annähernd vergleichbar mit der von ´Apostoloff`, letztere vielleicht ein AlphaBeta Centauri, ein der Sonne nächstentfernter Fixstern.
Vor allem ihre Analysen bestechen durch große Klarheit. Nach dem Klappentext spielt sie (die Story) in der Provinz, in Wirklichkeit spielt sie mit Fassaden.
Die "Schnuggibuudsi"-Wüste erstreckt sich über 39 Meilen, sie liegt tief verborgen in einer inneren Monologei, ziemlich in der Mitte zwischen zwei Buchdeckeln, Tianschan und Kunlun, und ist trocken wie die Takla Makan (´Begib dich hinein, und du kommst niemals wieder heraus´).
Sie ist auf keiner Karte verzeichnet, Naviganier wissen nicht von ihr. Sie muss durchquert werden von dem, der bis ans Ende der Geschichte dringen will, sie beschreibt Wesen, die in diesem Kosmos leben, durch den (erwachsen gewordenen) Blickwinkel des Mädchens mit dem blauen Kleid (vom Cover), einem Blick, wie wenn die Sonne tief und Passion hoch am Himmel steht.
"Die Wahrheit war, dass sie längst vergessen hatte, was Reue eigentlich war. Und morgen erst recht."
Das Buch ist eine Art Duden. Es erklärt nur diese beiden Wörter. Dieses Buchstabieren dieser beiden Worte an jener Stelle des Buches ist es, was am Ende vielleicht hängen bleibt.
Kurz vor dem Gipfel geht es über einen letzten Grat, wo es auf beiden Seiten links und rechts fast senkrecht nach unten geht, letzte Blicke in menschliche Abgründe, ich verlangsame meine Schritte, genieße die Sicht aus dieser Höhe, von diesem Berg aus, auf die Dinge. Dann ist es geschafft.
Fünf Kopeken halte ich in die Kamera. Das Foto-Negativ gibt das ´seitenverkehrt´ dieser Sprache später am besten wieder.
Einige Tage danach, am Strand von, ist es Sotschi oder Cannes, liege ich mit Badehose entspannt im Liegestuhl, sehe Winterappern zu, ihrer Intensität, mit der sie ihren Sport betreiben, aus der Wirklichkeit abtauchen.
Ich schlürfe an einem spendierten Sprachcocktail, von dem mir schon nach den ersten Seiten ganz schlecht wird, so widerlich zuckersüß und klebrig schmeckt er. Ich sehne mich nach rauen, kargen Beschreibungen zurück..
Sarah Stricker, geb. 1980 in Speyer/Deutschland - Fünf Kupeken - Eichborn Verlag (gebunden) 2013 / btv Verlag (Taschenbuch) 2015
[align=right](c) jondoy[/align]
Fünf Kopeken - Sarah Stricker
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