Vagabunden der Meere

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
derSibirier

Beitragvon derSibirier » 10.03.2010, 18:53

Vagabunden der Meere

Weit in der Ferne
da ist unser Meer.
Segel am Himmel,
Matrosen die singen.
Höret die Sehnsucht
ihrer Stimmen.

Verlorene Heimat,
wir segeln im Wind.
Gott vergib uns,
was wir sind.

Wellen die schäumen,
vom Ozean wir träumen.
Unser Fernweh nach dem Meer
und keine Wiederkehr.

Louisa

Beitragvon Louisa » 10.03.2010, 21:59

Hallo Sibirier!

Also...mir gefällt der leichte Klang deines Textes und dieses Welt-Abschüttelnde, Fernweh-Ideal der Matrosen ganz gut.

Aber manchmal habe ich den Eindruck die Bilder sind eher dem Klang oder dem Reim untergeordnet, als umgekehrt. Darüberhinaus hast du auch einen sehr festlichen Tonfall, den es doch gar nicht braucht. Es wirkt dafür für mich eher weniger authentisch - fast wie ein Schlager.

"Weit in der Ferne" - ist ein bisschen doppelt gemoppelt oder? Mir hätte es fast besser gefallen, wenn du gleich begonnen hättest mit:

"Da ist unser Meer
Segel am Himmel,
Matrosen die singen."

Das hat mir nämlich ganz gut gefallen. Es wirkt auch relativ natürlich - obwohl die "singenden Matrosen" mich schon fast wieder in die Schlager-Assoziation treiben.

"Höret die Sehnsucht
ihrer Stimmen"

- ist dann genau dieser festliche Tonfall, den ich persönlich eher vermeiden würde, weil das dem Gedicht so etwas Erhabenes, Bedeutungsschweres verleiht, was es aber eher schwächt als stärkt...

"Verlorene Heimat"

- bringt für mich wenig herüber, weil ich eher das Gefühl der Verlorenheit durch ein sprachliches Bild von dir nachfühlen würde, als das du das Gefühl einfach benennst. Selbst bei diesem bekannten Liedchen:

"Wir lagen vor Madagaskar/ und hatten die Pest an Bord / in den Kässeln da dampfte das Wasser / und täglich ging einer über Bord /...." usw.

Da spüre ich sofort eine ja noch ganz lustig getragene Einsamkeit oder "Verlorenheit" auf See - ich höre sogar die Matrosen singen! Das versetzt mich sofort in ihre Lage, dieses Lied - Aber niemals - oder so gut wie nie sagt jemand, dass es "einsam" wäre - oder "verloren" - oder spricht irgendein Gefühl aus...

Da gefällt mir das einfache:

"Wir segeln im Wind"

schon viel besser. Was allerdings:

"Gott vergib uns,
was wir sind."

da verloren hat, kann ich gar nicht nachvollziehen. Matrosen? Erbsünder? Menschen? - Ja, aber was sucht das denn in diesem Text? Da habe ich wieder den Eindruck der Reim war wichtiger als der Inhalt...

"Wellen die schäumen,
vom Ozean wir träumen (=> ist ein bisschen umständlich oder? Wieso nicht: "Vom Ozean träumen wir." Wobei ich auch nicht verstehe wieso die Matrosen, die doch schon segeln (Strophe 2) sich noch nach dem Ozean sehen?)

Unser Fernweh nach dem Meer
und keine Wiederkehr

Mmpf...das hat mich auch nicht ganz glücklich gemacht. Aber Interessant ist vielleicht der Wunsch nach einer Reise ohne Wiederkehr... Vielleicht ginge ja auch:

Wellen die schäumen,
vom Ozean her
unser Fernweh nach
keiner Wiederkehr

Das würde mich eher faszinieren.

So :smile: ... Ich kann dazu nur ganz allgemein sagen: Keine Angst vor reimlosen Gedichten! Keine Angst vor Alltagssprache! Keine Angst vor individuellen Bildern! Das ist nämlich am Schwierigsten....

Schönen Tag!
I.

Max

Beitragvon Max » 11.03.2010, 11:58

Lieber Sibirier,

das geht mir ähnlich wie Louisa.

Zudem such ich in dem Text nach einer weiteren Stimme, einer zweiten Ebene. Ich frage mich: Soll der Text wirklich das Leben auf See beschreiben? Wenn ja, was macht ihn dann anders als ein beliebiges Shanty? Wenn nein, was bedeutet er dann und woran kann ich das festmachen?

Liebe Grüße
Max

derSibirier

Beitragvon derSibirier » 11.03.2010, 16:48

hallo Louisa und Max

Mensch Louisa, ich bin beeindruckt wie du den Text zerlegt hast und ich gestehe, Gedichte schreiben ist nicht so mein Ding, aber das war mal eines, welches ich recht gelungen fand. Es ist ein altmodischer Schinken. Weißt du, ich mag die Zeit der Romantik, der Märchenerzähler, der Maler Caspar David Friedrich hat es mir besonders angetan und wenn ich seine Bilder betrachte, dann kommen mir eben solche tiefgehenden, schwülstige Gedanken. Ich wollte für dieses Gedicht einen Gesamteindruck und weiß nun, dass es so lala ist. Danke euch beiden.

derSibirier grüßt

PS. ich verbinde das Gedicht mit Sehnsucht, lieber Max.

Lydie

Beitragvon Lydie » 11.03.2010, 16:53

Hallo derSibirier,

"und ich gestehe, Gedichte schreiben ist nicht so mein Ding, aber das war mal eines, welches ich recht gelungen fand. Es ist ein altmodischer Schinken. Weißt du, ich mag die Zeit der Romantik, der Märchenerzähler, der Maler Caspar David Friedrich hat es mir besonders angetan"

Also, ehrlich, ich geriet bei deinem Gedicht geradezu mit dem Boot ins Schwanken, find's stimmig und angenehm unzeitgemäß, mitsamt Lied auf den Lippen und Rum in der Kehle und allem, bald kriechen bei mir Piraten aus dem Rechner, das war schon lang nicht der Fall, passen tut's auf jeden Fall zu deinem Pseudonym, eben so Osten und kalt und wild und rau, herzlich Willkommen im Salon, und Romantik, Märchenerzähler und Caspar David Friedrich, auf die steh ich auch, gerde Friedrich erst in der letzten Zeit so richtig entdeckt, herzlicher schäumender Gruß mit Fernweh ohne Wiederkehr,

Lydie

derSibirier

Beitragvon derSibirier » 11.03.2010, 17:05

das war sehr nett, Lydie.

derSibirier

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Eule
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Beitragvon Eule » 23.04.2010, 12:06

Schliesse mich an ... bin gern mitgeschunkelt ... manchmal sind es scheinbar einfache Strophen, die den scheinbar einfachsten, grössten Spass bringen ... und neue Gegenden entdecken, ist sicher nicht der geringste ... also nicht verzagen und vorzeitig abbrechen, es haben sich schon Fahrgäste gefunden ... :neutral: Viele Grüße !
Ein Klang zum Sprachspiel.


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