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Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.06.2008, 13:00

.
Endfassung

Er knallt die Schlüssel auf den Boden
und die Tür hinter sich zu.

Sie schneidet eine Zwiebel.


Alternativ-Fassung

Er knallt die Schlüssel auf den Boden
und die Tür hinter sich zu.

Sie schneidet ihre Zwiebel.


2. Fassung

Er knallt die Schlüssel auf den Boden
und die Tür hinter sich zu.

Sie schneidet eine Zwiebel.


1. Fassung

Er knallt die Schlüssel
auf den Boden
und die Tür
hinter sich zu.

Ich schneide eine Zwiebel.

(c) G.M.C.
06.2008
Zuletzt geändert von Mucki am 10.06.2008, 17:50, insgesamt 3-mal geändert.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 06.06.2008, 17:43

Liebe Mucki,

Schneidet LI eine Zwiebel, damit sie weinen kann?

Lieben Gruß
Elsie
Schreiben ist atmen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.06.2008, 18:22

Liebe Elsie,

ja und nein. Meine Intention ist es, diese Zeile auf zwei Arten lesen zu können,-)
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.06.2008, 18:39

Meine Fantasie:

--------------------------------

Er knallt die Tür
hinter sich zu.

Ich schneide meine Zwiebel.

...................................

MlG

Moshe

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.06.2008, 18:49

Hallo Moshe,

interessant, deine Fantasie,-) Ich meine aber, deine Version geht in eine etwas andere Richtung. Die Zeile mit dem Schlüssel ist m.E. wichtig, um klar zu machen, was sich hier abspielt. Er knallt ja nicht nur die Tür zu. Es ist ja mehr.
Und "meine Zwiebel" drückt nicht das Gleiche aus wie "eine Zwiebel",-)
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.06.2008, 20:42

Liebe Mucki!

Ich bin manchmal doch sehr Begriffstutzig: Was ist denn an der Sache mit dem Schlüßel?
Ich lese es als Kern in der Beziehung, der mit dem Zuschlagen
der Tür erledigt/entsorgt wird, auf eine knallharte Weise.

Trennung, ja vielleicht sogar eine Beziehung, die nie richtig verstanden wurde, wird hier beerdigt.

Eine Beziehung wird erledigt, die auf Hoffnung gebaut wurde, die Schlüssel des Anderen zu nehmen, ihn zu öffnen, sich wechselseitig zu öffnen, und daraus wurde nichts.
Die Schlüßel blieben unverstanden und ungenutzt.

Also, so: Meine Lesart.

Aber: Ist das nicht in jeder Beziehung so?

(Ziemlich privat: Ich verstehe mich mit Orit deshalb so gut, weil wir verstehen mit den Schlüßeln umzugehen.)


Mit bestem Gruß

Moshe

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.06.2008, 21:36

Hallo Moshe,

genau, eine Beziehung wird beendet. Er schlägt halt nicht nur die Tür hinter sich zu, sondern knallt vorher auch die Schlüssel des Hauses (oder der Wohnung) auf den Boden. Ohne den Satz mit dem Schlüssel könnte es ja auch einfach nur ein Streit sein, oder sowas.
Saludos
Mucki

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 06.06.2008, 21:53

Liebe Mucki!

Da bin ich einfach anders. Wenn ich eine Tür zugeknallt habe, waren mir die Schlüßel egal. Die habe ich dann schonmal in einen Bach geschmissen. :smile:
Ich bin so froh, daß dies jetzt schon Jahrzehnte her ist, und auf eine Neuauflage habe ich gar keine Lust mehr.
Es kommt mir heute doch schon recht komisch vor.

Du scheinst noch so sehr jugendlich zu sein.

Aber ehrlich gesagt: Ich werde ganz gern älter.

Mit ganz liebem Gruß

Moshe

Mucki
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Beitragvon Mucki » 06.06.2008, 22:13

Hi Moshe,

da scheinen ja Erinnerungen in dir wach zu werden,-) Dass du darauf keine Lust mehr hast, kann ich gut verstehen.
Aber ehrlich gesagt: Ich werde ganz gern älter.

Ich nicht! :blink2:
Saludos
Mucki
P.S: Apropos, siehe Untertitel: Hast du eine Idee für einen Titel zu diesem Text?

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 06.06.2008, 22:55

Ich kann mir die Szene so vorstellen:
Eine Beziehung endet. Er verläßt ziemlich aufgebracht die Wohnung und die Beziehung, knallt den Schlüssel auf den Boden und die Tür zu. Aus.
Sie schneidet dabei genüßlich mit einem süffinanten Grinsen die Zwiebel und denkt garnicht daran diese Tätigkeit zu unterbrechen, nur weil der Mann die Beziehung verläßt und denkt erfreut: Endlich bin ich ihn los. Deshalb ist auch das Weinen (wegen dem Zwiebel schneiden) auch nur ein scheinbar trauriges Weinen. In Wirklichkeit sind es Freudentränen.

Aber ich kann es mir auch anders vorstellen.
Das Zwiebelschneiden ist eine alltägliche Arbeit. Vor lauter Alltag und dem darauf resultierenden belanglosen Nebeneinanderherwohnen bekommt die Zwiebelschneiderin garnicht mit, daß etwas in der Beziehung nicht stimmt. Sie und die Beziehung ist ziemlich abgestumpft. Leere usw.
Sogar als der Partner wütend die Beziehung verläßt, wird darauf nicht reagiert. Es wird einfach weiter die Zwiebel geschnitten. So als ob nichts passiert ist. Und die Tränen die dabei entstehen, sind keine echte Tränen, nur eben die Tränen, die beim Zwiebelschneiden auftreten.

Wenn in dem Text nicht "Zwiebel schneiden" stehen würde, sondern "Zwiebel häuten" könnte ich mir auch vorstellen, daß das Ende der Beziehung ähnlich wie beim Zwiebel häuten ist: Schicht für Schicht wurde die Beziehung auseinandergenommen, bis zum Schluß von der Zwiebel- Beziehung- fast nichts mehr übrig ist. Damit ist auch nichts mehr von den Personen vorhanden, die einmal in diese Beziehung gestartet sind. Auch das wird nicht erkannt, sondern es wird fleißig weiter beim Häuten weitergemacht.
Aber es steht ja in dem Text "Zwiebel schneiden", also nicht häuten, sondern mehr das Kleinschnippeln und Zerhacken.
Obwohl auch das Zerhacken einer Zwiebel läßt sich auch eine Beziehung übertragen, fällt mir gerade so ein.

(Es ist natürlich auch möglich, daß die Frau die Tür zuknallt und der Mann die Zwiebel schneidet, mal so anmerke.)

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 06.06.2008, 23:26

Hallo Mucki!

Einprägsame kleine Szene, das :-) Man könnte noch ein paar andere Wortstellungen porbieren, aber was da an Worten steht, sollte wohl auch bleiben... Einen Titel sehe ich hier nicht für nötig an?!

Ferdigruß.
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

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Beitragvon jondoy » 06.06.2008, 23:47

Hallo Mucki,

ich las das den Titel "Noch ohne Titel" komischerweise gar nicht so sehr als "Titelfrage",

weiss nicht warum, aber er gehörte, so wie er formuliert war, meinem Gefühl nach irgendwie zum Text,
ich las die "Titelfrage" assoziativ so:

...noch weiss niemand, wie es weitergeht, also...noch ohne Titel...

....vielleicht ist mir da ja unbewusst eine Aussage von Hakuin durch den Kopf gespuckt, der einmal gesagt hat, die Titelzeile ist für ihn bereits Teil des Textes.

Gruß,
Stefan

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ferdi
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Beitragvon ferdi » 07.06.2008, 00:02

Jondoy, wenn dir jemand durch den Kopf spuckt, ist das gleich unter zwei Gesichtspunkten sehr bedenklich :pfeifen: (Sorry J., sorry Mucki - manchmal kann ich nicht anders *hust*
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 07.06.2008, 00:23

Hi Sethe,

faszinierend finde ich, wie unterschiedlich man dieses Textlein lesen kann. Ich kann dir jedoch folgen. Diese Lesarten sind durchaus möglich. "Häuten" habe ich bewusst nicht gewählt, sondern schneiden, weil es hier um schneiden geht. Außerdem wäre mir mit dem Wort "häuten" der Bezug zu G. Grass zu sehr involviert.

Mit diesem Satz:

Ich schneide eine Zwiebel.


möchte ich zweierlei ausdrücken:
Einmal, dass ihre Tränen nicht echt sind
und zum zweiten will sie sich selbst dazubringen, zu weinen, da sie es aus echtem Gefühl heraus nicht kann. Sie empfindet keine Trauer, jedoch auch keine Freude, sondern Gleichgültigkeit. Deshalb schrieb ich den Text emotionslos.
Saludos
Mucki


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