Elke erzählt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Estragon

Beitragvon Estragon » 01.07.2008, 23:02

ich traf einen mann
viel zu dick für ein leben
viel zu dick für ein wort
geschrieben auf ein blatt papier

ich schrieb
wollen wir uns treffen

vielleicht wars ein feiertag für ihn

er erzählte viel
schon vorher
ich malte es mir aus

er mit einer schirmmütze und regenschirm
schneeflecken auf der nase
die reizen
die reizen ihn das ganze jahr

warum triffst du dich mit mir
ich habe ja nicht mal haare auf den zähnen

er versteht das nicht und deshalb sage ich
ich tu es aus mitleid

eine schöne landschaft
irgendwo das gebirge
vielleicht sitzt dort ein wurm und fragt nicht
warum trifft sich die welt mit mir

es gibt keinen atem in gedichten
ich schraube sie hoch die worte
sie fallen auf den boden
ein hinabkullern als hebe man frischgewaschene steine auf

er fragt:
und jetzt?
wir haben kaum gesprochen
trinken kaffee
die bedienung blickt auf die uhr
der mann ist nicht nur dick
er weiß auch nichts mit sich anzufangen
ich auch nicht
das gefällt mir an ihm
dass er das leben nicht begreift
keinen sinn darin sieht

vielleicht sprechen wir gar nicht miteinander
sage ich und spreche tatsächlich nicht
ich schreibe es nur auf damit ich es wieder vergessen kann

er fragt nun ständig nach dem sinn
ich wohne im siebten stock
er würde mich sieben stockwerke nach dem sinn fragen

also doch wieder nur die schönen die zurückbleiben
weil sie immer glauben die zukunft strahle sie an
aber es sind nur strichmännchen die in die luft schauen
und ihre schauen kommt wie ein strahlen zurück

schöne menschen lassen sich leicht blenden
weil sie von den anderen geblendet werden

wir könnten uns aber auch zahlen ausdenken
oder uns ausmalen wir säßen in regenklamotten im bett

das gegenteil von geschlechtsverkehr ist stossverkehr
sagt julia und lacht sich halbtot dabei
ihre schritte sind manchmal noch sehr weit zu hören
sie hat immer eine mensch ärgere dich nicht figur in
der jackentasche
und wenn man sie fragt
warum
gibt sie keine antwort

der dicke mann geht
er verlässt diesen text
ich schaue ihm nach
und frage
warum er nicht bleibt bis der text zu ende ist
also rufe ich
: es dauert doch nicht mehr lange
er kommt zurück
sagt
: ich habe angst alles zu verderben
ich grinse ihn an: hast du doch schon und du hast es nicht mal bemerkt

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 02.07.2008, 09:42

Hallo Estragon,

nur ganz kurz, nach zweimaligem Lesen: ich mag Deinen Stil sehr! Irgendwie sind Deine Geschichten und Gedichte ein bisschen so wie ein Traum, der nichts zu wünschen übrig lässt. Traurig aber schön.
Vielleicht fällt mir später noch mehr dazu ein

xanthippe

Max

Beitragvon Max » 02.07.2008, 12:55

Lieber Estragon,

stell dir vor, de Text kam mir bekannt vor ;-) Und tatsächlich ein gewisser Hut hat den Text doch schon mal hier eingestellt :-) (allerdings unte dem Titel "Elke erzählt noch was").

Was mir nach wie vor gut gefällt: Der kreative und leichte Umgang mit Sprache. Das zeigt sich an dem originellen Auftakt:

ich traf einen mann
viel zu dick für ein leben
viel zu dick für ein wort
geschrieben auf ein blatt papier


der mich ein wenig an Kunzes Anfang von "Fünfzehn" in "Die wunderbaren Jahre" erinnert:

"Sie trägt einen Rock, den kann man nicht beschreiben, denn schon ein einziges Wort wäre zu lang."

Die für mich eindeutigste, charakteristischste Stelle für Deine Art mit Sprache umzugehen, ist aber für mich

es gibt keinen atem in gedichten
ich schraube sie hoch die worte
sie fallen auf den boden
ein hinabkullern als hebe man frischgewaschene steine auf


Das ist einfach Klasse.

Ich glaube man kann von dir das Erzählöen gerade schwerer Geschichten lernen, denen Du ein sehr leichtes Atmen erlaubst.

Liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 02.07.2008, 14:41

Lieber Estragon,

das habe ich auch sehr gerne gelesen, vor allem, weil ich es ausgesprochen originell finde. Es sind viele Zeilen drin, die ich einfach gelungen finde, ich wollte gerade etwas zitieren, aber da fiel mir auf, dass ich fast alles zitieren müsste.

So lasse ich es einfach dabei, den Text einfach rundum gelungen zu finden.

Liebe Grüße

leonie

Trixie

Beitragvon Trixie » 03.07.2008, 10:08

Hallo Estragon,

ich kann mich leonie nur voll und ganz anschließen! Zwischendurch kam mal so Stirnrunzeln, aber das ist kaum erwähnenswert, weil das Gesamtbild stimmt. Ich finde es faszinierend, weil ein Mann sich so ein weibliches Ich hineinversetzen kann.

Lieben Gruß
Trixie

Estragon

Beitragvon Estragon » 03.07.2008, 10:24

Das ist eigentlich sehr einfach, weil sich der Blick sehr an der oberfläche hält und ich auch ab und an, von einer "Elke" mit Geschichten beliefert werde.
Schön dass es euch gefällt :-)

Klara
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Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 03.07.2008, 12:51

Hallo Estragon,

der Text gefällt mir. Unerwartete Wendungen, eigenwilliger Gebrauch der Sprache, eigene Sicht der Dinge, Verschachtelungen. Da ist Leben drin.

Ich verstehe nicht, warum der Text in der Lyrik steht. Ich finde.
Ein richtig guter Prosatext.

Klara


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