Buchtipp Rundbrief Juni von Rosebud
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Rundbrief Juni 2013
Buchtipp und Besprechung Juni von Rosebud // Malina von Ingeborg Bachmann
Ein Kassiber
Eine befreundete Autorin bat mich, den Roman Malina von Ingeborg Bachmann zu lesen, um mit mir einen Spaziergang durch Wien unternehmen zu können in den Gassen zu den Gebäuden und Plätzen, die im Roman erwähnt sind. Diese Bitte war ein willkommener Anlass, mich endlich an Malina heranzuwagen. Ich war gespannt, welches Wien ich finden würde, welche Bachmann.
Ich nehme das Ende vorweg und gestehe: ich habe mich in Malina verlaufen - noch immer wirre ich darin herum, weiß weder ein noch hinaus, schreibe diesen Text in der Gefangenschaft. Auch kann ich nicht sagen, ob ich befreit werden möchte, denn das würde bedeuten, andere Leser zu mir in das Malina-Gebäude zu locken: eine schwere Verantwortung, die ich damit auf mich nähme.
In diesem Roman gibt es drei Trakte und unendlich viele Zellen. Die Trakte heißen „Glücklich mit Ivan“, „Der dritte Mann“ und „Von letzten Dingen“. An den Zellentüren kleben manchmal Zettel, sodass ich denke: Ah, schau an, in diesem Raum geht es um Liebe, nebenan um Krieg, da drüben aber um das Finden des Ichs im Du. Oft musste ich aber schon bemerken, dass meine Wärterin, die Frau Bachmann, nachts die Zettel einfach umhängt, sodass ich eine der schweren Stahltüren öffne und überrascht werde von fremdem Mobiliar oder enttäuscht, weil nichts ist, wie ich es anderntags gelesen und verstanden hatte.
Überhaupt ist das so eine Sache mit dem Verstehen im Malina-Gefängnis: Zu Anfang verweilte ich eine lange glückliche Zeit im ersten Trakt. Dort erzählte mir die Bachmann von ihrem Verliebtsein in Ivan, was sie mit ihm macht, wenn er sie besucht, was sie einander sagen, was nicht. Im ersten Trakt ist das Ich, das erzählt, zwar fragil, aber stabil genug, den Leser durch alle Gefühlswirren zu begleiten. Denn, wie Liebende sind – sie erzählen mit Fröhlichkeit, ihr Ton summt sogar im Herbst. Halb schon hatte ich für diesen Gebäudeteil meiner Verhaftung zugestimmt und das Urteil unterschrieben.
Aber die Wärterin sagte, ich müsse auf jeden Fall noch den zweiten Trakt kennenlernen. Darin träume es sich am besten. Also gingen wir den dritten Mann besuchen. Wir waren noch nicht lange dort, als mir dämmerte, dass es in diesem Malina-Trakt ganz gehörig spukt, dass Albtraumgestalten in jedem Winkel und zu jeder Zeit ihr Unwesen treiben, dass das Es allgegenwärtig ist und von allen Seiten die Zerstörung des gesamten Gebäudes, vor allem aber meiner Wärterin betreibt. Immer wieder sage ich ihr: „Geh doch, so geh hinaus, flieh Dein Verderben“, aber sie behauptet steif und fest: „Den Schlüssel für den Ausgang finde ich nimmermehr“.
Dieser Schlüssel ist es, den ich für die Bachmann, an ihrer statt noch immer suche im dritten Trakt. Ich glaube, er liegt zwischen den Sätzen, die Malina hier mit der Wärterin wechselt. Darin spricht ein Intellekt, das Über-Ich mit der Frau, die als einzige den Bauplan des gesamten Gebäudes kennt und die Aufgabe übernommen hat, dumme und kluge, prosaische und lyrische, weibliche und männliche Leser einzufangen und sie von Raum zu Raum zu führen. Aber mir scheint, die Frau Bachmann ist sich selbst die erste und letzte, die sich hier nur mit sich unterhält. Mich hat sie längst vergessen.
Noch einmal: Ich weiß nicht, ob ich aus diesem Gefängnis errettet werden möchte. Es gibt wohl Möglichkeiten, aus Malina auszutreten, aber – so viel ist gewiss – es wäre eine Flucht nur rein körperlich. Man ginge in die Bücherei und sagte der Dame dort: „Hier! Nimm das Buch zurück! Ich verstehe es nicht und es versteht mich nicht!“ Aber gewinne ich dadurch meine geistige Freiheit? Sicher nicht, denn mein Kopf hinge trotzdem in Bachmanns Kleidern, an Ivans Lippen und wartete als Mittagsbrot auf die Entdeckung in Malinas Aktentasche.
Es grüßt
Gefangene Rosebud
P.S. Könnte jemand meine Freundin anrufen und ihr sagen: Aus dem Spaziergang wird nichts?
Ganz wunderbar, diese Besprechung, rosebud.
Ja, das ist die existentielle Grundsituation, aus der es Ingeborg Bachmann nicht redlich erschienen wäre, einen Ausweg anzubieten. Das Risiko hat der Leser zu tragen, so wie die Autorin es nach besten Kräften getragen hat.
Man geht nicht mehr wirklich daraus hervor, das kann ich bestätigen, denn ich habe das Buch vor mehr als dreißig Jahren gelesen. Ich habe nur Augen und Ohren zugemacht, um weiterleben zu können, das ist alles. Bachmanns Konsequenz hat nämlich etwas mörderisches. Aber man muß sich dem aussetzen.
Liebe Grüße
Eva
weiß weder ein noch hinaus
Ja, das ist die existentielle Grundsituation, aus der es Ingeborg Bachmann nicht redlich erschienen wäre, einen Ausweg anzubieten. Das Risiko hat der Leser zu tragen, so wie die Autorin es nach besten Kräften getragen hat.
Man geht nicht mehr wirklich daraus hervor, das kann ich bestätigen, denn ich habe das Buch vor mehr als dreißig Jahren gelesen. Ich habe nur Augen und Ohren zugemacht, um weiterleben zu können, das ist alles. Bachmanns Konsequenz hat nämlich etwas mörderisches. Aber man muß sich dem aussetzen.
Liebe Grüße
Eva
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