giorgio

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 14.08.2008, 23:55

giorgio


diese grappa geht auf dich
feiner mann

deine maria hatte von mir
noch nen single-malt bekommen
15 years old, islay
aus vorgewärmtem glas

als du schon an den schläuchen hingst
und gift wolltest
und ich ihre tränen sah
hinter den augen

ich hätte dieses arschloch erschlagen sollen
als sein handy klingelte
und er in aller ruhe telefonierte
während deiner letzten feier

und die pisser vom kegelklub
die draußen kicherten
als der pfarrer fertig war und ich noch weinte
kannst du auch vergessen

wir sehen uns, bunte-farben-maler
riposa in pace



*Strophe 4/5 geändert nach Bilbo
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 16.08.2008, 10:55, insgesamt 3-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 15.08.2008, 00:20

Klingt sehr persönlich. Sehr real. Nach Freund verloren.
Deswegen aber nicht unbedingt nachvollziehbar für Außenstehende. Besonders der Vers mit dem Handy-Arschloch. Trotzdem schön.

Ist Grappa feminin?

Lieben Gruß
Henkki

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.08.2008, 00:27

Grappa ist feminin. Weiß nur keiner. Und sagt auch keiner. Stimmt trotzdem.

Er sagte immer: "Willst du noch eine Grappa?"

Du kennst die Leute, deren Handy im Theater klingelt. Das sind schon Arschlöcher.

Aber bei einer Totenmesse?

Und es dann nichtmal diskret ausschalten, sondern wirklich telefonieren? Während der Pfarrer sich Mühe gibt, nicht katholisch zu wirken? Gehts noch pietätsloser?

Und niemand hat sich echauffiert?

Dreckiges Heuchlerpack!

Alle kennen den Mann seit 40 Jahren, und kichern draußen?

Da kommt mir echt alles hoch.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 15.08.2008, 00:34

Ich verstehe Dich sehr gut.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.08.2008, 00:39

magst du es lesen?
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 15.08.2008, 09:12

Hi Tom,

sehr dicht. Guter Text. Mehr sollte man vielleicht nicht sagen.

Liebe Grüße
Max

Nicole

Beitragvon Nicole » 15.08.2008, 09:41

Lieber Tom,

pur, dicht, gelungen. Persönlich, ja, aber genau richtig geschrieben, Du nimmst mich mit.

Die letzte Strophe ist perfekt. Gut, warm.

Nicole

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noel
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Beitragvon noel » 15.08.2008, 12:01

ich finde hier die persönliche note perfekt
nicht aufdringlich, sondern eindringlich, gerade
durch die umgangssprache

chapeau
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.08.2008, 13:06

Ich danke Euch.

Die Knappheit Eurer Kommentare spricht Bände.

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 15.08.2008, 19:59

Hallo Tom,

es ist persönlich, echt, ergreifend. Ob es ein Gedicht trägt, darüber hinaus, weiß ich nicht. Es scheint mir dafür noch zu dicht dran, zu betroffen, vielleicht zu mitteilsam, wütend. Also wenn ich jetzt diesen persönlichen Aspekt, der eigentlich eine Kritik verbietet mal (wieder) ignoriere, dann erscheinen mir die Zeilenumbrüche sehr unmotiviert und ich frage mich, warum ist das kein Prosatext, oder warum nicht zumindest weiter gefasst, wäre es dann am erzählen nicht näher dran, würde weniger die Verarbeitung behaupten?

giorgio

diese grappa geht auf dich feiner mann. deine maria hatte von mir noch nen single-malt bekommen, 15 years old, highland, aus vorgewärmtem glas, als du schon an den schläuchen hingst und gift wolltest und ich ihre tränen sah.
hinter den augen

ich hätte dieses arschloch erschlagen sollen, als sein handy klingelte und er in aller ruhe telefonierte

aber ein toter hat mir gereicht
während deiner feier, deiner letzten

das würde ich ganz streichen, ich glaube man versteht auch so. Und es ist mir eine Spur zu nah am Kichern der Kegelbrüder, was ja auch meist nichts als eine Unbeholfenheit, Unsicherheit, Überspielung ist. Ich fände allerdings an dieser Stelle eine Atempause (eventuell über ein Pausezeichen oder einen einzelstehenden Punkt am Anfang einer Leerzeile) für mich wichtig. Eine Leere, ein Schweigemoment, das täte dem Text aus meiner Sicht gut, dann wäre die Wut nämlich nicht nur nach außen, Personengerichtet, sondern würde auch Raum lassen für die Ohnmacht und die Trauer, der Sprachlosigkeit, über die man sich hinwegwüten will.

und die pisser vom kegelklub, die draußen kicherten, als der pfarrer fertig war und ich noch weinte
kannst du auch vergessen

wir sehen uns, bunte-farben-maler
riposa in pace

die letzten zwei Zeilen sind wunderbar ungekünstelt, freundschaftlich

liebe Grüße smile

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 15.08.2008, 20:09

Hi smile,

vielen Dank für diese tolle Rezension.

Du gibst mir einiges an Futter, über das sich nachzudenken lohnt.

Es ist eine ganz andere Art, das Geschehen zu beleuchten. Meine ist sicherlich sehr nah dran. Ich weiß noch nicht, was dem Text besser täte. Die Distanz baut sich immer erst nach dem Schreiben ab, egal, wie lange etwas her ist.

Die Lyrikform hat sich automatisch ergossen (wie meistens habe ich darüber nicht nachgedacht), und das Zeilenformat hat für mich persönlich einen sehr flüssigen Leserhythmus. In Prosaform wird es schon etwas anderes. Auch hier bin ich nicht sicher, ob ich die Form wechseln würde.

Ich schiebe mir deine Vorschläge jedenfalls mal tief unters Daunenkissen und melde mich wieder, falls sich was transportiert und in ein Bild umgewandelt haben sollte. Oder Besonnenheit eintraf :o)

Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 15.08.2008, 20:43

Lieber Tom!

Deine Stärke liegt unterhalb und oberhalb der Kissen und Bettdecken.

Habs gern gelesen.

Moshe

Max

Beitragvon Max » 15.08.2008, 23:14

Hi Tom.

bei Smile Kommentar fiel mir auf, dass ich tatsächlich

aber ein toter hat mir gereicht
während deiner feier, deiner letzten


auch nicht unbedingt vermissen würde, stünde es da nicht. (Wobe ich das "während deiner feier retten wollte")

Hast Du hier

deine maria hatte von mir
noch nen single-malt bekommen
15 years old, highland
aus vorgewärmtem glas



mal

deine maria bekam
noch nen single-malt von mir
15 years old, highland
aus vorgewärmtem glas


versucht .. es soll ja zeitgleich sein zu

als du schon an den schläuchen hingst
und gift wolltest


Liebe Grüße
Max

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.08.2008, 08:36

Hi Moshe,

sei bedankt für dieses Globallob. Wenn die Hände über der Bettdecke liegen, der Rest darunter, dann geht's ... :o)))

Maxelmann,

du triffst es mit

"... auch nicht unbedingt vermissen würde, stünde es da nicht. (Wobe ich das "während deiner feier retten wollte") "

ganz gut. Das ist die einzige Stelle, an der ich ein bisschen gebastelt habe, um die Gleichzeitigkeit (nicht: Zeitgleichheit) des Handyklingelns während der Totenfeier zu dokumentieren. Die Stelle scheint noch nicht gelungen, wie ja auch an Henkkis Nichtsofortverstehen zu sehen ist.
Ich werde da nochmal drangehen.

Deinen Vorschlag (hatte bekommen/bekam) kann ich nicht ganz zuordnen, weil doch beides in der Vergangenheit liegt? Ist doch nur aktiv/passiv?

Viel schlimmer ist, dass ich 'Highland' schrob statt 'Islay' (Laphroaig ist eindeutig letzteres, keine Ahnung, wie ich auf 'Highland' kam),
und das kann ich jetzt sicher schon korrigieren. :o)

Das andere muss ich wie gesagt sacken lassen, da fällt mir ad hoc nix ein. Es ist aber gut, dass das Ding schonmal raus ist. Jetzt kann ich auch mal von außen draufgucken. Manchmal ist so ein Literaturforum gar nicht so schlecht :o)

Tom
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