delfine

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 24.09.2010, 23:33

als trügen sie
in sich
eine möglichkeit
ein morgen

und könnten
balken überschwimmen
sich in horizonte fädeln
und springen dabei

eine rückenflosse, ach und
ich zerschnitte oberflächen
um parallele zu sein
an ihrer seite

doch
immer wieder
tauchen sie mir
davon


erstfassung:

immer noch
tragen sie in sich
eine möglichkeit
ein morgen

können sie doch
grenzen überschwimmen
sich in horizonte fädeln
und singen und lächeln dabei

immer noch
immer wieder
tauchen sie dir
davon

Niko

Beitragvon Niko » 25.09.2010, 00:18

hallo leonie,

ich liebe delfine! und somit hat das gedicht von dir schon vor dem lesen gewonnen. ich weiß nicht warum, aber mir würde "möglichkeiten" mehr passen als "eine möglichkeit.
den beginn der zweiten strofe finde ich im ausdruck umständlich. "weil sie .... können" oder ein einfaches "denn" oder eine aussage: "sie können grenzen überschwimmen" finde ich klarer und der "reinheit des themas" (ich hoffe, du verstehst, wie ich das meine", angemessener. "grenzen überschwimmen" - da gefällt mir das überschwimmen gut, die damit verbundenen grenzen finde ich so gesetzt zu plakativ.
die nächste zeile find ich absolut gut.
die letzte strofe ist für mich eine wendung des gedichts. daher fände ich ein "doch" am anfang sinnvoll. oder ähnliches.

immer noch
tragen sie möglichkeiten
in sich
ein morgen

sie überschwimmen
jede grenze
fädeln sich in horizonte
und singen und lächeln dabei

doch immer noch
immer wieder
tauchen sie dir
davon

so in der art.......- viel kleinkrams um ein von der substanz her gutes gedicht. delfine eben!!! :-)

liebe grüße: niko

Nifl
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Beitragvon Nifl » 25.09.2010, 08:10

Huhu Leo,

mich stört an dem Text die vermeintliche Allwissenheit des Erzählers. Da wird einem Wesen eine Attitüde aus Menschensicht übergestülpt. Sie überschwimmen Grenzen? Wer glaubt das wissen zu können? Sie singen und lächeln beim Horizontefädeln?
Was ist Horizontefädeln? Wieso Plural? Wo wird was reingefädelt?
Für mich ist der Titel gar nicht Delfine sondern Kinder. Dann ist er mir zwar immer noch zu zuckersüß, aber dann winke ich nicht gänzlich ab.

LG
Nifl
"Das bin ich. Ich bin Polygonum Polymorphum" (Wolfgang Oehme)

Max

Beitragvon Max » 25.09.2010, 11:08

Liebe Leonie,

meine erste Reaktion war "Oha, ein Delphingedicht". Ich will nicht behaupten, dass es unmöglich ist einen guten Delphintext zu schreiben, aber ein solcher hat mit den gleichen Vorurteilen zu kämpfen, wie ein Gedicht, das Herz auf Schmerz reimt oder Clownstränen besingt.

In meinen Augen kann mich das vorliegende Gedicht nicht davon überzeugen, dass wir dringend wieder mehr Delphingedichte brauchen. Zunächst einmal geht es ja in dem Text nicht um Delphine, sondern um das projizierte (und leider auch verkitschte) Bild, das wir uns von Delphinen machen - da bin ich mir einmal mit Nifl einig. Das hat wenig mit dem wirklichen Tier zu tun, was sich beispielsweise in dem Irrtum des lächelndes Delphins äußert. Auch davor macht das Gedicht mit

und singen und lächeln dabei



nicht Halt.
Als Gedicht über (reale) Meeressäuger hält der Text leider der Realität nicht stand (wenn man beispielsweise an den Delphinfang in den japanischen Buchten --> siehe auch der Film "Die Bucht" <-- denkt, bei dem die Delphine eben gerade nicht wegschwimmen).

Wenn es also ein Gedicht über unsere Hoffnungen ist, so würde ich vorschlagen als erstes einen Delphin zu schlachten, nämlich den im Titel (Nifls Vorschlag empfinde ich schon als einen Schritt nach vorne) und dann jede Zeile darauf abzuklopfen, was an ihr Eigenes ist, denn auch bei einem Hoffnungstext verfällt man allzuleicht auf Allgemeinplätze. Dieses "Grenzen überschwimmen/-schreiten" zum Beispiel. Sie überschreiten sie halt vor allem deshalb, weil es für die Delphine keine Grenzen sind - die Grenzen, die ihnen ein stärkerer Artgenosse aufzeigt, halten sie sehr wohl ein.

In der jetzigen Form regt sich bei mir leider kein Gedanke (was auch mit Verkalkung zu tun haben könnte, stimmt schon), da hätte

"Ein Delphin
macht nur keine Thunfischpizza"

schon mehr bei mir provoziert (nein, ich will den Text nicht einstellen).
Liebe Grüße
Max

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.09.2010, 12:09

okayokay, war halt ein Versuch, um nicht ganz aus der Übung zu kommen...Dichten scheint zur Zeit nicht meine größte Stärke zu sein.
Mir war beim Schreiben bewusst, dass es Projektionen sind, aber vielleicht müsste es als Reflexion mit in den Text.
Das scheint für mich das Hauptproblem zu sein...
Mal sehn, ob sich da was machen lässt.
Die "Kinder"-Idee finde ich spannend, Nifl. Da muss ich nochmal drüber nachdenken.
Also, als erstes, denke ich, nehme ich schon mal den Titel weg.

Wegen des anderen brauche ich Zeit.

Danke Euch Dreien und liebe Grüße

leonie

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 25.09.2010, 12:22

Liebe Leonie,
da ich Delfine sehr mag und mir des Zwiespalts zwischen Projektion und Wirklichkeit ständig schmerzlich bewusst bin (bestes Bild in diesem Sinn ist das Delfinlächeln), fände ich es reizvoll, genau diese Projektion zum Thema zu machen.

Nicht im Sinn eines Portestgedichts, von denen haben wie auch schon zu viele ("der Delfin hängt lächelnd am Haken" oder so), sondern als Überlegung zu einer Metaphorik, die sich nicht nur überlebt, sondern in ihr Gegenteil verkehrt hat.

Dies mal nur als Anregung, ich muss selbst noch darüber nachdenken. Ich finde das Gedicht sehr schön, trotz des bitteren Beigeschmacks, und würde genau diesen Punkt gern thematisiert sehen.

Lieben Gruß von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Niko

Beitragvon Niko » 25.09.2010, 12:32

Seit über 20 Jahren werden Delphine in der sogenannten Delphintherapie (dolphin-assisted therapy, DAT) zur Behandlung von verschiedenen geistigen und körperlichen Behinderungen vor allem bei Kindern eingesetzt. Immer wieder berichten Medien über wahre Wunder, die die Delphintherapie bei den verschiedensten Erkrankungen bewirken soll. Auch Buchautoren wie der Engländer Horace Dobbs schreiben den Tieren eine heilende Wirkung zu. Belegt werden solche Behauptungen häufig mit einer Mischung aus subjektiven Erfahrungsberichten, pseudowissenschaftlichen Gemeinplätzen und Erzählungen von spirituellen Erlebnissen mit Delphinen.

auch dies hier: http://www.bbcgermany.de/GERMANY/dokume ... ng_682.php

delfine sind also aus menschlicher sicht lebensretter, helfer in notsituationen. und ich kann durchaus auf dieser basis das gedicht von leonie genau so verstehen. und mit dem ende wird mir gesagt: sie sind uns immer ein stück voraus. in allem eigentlich.

liebe grüße: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 25.09.2010, 12:34

Liebe Zefi,

danke Dir! Das hier habe ich nciht ganz verstanden:

Zefira hat geschrieben:sondern als Überlegung zu einer Metaphorik, die sich nicht nur überlebt, sondern in ihr Gegenteil verkehrt hat.


Lieber Niko,

auch Dir danke!

Ich muss einfach noch eine Weile nachdenken, glaube ich...

Liebe Grüße

leonie

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 25.09.2010, 12:49

liebe leonie,

ich fände es sehr schade, wenn man aus lauter angst vorm klischee bestimmte themen unangetastet ließe.

im gegensatz zu einigen meiner vorschreiber kann ich mit deinem gedicht etwas anfangen. ich hätte auch gut mit dem titel leben können.
einzig das "lächeln" der delfine stört mich, weil das, so glaube ich, wirklich etwas ist, das allein wir menschen auf die tiere projizieren.

spannend fände ich, den fokus mehr darauf zu richten, was genau uns menschen an den meeressäugern fasziniert.

lg
a
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Beitragvon leonie » 25.09.2010, 13:12

Liebe a.,

das ist ein tolles Photo! Danke, auch für Deine Rückmeldung. Du hast recht, ich habe mich schnell verunsichern lassen (vielleicht, weil die Worte im Moment sowieso nicht so recht wollen wie ich), außerdem geht es ohne den Titel auch nicht so wirklich.
Trotzdem habe ich jetzt eine andere Fassung versucht, den Konjunktiv dafür bemüht, das Lächeln rausgenommen und etwas mehr lyrIch eingebracht.

Vielen Dank, auch für die Ermutigung, die ich in Deinen Worten wahrgenommen habe...

Liebe Grüße

leonie

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 25.09.2010, 13:36

Liebe leonie,

das geht hier wirklich delfinschnell! Letzte Nacht hast du den Titel eingestellt, der Faden ist bereits soo angewachsen und du hast das Gedicht umgearbeitet ... bin beeindruckt!

Erstmal habe ich eine Frage an die anderen Kommentatoren:
Gibt es wirklich schon viele Delfingedichte? Da hab ich wohl was verpasst! Als Klischee ist mir der Delfin jedenfalls völlig neu.

Natürlich wäre auch mal ein Gedicht über Delfine, die in Schleppnetzen sterben, eine wichtige Aufgabe. Aber darum geht es hier nicht, sondern um die Nähe, die wir als intelligente Säugetiere zu den Delfinen haben - und gleichzeitig können wir nicht, was sie können. Die Sehnsucht, sich gewandt im Wasser bewegen zu können, teile ich übrigens mit dir, liebe leonie! Und es könnte schon sein, dass die Zukunft, also die Möglichkeiten der Lebewesen, im Meer liegen.

Das Durchschneiden des Horizontes, diese rhythmischen eleganten Bewegungen, die die Delfinschulen vollführen, eigenen sich auch gut für einen stärker rhythmisierten, eher sprachspielerischen Text. In dieser Richtung würde ich arbeiten.

Mir gefällt die zweite Version aber schon besser, als die erste, wobei ich das Wort "durchschnitte" verwirrend finde, weil es mich an Durchschnitte (das Nomen) denken lässt.

Viele Grüße
fenestra

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Beitragvon leonie » 25.09.2010, 14:19

Liebe fenestra,

ich bin ganz froh, dass Du das ansprichst: Ich kenne nämlich auch kaum Delfingedichte. Ich habe gegoogelt und was ich da gefunden habe, war sehr ermutigend (weil größtenteils grottig) und anspornend.

Das "durchschnitte" habe ich geändert in "zerschnitte".

Seufz, ja, ich glaube auch, dass das ein wunderbares Sprachspielgedicht werden könnte, nur fürchte ich, dass ich es nicht kann. Ich komme ja eher aus der reduzierenden Ecke (was Gedichte betrifft), wo mit Konnotationen gearbeitet wird, und habe Mühe, mich umzustellen. Wobei ich es auf längere Sicht versuchen will, mein Spektrum zu erweitern, weil ich mittlerweile "eloquente" und wort(schatz)"reiche" Gedichte auch sehr sehr mag. (Deine zum Beispiel!).

Liebe Grüße und danke Dir

leonie

Max

Beitragvon Max » 25.09.2010, 14:21

Liebe Fenestra,

vielleicht sind es nicht direkt Defingedichte, die es im Übermaß gibt, aber wenn Du in eine beliebige Galerie für sich schnell verkafuende Kunstdrucke gehst, wirst Du sehen, dass der Delphin dort wohlfeiler ist als andernorts der Thunfisch in Öl.

Dass dabei vor allem eine (uniforme) Vorstellung mindestens ebenso eine Rolle spielt wie die Realität, lässt sich an der Erstfassung ganz gut belegen: Wenn man dort das "überschwimmen" durch "überqueren" und das "tauchen" durch "fliegen" ersetzt, kannst du das Gedicht genauso gut "Graugans" nennen. Eine solche Beliebigkeit macht mich eben skeptisch.

Zur Zweitfassung später vll. mehr :-)

Liebe grüße
Max

Max

Beitragvon Max » 25.09.2010, 14:26



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