Für Thomas Bernhard

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Estragon

Beitragvon Estragon » 12.07.2008, 13:35



ich mag keine gräber
ich habe gräber immer
gehasst

sie spielen keine rolle
wenn du brot kaufst
sie nehmen dich auch
nicht mit wenn es irgendwo
eine gewinnausschüttung gibt

und bei dem treffen mit
einer frau sitzen sie
nicht neben dir
und geben dir
gute ratschläge

wenn man sie berührt
hat man kein leben in der hand
man hat dieses gefühl eines betruges
und man bekommt es nicht mehr ab

ich mag keine gräber
ich sitze lieber dazwischen
zwischen den orten
und den friedhöfen

die friedhöfe mag ich
weil sie alles einfangen
was sie mal umfangen hat

aber gräber kann ich
nicht leiden
es ist
als würde man jemand verlassen
und alles was bleibt
wer nur ein name....



Zuletzt geändert von Estragon am 13.07.2008, 13:09, insgesamt 4-mal geändert.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 12.07.2008, 13:38

Ich war ja fast schon auf Entzug, weil Du so lange nichts neues mehr eingestellt hast ;-)
aber das Warten hat sich gelohnt!
Ich würde nicht ein Wort streichen wollen.
Aber noch oft lesen, das Ganze.

Caty

Beitragvon Caty » 13.07.2008, 09:53

Estragon, der einzige Bezug in diesem Gedicht zu Thomas Bernhard ist, dass er tot ist. Dann könntest du das Gedicht auch gleich Goethe widmen (der war der Größte, liegt aber im Sarkophag, den dieser versoffene Blaubütige sich als Privatbesitz unter die Kralle reißen wollte. Sachen gibts).
Ich würde tatsächlich noch einen Vers zu Thomas Bernhard einbauen, damit Inhalt und Titel übereinstimmen. Liebe Grüße, Caty

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.07.2008, 10:34

Estragon, der einzige Bezug in diesem Gedicht zu Thomas Bernhard ist, dass er tot ist.


:smile:

Na, das ist ja schon mal ´was.

Mm...ich weiß immer nicht recht, was ich mit solchen Widmungen anfangen soll. Ich mag sie gern, wenn sich die Dichter kannten... So wie bei Lasker-Schüler, die ein Gedicht an Trakl schrieb... Da fühle ich dann den Kummer, den Menschen und das Echte aus den Zeilen heraus.

Aber ich glaube wenn man "einfach so" ein Gedicht für seinen verstorbenen Lieblingsdichter verfassen will, läuft man immer Gefahr zu oberflächlich mit der Person umzugehen, weil man sie eben nicht kannte - und es ist ja schon schwierig genug einen Bekannten zu kennen :smile: -

Ich finde auch man liest das aus den Zeilen, dass es da keine wirkliche Beziehung zwischen Dichter und Verstorbenem gab. Das bemerkte Caty ja schon.

Mir würde ja schon reichen, wenn einmal konkret die Rede von Bernhards Grabstein wäre. Wie sieht er denn aus? Was wächst denn da? Wie steht das mit ihm in Verbindung?

Nichtsdestotrotz ist das Gedicht schön zu lesen. Es ist ja wie eine "Erklärung über Grabsteine" :smile: ...

"ich mag keine gräber
ich habe gräber immer
gehasst"

Ein bisschen gedoppelt, glaube ich.

"sie spielen keine rolle
wenn du brot kaufst
sie nehmen dich auch
nicht mit wenn es irgendwo
eine gewinnausschüttung gibt"

Die Strophe mochte ich sehr, weil es diese zwei Welten Tod und Leben schön nebeneinander stellt.

"und bei dem treffen mit
einer frau sitzen sie
nicht neben dir
und geben dir
gute ratschläge"

Mm...das fand ich schon wieder ein bisschen zu allgemein... Aber kann ja nicht jede Strophe so fein sein wie die davor.

"wenn man sie berührt
hat man kein leben in der hand
man hat dieses gefühl eines betruges
und man bekommt es nicht mehr ab"

Vielleicht könnte man "hat man kein leben in der hand" streichen, weil das schon sehr offensichtlich ist. Sonst wieder ganz interessant.

"ich mag keine gräber
ich sitze lieber dazwischen
zwischen den orten
und den friedhöfen"

Etwas genauer? Dieses "Sitzen" gefällt mir.

"die friedhöfe mag ich
weil sie alles einfangen
was sie mal umfangen hat"

Gut. Kein Beispiel :sad: ?

"aber gräber kann ich
nicht leiden"

Muss man das wirklich vier Mal wiederholen :smile: ?

"es ist
als würde man jemand verlassen
und alles was bleibt
wer nur ein name...."

Das ist -vermute ich- ein gebräuchlicher Gedanke, dass nur der Name stehen bleibt. Ich fand diesen "Betrug der Grabsteine" eigentlich viel origineller und würde es auch vielleicht damit enden lassen.

Sonst gern gelesen.

Schönen Sonntag!
l

Estragon

Beitragvon Estragon » 13.07.2008, 10:54

Aber wenn man den Bernhard doch gerade liest und sich von ihm inspiriert fühlt und man muss doch nicht bei jedem Gedicht draufgestossen werden, so nach dem Motto, "sehr geehrter Herr Leser, ich kleiner Dichter möchte dem großen Thomas Bernhard (der mir viel näher ist als Goethe, wäre Goethe mir näher hätte ich es Goethe genannt und dann wäre es ein ganz anderes Gedicht geworden) gerne ein Gedicht widmen (übrigens nicht das erste)...
Es geht doch um das was ein Text mit einem macht und das Theater Stück "Claus Peymann kauft eine Hose und geht mit mir essen" hat mich eben zu diesen Worten inspiriert.
Ob es allerdings die richtigen Wörter sind, das muss ich tatsächlich noch einmal beäugen.

Max

Beitragvon Max » 13.07.2008, 11:41

Lieber Estragon,

ich verstehe, dass Du Thomas Bernhard ein gedcith widmen magst und verstehe auch, dass einen so ein Gefühl anwandeln mag - und, so denke, dann soll man ein Gedicht schreiben, dass Thomas Bernhard gewidmet ist ;-).

Aber ich verstehe auch Catys Einwand sehr gut. Nichts an dem Gedicht außer der Überschrift erinnert (mich) an Thomas Bernhard (ich muss sagen, ich kenne nur einige Theaterstücke und Prosa von ihm, hat er auch Lyrik geschrieben? - vielleicht gibt es da ja Ähnlichkeiten, die mir aufgrund meiner Unkenntnis verborgen bleiben). Auch dass Dir Bernhard näher ist als Goethe ließe sich nur vermuten. Ich mag das Gedicht allerdings als ein Gedicht über Gräber - eventuell verpasst Du ihm einfach eine andere Überschrift?

Liebe Grüße
Max

Estragon

Beitragvon Estragon » 13.07.2008, 11:59

Nein, da bin ich stur...:-) wirklich...

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.07.2008, 12:37

Das Peymann-Stück mag ich auch gerne... Aber wäre es nicht möglich, dass du wenigstens so einen mini-Bezug herstellst, indem du irgendeine Eigenheit von Bernhard oder nur das Wort "Öööö-stereich" einbringst?

Es ist so einfach sehr unpersönlich. Das ist alles, was mir missfiel. Aber auch unpersönliche Gedichte haben ja ihre Stärke.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 13.07.2008, 12:50

Ich misch mich jetzt noch mal ein, weil ich das Thema so spannend finde, obwohl ich gerade merke, dass ich gar nicht richtig ausdrücken kann, was an dem Thema, also wie es genau benennen.
Aber mal der Reihe nach, ich finde ganz im Gegensatz zu Louisa, dass die Wiederholungen genau das sind, wovon dieses Gedicht lebt, und dass sie durchaus auch ein Bezug zu Bernhard sind.
Max, der Bernhard hat auch Lyrik geschrieben, aber selbst wenn er das nicht getan hätte, könnte man ihm ein Gedicht widmen, oder?
Entschuldige Estragon, dass ich mich hier so einmische.
Was für mich auch so eine Frage ist, die immer wieder auftaucht, ist die inwiefern man das kenntlich machen sollte, wie andere Schriftsteller, Künstler usw. einen beeinflussen und wie deutlich das ist.
Na ja, auch wenn das vermutlich streng genommen nicht mehr hier her gehört, noch ein Zitat aus Novalis Blütenstaub - Fragmenten zum Abschluss:
"Der wahre Leser muß der erweiterte Autor sein. Er ist die höhste Instanz, die die Sache von der niedern schon vorgearbeitet erhält. Das Gefühl vermittelst dessen der Autor die Materialien seiner Schrift geschieden hat, scheidet beim Lesen wieder das Rohe und das Gebildete des Buchs - und wenn der Leser das Buch nach seiner Idee bearbeiten würde, so würde ein zweiter Leser noch mehr läutern, und so wird dadurch, dass die bearbeitete Masse immer wieder in frischtätige Gefäße kommt, die Masse endlich wesentlicher Bestandteil - Glied wirksamen Geistes."

Max

Beitragvon Max » 13.07.2008, 14:06

Max, der Bernhard hat auch Lyrik geschrieben, aber selbst wenn er das nicht getan hätte, könnte man ihm ein Gedicht widmen, oder?


Liebe Xanti,

das ist ja auch nicht mein Punkt. Das Gedicht hat für mich so augenfällig nichts mit Bernhard zu tun, dass ich mich gefragt habe, ob es vielleicht mir verborgene Seiten von Bernhard gibt, auf die es Bezug nimmt. Ich bin icht der Meinung, dass man alles kenntlich machen soll (oder kann),was einen beeinflusst, wenn man aber einen Text für einen Literaten schreibt, so scheint mir die Frage des Bezugs zumindest nicht unangebracht - sonst ist es halt eher vonder Art "Ich backe Dir einen Apfelkuchen"

Liebe Grüße
Max

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.07.2008, 14:10

Mm....ich weiß nicht, ob die Frage lautet: Inwiefern ist es der Einfluss eines Künstlers auf den anderen Künstler - ... sondern eher inwiefern ist es der Einfluss und die Beziehung des einen Menschen zum anderen... und darin ist dieses Gedicht insofern "stark", da es genau das erreicht, was verurteilt wird. Dieses Namenlose, das Anonyme Unlebendige der Grabsteine.

Genauso unlebendig und anonym erscheint mir dann auch die Trauer, wenn es keinen Bezug zum Menschen gibt. Eine "Wiederholung" kann für mich nicht wirklich als Bezug gelten....

Das Zitat von Novalis passt für mich eher in eine Deutschstunde... Ist denn das das Thema in diesem Gedicht? Der Einfluss von Bernhard auf mein Werk? Meine Fassung von Bernhards Ideen?

Oder geht es um den Menschen? Und wer ist das? Das fehlt mir noch immer und deshalb stört auch die Widmung, auch wenn sie noch so ehrlich und aufrichtig gemeint ist.

Liebe Grüße,
l

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 13.07.2008, 14:12

Lieber Max,

komisch, für mich hat das Gedicht augenfällig etwas mit Bernhard zu tun, wenn da einer über Gräber und seine Abneigung gegen Gräber redet, denke ich an Auslöschung und überhaupt ist das doch eines der Themen von Bernhard und auch den Ton, die Art der Auseinandersetzung finde ich von Bernhard inspiriert, und für Dich hat es augenfällig nichts mit Bernhard zu tun. Das fällt mir schwer nachzuvollziehen. Aber Apfelkuchen ist eine tolle Idee. Wer backt mir mal einen?

hungrige Grüße
xanthi

Louisa

Beitragvon Louisa » 13.07.2008, 14:14

Wenn von vier Kommentatoren drei meinen der Text erinnere nicht zwangsläufig an Bernhard, darf sich der Autor vielleicht selbst fragen, welcher Meinung er sich anschließt :daumen:

Ja, Apfelkuchen wäre angebracht.

Estragon

Beitragvon Estragon » 13.07.2008, 14:15

Na ja Max, ich hab es geschrieben und dann hat es sehr wohl etwas mit Thomas Bernhard zu tun, wenn es nämlich so ist, das alles was wir schreiben vor uns stehen muss und zwar wirklich vor uns steht und uns nicht vorstellen dürfen, das Thomas Bernhard da steht, vielleicht hinter mir, vor mir oder wasweiß ich wo, dann ist das sozusagen das Ende jeden Gedichts.
Das eben ist es ja gerade was den Schreibenden ausmacht dass er alles darf und wenn das Gedicht
Thomas Bernhard heißt so ist es nichts beliebiges, ich habe es vorhin mit einem anderen Titel probiert und das geht nicht, das Gedicht heißt Thomas Berndhard und es hat etwas zu tun mit meinem Thomas Bernhard und der ist beileibe nicht tot


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