Widerstand der Asche

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.12.2010, 19:07

2. Fassung:

Widerstand der Asche

Und die Alte sprach:

[align=right]schrei es heraus[/align]

Lippen beißen|Keime wuchern|würgen|Schlund wund|

[align=right]schreib alles auf[/align]

|alles|nur ein Wort|
|Bilderwürmer|fressen|Rattenscham im Kopf|starre Zeigefinger|Selbstkläger|
|Rattenkopffinger hakeln|Tentakel|krakeln ohne Hände||Flucht|Bleiben|Flucht|

[align=right]geh nachts in den Wald
grab ein Loch in die Erde
[/align]

|Dunkel bereitet das Wort|
|Erde ist Grab|wohin Ratten flüchten|sich nähren|den Schlund würgen|

[align=right]entzünde das Blatt
vergrab es
und vergiss alles
[/align]

|alles|nur ein Wort doch alles|das Blatt|bleibt|ewiger Zeuge|Flammen schüren kein Vergessen|

|||Asche verbrennt nicht|||



1. Fassung:

widerstand der asche

die alte sprach
schrei es heraus
schreib alles auf
geh nachts in den wald
grab ein loch in die erde
entzünde das blatt
vergrab es
und vergiss alles


alles ist nur ein wort
folge dem rat der alten
kann das wort nicht vergraben
alles nicht vergessen
asche verbrennt nicht

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 18.12.2010, 19:29

Ein ganz übereilter, ganz allererster Eindruck; ich finde den Titel sehr gut, die Idee sehr gut, den Widerstand der Asche, das ist ein sehr weitreichendes gutes, ergiebiges und aussagekräftiges Bild.
Daher (und natürlich ist das wieder ganz subjektiv) entäuscht mich der Rest, entäuscht mich das Gedicht als solche, die Strophen, die weise Frau klingt (verzeih) wie aus einem Schreibratgeber, das ist mir alles zu konkret vielleicht, zu sehr Rat oder wie soll ich es nennen? Zwischen dem Titel, diesem wirkmächtigen Bild und der letzten Zeile, die ich auch sehr mag, dass Asche nicht verbrennt, wünsche ich mir etwas anderes, ich kann gar nicht sagen was, Bilder, eine Geschichte, etwas, das brennt, oder eben nicht entzündet werden kann, das Gefühl von Erde, in der sich nicht tief genug graben lässt.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.12.2010, 19:51

Hallo Xanthi,

ich verstehe sehr gut, was du meinst. Ich nenne hier das Wort nicht, das ich herausschreie und auf das Blatt Papier schreibe. Hinter diesen Satz

"alles ist nur ein wort"

wollte ich ursprünglich noch ein Bollwerk an Gedankenfetzen, Bilderfetzen setzen, die dieses "alles" beschreiben, doch dann dachte ich, dass das zu viel wäre.
Vielleicht sollte ich das doch so ausführlich schreiben. Mal schauen, was andere Leser meinen.
Danke dir!

Saludos
Gabriella
P.S: Die "weise Frau" ersetze ich aber schon mal.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 18.12.2010, 20:33

Ich finde die erste Strophe auch etwas zu plakativ, auch wenn ich sie als Einstimmung/ Erklärung gar nicht so ungern gelesen habe.

alles ist nur ein wort
wäre für mich ein probater Anfang, ein paar Einsprengsel von der Alten würden vielleicht als Erklärung ausreichen.

Was ich aber vor allem vermisse: Die Verbindung Blatt (Papier) verbrennen - Asche verbrennen (wollen/ sollen) - da kann ich noch nicht folgen.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.12.2010, 20:53

Hallo Amanita,

den Rat der Alten nur als Einsprengsel zu setzen, wäre auch eine Möglichkeit, damit es nicht so "gebetsmühlenartig" rüberkommt. Ich denke drüber nach.
Amanita hat geschrieben:Die Verbindung Blatt (Papier) verbrennen - Asche verbrennen (wollen/ sollen) - da kann ich noch nicht folgen.

Man verbrennt ein Blatt Papier, aber es bleibt ja Asche übrig. Und damit dieses "alles" (und was sich dahinter verbirgt) wirklich ausgelöscht ist, will das LI auch die Asche verbrennen und das geht eben nicht. Es bleibt immer etwas übrig. Das ist die Crux für das LI, deshalb "widerstand der asche".

Saludos
Gabriella

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 18.12.2010, 21:48

Ja, das konnte man sich denken, aber es lässt sich aus dem Text m. E. nicht ableiten, weil das "Rezept" vorher da steht. Das Ringen mit dem Sachverhalt (dass immer was übrig bleibt), die Erkenntnis, dass der Rat der Alten nicht aufgeht, kommt für mich noch nicht deutlich genug heraus. Der erste Teil hat nach meinem Dafürhalten zuviel Gewicht.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.12.2010, 22:05

stimme dir zu, Amanita,

die Gewichtsverteilung stimmt nicht. Ich hab auch schon eine Idee, wie ich das lösen werde. Muss ich noch ein bisschen dran rumfeilen. Dann stelle ich eine 2. Version ein.
Danke dir für's Dranbleiben!

Saludos
Gabriella

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.12.2010, 17:35

Hier mal ein 2. Entwurf, was meint ihr?


Widerstand der Asche

Und die Alte sprach:

[align=right]schrei es heraus[/align]

Lippen beißen|Keime wuchern|würgen|Schlund wund|

[align=right]schreib alles auf[/align]

|alles|nur ein Wort|
|Bilderwürmer|fressen|Rattenscham im Kopf|starre Zeigefinger|Selbstkläger|
|Rattenkopffinger hakeln|Tentakel|krakeln ohne Hände||Flucht|Bleiben|Flucht|

[align=right]geh nachts in den Wald
grab ein Loch in die Erde
[/align]

|Dunkel bereitet das Wort|
|Erde ist Grab|wohin Ratten flüchten|Ratten sich nähren|den Schlund erwürgen|

[align=right]entzünde das Blatt
vergrab es
und vergiss alles
[/align]

|alles|nur ein Wort doch alles|das Blatt|bleibt|ewiger Zeuge|Flammen schüren kein Vergessen|

|||Asche verbrennt nicht|||

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.12.2010, 17:52

Huch, das ist aber jetzt ganz anders geworden!

Melde mich später, ich bin gerade mit was anderem beschäftigt.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.12.2010, 17:56

Ja, ganz anders wegen angesprochener, kritischer Gewichtsverteilung und fehlender Ausweitung, was beim LI alles durch den Kopf wirbelt, als Fetzen. ,-)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 19.12.2010, 22:32

Den Text finde ich jetzt viel besser! Aber dass Du die Form dermaßen verändert hast, daran muss ich mich immer noch gewöhnen! Ich hätte die "normale" Zeilenform durchaus passend gefunden, auch wenn es um Fragmente geht.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.12.2010, 23:29

Durch diese Setzung möchte ich das Fetzenartige und das Element des "Abgerissenen" in diesem Gedankenchaos beim LI unterstützen.

Trixie

Beitragvon Trixie » 20.12.2010, 08:34

Hi Mucki,

ich finde, die neue Setzung unterstützt den Inhalt. Ausgebrochen, ein bisschen wahnsinnig, gefesselt, entfesselt, nicht-standard. Gefällt mir!!
Das einzige, das mich inhaltlich irritiert, sind die vielen Ratten - geht es nicht um die Asche? Und das Verbrennen? Und dieses Wichtige? Wozu überall die Ratten? Ich würde ein, zwei davon ersatzlos streichen (also nur die Ratten, das dahinter nicht).

Inhaltlich ist es sehr intensiv, gruselig, eindringlich. Das kommt auf jeden Fall in der neuen Form sehr gut an, finde ich!

Grüße
die Trix

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 20.12.2010, 09:57

Liebe Gabriella,

die neue Fassung gefällt mir viel besser! die Setzung finde ich angemessen, ich glaube sie unterstreicht den Inhalt. Es hat jetzt größtenteils das, was ich anfangs vermisste. Das finde ich sehr gelungen. An einigen Stellen geht es mir ähnlich wie Trixie, auch mir sind es zu viele Ratten, zumal ich Ratten auch wenig originell finde, die tauchen ja seit so vielen Jahrzehnten kontinuiertlich wieder in den Gedichten auf und dann mag ich sie wirklich nur lesen, wenn sie wirklich notwendig erscheinen,

Gabriella hat geschrieben:
|Rattenkopffinger hakeln|Tentakel|krakeln ohne Hände||Flucht|Bleiben|Flucht|


da zum Beispiel finde ich sie angebracht, da ergeben sie ein gutes (auch frisches) Bild

Rattenscham, damit kann ich wenig anfangen. Haben Ratten Scham? Was für eine Scham wäre das? und dann flüchten sie, nähren sich ... Mir, ganz persönlich, ist das zuviel.

Das Abgehakte, das Rastlose, Fluchtversuchsartige, gefällt mir sehr gut, übermittelt mir die Stimmung viel besser als in der Ursprungsversion

Gabriella hat geschrieben:|alles|nur ein Wort doch alles|das Blatt|bleibt|ewiger Zeuge|Flammen schüren kein Vergessen|


Warum diese Zeile? Erklärt nicht die einfache Aussage "Asche brennt nicht" das alles zur Genüge?


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