Ach

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 15.06.2012, 09:09

Ich achte auf meine Worte.
Meine Worte aber,
achten nicht auf mich.

Ich vertreibe die Zeit,
und sie hält sich auf mit mir.

Man spitzt sich zu,
bis man das eigene Gesicht
nicht mehr erkennt,
die vertrauten Gedanken
hinter der bekannten Handschrift
vermisst.


Zweite Version

Ich achte auf meine Worte.
Meine Worte aber,
achten nicht auf mich.

Man spitzt sich zu,
bis man das eigene Gesicht
nicht mehr erkennt.
Die bekannte Handschrift
vertraute Gedanken
vermisst.


Kollektivversion unter der Federführung Floras

Ich achte auf meine Worte.
Meine Worte aber
achten nicht auf mich.

Ich vertreibe die Zeit,
und sie hält sich auf mit mir.

Ach, man spitzt sie zu,
bis man das eigene Gesicht
nicht mehr erkennt.
Zuletzt geändert von Xanthippe am 16.06.2012, 09:54, insgesamt 3-mal geändert.

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birke
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Beitragvon birke » 16.06.2012, 11:01

Also, ich finde das nun sehr stimmig so, Xanthi - und ja, nun passt die Strophe mit der Zeit für mich auch wieder hinein.

Nur stellt sich für mich jetzt allerdings die Frage - WAS spitzt man hier denn nun zu? Momentan bezieht sich das für mich auf die Zeit ... aber sind nicht eher die Worte gemeint?



Flora hat geschrieben:Vielleicht stehe ich ja auf dem Schlauch, was bedeutet "man spitzt sich zu" im Kontext des Gedichtes für dich?

Liebe Grüße
Flora


Hallo Flora, man sagt ja, "eine Situation spitzt sich zu", also, wird brisant, droht zu eskalieren, steuert auf einen negativen Höhepunkt zu sozusagen. Übertragen auf den Menschen heißt das für mich, der Mensch steuert auf einen eskalierenden Punkt zu, verrennt sich immer mehr ... bis es in ein "Gewitter" oder was auch immer - gipfelt.
Hier konkret wäre das für mich die Entfremdung von sich selbst.

Deshalb passte es für mich immer noch gut in diesen Text.

Liebe Grüße!
Diana
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 16.06.2012, 12:04

hallo Diana,

Die Frage macht für mich den besonderen Reiz aus. ich möchte sie auch gar nicht beantworten, sondern nur sagen, dass es das ist, was ein gelungenes Gedicht ausmachen kann, dass da eine Frage steht, die man eben nicht eindeutig beantworten kann, die aber stimmig ist.

Während es ja in der ursprünglichen Fassung, wie du ganz richtig beschreibst, sehr deutlich in eine Richtung ging, und nur sprachlich verwässert wurde. Der Mensch spitzte sich zu und auf einmal war dann doch wieder die Rede von der Schrift, das war verwirrend, während es jetzt offen ist. So zumindest mein Empfinden.
Danke für das Nachhaken und viele Grüße
Xanthi

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birke
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Beitragvon birke » 16.06.2012, 12:10

Hmmm ... ja, okay, so kann man ;) das sehen, ja, durchaus, Xanthi.

Mir kam nun inzwischen noch ein ganz anderer Gedanke - und zwar dieser:

Ach, man spitzt sie zu,
bis man die eigene Handschrift
nicht mehr erkennt.


So fände ich den Bogen zum Beginn eigentlich ganz schön gespannt ... und sagt ja doch im Grunde das gleiche aus, wie "... das Gesicht nicht mehr erkennt".

Nur noch ein Gedanke hierzu, den ich dir nicht vorenthalten wollte - aber selbstverständlich ist es dein Text - und für dich muss er aufgehen! :-)
(Deine Handschrift muss deine bleiben! ;)))

Alles Liebe,
Diana
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Eule
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Beitragvon Eule » 01.07.2012, 18:52

Hallo Xanthippe, ich würde in der ersten Strophe noch weiter verkürzen:

Ich achte auf meine Worte
Meine Worte aber nicht auf mich.

Sonst gefällt mir der Text sehr gut.
Ein Klang zum Sprachspiel.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 04.07.2012, 14:42

Hallo Eule,
warum meinst du, wäre es eine Verbesserung auf das achten in dieser Zeile zu verzichten?
Mir klingt es dann zu unpathetisch ;-)
Nee, im Ernst, irgendwie brauche ich da ein wenig gestelztes, weil es sonst fast schon platt klingt in meinen Ohren.
Aber mich würde Deine Sicht darauf, die ja naturgemäß eine andere sein muss, sehr interessieren.

ecb

Beitragvon ecb » 04.07.2012, 15:50

Also, wenn ich mich da so verspätet noch einschalten darf: die letzte, kollektive Version finde ich wunderbar verdichtet, da sitzt für mich jedes Wort. Das wäre ein Gedicht ganz nach meinem Gusto, und aus meiner Sicht hoffe ich also, daß es so bleibt.

Gruß von Eva :engel2:

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Eule
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Beitragvon Eule » 04.07.2012, 23:12

Hallo Xanthippe, manchmal ist bekanntlich weniger mehr. Verkürzungen sind ein beliebtes poetische Stilmittel, sie bewirken z.B. mehr Konzentration auf bestimmte Textstellen oder erleichtern deren Verständnis.

Und der Genußwert von Poesie steigt oft durch das Vermeiden z.B. von Floskeln oder Wiederholungen. Für mich ergibt das erneute Gebrauchen des Verbs "achten" hier keinen positiven Effekt, im Gegenteil, es wirkt auf mich als unnötiger, störender Wink mit einem sprichwörtlichen Zaunpfahl, der mir ein wenig wie falsches Pathos vorkommt.
Ein Klang zum Sprachspiel.


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