das Kreuz

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Trixie

Beitragvon Trixie » 15.03.2011, 21:11

(speziell an alle, die unter chronischen oder akuten Rückenschmerzen leiden dürfen)



Ich fresse meine Wirbelsäule
bis ich nicht mehr stehen kann
gehen kann
ich wann ich will
kriechen
wie die Urzeit

die Wirbel knacken beim Kauen
panisch beiße ich und reiße ich
alles ab
es bricht und teilt
meinen Körper in drei
Arme
Beine
Kopf
der Hals ist tot

die Säule fällt
ich rolle
den Schmerzen davon
entgegen
ich kotze
meine Wirbelsäule
hinaus aus meiner Hülle
und atme
endlich frei







Z1: aus "essen" wurde "fressen" -> danke Gabi

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.03.2011, 00:58

Hi Trix,

das tut richtig weh beim Lesen. Den Schmerz wegessen bzw. den Verursacher der Schmerzen, um sich davon zu befreien. Sehr bildhaft hast du das geschrieben. Mir gefällt auch die Komposition.
Ich würde oben "Ich fresse meine Wirbelsäule" schreiben, ist m.E. intensiver.

Liebe Grüße
Gabi

Trixie

Beitragvon Trixie » 16.03.2011, 12:33

Hi Gabi,

danke für deinen Kommentar!

Vorab noch etwas, das mir wichtig ist: Ich weiß, es ist nicht so ein Oberhammergedicht wie die von anderen Mitgliedern hier, die ich so lange versucht habe, zu erreichen, aber ich weiß jetzt, dass ich nur Spaß am Texten habe, wenn ich es auf meine Weise tue und ich weiß, dass ich nicht möchte, dass meine Texte Wort für Wort wie in der Schule auseinander gepflückt werden und interpretiert werden bis zum Abwinken, weil hinter jedem kleinsten Detail eine ausgeklügelte Arbeit stecken muss. So "gut" bin ich eben nicht, doch das sind auch gar nicht meine Ansprüche an mich und mein Schreiben. Für mich ist es so genau richtig. Ich schreibe, weil ich Spaß daran habe und es für ich ein Ventil ist, mein Inneres auszudrücken. Und es war ein langer Weg, dorthin, das ich das begriffen habe.
Danke, dass du es genau so annimmst wie ich es gehofft hatte :-).

Offen für Kritik bin ich natürlich trotzdem!!!
Daher, ja, danke, Fressen, ja, das klingt in der Tag, auch im Gegensatz zum Kotzen passender. Warum ich da nicht selbst... Hm, vermutlich, weil es einfach in einem spontanen Guss entstand.

Liebe Grüße zurück!
Trix

jondoy
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Beitragvon jondoy » 16.03.2011, 14:51

Hi Trixie,

ich kotze meine Wirbelsäule hinaus aus meiner Hülle und atme endlich frei

...das wär ein Traum für mich, wie treffend diese Worte sind, du ahnst es nicht,

skoliose grüße,
S.

ps: :daumen:

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.03.2011, 15:00

Hi Trix,
Trixie hat geschrieben:vermutlich, weil es einfach in einem spontanen Guss entstand.

oft sind die spontan, aus einer bestimmten Situation heraus geschriebenen Texte, die eindringlichsten, wie auch dieser hier.
Dieses Brachiale sich selbst gegenüber, aus der Not heraus entstanden, käme sonst nicht genauso rüber, wie es dir hier gelungen ist.

Saludos
Gabi

Teya

Beitragvon Teya » 16.03.2011, 16:46

Hallo Trixie,

ich finde, du hast das Gefühl, das deinem Gedicht zu Grunde liegt, in eine eindrucksvolle Form gebracht. Man sieht, hört und spürt richtig beim Lesen, was dir beim Schreiben durch Kopf und Körper gegangen ist. Toll!
Und – ganz nebenbei – finde ich, auch dein eigener Kommentar zu deinem Gedicht ist ein Stück Literatur: Selten hab ich einen Künstler so aufrichtig, so unverkünstelt und so frei von Allüren (oder Komplexen) über seine Kunst sprechen hören. Wirklich sehr sympathisch!

Lieben Gruß
Teya

Trixie

Beitragvon Trixie » 16.03.2011, 18:10

Hi Stefan,

ach, du auch ;-)? Ich habe mir schon überlegt, ob ich dieses Stück an eine orthopädische Praxis verkaufen soll als Wandplakat, hehe. Ja, bei mir ist es gerade wieder ganz akut und ich habe ehrlich gesagt ein bisschen Angst, dass sich irgendwas wieder verschlimmert hat *seufz* aber äh ja.
Es freut mich, dass es bei dir ankam!

Skoliosegruß zurück
die Trix

Hi Gabi,

jaaa, naja, ich mag das eigentlich nicht so, aber ewig abhängen hilft mir auch nicht weiter und ich glaube, so ein "rotziges" Stück schadet sich nur selbst, wenn es nicht gleich raus kommt, hehe!

Grüßchen
Trix

Hallo Teja,
ui, danke, freut mich, dass es auch bei dir ankommt. Und auch danke für den Kommentar bezüglich meiner Bemerkung an Gabi... ich habe oft nicht genug Selbstbewusstsein, meine Texte hier auszustellen, wenn ich sehe, was "die anderen" da so zaubern. Und irgendwann gab ich das Schreiben dann aus Frust, "nichts gescheites zu Papier zu bringen" fast auf. Aber dieses Stück hier hat wieder etwas zum Leben erweckt und ich finde es gerade echt schön, wie das angenommen wird, danke!!

Liebe Grüße auch
Trix

african queen

Beitragvon african queen » 18.03.2011, 11:26

Liebe Trix,
als sehr eigenständig lese ich deine Worte, mit deinem eigenen Ausdruck.
Die Orientierung, Auseinandersetzung mit anderen Texten finde ich notwendig
und gut. Auch bei der Malerei eine Voraussetzung, um irgendwann seine eigene
"Handschrift" zu finden. Ein längerer Prozeß, der hilft in Bewegung zu bleiben,
zu üben, zu arbeiten an seiner ureigenen Ausdrucksform. Du bist meiner Ansicht
nach auf einem sehr guten Weg. Deine Traumtexte zeigen auch deine Vielseitigkeit.
Was mir besonders gut gefällt, deine frische, unkomplizierte Art, an Texte, so auch wie
diesen heranzugehen, so auszudrücken wie es dir selbst liegt.
Als Leserin kann ich mich reinversetzen, kann mitgehen, verstehen, was sich
abspielt. Wie bei Bildern möchte man ja auch den Betrachter ansprechen, mitnehmen.
Deine Aktivität dieser Art sehr kreativ und konstruktiv.
lg
Gertraud

Trixie

Beitragvon Trixie » 18.03.2011, 20:06

Liebe Gertraud,
danke für dein Feedback, das, was du da sagst, ist sehr wichtig und ich nehme es gerne mit und auf für alle weiteren Projekte :-). Es freut mich sehr, wenn ich ein "mitgehen" schaffen kann, denn ich glaube, es gibt kaum was dooferes für einen Künstler, als wenn jemand sagt "hä? wat will die denn?" ;-)
Ich arbeite weiter und behalte mir trotzdem meinem Spaß dabei!!
Liebe Grüße
Trix

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 18.03.2011, 21:45

Ich denke, es ist erforderlich, sich mit der Arbeit Anderer auseinander zu setzen. Nicht so sehr als Maß, gegen das man sich gerade am Anfang zwangsläufig klein fühlt. Den Fehler mache ich selber allzu oft und immer noch. Mehr als Orientierungshilfe, als geistiges Futter. Nicht zum Nachahmen oder erreichen wollen - bestenfalls mal als Fingerübung. Aber zur Erzeugung eines Umfeldes für das eigene Schaffen, als Quelle der Inspiration. Dazu gehört dann aber auch, sich etwas Eigenes zuzugestehen, ohne besondere Erwartung nach draußen zu gehen mit dem, was man tut. Sich selbstbewusst und nicht zu empfindlich mit der Kritik auseinanderzusetzen. Auch, wenn sie bitter schmecken mag. Auch wenn die erste Reaktion Frust sein mag. Die süßen Worte der Schmeichler bergen viel mehr Gefahr. Und daher: schön, dass Du diesen Text veröffentlicht hast. So roh und aus dem konkreten Schmerz geboren, wie er ist.
Liebe Grüße
Henkki

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 19.03.2011, 09:06

Hallo Trixie,
ich finde das Gedicht sehr gelungen - so ganz naiv ist es ja nicht, wie es auf den ersten Blick vielleicht anmuten will. Ich finde, das Risiko, einen Text zu bearbeiten, sollte man eingehen, es ist doch Teil "der Kunst", das ursprüngliche Gefühl in der Überarbeitung zu bewahren und vielleicht noch packender zu machen. Bearbeiten muss ja nicht glätten sein, kann ja auch 'aufrauhen' heißen. Ob das unmittelbare Aufnehmen des spontanen Einfalls "frei von Allüren (oder Komplexen)" ist - wie Teya meinte - wage ich zu bezweifeln - dein Kommentar klingt für mich mehr nach Befreiungsschlag. Zumal es ein manchmal bitterer Teil des Dichtens ist, dass auch in spontanen , emotionalen Bildern tiefe Gedanken stecken ("Gefühl denkt scharf", bei R. Walser).
In diesem Sinn: ein leichtes Stolpern hatte ich beim 'ich wann ich will' in Vers 4 - das 'ich wann' kriege ich nicht einsortiert, abgesehen von einem sprachlichen Echo zum ich kann in Vers 3. Dem Ausdruck 'kriechen wie die Urzeit' liegt vermutlich ein konkreteres Bild zugrunde - die 'Urzeit' finde ich sehr abstrakt.
Grüße
Franz

Trixie

Beitragvon Trixie » 22.03.2011, 09:13

hi henkki,
ja, da hast du natürlich recht, auseinandersetzen, aber das mit dem maß ist echt manchmal wie ein druck. viel zu lange und oft habe ich mich danach gerichtet und ich weiß auch gar nicht, wieso ich das da so deutlich an gabi als antwort schrieb... ja, vielleicht doch irgendei ein befreiungsschlag ;-). ich habe einfach so lange nichts mehr zu papier gebracht oder gar nicht mehr versucht und das kam so plötzlich und ja, äh danke. genau.
liebe grüße
trix

hi franz!
danke, hm, ja ist natürlich was wahres dran mit dem bearbeiten. ich schreibe nie einfach nur runter und lass es dann so, ich lösche und editiere immer nochmal nach, oft auch direkt beim einstellen. das is nicht logisch, das ist mehr ein "jetzt passt es" gefühl. aber wirklich 1000% zufrieden bin ich eigentlich nie. nur oft reicht es schon, eine silbe umzustellen und das gesamtbild passt nicht mehr. für mich.
ich weiß, was du meinst mit dem "ich wann ich will", das sollte eben so zeilenübergreifend sein, nur leidet dann die übergriffszeile eventuell ein wenig, andererseits klingt doch ich wa ich wi auch nicht so doof, rein klanglich, auch wenn es nicht unbedingt sinn ergibt ;-). nein, anders wüsst ich es jetzt nicht zu lösen...
die urzeit, naja, damals, in der urzeit, gab es kaum aufrecht stehende oder gehende kreaturen und geschöpfe, sie krochen eben alle und einige davon überlebten bis heute doch recht gut, schildkröten, echsen, lurche. und dann eben noch die urzeit im sinne von die zeit vergeht sooo langsam, wenn man an die urzeit zurückdenkt, das ist eeeewig her und eben auch schon sooo alt, das sollte vom gefühl her einfach nochmal das kriechen symbolisieren... hm... ich bin auch nicht so glücklich damit, es fällt ein bisschen raus aus dem restlichen konrketen, aber mir würde etwas fehlen, wenn ich es einfach wegließe. vielleicht fällt mir noch eine andere lösung ein, danke, dass du es nochmal angesprochen hast!
grüßle
trix

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.03.2011, 22:24

Liebe Trixie,

ich wollte hier auch noch unbedingt vorbeikommen und sagen, dass ich den Text auch sehr gelungen finde.
Ich finde es toll, wie man durchaus den "körperlichen", konkreten Anlass des Textes spürt und zugleich der Text aber nicht dabei stehen bleibt, sondern das Bild auf ganz vielen anderen Ebenen spricht, etwas ausdrückt, im Grunde, wie es ja auch mit den Rückenschmerzen selbst ist, die kommen ja auch nicht einfach nur aus dem Körper und haben nicht nur damit zu tun. Ich finde dabei deine Sprache jedenfalls sehr mächtig.
Einzig am Ende, das "und atme endlich frei" finde ich etwas direkt/zu einfach. Aber das ist vielleicht auch eine Geschmacksfrage.

Zur Urzeit: Ich musste auch an die Uhrzeit denken, im Zuge von Arbeit/Zeitruck- und dergleichen und dass das einen niederdrückt bzw. der perfekte Bückling eben seine Wirbelsäule frisst, kein Rückrat mehr hat und dergleichen und fand das nicht plakativ oder so, ich mochte meine Assoziation .-P.

Ich würde gern mehr Texte von dir dieser Art lesen :-)

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Trixie

Beitragvon Trixie » 02.04.2011, 21:58

huch, ach je, lisa, dich hab ich ja völlig übersehen!! sorry!!!

schön, dich hier zu lesen, danke fürs vorbei kommen =)!
ja, ich denke, das ist diese art von text, die nicht allumfassend, sondern wirklich sehr konkret ankommen. klar, die urzeit war schon auch an die zeit an sich angelehnt, die vergeht ;-) war auch mehr ein zufalls produkt, ha!
ich versuche, mehr texte dieser art zu verfassen, versprochen ;-)!

vielen dank für die positiven worte, das freut mich sehr, dass dies ankommt.

liebe grüße zurück!
die trix


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