Klage

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 24.05.2006, 15:14

klage

wehe mir
der ich höre in der früh
wehe mir
der ich sehe bei tag

naht die nacht
beneide ich die tauben
preise glücklich die blinden

Gast

Beitragvon Gast » 25.05.2006, 00:59

in Sprache und Inhalt, sehr biblisch, lieber Herby, hört sich fast an, wie aus einem Psalm...
Wenn das deine Absicht war, dann ist es dir gelungen.

(Du kennst mich, glaube ich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass dieses Gedicht nicht dem entspricht, was ich unter Gegenwartslyrik verstehe. ich bevorzuge eine andere Sprache)

Liebe Grüße und gute Nacht
Gerda

Herby

Beitragvon Herby » 25.05.2006, 14:10

Liebe Gerda,

danke fürs Lesen und Kommentieren! Ich stimme dir zu, dass mein Text wohl tatsächlich von seiner Sprachgebung her nicht zur Gegenwartslyrik zu zählen ist. Aber manchmal schreibe ich halt auch gerne gegen den mainstream an, weil es mir einfach Spaß macht, mich auch anderer Sprache zu bedienen. Dabei nehme ich dann in Kauf, dass vermutlich viele nichts damit anfangen können. ;-)

Feiertägliche Grüße
Herby

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.05.2006, 15:53

Lieber Herby,

mir gefällt das gut, ich kann mich auch gut inhaltlich darin wiederfinden. Ich finde auch, man kann getrost alte Gattungen wie die des biblischen (Klage)psalms aufleben lassen. Es bereichert die Landschaft!

Liebe Grüße

leonie

Herby

Beitragvon Herby » 25.05.2006, 21:54

Liebe Leonie,

deine positive Rückmeldung hat mich sehr gefreut, danke dir! O:)


LG Herby

hwg

Beitragvon hwg » 26.05.2006, 08:00

Guten Morgen Herby!

Die Intention Deines Poems ist mir wohl klar. Ein Beneiden der Tauben und ein Glücklichpreisen der Blinden würde mir nie über die Tasten kommen. Wahrscheinlich bin ich da etwas abergläubisch. Übrigens denke ich: Alles was heute geschrieben wird ist Gegenwartslyrik. Das "Kastldenken" soll den Wissenschaftern überlassen bleiben... :grin:

carl
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Beitragvon carl » 26.05.2006, 10:08

Hallo Herby,

die Haltung des alttestamentlichen Propheten kommt gut rüber!
Find ich klasse!
deshalb (wegen des Doppelsinns) als Vorschlag:
"der ich höre früh"
kann ggf. durch
"denn ich höre tags"
parallelisiert werden (die altertümliche Sprache ist ja gewollt).
Zum Inhalt:
Die Rufer in der Wüste haben es nicht gerne getan. Sie haben es überhaupt nicht freiwillig getan!
Jona flieht vor diesem Job an den Rand der Welt, und als er per Walfisch nach Ninive expediert wird sagt er bloß 6 Worte.
Also: etweder stehst Du unter einem inneren Zwang, oder Du klopfst Sprüche.
Du trägst jedenfalls die Verantwortung, dass es keine Pose ist...

Mein Beileid, Carl

Herby

Beitragvon Herby » 27.05.2006, 14:06

Hallo Hans,

herzlichen Dank für dein Lesen und deine Antwort.
Abergläubisch bin ich zum Glück nicht ;-)

Hi carl,

auch dir danke ich sehr für deine Rückmeldung. Deine Ausführungen zum Inhalt meines Textes haben mich nachdenklich gemacht. Ich will mal versuchen, dir in etwas ungeordneter Reihenfolge darauf zu antworten und beginne mit deinem Schlusswunsch:

Mein Beileid

Diese Formulierung kenne ich nur in Verbindung mit dem Tod eines nahe stehenden Menschen, was bei mir Gott sei Dank nicht der Fall ist!

Dann schreibst du:

Du trägst jedenfalls die Verantwortung, dass es keine Pose ist...

Ich trage die Verantwortung für jeden einzelnen Buchstaben, den ich hier im Forum schreibe, und sei dir sicher, dass ich mir dessen sehr bewusst bin. Und was Posen angeht, die liegen mir nicht! Außerdem ist mir dafür auch der Austausch hier im Salon zu wichtig!

Weiter schreibst du:

Also: etweder stehst Du unter einem inneren Zwang, oder Du klopfst Sprüche.

Vielleicht ist es hilfreich, wenn ich dir kurz etwas zur Entstehungsgeschichte meines Textes sage. Sie ist eine lange und erstreckt sich mit ebenso langen Pausen über Jahre. Auslöser waren damals die Anschläge am 11. September 2001 und die Tage und Wochen danach. Ich suchte nach einem Ventil und machte mir erste Notizen. Zu jener Zeit schrieb ich noch keine Gedichte, also schrieb ich mir nur einzelne Begriffe und Gedanken auf. Dabei blieb es zunächst einmal. Dann begann der Irakkrieg und mir fielen meine Notizen wieder ein, die ich heraus kramte und weiter bearbeitete. Es entstand eine Art Essay, mit dem ich aber nicht zufrieden war. Nachdem ich dann begonnen hatte, auch Gedichte zu schreiben, nahm ich mir meinen Prosatext wieder vor und versuchte ihn und meine Gedanken in eine lyrische Form zu bringen. Auch diese letzte Phase war von langen Pausen unterbrochen und endete dann schließlich in dem Text, wie du ihn gelesen hast.

Du sprichst von einem inneren Zwang. Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was du meinst. Es klingt in meinen Ohren fast etwas pathologisch. Ich verarbeite in meinen Texten wie alle anderen auch Emotionen wie Freude, Liebe, Sehnsucht, Trauer oder auch Schmerz. Manche Ideen für Texte habe ich im Laufe der Zeit verworfen, manche in relativ kurzer Zeit umgesetzt. Und dann gibt es für mich die Kategorie der Ideen und Texte ( und das sind keineswegs nur solche mit nachdenklichem oder gar düsterem Tenor ), die mich auch über einen längeren Zeitraum und nach gedanklichen Unterbrechungen nicht loslassen, an denen ich arbeiten muss. Mein „ruf“ ist einer dieser Texte. Wenn du das also mit Zwang meinen solltest, dann hast du Recht. Aber ich vermute einmal, dass viele ( die meisten?) von uns Autoren hier im Salon ähnliche Befindlichkeiten in ihrem eigenen Schaffens- und Schreibprozess kennen.

Jedenfalls überlasse ich, um eben noch mal auf deinen oben zitierten Satz zurückzukommen, das Sprücheklopfen den Theken- und Stammtischmannschaften. Es liegt mir ebenso wenig wie Posen.
Und, lieber carl, für einen Rufer in der Wüste ist meine Stimme zu leise und unbedeutend.

Ach ja, es ist übrigens auch keineswegs so, dass ich nun an jedem Tag, den Gott werden lässt, mit einem dumpfen Klagelaut erwache, mir mittags die Haare raufe und mich abends mit einem resignierenden Wehlaut zur Ruhe lege. Ich habe zum Glück eine gehörige Portion Humor mit in die Wiege gelegt bekommen, der mir, neben gelegentlichen Seufzern, hilft, die Unzulänglichkeiten dieser Welt zu ertragen und sie im Rahmen meiner Möglichkeiten vielleicht ein klein wenig menschlicher zu machen! O:)

In diesem Sinne ein schönes Wochenende!

LG Herby

carl
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Beitragvon carl » 28.05.2006, 08:15

Hallo Herby,

"ruf" gefällt mir sehr gut, und in diesem Sinne meinte ich es, hier aber noch etwas drängender: dass einem was auf den Nägeln brennt.
In diesem Sinne ist "Beileid" auch falsch gewählt, also besser mein Mitgefühl. Jedenfalls dann, wenn der (innere) Ruf einen drängt, unangenehme Wahrheiten aussprechen zu müssen, die keiner hören will.
So hatte ich Deine "Klage" verstanden.

Liebe Grüße, Carl

Wortpirat

Beitragvon Wortpirat » 04.06.2006, 07:45

Ich mag diesen Text.
(Ehrlich!)
Gerade bezüglich des Zusammenhangs mit dem 11.9.
biblisch hin oder her. Das sollte gar nicht von Bedeutung sein.
Eines ist mir allerdings unklar.
Wie zum Henker (geht aus Deiner Antwort hervor...) willst Du Dir HAARE RAufen...(grübel..........................)
§bump§

Der Wortpirat hat gesprochen.


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