Kennst du die Frucht

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Quoth
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Beitragvon Quoth » 16.11.2010, 07:24

Kennst du die Frucht, die roh nicht essbar ist?
Sie ist so hart, es deckt sie bittrer Flaum.
Am besten wär’s, dass man sie schnell vergisst,
sie kehrt zurück als schwefelgelber Traum.
Ihr Medium ist ihr Duft, so blütenzart,
dass es unmöglich ist, ihn zu vergessen.
Drum putz ich ab den feinen Früchtebart
und koch’ und süße sie, um sie zu essen.
Sie schmeckt mir als Gelee, das aus dem Saft,
gezuckert, mit Pektin versetzt, entsteht,
doch auch als Marmelade hat sie Kraft,
und traurig ist’s, wenn mir ihr Brot entgeht.
Wie du ihr ähnelst – ungenießbar, hart;
und so berauschend süß – bist du gegart!
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Nicole

Beitragvon Nicole » 23.11.2010, 07:51

Hallo Quoth,

Gott sei Dank, hast Du diese Text gepostet... Ansonsten hätte ich die große Tüte mit wundervoll duftenden Quitten glatt vergessen... Dank dieses Textleins und der Unterhaltung mit Klara über die Zubereitung erinnerte ich mich (entsetzt, wie hatte ich sowas vergessen können) an das Geschenk der Frau, die meine Tochter nach der Schule betreut - und habe am letzten Wochenende daher wunderbar duftenden Gelee gekocht. (Und der ist superlecker geworden)

Unabhängig vom Gelee kochen gefällt mir dein textlein ausnehmend gut.

Nicole

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 23.11.2010, 17:43

Wir sollten hier ein Unterforum Küchenpoesie einrichten!


Oder Fruchtpoesie! Es gab mal eine Ausschreibung, bei der man aufgefordert wurde, Texte und Rezepte zu Zitrusfrüchten einzureichen. Daraus sollte ein Büchlein mit Fruchtportraits, Gedichten und Rezepten entstehen. Dann ist die Projektleiterin abgesprungen, das Ganze ist gescheitert und ich sitze hier noch mit einer ganzen Serie Texte von Bergamotte bis Zitronat ... vielleicht möchte der Blaue Salon diese Idee ja aufgreifen? :-)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 23.11.2010, 17:47

Jaaaa, sehr gern!

Quoth
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Beitragvon Quoth » 24.11.2010, 21:44

Hallo, Nicole,
es zeigt sich eben, dass Poesie ganz praktische Auswirkungen haben kann, und verglichen mit dem bloßen ästhetischen Wohlgefallen sind doch ein paar Gläser Gelee was Handfestes!

Liebe fenestra und Amanita, ja, Früchte- oder Küchenpoesie, Küchen- ist etwas weiter gefasst und würde auch mal einen Text z.B. auf den Tafelspitz oder den Dicken Karl erlauben ...
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.11.2010, 22:00

Lieber Quoth,

ich freu mich, dass ich diesen Text mag! Denn selten gelingt meines Erachtens sowas: was verspielt bleibt, auch nah am einfachen Willen (eine Quitte zu besingen) und dann trotzdem noch eine andere Ebene hat (die dann der Liebeslyrik auch wieder gut tut, ein wenig die Anspannung rausnimmt und trotzdem "fein" bleibt), also nicht nur Spieltrieb ost (was ja noch lustvoll sein kann) oder sogar ins Banale rutscht (gibt es ja genug Texte aus der Küche zu). Aber hier: das lebt, das gefällt mir, das ist einfach gelungen :-) (auch wenn ein ganzes Unterforum dann doch ein wenig viel wäre .-))

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 01.12.2010, 06:51

Hallo Quoth,

ich möchte mich in die Reihe der Quitten (Liebhaberinnen) einreihen ...

Kennst du den Garten, wo mein Quittenbaum stand? sicher nicht. Die Quitte gehörte zu den zahlreichen Wundern, die ich mit achtzehn Jahren für immer verließ, war es doch nicht möglich die Quitte von ihrem national-sozialistischen Sud zu trennen, in dem sie ... gegart (fast würde ich sagen ausgegoren) wurde.

Ich kenne die Wunder hauswirtschaftlicher Verwandlungen nahezu alle und von der Quitte natürlich nicht nur das Gelee, sondern auch das reinlich auf weißem Spitzenpapier ausgelegte Quittenbrot, eher eine Fruchtpaste nach Loukhoum-Manier. Dorther kam diese heimatvertriebene Küche denn auch, aus den Rändern des "Mitteleuropa".

Es hat lange gedauert, bis ich den Geschmack solcher tief im heimatideologischen verankerter Köstlichkeiten anders wahrnehmen konnte, denn als Erzeugnisse überlieferter ... Köstlichkeiten.

Dies nur am Rande.

Dein Text ist sehr schön.

liebe Grüße
Renée

Quoth
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Beitragvon Quoth » 01.12.2010, 16:14

Hallo Lisa,
war ja auch nur mal so eine Idee! Küchen-, Koch- und Feinschmeckertexte lassen sich hier ja immer unterbringen - siehe Amanitas Jugendherbergsfestschmaus! Freue mich, dass Du mit meinem Quittensonett was anfangen kannst - obgleich Dir ja eher die reimfreie Muse liegt.

Hallo, Renée,
Du machst geheimnisvolle biografische Andeutungen ... Ja, die Abgrenzung von Nationalsozialismus hat zum Teil merkwürdige Züge gehabt. Als ich auf diesem Gebiet mal besonders aktiv war, empfahl mir mein Vater, mir die Nase abzuschneiden, denn die Nazis hätten auch alle eine gehabt.
Gruß
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 01.12.2010, 17:41

*lach* dein Vater war wohl ein selbstbewusster Mann mit Sinn für Humor ...

die Bemerkungen sind biografisch und nicht sehr geheimnisvoll. ich teile wohl mit vielen die Tatsache, dass meine Eltern überzeugte National-Sozialisten waren. Dazu kommt das Leben in einem deutschsprachigen Dorf in Bosnien, --- undsoweiter -

die Quitten haben mich an all das erinnert, die Mischung aus Häuslichkeit und Brutalität der Ansichten.

die Quittenfruchtpaste war besonders gut

lG
Renée
Danke

Quoth
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Beitragvon Quoth » 04.12.2010, 21:18

Hallo, Renée,
"Die Mischung aus Häuslichkeit und Brutalität der Ansichten" - das ist gut, Renée! Sowas kommt vor! Aber das Quittenbrot ist ideologisch absolut neutral!
Was ich sehr bedaure, ist, dass ich mir so große Mühe gegeben habe, ein Sonett zu drechseln, und nicht einmal Zaunkönig hat mich dafür gelobt!
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 05.12.2010, 22:33

Hallo Quoth,

zaunkönig ist wie der kleine, echte, ein relativ seltener Gast im Salongarten, ich wette, er hat also dein Sonnett noch gar nicht entdeckt. was mich angeht: Ich bin da einfach nicht allzu geschult und könnte nur mehr oder weniger leer daherreden. Mir reicht, dass die Form bei mir ungedrückt ankommt, das heißt, ich nicht spüre, dass ihr irgendwas geschuldet ist, sondern das ganze durch sie gehalten wird.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

pjesma

Beitragvon pjesma » 30.06.2011, 18:43

ein quoth!!! und ein gedicht, und gleich ein liebesgedicht, und dann auch noch ein sonnett :-) !
ein köstliches stück, hat mir freude gemacht es zu lesen.

lg

Quoth
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Beitragvon Quoth » 07.12.2011, 12:44

O, du hier?! Wo sind wir uns noch mal schnell über den Weg gelaufen?
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

pjesma

Beitragvon pjesma » 08.12.2011, 01:54

na du ! allerlei wege waren es ... einer fuhr unter von oma mit ochsenblut bemalten balken eines mir sehr in erinnerung gebliebenen textes...usw usw ;-)... freu mich dich wieder zu sehen :-)

carl
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Beitragvon carl » 09.12.2011, 19:56

Hallo Quoth,

gefällt mir sehr gut! Wirklich schön! C.


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