Die Frucht der Weisheit
Der Mönch Hu Tse Lue
betrachtete im Garten des Klosters
die reifen Äpfel an einem Baum
Und als diese nach einiger Zeit
schließlich abfielen
und am Boden verfaulten
kam ihm die Idee seinen Schülern
eine Lektion über die Vergänglichkeit
zu erteilen
Im folgenden Jahr
während die Äpfel wieder reif am Baum hingen
pflückte Hu Tse Lue einen besonders schönen
und legte ihn auf den
goldenen Schrein
vor der Statue des ewigen Buddha
wo ihn die Schüler jeden Tag
betrachten sollten
Als nach fünf Jahren
der Apfel noch immer
reif und saftig
auf dem goldenen Schrein lag
packten die Schüler Hu Tse Lue
führten ihn auf einen Felsvorsprung
und stießen ihn hinunter
um nun ihm eine Lektion
über die Vergänglichkeit zu erteilen
Die Frucht der Weisheit
Gerade diese Kausalität sehe ich hier gerade nicht. Schüler und Lehrer sehen einen "außerplanmäßigen" Vorgang - der Apfel will und will nicht kaputtfaulen. Die Schüler lernen also, dass sich ein Apfel dermaßen lange hält und dass Vergänglichkeit durchaus auf sich warten lässt. Warum müssen die - sorry - nun klugscheißen? Und letztlich eine Lektion erteilen, ohne dass der Betreffende/ Betroffene diese Lektion auch kapiert?
Wenn, dann haben sie sich doch selbst eine Lektion gegeben: Dass es Vergänglichkeit (eben doch) gibt. Und dann wären sie einfach nur dumm. Oberklug seinwollend, aber dumm.
Wenn, dann haben sie sich doch selbst eine Lektion gegeben: Dass es Vergänglichkeit (eben doch) gibt. Und dann wären sie einfach nur dumm. Oberklug seinwollend, aber dumm.
Lieber Sam,
deine Texte überzeugen mich zu allermeist, auch wenn, wie hier, eine Minute der Verwirrung, Verblüffung, dem Verstehen voraus geht. Natürlich denkt man an Brecht, den Jasager und den Neinsager, den ich in beiden Fällen sehr moralisierend finde. Mit Brecht hatte ich immer Probleme, weil ich seinen päadagogischen Auftraf zu kleinbürgerlich finde.
Ließe man dem künstlerischen Drang der Menschen (ein Begriff, den ich "dem Volk" weit vorziehe) freien Lauf, es käme mehr Proust als Brecht zum Vorschein - meine ich.
Und du neigst auch in manchen deiner Texte zur Belehrung. Natürlich schaffst du es (das ist der Moment der Verblüffung) diese umzukehren, Dadurch wird der Text aus der Tradition herausgehoben und zu deinem Text. Als solcher im übrigen erkennbar und deshalb ein bemerkenswerter Text aus authentischer Schriftstellerhand.
zu den einzelnen Passagen :
eine klare EInleitung, die ein "Lehrgedicht", das könnte so in den Kalendergschichten stehen.
Eine Spannung wurde aufgebaut und weitergeführt, bei der Gelegenheit stellt sich die Frage, ob dieser einleitende Teil zu lang ist? Nein - denn der Leser braucht die Einstimmung, das Aufbauen einer besonderen Textmusik.
Das ist "Sam". Der Lehrer wurde vom Apfel besiegt. Der Lehrer hat das Gesetz und die Macht des Apfels unterschätzt (--- das Lebendige, das Prinzip des "Lebenden" - ich glaube, dass der Paradies-Apfel nur entfernt mitschwingen soll, die Frucht ist hier in ihrer Kraft als Ergebnis, als Ernte gemeint, glaube ich. Der Lehrer hat eine Ernte gemacht, die seine Fähigkeit übersteigt. (Damit meine ich den Apfel, der intakt bleibt, das sogenannte "Apfelwunder" -- das ist sicher, hoffe ich, ironisch gemeint. Der apfel tut jedenfalls nicht, was der Lehrer von ihm erwartet. Da beginnnt die Umkehrung.
Der Widerstand des Fleischlichen
Diese gewaltige Ernte vernichtet seine Autorität und flößt den Schülern sowohl Verachtung für den Lehrer ein, als auch jene Furcht, die zu Mord- und Totschlag führt. Statt zu fragen : Warum, werden wortlos Handlungen an die Stelle der Hinterfragung gesetzt.
Von da an ist natürlich eine Neuerarbeitung des Gedichts möglich: ein Lehrer, der aus dem Verfaulen der Früchte falsche Schlüsse zieht. Er glaubt, er müsse den Schülern die Vergänglichkeit, das Faulen des Lebendigen aufzeigen. Dabei ... das ist jetzt absolute Interpretation, hätte er besser daran getan, die faulen Äpfel in sein Schreibzimmer zu tragen, den Duft der faulen Äpfel als Inspiration zu nutzen und kunstvoll kalligraphierte Texte über das Fortschreiten einer blassen Apfelstelle zu verfassen. (Schiller)
So, das wärs, ich hoffe, dich nicht irritiert zu haben, mit dieser sehr persönlichen Interpretation deines Gedichts, das ich als solches sehr mag,
lg
Renée
deine Texte überzeugen mich zu allermeist, auch wenn, wie hier, eine Minute der Verwirrung, Verblüffung, dem Verstehen voraus geht. Natürlich denkt man an Brecht, den Jasager und den Neinsager, den ich in beiden Fällen sehr moralisierend finde. Mit Brecht hatte ich immer Probleme, weil ich seinen päadagogischen Auftraf zu kleinbürgerlich finde.
Ließe man dem künstlerischen Drang der Menschen (ein Begriff, den ich "dem Volk" weit vorziehe) freien Lauf, es käme mehr Proust als Brecht zum Vorschein - meine ich.
Und du neigst auch in manchen deiner Texte zur Belehrung. Natürlich schaffst du es (das ist der Moment der Verblüffung) diese umzukehren, Dadurch wird der Text aus der Tradition herausgehoben und zu deinem Text. Als solcher im übrigen erkennbar und deshalb ein bemerkenswerter Text aus authentischer Schriftstellerhand.
zu den einzelnen Passagen :
Sam hat geschrieben:Die Frucht der Weisheit
Der Mönch Hu Tse Lue
betrachtete im Garten des Klosters
die reifen Äpfel an einem Baum
Und als diese nach einiger Zeit
schließlich abfielen
und am Boden verfaulten
kam ihm die Idee seinen Schülern
eine Lektion über die Vergänglichkeit
zu erteilen
eine klare EInleitung, die ein "Lehrgedicht", das könnte so in den Kalendergschichten stehen.
Sam hat geschrieben:Im folgenden Jahr
während die Äpfel wieder reif am Baum hingen
pflückte Hu Tse Lue einen besonders schönen
und legte ihn auf den
goldenen Schrein
vor der Statue des ewigen Buddha
wo ihn die Schüler jeden Tag
betrachten sollten
Eine Spannung wurde aufgebaut und weitergeführt, bei der Gelegenheit stellt sich die Frage, ob dieser einleitende Teil zu lang ist? Nein - denn der Leser braucht die Einstimmung, das Aufbauen einer besonderen Textmusik.
Sam hat geschrieben:Als nach fünf Jahren
der Apfel noch immer
reif und saftig
auf dem goldenen Schrein lag
packten die Schüler Hu Tse Lue
führten ihn auf einen Felsvorsprung
und stießen ihn hinunter
um nun ihm eine Lektion
über die Vergänglichkeit zu erteilen
Das ist "Sam". Der Lehrer wurde vom Apfel besiegt. Der Lehrer hat das Gesetz und die Macht des Apfels unterschätzt (--- das Lebendige, das Prinzip des "Lebenden" - ich glaube, dass der Paradies-Apfel nur entfernt mitschwingen soll, die Frucht ist hier in ihrer Kraft als Ergebnis, als Ernte gemeint, glaube ich. Der Lehrer hat eine Ernte gemacht, die seine Fähigkeit übersteigt. (Damit meine ich den Apfel, der intakt bleibt, das sogenannte "Apfelwunder" -- das ist sicher, hoffe ich, ironisch gemeint. Der apfel tut jedenfalls nicht, was der Lehrer von ihm erwartet. Da beginnnt die Umkehrung.
Der Widerstand des Fleischlichen
Diese gewaltige Ernte vernichtet seine Autorität und flößt den Schülern sowohl Verachtung für den Lehrer ein, als auch jene Furcht, die zu Mord- und Totschlag führt. Statt zu fragen : Warum, werden wortlos Handlungen an die Stelle der Hinterfragung gesetzt.
Von da an ist natürlich eine Neuerarbeitung des Gedichts möglich: ein Lehrer, der aus dem Verfaulen der Früchte falsche Schlüsse zieht. Er glaubt, er müsse den Schülern die Vergänglichkeit, das Faulen des Lebendigen aufzeigen. Dabei ... das ist jetzt absolute Interpretation, hätte er besser daran getan, die faulen Äpfel in sein Schreibzimmer zu tragen, den Duft der faulen Äpfel als Inspiration zu nutzen und kunstvoll kalligraphierte Texte über das Fortschreiten einer blassen Apfelstelle zu verfassen. (Schiller)
So, das wärs, ich hoffe, dich nicht irritiert zu haben, mit dieser sehr persönlichen Interpretation deines Gedichts, das ich als solches sehr mag,
lg
Renée
Zuletzt geändert von Renée Lomris am 13.02.2012, 15:09, insgesamt 1-mal geändert.
Hmm, kommt mir immer noch nicht klar und kausal vor.
Soweit noch klar. Einleitung, worum geht es, Stil klar. Lehrgedicht, Marke "fernöstliche Weisheit".
Hier ist die Aktion. Der intakte Apfel landet vor dem Schrein, die Schüler sollen ihn beobachten. Dass sie beobachten sollen, wie er verfällt, wird nicht gesagt. Das wissen wir, aber die Schüler nicht notwendigerweise.
Was ist die Ursache für den Nicht-Verfall des Apfels? Buddhas Größe und Güte vermutlich. Kein Grund, den Lehrer zu töten, dem eine Lektion schon alleine dadurch erteilt wurde. Das geht für mich nicht auf. Wie ist denn Deine kausale Folge, Sam? Oder Deine, Räuber? Hilfe, bitte!
Sam hat geschrieben:Der Mönch Hu Tse Lue
betrachtete im Garten des Klosters
die reifen Äpfel an einem Baum
Und als diese nach einiger Zeit
schließlich abfielen
und am Boden verfaulten
kam ihm die Idee seinen Schülern
eine Lektion über die Vergänglichkeit
zu erteilen
Soweit noch klar. Einleitung, worum geht es, Stil klar. Lehrgedicht, Marke "fernöstliche Weisheit".
Im folgenden Jahr
während die Äpfel wieder reif am Baum hingen
pflückte Hu Tse Lue einen besonders schönen
und legte ihn auf den
goldenen Schrein
vor der Statue des ewigen Buddha
wo ihn die Schüler jeden Tag
betrachten sollten
Hier ist die Aktion. Der intakte Apfel landet vor dem Schrein, die Schüler sollen ihn beobachten. Dass sie beobachten sollen, wie er verfällt, wird nicht gesagt. Das wissen wir, aber die Schüler nicht notwendigerweise.
Als nach fünf Jahren
der Apfel noch immer
reif und saftig
auf dem goldenen Schrein lag
packten die Schüler Hu Tse Lue
führten ihn auf einen Felsvorsprung
und stießen ihn hinunter
um nun ihm eine Lektion
über die Vergänglichkeit zu erteilen
Was ist die Ursache für den Nicht-Verfall des Apfels? Buddhas Größe und Güte vermutlich. Kein Grund, den Lehrer zu töten, dem eine Lektion schon alleine dadurch erteilt wurde. Das geht für mich nicht auf. Wie ist denn Deine kausale Folge, Sam? Oder Deine, Räuber? Hilfe, bitte!
Der Mönch unterschätzt die Kraft Buddhas. Seine Lektion an die Schüler geht somit nicht auf. Und die Schüler sind wütend, dass ihr Lehrer die Kraft Buddhas nicht kannte, somit nicht würdig war, ihr Lehrer zu sein und bestrafen ihn deshalb so drakonisch?
scarlett hat geschrieben:und die drakonische strafe wäre dann eine umkehrung der ansonsten friedfertigen buddha-lehre?
hier dann also die ironie?
ja, nur so ergäbe das Ganze für mich Sinn. Denn die Buddha-Lehre ist nicht brutal, ganz im Gegenteil, sie ist sanftmütig, asketisch, lebt den Weg der Mitte und den Weg des Leidens. Und dieses Leiden wird m.E. hier dargestellt, überzogen klar, aber darum geht es m.E.
Der Mönch leidet, doch die Schüler noch viel mehr. Und dieses Leiden der Schüler ufert dann aus in Gewalt, da es für sie unterträglich ist.
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 35 Gäste