Was bleibt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Caty

Beitragvon Caty » 07.07.2008, 14:09

Was bleibt

Flusen im Haar,
Ernten der Zeiten, Erinnern,
Aus Rauch gefügt. Kieselgestein,
Arglos.

Von Jahren will ich nicht
Reden, nicht von ungenutzten
Möglichkeiten. Nichts
Kommt zurück. Was bleibt:

Gerüche, eines Lachens
Klang, Wechsel der Jahreszeiten,
Rauschen des Telefons, als du mir
Sagtest, dass du mich lieben könntest.

claire.delalune

Beitragvon claire.delalune » 07.07.2008, 18:35

Ein Wechsel aus Aufzählung und Erzählung begegnet mir hier.
Mir gefällt das, wie einzelne Schlagworte aneinander gereiht werden, sehr dichte Empfindungen entstehen dadurch im ersten Teil. Bilder, die Weite haben, so dass man sie mit eigenem Leben und Erinnern füllen kann.
Im Einzelnen könnten sie für Leichtsinn stehen (Flusen im Haar - erinnert an Flausen im Kopf, ein Ausspruch, der für Übermut steht, für (ver)queres Denken und Ausprobieren); flüchtige Erinnerungen, die man letztlich nicht halten kann. Manches, das als reife Frucht aus der Zeit geerntet werden konnte - worauf hingearbeitet wurde, erfolgreich. Beziehungen vielleicht, Arbeitsstelle, ein gesichertes Leben. Manches aber auch harte Nüsse, Steine auf dem Lebensweg, schier Felsen (Gestein), das überwunden werden mußte (konnte?).

Dann ausführlicher der Rückblick, die (vielleicht etwas platte, da allseits bekannte) Erkenntnis, dass man das Leben nicht zurückdrehen, die Vergangenheit nicht noch einmal gelebt werden kann. Dennoch paßt es hier, so meine ich, wie es dort steht, dicht und klar: Nichts kommt zurück.

Und dennoch bleibt einiges - und damit kommt erneut eine Aufzählung - Kleinigkeiten bleiben in Erinnerung, bleiben von Bedeutung über die Zeit des Vergehens hinaus.

Interessant ist, dass die letzten Zeilen wieder prosaischer werden. Und dass das Gedicht im Konjunktiv endet. So bleibt eine Spannung auch über den Schlußpunkt erhalten: Wurde Lyrich geliebt? Oder sind diese gebliebenen Erinnerungen der Wehmut geschuldet, dass aus dem "könnte" keine tatsächliche Liebe wurde.

LG,
Kathrin

Caty

Beitragvon Caty » 07.07.2008, 19:04

Liebe Kathrin, das ist ja sehr, sehr ausführlich interpretiert. Womit ich selbst nicht ganz klarkomme, ist, dass du von Schlagwörtern in einem Gedicht redest. Die verkürzte Form ohne Prädikat (z. B. Erinnern, aus Rauch gefügt = Ich erinnere mich, meine Erinnerung ist wie ein Rauch) ist fast immer lyrischer als mit Prädikat. Dass ich den Schluss offenlasse, kommt meiner Auffassung nicht nur eines Gedichtschlusses entgegen, sondern ich will das Gedicht zum Schluss noch einmal "hochreißen", indem ich die Antwort nicht gebe. Finde ich jedenfalls spannender.
Ich bedanke mich, Kathrin, für die wirklich sehr gute Interpretation des Gedichts, die auch meinen Intentionen entgegenkommt.

Liebe Grüße, Caty

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 08.07.2008, 15:39

Hallo Caty,

mich berührt Dein Gedicht, schon das erste Bild mit dem alles anfängt, lässt so viele Assoziationen lebendig werden, das ausgedünnte, flusige Haar alter Menschen, der Staub, der sich auf die Erinnerungen legt (natürlich auch die Klangnähe mit den Flausen im Kopf)...
In der zweiten Strophe finde ich besonders die Aussage spannend, dass nichts zurückkommt, aber etwas bleibt. Und was bleibt, da finde ich es besonders gelungen, wie du vom allgemeinen ins sehr spezielle wechselst, ohne dabei wirklich konkret zu werden und die Offenheit des Gedichtes zu verlassen.

Mir hat es sehr gut gefallen, nur frage ich mich warum du von "Ernten der Zeiten" sprichst? Sicher hast du einen Grund dafür, den ich nur leider nicht herauszulesen vermag, so dass ich "Ernte der Zeit" erwartet und geschrieben hätte.

viele Grüße
xanthippe

Estragon

Beitragvon Estragon » 08.07.2008, 15:50

Ja, das ist ein wirkliches Gedicht, das ist dicht
und es gibt fast nichts daran zu meckern,
ich hab mich nur daran etwas gestört

"nicht von ungenutzten
Möglichkeiten."

das würde ich streichen..das Nichts danach sagt doch genau das

Caty

Beitragvon Caty » 08.07.2008, 17:06

Hallo Xanthippe,

gar nicht so xanthippisch dein Kommentar (nur nebenbei - lächel). Ernten der Zeiten (Plural) ist dir nicht verständlich? Hm, damit ziele ich auf die verschiedenen Lebensalter. Aber man soll ja nicht schreiben, "was man sich dabei gedacht hat", um das Gedicht nicht zu zerpflücken, es muss als Ganzes wirken. Aber jetzt verständlich? Ich bedanke mich sehr herzlich fürs Kommentieren.

Lieben Gruß, Caty

Caty

Beitragvon Caty » 08.07.2008, 17:19

Liebe/r Estragon (weiß nicht, ob du Männlein oder Weiblein bist),

Die "nichts": Man könnte von einer Klimax reden. Es steigert sich ja: Jahre - Möglichkeiten - nichts (absolut, umfassend). Oder zumindest annähernd. Die "nicht" haben schon ihre Berechtigung. Das zweite "nicht" verstärkt ja das erste und das dritte "nichts" setzt einen Schlusspunkt. Zudem bestärkt und verdeutlicht die Wiederholung ja die Aussage.

Dank dir fürs freundliche Kommentieren.

Liebe Grüße, Caty


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