Sprung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 07.07.2008, 21:53

Sprung

Auf meiner Schaukel gaukel
ich euch vor ein Kind zu sein.
Ihr fasst weder mich noch, dass
ein Hinten auch ein Vorne hat.

Oben halte ich kurz an
wenn Mutter ruft,
„halt dich gut fest“,
und unten hol ich Schwung,
„dass du nicht fällst!“
Ich zähle ab für meinen Sprung:

selbig, selber, selbst
Zuletzt geändert von Last am 07.07.2008, 22:41, insgesamt 1-mal geändert.

Estragon

Beitragvon Estragon » 07.07.2008, 21:54

Auf meiner Schaukel gaukel
ich euch vor ein Kind zu sein.
Ihr fasst weder mich, noch dass
ein Hinten auch ein Vorne hat.

Oben halte ich kurz an
wenn Mutter ruft,
„halt dich gut fest“,
und unten hol ich Schwung,
„dass du nicht fällst!“



bis dahin halte ich das gedicht für sehr gelungen

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 07.07.2008, 23:47

Genau!

Moshe

Last

Beitragvon Last » 08.07.2008, 08:56

Guten Morgen ihr beiden,

danke für euer Stimmungsbild. Jetzt frage ich mich natürlich, was in dieser Zeile passiert: "ich zähle ab für meinen Sprung:" :confused: :frage:

LG
Last

Trixie

Beitragvon Trixie » 08.07.2008, 10:26

Hallo Last!

Ja, ich finde das, was ich da lese (es gab Änderungen? Kannst du die Originalversion vielleicht nochmal darunter stellen?) auch sehr gelungen. Was mit am Ende stört, ist dass es so lange zu dauern scheint. Du setzt sogar nochmal eine Zeile ab. Wenn man richtig hoch schaukelt, dann geht das doch so schnell, dass man gar nicht mitzählt. Und der Sprung an sich ist auch ein sehr schneller Vorgang. Das würde ich vielleicht noch überarbeiten. Einfach nach "dass du nicht fällst" - "und ich springe selbst". Oder geht es dir darum, dass der Sprung hier noch gar nicht durchgeführt wird? Dann vielleicht nur "ich springe gleich" oder etwas in der Art?
Insgesamt finde ich sehr interessant, wie genau du die Kindheitserinnerung aufleben lässt und doch mit diesem Erwachsenenbild. Das ist für mich sehr stimmig und nachvollziehbar.

Lieben Gruß
Trixie

Last

Beitragvon Last » 08.07.2008, 10:54

Hallo Trixie,

danke für deine Hilfestellung :smile:

Es gab Änderungen? Ja, ich habe nachträglich den Titel eingefügt und ein Komma zurechtgerückt, das sich zu weit nach vorne gemogelt hat ;)

Wenn man richtig hoch schaukelt, dann geht das doch so schnell, dass man gar nicht mitzählt.


Tut man nicht? Dann liegt der Fehler vielleicht tiefer. Denn:

Oder geht es dir darum, dass der Sprung hier noch gar nicht durchgeführt wird? Dann vielleicht nur "ich springe gleich" oder etwas in der Art?


Ja, das Abzählen steht im Vordergrund. Ich halte das für ein tolles Motiv, etwas abzählen, anzählen.

Was mit am Ende stört, ist dass es so lange zu dauern scheint. Du setzt sogar nochmal eine Zeile ab. Wenn man richtig hoch schaukelt, dann geht das doch so schnell, dass man gar nicht mitzählt. Und der Sprung an sich ist auch ein sehr schneller Vorgang. Das würde ich vielleicht noch überarbeiten.


Hmm, so herum hatte ich nicht gedacht. Ich empfand das Sich-Strecken des Textes als Entsprechung dazu, dass lyr. Ich immer höher schaukelt, sich dabei auch selbts immer mehr streckt.
Das Abzählen zieht sich meiner Erfahrung nach schon hin. Hinten:1; Vorne: 2, Hinten... Vorne: 3 und Sprung.
Dieses Spiel mit dem Tempo glückt mir scheinbar nicht. Der Leser zieht sich nur die Beschleunigung heraus. Das Bremsen stört ihn, weil er es erst gegen Schluss wahrnimmt. Dort ist es zu abrupt und irritiert den Lesefluss statt die Aussage zu tragen(?). Evtl. steigert der Schlussvers das noch, weil er nicht mehr rein bildlich ist(?).

Insgesamt finde ich sehr interessant, wie genau du die Kindheitserinnerung aufleben lässt und doch mit diesem Erwachsenenbild. Das ist für mich sehr stimmig und nachvollziehbar.


*freu*

LG
Last

Estragon

Beitragvon Estragon » 08.07.2008, 11:11

Last hat geschrieben:Guten Morgen ihr beiden,

danke für euer Stimmungsbild. Jetzt frage ich mich natürlich, was in dieser Zeile passiert: "ich zähle ab für meinen Sprung:" :confused: :frage:

LG
Last



da passiert gar nichts, weil ich nicht glaube dass dies Gedicht diese Zeile und alles was danach kommt noch braucht. Es ist ein so feines poetisches Bild, mit den Höhen und Tiefen und dazwischen die Mutter die immer da ist,, ich weiß nicht, für mich wäre das Gedicht ohne die Zeilen zum Schluss perfekt

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 08.07.2008, 15:27

Da kann ich mich nur anschliessen, weil ja - wenn Du so enden würdest - selbst die Zeilen, die dann nicht mehr kämen, drin wären, im Rhythmus, zwischen den Zeilen, in den Vorstellungsräumen, die Du eröffnet hast.

xanthippe

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 08.07.2008, 17:31

Hallo Last,

ich kann mich dem nicht anschließen, finde die letzten beiden Zeilen wichtig für das Gedicht, für die Bewegung, die sich in der zweiten Strophe klanglich aufschaukelt, die man mitfühlt. Man hält oben an, hält den Atem an, die Stimme, vielleicht ist es dieser Lufthüpfer ganz oben, wenn man tatsächlich meint, die Welt hält für einen Moment inne, man wäre Schwerelos. Man erinnert sich an dieses Gefühl, spürt die Abwärtsbewegung, das Schwungholen, wird sich dem Festhalten bewusst, wenn die Mutter ruft. Das ist wunderbar eingefangen, auch diese Sorge der Mutter (die man auch selbst ist), und das Weiterwagen des „Kindes“ in einem. Und dazu gehört für mich der Moment des Abzählens, Auszählens. Wagt man es, wagt man es nicht, man braucht eine sprachliche Grenze, etwas, das zählt, einen selbst gesetzten akustischen Anstoß.

selbig (noch rückbeziehend auf etwas anderes), selber (die umgangssprachliche Variante, sozusagen noch in der Kommunikation, die Anlauf nimmt) und schließlich das bestimmte, klare „selbst“, als der Absprung. Das finde ich sowohl klanglich als auch sprachlich eine feine Entwicklung.

Die Verbindung des Kindlichen mit dem Erwachsenen gelingt dem Gedicht aus meiner Sicht, durch die erste Strophe, die durch die Ansprache ein bisschen wie ein Spiegel funktioniert.

Einzig den Titel finde ich ein bisschen verschenkt, weil er das Ende so vorwegnimmt, als wäre es schon sicher. Hier würde ich mir eher einen Anfang wünschen, als ein Resumée, sozusagen den Moment, in dem man sich überhaupt auf die Schaukel setzt. Das ist aber sicher auch Geschmackssache.

Sehr gern gelesen.

liebe Grüße smile

Trixie

Beitragvon Trixie » 08.07.2008, 17:59

Hallo Last,

ja, jetzt, wo du es erklärt hast, verstehe ich es. Ich dachte, es wäre sozusagen unmittelbar vor dem Sprung - 1,2, Sprung!
Und nicht vor 1 zurück 2 vor sprung!

Wie smile das beschrieben hat - ja, das ist auch meine Erinnerung. Komischerweise erlebe ich es heute genauso, wenn es Flugheug gerade von der Startbahn abhebt. Das ist dasselbe Gefühl. Dadurch größer, erwachsener. Früher habe ich das glaube ich nie so wahrgenommen im Flugzeug und heute würde ich es auch auf der Schaukel nicht so wahrnehmen.

Ja, jetzt bin ich unbedingt dafür, dass du es genau so lässt :-)!

Lieben Gruß
Trixie

Estragon

Beitragvon Estragon » 08.07.2008, 19:20

Ich hab ja nicht gesagt dass sie ändern soll,
ich meinte nur es wird viel dichter und es wird
ein gutes Gedicht wenn man die letzten zeilen
wegläßt, die eigentliche arbeit an einem gedicht
ist nämlich das weglassen, deshalb heißt es gedicht,
das macht arbeit und ist manchmal sehr zerbürbend.

aber es ist natürlich dein Text, aber immerhin kann
ich es als Leser ja so lesen, als wäre das was überflüssig
ist (das mir überflüssig erscheint) gar nicht da

Last

Beitragvon Last » 08.07.2008, 19:43

Hallo ihr alle,

danke für eure aufschlussreichen Kommentare. Ich antworte in der gleichen Reihenfolge, wie ihr gepostet habt.

Lieber Estragon,

da passiert gar nichts, weil ich nicht glaube dass dies Gedicht diese Zeile und alles was danach kommt noch braucht. Es ist ein so feines poetisches Bild, mit den Höhen und Tiefen und dazwischen die Mutter die immer da ist,, ich weiß nicht, für mich wäre das Gedicht ohne die Zeilen zum Schluss perfekt


Danke, jetzt verstehe ich erst was du gemeint hast. Davor hatte ich irgendwie ein Brett vor'm Kopf.
Ich selbst habe ja immer aus einem ganz anderen Winkel auf das Gedicht geschaut. Da waren die von dir zitierten Verse eben vor allem Vorbeitung auf den Sprung(ansatz). Daran, dass dabei etwas eigenes herauskommen könnte hatte ich gar nicht gedacht. Darüber muss ich grübeln.
(Mir geistert ja jetzt immer noch ein anderer Blickwinkel durch den Kopf, auf den ich eigentlich hinaus wollte).

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Liebe Xanthippe,

Da kann ich mich nur anschliessen, weil ja - wenn Du so enden würdest - selbst die Zeilen, die dann nicht mehr kämen, drin wären, im Rhythmus, zwischen den Zeilen, in den Vorstellungsräumen, die Du eröffnet hast.


Bist du ganz sicher? Ich empfinde es nach Estragons Kommentar etwas anders. Ohne die letzten beiden Verse würde sich die Gewichtung verschieben.
Vor allem der "neue Schlussvers" (dass du nicht fällst!) macht mir Sorge. So wäre dem kindlich trotzigen Hoch-Hinaus-Wollen das mütterlich besorgte Kümmer-Dich gegenüber gestellt. Ein Ausgleich als das Auf und Ab des Schaukelns(?).
Natürlich ist das auch intendiert. Ich lege aber (noch) einen anderen Akzent. Selbstfindung als sich heraus lösen aus diesem System. Die Überbetonung des Kindlichen schafft einen (theoretischen) Freiraum in dem das (für kurze Zeit) möglich ist.

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Liebe Smile,

danke sehr. Deine Lesart trifft nicht nur sehr genau sondern legt scheinbar auch die gleichen Akzente wie ich es selbst tue. Das habe ich sehr gerne gelesen.
Besonders deine Interpretation des Schlussverses mag ich (ich war mir hier besonders unsicher, weil im Salon so oft das Wort "verkopft" verwendet wird^^).

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass du auch den Titel nicht so ansprechend findest. Ich teile da deine Meinung. Es nimmt mir etwas zu viel vorweg. Leider hatte ich keine bessere Idee und habe mich deshalb mit der Begründung angefreundet, der Leser solle ruhig schon wissen, wohin es lyr. Ich drängt. :confused:

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Liebe Trixie,

ja, mit dem Flugzeug ist das sicher zu vergleichen. Wann sahst du denn das letzte Mal auf einer Schaukel (oder auf einer Achterbahn)? Ich habe auch mal von einem Stabhochspringer eine sehr ähnlich Aussage gehört...

Da du deine Meinung geändert hast mache ich mir mal eine kleine Strichliste. Es steht jetzt 2:3 zwischen Version Last und Version Estragon.

LG
Last
Zuletzt geändert von Last am 08.07.2008, 20:15, insgesamt 1-mal geändert.

Sneaky

Beitragvon Sneaky » 08.07.2008, 19:48

Hallo last,

ich bin auch sehr dafür, dass du die beiden letzten Zeilen behältst, allerdings gefällt mir das "zählen" nicht. Das ist doch mehr ein Moment auf den man lauert, die richtige Sekunde für den Absprung. Die ist aber nicht zählbar, sondern ein Bauchgefühl. Von daher "lauere ich / halte mich bereit auf den Sprung, den Moment"

Bei der Zeile "oben halte ich kurz an" frage ich mich, ob das zur Schaukel passt, das Gefühl kurz anzuhalten, wenn der Ruf kommt, halt dich fest, ist sehr eindrücklich vermittelt, aber tatsächlich kann Lyrich nicht anhalten.

Gern gelesen

Gruß

Sneaky

Trixie

Beitragvon Trixie » 08.07.2008, 20:58

Hallo nochmal!

Eine Strichliste?? Solltest du das nicht lieber nach dem Gefühl entscheiden und nicht nach dem Kopf ;-) ?

Ich hab schon immer geschaukelt! Wenn ich auf dem Spielplatz war, hab ich nur geschaukelt. Ich fand das ein richtig tolles Gefühl. Kann mich daher noch sehr gut dran erinnern. Außerdem sind wir ja noch jung, da ist das eh noch im Gedächtnis, hihi. Geflogen bin ich übrigens das erste Mal mit 2 Jahren.. Ich glaube, das Gefühl für den Moment, wenn der Flieger abhebt, hat stetig zugenommen, wie die Wahrnehmung für den Schaukelsprung abgenommen hat mit der Zeit. Achterbahn fahre ich nicht. Mir wird leicht übel und daher ist das nix für mich!! Aber ich glaube, es gibt viele solcher Momente, wenn man genau dieses Gefühl wieder hat. Ein bisschen Freiheitsdrang, Risiko, an die Mutter denken, doch dabei fühlt es sich so gut an. Sei es die ersten Male mit 170 auf der Autobahn oder was auch immer. Deshalb mag ich dieses Gedicht so sehr, weil es mit etwas, das wohl beinahe jeder nachvollziehen kann, eine Situation beschreibt, die im Laufe der Zeit wiederum jeder anders erlebt.

Grüße
Trixie


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