Versager

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Eule
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Beitragvon Eule » 05.04.2011, 16:38

Versager


Wir gingen zusammen
durch die Flure

Sanft lächelnde Wände
lustig glucksend

Strahlte der Frühling hinein
Mit Druckerschwärze

Jahrtausende im Abklang
ganz einsam
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 06.04.2011, 14:50

Ok, auf die Gefahr hin, dass ich mich lächerlich mache, schreibe ich mal Zeile für Zeile meine Assoziationen und Bilder auf:

Titel: Versager
Singular: eine Person, die nichts geschafft hat. Abfällig. Plural: vielleicht die Menschheit als Gesamtes, vielleicht eine Gruppe von Menschen, die ich aber nicht identifizieren kann. Alternativ: kann auch von Versagen im Sinne von nicht zugestehen, nicht gewähren kommen. Komplett anderer Sinn dann.

Wir gingen zusammen
durch die Flure

Plural, also Gruppe. Oder Menschheit insgesamt. Aber in welche Flure passen die? Oder ist Fluren gemeint, so wie Wald und Flur? Vermutlich nicht. Also Korridore eines Gebäudes. Dann nicht so große Gruppe, vielleicht auch nur zwei Personen? Jedenfalls zusammen. Könnte aber auch gar nicht so eng gemeint sein, vielleicht auch nur nebeneinander her? Was für ein Gebäude? Wenn ich Flure denke, sehe ich lange Flure. Eine Behörde, ein Krankenhaus, eine Kaserne, ein Wohnheim, eine Schule vielleicht? Oder ein Gefängnis, eine Metapher auf ein inneres Gefangensein.

Sanft lächelnde Wände
lustig glucksend

Lächelnde Wände? Keine Assoziation, kein Bild. Bis hierher waren die Flure eher abweisend (mein Bild!). Aber sie lächeln, glucksen sogar lustig! Verwirrung. Vielleicht bezieht sich lustig glucksend auf die nächste Strophe. Aber müsste es dann nicht groß sein? Ich lasse das erst mal offen und merke, dass die Lokation vielleicht doch nicht so bedrückend ist.

Strahlte der Frühling hinein
Mit Druckerschwärze

OK, grammatisch würde ich sagen, dass das Partizip aus der letzten Strophe sich auf den Frühling bezieht. Passt auch besser. Strahlt hinein, Licht, Sonne, passt. Aber kommt von außen. Erklärt die lächelnden Wände noch nicht. Dann die Druckerschwärze. Entweder, ich befinde mich in einer Bibliothek, oder, was ich eher vermute, es geht um Zeitungen oder Nachrichten in übertragenem Sinne. Dann ist der Frühling auch eher metaphorisch ein Aufbruch. Passt irgendwas Aktuelles? Revolutionen in Nordafrika? Gluckst nicht gerade sanft. Vermutlich zu weit gedacht.

[i]Jahrtausende im Abklang
ganz einsam[/]
Jahrtausende? Ich denke die ganze Zeit zu eng. Es muss etwas größeres gemeint sein. Im Abklang? Was passt da? Geht das Abendland zugrunde? Woran? Welcher Frühling mag gemeint sein? Und wie kriege ich das in die Flure? Wie war der Titel noch: Versager. Also wer kann das jetzt sein? Doch die Menschheit. Oder die Europäer? Einsame Jahrtausende im Abklang. Muss irgendein kultureller Niedergang sein, schuldhaft verursacht durch Passivität, daher das Versagen. Statt den Frühling aktiv zu begrüßen und die Fenster aufzureißen, schleichen wir die Flure der Geschichte entlang, die uns freundlich anlächeln. Ich habe, da bin ich mir sicher, nichts verstanden. Faden komplett verloren.

Liebe Grüße
Henkki

Gerda

Beitragvon Gerda » 06.04.2011, 14:52

Hallo Arne, Amanita, Flora und Henkki,

es geht hier auch um Unbeschwertheit, die leicht aus dem Gleichgewicht geraten, ja zerstört werden kann.

ich habe mal versucht meine Lesart kenntlich zu machen, dazu habe ich ins Zitat Stellen kursiv gesetzt.

Henkki deine Definition von "herein" und "hinein" ist korrekt, aber m. M. kann es in diesem Text von Arne durchaus beim hinein bleiben.

Arne hat geschrieben:Versager

Wir gingen zusammen
durch die Flure

(durch)Sanft lächelnde Wände

lustig glucksend_
Strahlte der Frühling hinein (in unser Universum, in unser Leben, der Frühling kommt von außen zum WIR hinein)

Mit Druckerschwärze_
Jahrtausende im Abklang
(ich/wir, oder auch das Universum)ganz einsam

= Menschsein, Menschheit = Versager)


Jetzt da ich es einwenig anders gliedere, meine ich, Arne, du könntest evtl. das "ganz vor einsam weglassen, das wäre nocht stärker, noch endgültiger

Vielleicht könnt ihr mit meiner Leseart etwas anfangen.

Liebe Grüße
Gerda

... Das war fast zeitgleich mit, dir, Henkki :-)

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 06.04.2011, 15:11

Henkki, genau so habe ich den Text auch verstanden.

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Eule
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Beitragvon Eule » 06.04.2011, 15:23

Das inhaltliche Oszillieren im Text ist eigentlich bewußt gemacht, auch um darzustellen, das Menschen und Menschheit zusammenhängen können. Und dass es viele Arten von menschlichem Versagen gibt, die tieftraurig enden könnten. Insofern bezeichnet die Druckerschwärze schlechte Nachrichten, die die Frühlingsfreude belasten.

Zakkinens Gedanken lesen sich beeindruckend und bleiben nahe am Text. Am Anfang geht es um den Verlust geliebter Menschen und um das häufiger vorkommende Gefühl fassungsloser Trauer, Einsamkeit und Verbitterung. Das Lächeln und Glucksen verweist daher wirklich auf schöne und unbeschwertere Gefühle.

Wieder ganz herzlichen Dank wieder für Eure Rückmeldungen !
Ein Klang zum Sprachspiel.


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