Der Tod hat Angst vor kleinen Hunden

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 21.05.2006, 12:53

Thomas Milser
25/IV/2003


der tod hat angst vor kleinen hunden



der tod betritt auf socken das theater
der tod hat speichelreste im mundwinkel
der tod ist gelb

der tod ist ein leichnam in einem sack in einem sarg in einem feuer in einer urne in der erde der erinnerung
an etwas ganz anderes

der tod ist atheist
der tod ist ganz entspannt

der tod ist der zuckerlöffel im absinth
der tod grinst, fährt schwarz
und sagt alles nur einmal

halte dich gut mit ihm:
er ist dein wahrer freund

der tod ist
deine mutter
in einem weißen plastikmüllsack

der tod ist die späte liebe

der tod hat schuppen auf dem zweireiher
und spielt kreischende obertöne
auf der elektrischen gitarre

der tod hat angst vor kleinen hunden
und wechselt die straßenseite

und was kaum jemand weiß:
der tod hat einen ungeheuren
linken bumms

manchmal ist der tod
einfach nur noch müde

aber auf jeden fall
kocht er auch nur mit wasser

Gast

Beitragvon Gast » 21.05.2006, 23:42

Das ist auf Wirkung bedacht und leider dadurch nicht authentisch, wie ich meine, es bereitet mir Unbehagen beim Lesen... sorry
Nein ich kann nichts zur Form sagen... Tom, ausnahmsweise mal nicht.

Abendgrüße
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 26.05.2006, 12:09

Hallo tom,
ich kann mich Gerda leider nur anschließen. Das hat für mich viel zu wenig Gefühl. Der Tod ist so etwas Furchtbares und eigentlich das Schrecklichste, was es auf dieser Welt gibt.

Du hast recht, der Tod ist hässlich (wobei es auch immer darauf ankommt, wen man sterben sieht. Als ich fremde Menschen gesehen habe, die mit dem Tod kämpften, hat es mich schockiert, man weiß gar nicht wie ein menschlicher Körper verwesen kann. Aber als ich mir nahe stehende Personen in der selben Situation sah, empfand ich überhaupt kein Ekelgefühl oder Ähnliches).
Aber manche Stellen ergebn für mich überhaupt keinen Sinn und das hier:

halte dich gut mit ihm:
er ist dein wahrer freund


Stimmt einfach nicht. Der Tod ist ein Schwein und ich werde mich niemals mit ihm anfreunden.

Oder das hier:

der tod ist
deine mutter
in einem weißen plastikmüllsack


-Man muss schon eine extrem schlechte Beziehung zu seiner Mutter haben, um so etwas schreiben zu können. Außerdem bezweifle ich, dass man in diesem Lande in einen Müllsack geworfen wird.

Das hier:

der tod grinst, fährt schwarz
und sagt alles nur einmal


ist schon etwas besser.

Ich würde mir ein paar tiefgründigere Gedanken über dieses thema machen und nicht einfach nur eindrucksvolle Bildketten aneinander reihen.

Ich habe schon viel Besseres von Dir gelesen.

LG, louisa

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 26.05.2006, 13:55

Hallo Thomas, hallo ihr Salondamen,

der Tod ist mir schon oft begegnet, in meinem kurzen Leben. Ich finde, dass er hier sehr ordentlich dargestellt wurde.

Besonders gefällt mir das Spiel mit der Form. Die Zeilen, die ihres Bedeutungsüberschusses wegen aus der Norm fallen.

Viele Bilder gehen extrem tief. Ich glaube auch nicht, dass das Bild mit der Mutter etwas über eine tatsächliche Beziehung aussagt. Es beschreibt vielmehr die in unserer Gesellschaft übliche Ausgrenzung und Trivialität des Todes. Ich erinnere mich zum Beispiel noch gut an einen Krankenpfleger, der sagte: "Ach, Frau X ist tot! Dann kann ich ja ihr Mittagessen haben."

Meine Erfahrung war übrigens, dass der Körper nach dem Tode des Menschen etwas irreales hat. Nichts mehr von der Person. Oft hatte ich das Gefühl, es handelt sich bei dem Leichnam um eine Art schwarzes Loch. Da ist weniger im Raum als eine zweite Person. Das ist schwierig zu beschreiben. Aber deshalb sollte man unangenehme Bilder wie das von Thomas hier nicht tabuieren.

Grüße

Paul Ost

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 26.05.2006, 15:03

Hi und danke für Eure Kommentare.

Louisa: Wenn der Tod für dich ein Schwein ist, was ist denn das Leben? Gehört da nicht irgendwas zusammen? Vielleicht ist die Krankheit ein Schwein, aber nicht die Erlösung davon! Es mag Fälle geben, wo der Tod tragisch ist, weil er überraschend kommt, weil man nicht Abschied nehmen kann. Ist immer die Frage, wie man lebt. Das ist aber Philosophie.

Dieser Text entstand wenige Tage, nachdem meine Mutter (weit vor der Zeit) gestorben war. Ich habe sie gemeinsam mit meinem Vater Tag und Nacht über Wochen hinweg in den Tod begleitet (vgl. 'Schlaf ein'). Ich habe meine Mutter sehr geliebt. Am Sterbebett zuhause hatte ich genügend Zeit, den nahenden Tod zu empfangen, weil es absehbar war. Und wenn ein Mensch so leidet, dann ist der Tod auf einmal etwas sehr Natürliches, gar Menschliches, man sehnt ihn fast herbei. Und dann ist er auf einmal nicht mehr schrecklich. Als ich Mutter die Augen schloss, war alles gut.

Das Schlimmste waren die Jungs vom Bestattungsunternehmen. Die haben meine Mutter, die nichts Ansteckendes hatte, in einen weißen Müllsack mit Reißverschluss gepackt. Das war das einzig wirklich Schreckliche an dem ganzen Hergang. das Knistern der Folie und das Geräusch des Reißverschlusses werde ich nie vergessen. Absolut pietätlos. Ich habe es mitangesehen, mein Vater musste raus in den Garten laufen.

Tiefgründigere Bilder habe ich nicht, und ich habe nur meine Eindrücke aneinandergereiht. Man muss auch vielleicht mehr zwischen den Zeilen lesen, so wie Paul es getan hat.

Und Louisa: Ich würde an deiner Stelle vielleicht etwas feinfühliger Kommentare verstreuen, wenn ich nicht weiß, ob die kritisierten Texte authentisch sind (meine sind es), und wenn ich mir bei einigen Dingen nicht sicher bin (Müllsack, Verhältnis zu meiner Mutter). Vielleicht liest du mit dieser Erkenntnis den Text nochmal? Würde mich freuen.


Gruß, Tom.

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Beitragvon leonie » 26.05.2006, 15:41

Hallo zusammen,
manche der Bilder in dem Gedicht wecken sofort Assoziationen in mir, andere regen zum Nachdenken an. Deshalb gefällt der Text mir.
Zum Plastikmüllsack: Ich habe einmal mit Angehörigen gesprochen, die einen im Krankenhaus Verstorbenen noch einmal sehen wollten. Der Arzt hat sie nach unten in den Keller geführt, das Kühlfach aufgemacht, die Schublade herausgezogen, auf der (nur!) in Plastik verpackt, der Angehörige lag. Das wünscht sich wohl keiner, am wenigsten, wenn es sich um die eigene Mutter handelt. Aber in vielen Krankenhäusern (und nicht nur da) sind Leichname in Deutschland mittlerweile offenbar etwas, was effektiv und schnell entsorgt werden muss.
Zum Thema, der Tod sei der wahre Freund:
Ich habe Menschen erlebt, die aus allen Wolken fielen, weil die 95-jährige kranke Angehörige „plötzlich und unerwartet“ starb, Menschen, die sich nicht voneinander verabschiedet haben, weil sie nicht akzeptieren konnten, dass der gemeinsame Weg zuende geht, andere, die Sterbenskranke mit Aufmunterungen („Kopf hoch, Unkraut vergeht nicht, nur die Harten kommen in den Garten,...) oder Vollstopfen gequält haben.
Fazit: Auch, wenn man den Tod nicht für einen Freund hält, ist es zumindest kein Fehler, sich mit der Tatsache der eigenen und der Sterblichkeit anderer Menschen auseinanderzusetzen. Es tut zwar weh, aber es vertieft das Leben auch.
Viele Grüße
Leonie

P.S. Thomas, Du bist mir ein bisschen zuvorgekommen, gerade habe ich Deinen Kommentar gelesen, es doppelt sich manches, aber ich denke, das macht nichts!

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 26.05.2006, 16:13

Hallo Leonie.

Nein, das macht nichts, das kann man gar nicht genug vertiefen.

Fazit: Auch, wenn man den Tod nicht für einen Freund hält, ist es zumindest kein Fehler, sich mit der Tatsache der eigenen und der Sterblichkeit anderer Menschen auseinanderzusetzen. Es tut zwar weh, aber es vertieft das Leben auch.

Deinen Sätzen kann ich nur zustimmen. Seit ich das erlebt habe, gehe ich mit jedem einzelnen Tag ganz anders um als vorher, und verhalte mich geliebten Menschen gegenüber auch anders. Man sollte sich immer alles sofort und offen sagen und auch alles sofort tun, denn man weiß nie, ob es ein anderes Mal noch dazu Gelegenheit geben wird. Und das ist gewiss keine pessimistische Einstellung, sondern eine sehr lebensbejahende. Das habe ich in der Jugend aber auch nicht so gesehen, das kam mit den Jahren. Hängt immer davon ab, wann und wie man 'Ihm' begegnet.

Gruß, Tom.

Louisa

Beitragvon Louisa » 26.05.2006, 18:46

Hallo Thomas,
ich hatte zwar das Gedicht "schlaf ein" gelesen, aber hier erschien mir die Formulierung einfach unwirklich. Mit entsetzen musste ich jetzt feststellen, dass es aber doch der Realität entspricht und das tut mir sehr leid.

Trotzdem habe ich aber mit einigen Stellen noch meine Probleme. Ich kann den tod einfach nicht als Freund oder späte Liebe ansehen. Das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht an jeder Straßenecke lauern sehe und gedankenlos in die Tage springe.

Vielleicht ist das zur Zeit auch kein Thema über das ich unbefangen sprechen kann.

Fassen wir zusammen: ich mag mehr die gefühlvollen Gedichte, was das Sterben betrifft. Das heißt nicht, dass solche Details (Plastiksack) ausgeblendet werden sollen, aber wenn der ganze Text so gehalten ist, wird es mir zu viel.

Ich entschuldige mich nochmals. Das hätte ich einfach nicht für möglich gehalten.

Liebe Grüße und alles Gute, louisa

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 26.05.2006, 18:51

Hallo Louisa,

kein Problem. Dass so ein Text hier und da was aufreißt, liegt in der Natur der Sache. Die 'späte Liebe' ist übrigens die, die sich zwischen Vater und Mutter entwickelte, als das Ende ihrer fast 50-jährigen Ehe nahte. So rührend habe ich meinen Vater vorher nie gesehen. Eine ganz neue Dimension der Verbundenheit. Auch das kann der Tod bewirken.

Ist aber auch ein heikles Thema, das muss ich zugeben. Las dir keine grauen Haare wachsen, gell?

Alles wieder gut, Tom. :knuddel:


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