Sprung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 07.07.2008, 21:53

Sprung

Auf meiner Schaukel gaukel
ich euch vor ein Kind zu sein.
Ihr fasst weder mich noch, dass
ein Hinten auch ein Vorne hat.

Oben halte ich kurz an
wenn Mutter ruft,
„halt dich gut fest“,
und unten hol ich Schwung,
„dass du nicht fällst!“
Ich zähle ab für meinen Sprung:

selbig, selber, selbst
Zuletzt geändert von Last am 07.07.2008, 22:41, insgesamt 1-mal geändert.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 09.07.2008, 08:47

Hallo Last,

ja, bin ich mir ganz sicher?
Nein, nicht mehr ganz. Weil ich nach den Erklärungen schon verstehe, warum die letzten zwei Zeilen Dir wichtig sind, und das auch durchaus einen Sinn ergibt, den ich nachvollziehen kann. Andererseits gibt es immer noch die Leseart für mich, die ohne die letzten zwei Zeilen. Vermutlich sind es nicht ganz die selben Lesearten, nicht das selbe Gedicht. Und, wie Du ja schon ganz richtig gesagt hast, allen kann man es nicht recht machen und letztendlich solltest Du entscheiden, nicht eine Strichliste!

Xanthippe

Last

Beitragvon Last » 09.07.2008, 13:54

Hallo ihr alle,

schön, dass wir noch etwas tiefer in die Materie eindringen konnten. Es steht jetzt 3:3 in meiner kleinen Gegenüberstellung.
Momentan interessiere ich mich besonders für die Wirkung der ersten beiden Strophen. Ich vermute hierin die Ursache für die Uneinigkeit hinsichtlich der Schlussverse. Bin für jede (auch noch so zusammenhangslose) Kleinigkeit dankbar. ;)

Lieber Estragon,

die eigentliche arbeit an einem gedicht
ist nämlich das weglassen, deshalb heißt es gedicht,


Ja, das stimmt. Ich stimme zu.

das macht arbeit und ist manchmal sehr zerbürbend.


Und das stimmt noch viel mehr. ;)

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Liebe Sneaky,

ich bin auch sehr dafür, dass du die beiden letzten Zeilen behältst, allerdings gefällt mir das "zählen" nicht. Das ist doch mehr ein Moment auf den man lauert, die richtige Sekunde für den Absprung. Die ist aber nicht zählbar, sondern ein Bauchgefühl. Von daher "lauere ich / halte mich bereit auf den Sprung, den Moment"


Ich verstehe schon, was du meinst. Ich halte es aber für einen Moment, der in der Ansage lebt. Der das Werden auf das eigentliche Sein projiziert.
Wenn ich die beiden Zeilen behalte, dann auf jeden Fall mit "abzählen". Habe ich schon erwähnt, dass ich das für ein schönes Motiv halte?

Bei der Zeile "oben halte ich kurz an" frage ich mich, ob das zur Schaukel passt, das Gefühl kurz anzuhalten, wenn der Ruf kommt, halt dich fest, ist sehr eindrücklich vermittelt, aber tatsächlich kann Lyrich nicht anhalten.


Naja, zumindest physikalisch ist's korrekt. Wenn die Schaukel ganz oben ist ist die Bewegungsenergie gleich Null. Natürlich kann lyr. Ich nicht anhalten. Tut es auch nicht.

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Liebe Trixie,

Eine Strichliste?? Solltest du das nicht lieber nach dem Gefühl entscheiden und nicht nach dem Kopf ?


Ich habe ein gefühl für Zahlen *g*

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Liebe Xanthippe,

Andererseits gibt es immer noch die Leseart für mich, die ohne die letzten zwei Zeilen. Vermutlich sind es nicht ganz die selben Lesearten, nicht das selbe Gedicht.


Gerade deshalb lohnt es sich überhaupt sich mit der Streichung auseinander zu setzen. Wenn es das gleiche Gedicht bliebe, warum sollte ich dann an den Versen festhalten?
Sie sind ja eben nicht unnötig. Sie tragen Bedeutung. Die Fragen sind: Funktioniert diese Entwicklung des Gedichtes?
Ist das kurze vielleicht für sich stimmiger? Kann ich auf meine Intention zu Gunsten dieser Stimmigkeit verzichten?

Und, wie Du ja schon ganz richtig gesagt hast, allen kann man es nicht recht machen und letztendlich solltest Du entscheiden, nicht eine Strichliste!


Natürlich entscheide ich. Die Strichliste hat nur die Aufgabe mir den Diskussionsstand vor Augen zu halten. (Sagt nicht die Wirkung eines Gedichtes viel mehr über seinen Charakter aus, als die Intention des Autors?)

LG
Last

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Beitragvon Xanthippe » 09.07.2008, 16:52

Hallo Last,

finde ich gut, wie hartnäckig Du nachfragst. Also bin ich noch einmal in mich gegangen und habe einen Grund für mich gefunden, warum ich das Gedicht bevorzuge, dass vor den zwei letzten Zeilen abbricht. bis zu dem Punkt, wo ich abbrechen würde, spielt das Gedicht auf der Gefühlsebene, ist nachfühlbar, aber dann kommt der Verstand ins Spiel (obwohl vorher natürlich die Stimme der Mutter als besorgte Warnerin, das rein kindliche Empfinden auch schon unterbricht, aber sie bleibt im Bild, so weit, für mein Empfinden zumindest). Es wird abgezählt und eine kalkulierte Entscheidung wird getroffen.
Das ist ein Bruch (und als solcher sicher auch von Dir intendiert), allerdings einer, der für mich das Bild sprengt.
viele Grüße
xanthippe

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 09.07.2008, 19:33

Hallo Last,

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass du auch den Titel nicht so ansprechend findest. Ich teile da deine Meinung. Es nimmt mir etwas zu viel vorweg. Leider hatte ich keine bessere Idee und habe mich deshalb mit der Begründung angefreundet, der Leser solle ruhig schon wissen, wohin es lyr. Ich drängt.

Das ist eine schöne Begründung, aber ich glaube, dieses Gedicht hat trotzdem einen anderen Titel verdient. :-) Vielleicht kommt ja noch ein Geistesblitz.

Hallo Elke,

du schreibst, das Abzählen wäre ein Bruch, weil es das kindliche Empfinden unterbricht und der Verstand ins Spiel kommt. Das Abzählen, Auszählen, sich Mut zusprechen, einen Anstoß geben, ist aber doch zutiefst im kindlichen Entdecken, Erfahren, Erleben verwurzelt. Kinder leben das zeitweise sehr intensiv aus, deshalb gibt es ja auch Unmengen an Abzählreimen, und dass es bei 3 losgeht, weiß Jeder. Der hier gewählte, erschaffene Spruch von Last ist natürlich inhaltlich "erwachsen", aber dieses ist ja bereits in der ersten Strophe angelegt, und erscheint mir daher im Kontext wunderbar getroffen. Daher verstehe ich deinen Einwand nicht.

liebe Grüße smile

Estragon

Beitragvon Estragon » 09.07.2008, 20:14

Ich hab das Gedicht nochmal gelesen und es ist zauberhaft,
weil oben die Mutter steht und ich lese dass dort oben die tote
Mutter steht und der Schaukelnden zuruft "halt Dich gut fest,
dass du nicht fällst."
Würde sie unten stehen die Mutter wäre es banal, aber sie steht oben
und das macht das Gedicht wertvoll

Last

Beitragvon Last » 10.07.2008, 07:11

Hallo ihr drei,

super, dass ihr euch nochmal meldet. Ich gewinne langsam ein bild vor Augen, wie ihr alle meinen Text wahrnehmt (natürlixch jeder anders^^).

Liebe Xanthippe,
liebe Smile,

dass der verstand "ins Spiel" kommt kann ich hier wohl nicht verhindern. Ich persönlich empfinde zählen noch nichtmal als besonders unbildlich/ unlyrisch. Was diese Kritik angeht. Ich werde wohl mit ihr leben müssen und mich damit zufrieden geben, dass der Bruch wenigstens an einer halbwegs geeigneten Stelle geschieht.

Wenn mir noch ein tollerer Titel einfallen sollte, werde ich den natürlich präsentieren. Das Gedicht ist bald ein jährchen alt, vielleicht fällt mir ja zu seinem Geburtstag was ein.

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Lieber Estragon,

Ich hab das Gedicht nochmal gelesen und es ist zauberhaft,
weil oben die Mutter steht und ich lese dass dort oben die tote
Mutter steht und der Schaukelnden zuruft "halt Dich gut fest,
dass du nicht fällst."
Würde sie unten stehen die Mutter wäre es banal, aber sie steht oben
und das macht das Gedicht wertvoll


Jetzt war ich erstmal baff (und bin es noch).

Nach der ersten Nacht darüber schlafen scheint es mir aber auch so noch mit den letzten beiden Versen aufzugehen, wobei diese aber nicht mehr als Quintessenzen des Textes angesehen würden. Das Gedicht würde nicht mehr dahin laufen, sondern sie würden vom Gedicht weg laufen. :confused:

LG
Last


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