Hochzeit

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 11.04.2011, 10:48

Hochzeit

Über den Hängen
Schlehenschleier,
Trauerbirken tragen
ihr Haar heute offen,
Kastanien
stecken Kerzen auf
und im Weidendom
blüht das Licht.

Löwenzahn nagt
am Asphalt; ich
fahr über Land,
die Sprecherin
erzählt frische Märchen
von strahlenden Fischen und
erweitertem Sperrgebiet.

Ich höre sie lächeln
und schau der Erde
einmal mehr
ins Janusgesicht.


Zwischenfassung:

Über den Hängen
Schlehenschleier,
Trauerbirken tragen
ihr Hoffnungshaar offen.
Kastanien
stecken Kerzen auf,
im Weidendom
blüht das Licht.

Löwenzahn nagt
am Asphalt; ich
fahr über Land,
eine muntere Stimme
erzählt moderne Märchen
von strahlenden Fischen und
erweitertem Sperrgebiet.

Ich höre sie lächeln
und schau der Erde
einmal mehr
ins Janusgesicht.


Erstfassung:

Hochzeit

Über den Hängen
Schlehenschleier,
Trauerbirken tragen
offenes Hoffnungshaar
Löwenzahn nagt sich
durch den Asphalt.

Ich fahr über Land,
mit munterer Stimme
erzählt die Sprecherin
moderne Märchen
von strahlenden Fischen und
erweitertem Sperrgebiet.

Ich höre ihr Lächeln
und schau der
freienden Erde
einmal mehr
ins Janusgesicht

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leonie
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Beitragvon leonie » 13.04.2011, 20:32

Könnte es wohl sein, dass das ein wenig Geschmackssache ist?

Henkki, ich habe Dich eher so verstanden, dass Du mit den Bildern wenig anfangen kannst und der Eindruck des Überladenen teilweise deshalb entsteht, oder?

Schlehenschleier, mein Bild dazu sind die Schlehenhecken an Feldrändern, die wenn sie blühen, etwas ""leichtes", schleierhaftes haben.
Hoffnungshaar: Die langen Zweige der Trauerbirken, die im Wind schwingen und anfangen grün zu werden, Frühling als Zeit des Aufbruchs, des Neuen, deshalb Hoffnung und weil man es oft mit der Farbe Grün verbindet.
Ich finde, dass das Janusgesicht sich von daher als Bild öffnet.

Ja, es ist doof, das eigene Gedicht zu erklären, weiß ich. Aber für mein Empfinden passt das Überladene doch zu einer Hochzeit, deshlab würde ich ungern kürzen.

Danke Euch und liebe Grüße

leonie

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 13.04.2011, 20:45

Hallo Leonie,
klar ist das Geschmackssache. Und auch meine Unwissenheit, denn ich hatte Trauerbirken auch für eine Eigenschöpfung gehalten, habe ich gerade mal gestopft die Lücke. Mir gefallen die Hoffnungshaare trotzdem noch nicht. Aber das macht auch nichts :) All die Kritik hat ja doch immer nur Vorschlagscharakter.
Grüße
Henkki

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 13.04.2011, 20:55

Hallo Leonie,

ich mag diese Naturbilder sehr gern, einzig das "Hoffnungshaar" sticht für mich heraus. Brauchst du die "Hoffnung" darin wirklich benannt, denn in diesem Hochzeit-Schleier-Frühlingsbild ist das doch schon ausreichend gezeigt?

Nachdem du die Aufzählung erweitert hast, fehlt mir in der vorletzten Zeile ein "und", um die erste Strophe auch klanglich ankommen zu lassen.
moderne Märchen
von strahlenden Fischen und
erweitertem Sperrgebiet.
Das geht für mich im Zusammenhang mit der "Janusköpfigkeit" nicht auf, da die Reaktorenproblematik ja in dem Sinn kein Gesicht/Seite der Natur zeigen, wie es Erdbeben und Tsunami würden?

Die lächelnde Sprecherin in Verbindung mit der munteren Märchenstimme klingt für mich unglaubwürdig, für den Text erfunden, und lässt mich daher auf Abstand gehen. Ich glaube ohne das "munter" würde es eher für mich funktionieren. Weil das Lächeln ja weniger "kontrollierbar" ist, sie also aus einem ganz anderen Grund tatsächlich lächeln könnte, die muntere Märchenstimme wäre aber von einer Sprecherin bewusst eingesetzt. Auch vermischt sich hier eine unterschwellige Kritik an der Sprecherin mit der eigentlichen Thematik, was für mich seltsam in Konkurrenz zueinander tritt.
Den Märchengedanken selbst finde ich hier mit am spannendsten.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 13.04.2011, 21:30

Hallo leonie,

für mich geht die erste Strophe auch noch nicht auf. Da ist zuviel reingepackt für mich, an dieser Stelle (sehe ich genau wie Henkki, lese ich gerade):

Schlehenschleier,
Trauerbirken tragen
ihr Hoffnungshaar offen.


Selbst wenn da stände:


Schlehenschleier,
Birken tragen ihr Haar offen


empfände ich das noch als relativ kräftig gesprochen. (weil es der Einstieg ist und dieser Haarvergleich in Bezug auf Natur doch recht etabliert ist und eine Art schlicht-trockene Mystik hervorrufen soll) .

Den Rest finde ich dagegen dann sprachlich sehr schön, auch weil die Bilder origineller, feiner und vorstellbarer sind.

Bei den Märchen würde ich nicht moderne schreiben - das meinst du nicht. Ich verstehe es so, dass du sagen willst: neue (junge, volksmundtief und -aufgeladen aber neu erzählt), daher würde ich wohl eher "neu" nehmen.

Die Streichung des "freiend" finde ich ästhetisch die richtige Entscheidung, allerdings fehlt mir dann etwas die Orientierung/Möglichkeit, den Text tatsächlich auf Hochzeit und Janusköpfigkeit zu lesen...denn das beides ist ja relativ komplex zusammengefügt (wobei ich zugeben muss, dass ich noch unentschlossen bin, ob diese Kombination für mich aufgeht oder nicht, allerdings werde ich das auch nicht völlig entscheiden können, weil mir ein tieferes Gefühl für das Wort Janusköpfigkeit fehlt...bin unsicher dem Wort gegenüber, auch wenn ich den Kontext kenne. Aber eben nicht gut genug, um ein Gefühl dafür zu haben, wie du diese Assoziationen mit denen zusammenbringen möchtest, die Hochzeit hervorruft.

Tut mir Leid, dass das so viele konkrete Vorschläge sind, ich will das bei dir nie gern machen, weil du mir zu Änderungsfreudig bist .-), aber hier bleibe ich wirklich an Details hängen.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 14.04.2011, 18:02

Also, ich bin ja auch immer gegen Überladung, aber um den nun hervorbrechenden Frühling mitzuteilen, kommt man eigentlich gar nicht ohne aus! Und wer tatsächlich vorher nicht wusste, wie Schlehenblüten und Trauerweidenzweige aussehen, der könnte es durch leonies treffende Wortwahl sehen. Auf den Zusatz "Hoffnungs-" könnte ich allerdings auch verzichten (wollte nur nicht so sehr dazwischen funken in den schönen Text).

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leonie
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Beitragvon leonie » 14.04.2011, 19:06

Hallo, Ihr Lieben,

ich bin noch am Nachdenken. Morgen bin ich den ganzen Tag unterwegs, ich wollte aber schon mal sagen, dass ich mich über Eure Rückmeldungen freue und sie noch in mir arbeiteten. Danke dafür!

Liebe Grüße

leonie

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 14.04.2011, 21:34

Liebe Leonie, die erste Fassung fand ich doch besser. Der Weidendom gefällt mir so gar nicht, die Kastanien mit ihren Kerzen finde ich zu "bekannt". Und wo ist denn die Sprecherin geblieben?

Allerdings gebe ich demjenigen recht, der die Stelle mit dem offenen Hoffnungshaar "bemängelte", beim nochmaligen Lesen fand ich das jetzt auch nicht (mehr) so glücklich.

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Eule
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Beitragvon Eule » 14.04.2011, 22:16

Hallo leonie, das Ende ist mir zu prosaisch und eigentlich schon in Strophe zwei vorweggenommen. Würde die dritte daher einfach streichen. Liebe Grüße !
Ein Klang zum Sprachspiel.

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leonie
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Beitragvon leonie » 16.04.2011, 16:53

So, ich nochmal,

ich habe jetzt einige der Vorschläge aufgenommen, ich bin mir wegen des Titels noch nicht sicher, vielleicht nehme ich die Kastanienkerzen noch heraus. Arne, bei der letzten Strophe muss ich noch etwas (vermutlich länger) überlegen...

Flora, Dein Einwand kam mir selbst, aber ich habe mich dann doch entschieden, es so zu machen, weil ich denke, dass der Mensch ein Teil der Erde ist und weil ich es interessant fand, wenn darüber ein "Stolpern" stattfindet, das vielleicht ins Nachdenken bringt.

So richtig "fertig" ist der Text also noch nicht. Aber vielleicht so langsam im Abhängstadium....

Danke nochmal allen für die Rückmeldungen!

Liebe Grüße

leonie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 16.04.2011, 20:16

Hallo Leo,

Flora, Dein Einwand kam mir selbst, aber ich habe mich dann doch entschieden, es so zu machen, weil ich denke, dass der Mensch ein Teil der Erde ist und weil ich es interessant fand, wenn darüber ein "Stolpern" stattfindet, das vielleicht ins Nachdenken bringt.
Da sich die Eingansbilder alle auf die Natur beziehen, etwas, was die Erde selbst "hervorbringt", ist mir der Stolperer hier ein bisschen zu groß, um wirklich eine Reibung entstehen zu lassen. Fehlt dann da nicht auch auf der "schönen" Seite das menschliche Element? Ich denke es liegt aber auch an der reinen Betrachterrolle des LIch, der Gegenüberstellung Ich-Janusgesicht, dass ich hier die Menschen und ihre Machwerke nicht im "Erdbegriff" eingeschlossen sehe. Vielleicht würde es mit "der Welt" statt "der Erde" für mich eher in deinem Sinn funktionieren.

Liebe Grüße
Flora
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Beitragvon Lisa » 16.04.2011, 20:55

Liebe leonie,

ich fürchte, dieser Text ist jetzt von den vielen (zu vielen in diesem Fall, manchmal ist das einfach so) Einwänden und Vorschlägen zerstückelt. Ich verstehe jetzt gar nicht mehr genau, was der Text sagen will: Es ist ein Festtag, an dem das sonst manchmal auch triste/kahle/unvegetative leuchtet/wächstusf., aber was bedeutet dann das Janusgesicht am Ende? Bisher hatte ich den Text so verstanden, dass das Janusgesicht das zweiseitige, aber eben auch die trügerische Seite ausdrücken soll...aber in Bezug auf den Festtag (denn es ist ja tatsächlich einer, nur ist nicht jeden tag ein Feststag, was ja aber nichts trügerisches an sich hat) verstehe ich es nicht anzuwenden.

Auch finde ich einzelne Stellen jetzt zwar weniger dicht aber auch nicht überzeugend, etwa: "frische Märchen", das finde ich sprachlich eher komisch.

ich glaube, du hast versucht auf die vielen Einwände mit deiner Sprache zu reagieren, aber konntest darin nicht mehr sprechen, weil dir deine eigene Struktur dabei verloren gegangen ist. Ich würde daher erst einmal zu deiner früheren Fassung zurückkehren, die Einwände abspeichern und dann einfach in einiger Zeit nochmal draufschauen, dann hast du sicherlich eher das verinnerlicht, was an Kritik dir stimmig erscheint und dann kommt auch wieder etwas aus einem Guss heraus...

liebe Grüße,
Lisa
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Amanita
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Beitragvon Amanita » 16.04.2011, 22:12

leonie, die Lisa hat sehr gut beschrieben, was ich auch meine: Der Text hat eine ungute Metamorphose hinter sich. Mancher Einwand von "außen" ist es einfach, dadurch kann ein Text in der Tat sehr gewinnen ... aber viele kleine Einwände sind m. E. eher ungünstig, wenn man sie alle berücksichtigen/einbauen will. "Viele Köche verderben den Brei" - so ein etwas sonderbares Sprichwort; es scheint wirklich was dran zu sein.

Für mich war das Janusköpfige das Wesentliche, das Füllhorn der Natur, diese unglaubliche Schönheit, aber doch nicht ohne Reaktorunfälle und den Folgen, nicht ohne unsichtbare Lebensgefahr usw. Konnte ich mit dem Titel "Hochzeit" nicht so richtig mitgehen, so fand ich ihn aber um Längen besser als "Festtag". Die Balance hat sich völlig verschoben, auch schon durch den "Anbau" der Zeilen mit Kastanienkerzen und Weidendom. Die Hochzeit hat wenigstens noch ein bisschen Ambivalenz drin (kann auch sein Zwangsheirat, falsche Entscheidung, Zweckheirat usw.), die dem Festtag m. E. fehlt. Der Janus hängt also jetzt ziemlich abgeschwächt am Ende herum.

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.04.2011, 09:04

Vielleicht habt Ihr recht, Liebe Lisa und liebe Amanita. Ich nenne es jetzt erstmal wieder Hochzeit und dann geht es zum Abhängen...
Und dann schau ich aus einem Abstand, wie es endgültig wird...

Liebe Grüße und danke an Euch!

leonie

Gerda

Beitragvon Gerda » 17.04.2011, 09:20

Liebe leonie,
ich finde, dass Amanita in ihrem letzten Posting fein beschreiben hat, was dem Gedicht abhanden gekommen ist.
Deine Entscheidung, es erst einmal ruhen zu lassen finde ich folgerichtig und gut.

Sonntagsgrüße
Gerda


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