ängste freunde

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Niko

Beitragvon Niko » 06.06.2008, 08:12




ängste freunde


am abend:
ein totes gesicht in den kissen
ein holzleib verdeckt tiefe kerben
scherbenstille spreizt die sekunden

in der nacht:
ein kind spielt
schleicht mit jungen hunden ums eck
dann am nachtlandrand wieder gestellt
von ängsten freunden
verhört und versehen
mit den insignien der verlorenen

am osttor wartet die wärmende nacht
Zuletzt geändert von Niko am 14.05.2010, 16:15, insgesamt 5-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 07.06.2008, 22:45

Lieber Niko,

ich bin hin- und hergerissen bei dem Text.

Auf der einen Seite mag ich die vielen Bilder, auf der anderen Seite aber verstehe ich nichts und dann wirken die Bilder, die ich dann eben nciht verstehe nur noch als Raunen. Wenn ich's mir wünschen könnt, WENN ich's mir wünschen könnte, ein solches Gedicht mit Bildern, die ich verstände, das wäre fein ...

Liebe Grüße
max

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 07.06.2008, 23:59

*ängste freunde" lese ich als eine Art Wortspiel.
Anstatt "engste freunde" eben "ängste freunde".
Die engsten Freunde sind in diesem Text hier die Ängste.

Ängste die sich einem Albtraum ausdrücken bzw. in einem Albtraum erlebt und durchlebt werden. Er oder Sie weiß dabei schon, daß diese Ängste kommen werden.
Die 1. Strophe beschreibt die Angst vor dem Einschlafen in Erwartung der kommenden Ängste.
Die 2. Strophe beschreibt dann die Ängst, das kommen der Ängste, obwohl es so schön angefangen hat.

Was ich etwas als unruhig empfinde, ist dies hier:

Das Gedicht fängt an mit

"am abend:"

Wieso nicht auch die 2. Strophe beginnen mit:
"in der nacht:"
und dann eine neue Zeile?

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.
(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

Max

Beitragvon Max » 08.06.2008, 11:51

Liebe Sethe,

ja, die "ängsten Freunde" habe ich vergessen zu erwähnen .. klar, das fällt als Wortspiel auf.

Es stimmt schon, die erste Strophe beschreibt die Ängste des Abends, die zweite diue der Nacht, meine Frage ist nur: Wieso diese Bilder, wieso nicht andere? Ich suche nach einem Sinnzusammenhang.

Liebe Grüße
Max

Niko

Beitragvon Niko » 08.06.2008, 12:40

hallo ihr beiden!
danke für eure kommentare! sethe - du hast es gut beschrieben, was ich auszudrücken versuchte. und über "in der nacht" mit anschließend neuer zeile....- ursprünglich war das so. habs dann (stichwort: vor lauter bäumen den wald nicht sehen) wieder verworfen, weil in der ursprungsfassung zuviele "es" drin vorkamen, die sich dann auf das kind bezogen. hab dann den text der zweiten strophe so verändert, dass es passt, aber den zeilenrücker nicht mehr beachtet. ich werd das gleich oben korrigieren. danke für den hinweis!
lieber max... schön, dass dir die vielen bilder gefallen. wieso ich diese bilder nahm und nicht andere..hm.....ich glaube, es gibt keine anderen bilder für das, was ich sagen will. weiter glaube ich, dass jeder mensch seine eigenen bilder erstellt zu begebenheiten, ängsten, "befindlichkeiten" etc... das du keinen sinnzusammenhang findest, finde ich schade. eigentlich ist es doch ganz einfach (schön, solche sätze, nicht? es ist, als wenn ein einheimischer dir fremden erklärt, wie du ans andere ende der stadt kommst. er kennt den weg natürlich. für ihn ist es "einfach") starre vor angst beim einschlafen. ein anfänglich schöner traum unterliegt der selbsterfüllenden prophezeihung und endet wie vorgesehen. die ängste holen dich ein, ernüchtern, werfen dich zurück ins leben. und es bleibt nichts als eine sehnsucht. nach dem stückchen freiheit im traum. "warten auf die wärmende nacht" auch das phänomen, dass man auf das vertraut und baut, was man kennt. auch wenns immer gleich ist und schrecklich endet.
licht im keller?
lieben gruß: Niko

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 08.06.2008, 23:05

Ich denke mal es sind die Bilder desjenigen, der diese Situation erlebt. Ziemlich höchstpersönlich also.
Ängste können diffus sein, irrational, konkret, abstrakt. Hierzu passen die Bilder des Textes doch schön.

Das Wort "Nachrandland" gefällt mir sehr gut, weil es so gut paß. Ich meine auch mal ein "Morgenrandland" irgendwo gelesen zu haben, weiß aber nicht mehr wo und von wem.

Irgendwie habe ich den Eindruck, Niko spielt hier auch noch etwas mit Morgenland und Abendland.
Für das Abendland erschuf er das "Nachrandland".
Ich verstehe nur nicht ganz, wieso "Osttor" und nicht "Westtor".
Wenn ich das richtig im Kopf habe, geht doch die Sonne im Osten auf (Morgenland) und im Westen unter (Abendland).
Wenn auf die wärmend Nacht gewartet wird, müßte es dann nicht Westtor sein? Durch das Osttor geht doch die Sonne auf, und es wird doch auf die Nacht gewartet.

viele Grüße
Sethe

Mir gefällt es jetzt mit der neuen Setzung noch besser.
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)

scarlett

Beitragvon scarlett » 10.06.2008, 17:27

Hallo Niko,

das Wortspiel "ängste freunde" gefällt mir auch sehr gut. Ich finde, das Beklemmende solcher "Freunde" hast du gut versprachlicht - größtenteils.
Die scherbenstille, die die sekunden spreizt, ins Unendliche zu dehnen scheint - ein Klasse Bild. Aber es scheint mir nicht zum holzleib zu passen - holz gibt keine scherben, aber vielleicht lese ich es auch falsch.
Ferner: nachtlandrand ... einerseits schöne Wortschöpfung, andrerseits leider ein Zungenbrecher par exellence. Ich hätte vor jeder Lesung Panik, das nicht rauszubekommen :icon_redface:

Am Schluss hätte ich allerdings auch eher das westtor erwartet ...

Liebe Grüße,
scarlett

Niko

Beitragvon Niko » 10.06.2008, 17:48

hi sethe!
dank dir für deine erneute rückmeldung! ich bin mit der setzung jetzt auch sehr zufrieden. abendland und morgenland schwingt vielleicht etwas mit. aber bewusst einbauen wollt ich das nicht...

hi scarlett!
Die scherbenstille, .............. es scheint mir nicht zum holzleib zu passen.

ebenso wenig passt ein totes gesicht zu einem holzleib. scherbenstille ist ein beschreibung in sich. genau wie es holzleib auch ist. du bilder müssen nicht zwingend mit einander übereinstimmen. finde ich zumindest. aber das scheint eine glaubensfrage zu sein. du bist nicht die einzige, die das anders sieht.
nachtlandrand ... einerseits schöne Wortschöpfung, andrerseits leider ein Zungenbrecher par exellence. Ich hätte vor jeder Lesung Panik, das nicht rauszubekommen


man muss ja nicht alles lesen, was man schreibt... :razz:
das osttor...eigentlich wollte ich ausdrücken, dass lyrich die wärmende nacht schon bei sonnenaufgang sehnsüchtig erwartet. aber da hab ich mich wohl misslich ausgedrückt. werd mal den osten zum westen biegen...
danke für euer lesen und kommentieren!
lieben gruß: Niko

Max

Beitragvon Max » 10.06.2008, 19:27

lieber max... schön, dass dir die vielen bilder gefallen. wieso ich diese bilder nahm und nicht andere..hm.....ich glaube, es gibt keine anderen bilder für das, was ich sagen will


Lieber Niko,

genau das ist vermutlich mein Problem: Was genau sagst Du? .. Ich werde mir Dein Gedicht wohl nochmal genauer zu Gemüte führen.

Liebe Grüße
Max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 10.06.2008, 23:04

Lieber Niko,

ich finde viele Bilder in diesem Text ganz ganz stark! das tote gesicht in den kissen und die osttorpassage und mit den hunden streifen = perfekt!

wieder andere, dazu gehört auch der Titel (obwohl der wohl als hinweis zum Thema des textes bleiben muss) finde ich etwas zu überreizt. Ich glaube, dass dieser Text sehr auf seine Bilder angewiesen ist: es gibt kaum verknüpfungen, das evozieren muss die jeweilige Treppenstufe zum nächsten vorlegen - darum bringen einen "halbwirkungsstarke" Bilder einen hier leicht aus dem Konzept - dann passiert sowas, wie bei Max: Man hat das Gefühl, man versteht nicht mehr. Ich würde daher diesen texte, der eine große Anlage hat, sehr streng unter die Lupe nehmen, da schlummert was!


Die Doppelpünktchen würde ich streichen, der Umbruch jeweils reicht doch.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Sethe
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Beitragvon Sethe » 10.06.2008, 23:29

Niko:
das osttor...eigentlich wollte ich ausdrücken, dass lyrich die wärmende nacht schon bei sonnenaufgang sehnsüchtig erwartet


Ah, verstehe.
Vom Rythmus und vom Gefühl beim Lesen und der gesamten Stimmung im Text und aus dem Text heraus paßt - wenn ich es auf mich wirken lasse- osttor besser.
Vielleicht sollte man ab und an nicht so viel rein verstandsmäßig hinterfragen, sondern einen Text einfach mal laufen lassen, und die Stimmung nicht mit Wissen um das Auf- und Untergehen der Sonne "erschlagen".

ein totes gesicht in den kissen

ein holzleib verdeckt tiefe kerben

scherbenstille spreizt die sekunden


Ich lese diese Zeilen als Beschreibung einzelnen Gefühle bzw. Zustände.

Ein totes Gesicht in den Kissen, so muß man sich fühlen, wenn man schon in Vorahnung der selbsterfüllenden Prophezeiung weiß, es kommen wieder diese Ängste. Der Schlaf, der mich am leben hält und notwendig ist zum leben, bewirkt das Gegenteil. Ich bin quasi schon tot, bevor ich einschlafe.

Die Ängste habe tiefe Kerben in mich und meine Seele geschlagen. Nur dank eines Holzleibes aus sehr hartem Holz sieht man diese Kerben nicht direkt. Ich bin also zu einem Holzleib geworden, damit die Kerben, die meine Ängste verursacht haben, vor mir selber und anderen verdeckt werden.

Wenn man wach liegt, am einschlafen ist, und damit rechnet, gleich erscheinen sie wieder die Ängste, zählt und fühlt man jede Sekunde. Trotz einer Stille um mich herrum. Diese Sekunden werden gespreizt - also noch länger- immer weiter werden sie gespreizt. Jetzt scheitert meine Fähigkeite, mit Worten zu beschreiben, wie ich "Scherbenstille" beschreiben kann. Die Stille ist letzendlich keine ruhige, beruhigende Stille, sie liegt in Anbetracht der Ängste in Scherben.
Oder so. Wie gesagt, dieser Satz mit der Scherbenstille ist für mich nicht so richtig zu beschreiben, ich fühle diesen Satz und das Wort Scherbenstille "nur".

Ich finde nicht, die Bilder sind "halbwirkungsstarke" Bilder, es sind für mich sehr intensiv wirkende Bilder.

viele Grüße
Sethe
Was ich tu, das tu ich, was ich tat, das wollte ich tun.

(aus: "Ich schließe mich selbst ein" von Joyce Carol Oates)


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