MiruMir

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Werther

Beitragvon Werther » 05.02.2006, 03:01

Миру Мир (MiruMir)

Es begann, als niemand da war, es zu sehen,
Die Welt brach auf, noch nicht entzwei.
Vier Große waren da, die Probe zu bestehen
Und Einer, sie zu testen in dauernder Kastei.

Als Buddha sich am Rand der Zeit bezwang
Auf dem Spielplatz der Schöpfung, dem Weltenfloß,
Schritt allem Leben Gottes Ebenbild voran –
Mutter Erde, Vater Mensch, geschieden, kinderlos.

Der Gutmensch, in seinem Geiste gewillt,
Doch seinen Trieben verschrieben,
erkannt' seine Pflicht, von den Großen gedrillt,
Nichts anderes als sich selbst zu lieben.

Staat, Philosophie, Literatur und Physik –
Der Kleinmensch lernt denken
Und doch versteht er kein Stück,
Auch wenn er weiß, die Welt zu lenken.

Bald wird die Zeit knapp, das Wasser ist rar,
der Kampf mit den Großen gewonnen.
Wissenschaft, Selbst und Recht scheint so wahr
Und die Heilung der Welt scheint zerronnen.

Doch in der Wüste des Wissens, zwischen Unkraut und Leid,
Wächst sich leise empor aus alter Grume
Ein Pflänzlein, so klein und doch wohl bereit,
Das Kraut der Hoffnung – die Mutblume.

Deshalb, ihr Menschen, behütet sie gut
Es ist die Eine, die euch geblieben!
Nehmt euer Herz, verschenkt es mit Mut
Und fangt wieder an zu lieben!


Anmerkung zum Titel: Im Russischen vereinen sich “Welt” und “Frieden” in dem einfachen Wort MIR.

Werther

Beitragvon Werther » 05.02.2006, 03:07

Ja, ich weiß - sehr goethesch, bedeutungsschwanger und überquillend an Bildern. Meine Schwäche für den alten Meister scheint durch und doch bin ich mir nicht sicher, ob das nicht schon alles sehr überholt klingt, zu gestelzt und konstruiert. Ich möchte eure Meinung dazu hören und, ob ihr es versteht oder zumindest ein Gefühl zurückbleibt! Das wäre alles...

Danke!

Werther

Louisa

Beitragvon Louisa » 05.02.2006, 18:56

Hallo Werther,
Ich befand mich bis vor kurzem noch in einem lebensbedrohlichen Werther-Fieber und mag ihn immer noch sehr gern....deshalb: Ein feiner Name.

Zu deinem Gedicht:

1. Frage:
Vier Große waren da, die Probe zu bestehen


Wer sind die vier Großen?

2. Frage:
Auch wenn er weiß, die Welt zu lenken.


-Das glaube ich nicht. Du?


Ansonsten habe ich nichts einzuwänden. Ich mag deinen Appell am Ende, obwohl ich das Wort "Mutblume" vom Klang her etwas kurios finde.

Am besten gefällt mir:
Mutter Erde, Vater Mensch, geschieden, kinderlos.


Das ist wirklich ein neuer, frischer Gedanke. Wunderbar.

Ich kann Deine Aussage nur unterstützen und: Goethe íst doch ein sehr gutes Vorbild, was die Lyrik betrifft.

LG, Louisa

Maija

Beitragvon Maija » 05.02.2006, 20:17

Hallo Werther,

Das Gedicht kommt inhaltlich gut rüber und es liest sich nicht gezwungen.

Und doch versteht er kein Stück,


Na ganz so 'dumm' sind wir Menschen nun doch nicht. Wir lernen langsam und ob sich alles einmal in Nichts auflösen wird bleibt spannend und damit fraglich. Man sollte nicht den 'Untergang' immer so hart zelebrieren, als ob der Mensch an allem schuld sei. Obwohl ich deine Sorge hören kann. Und das du dein Gedicht mit der Liebe enden lässt, zeigt mir, dass die Hoffnung niemals stirbt und das ist gut so.
Ob die Liebe uns vor allem 'Unglück' retten kann, bleibt auch ein Problem und somit offen.

Gruß Maija

Werther

Beitragvon Werther » 06.02.2006, 00:55

Hallo Louisa, Hallo Maija!

Danke für eure bestärkenden Worte! Denn insbesondere die Lesbarkeit von Gedichten ist und bleibt für mich immer ein schmaler Pfad!

Zu Frage 1:

Die vier Großen, dass sind die Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam und Hinduismus. Der Buddhismus wird hier extra erwähnt, weil er wohl eher einer Weltanschauung entspricht und sich individueller mit der "Selbstverwirklichung des Menschen" beschäftigt. Jedenfalls ist das meine Erfahrung mit ihm und die war zeitweise schon recht intensiv!
Die Großen tauchen noch an zwei anderen Stellen auf. Einmal im inneren Zwiespalt mit dem Menschen und ein anderes Mal im verlorenen Kampf gegen ihn. Das entspricht meiner Meinung nach so ziemlich der momentanen Situation aus Sicht der institutionalisierten Religionen.

Mir ist aufgefallen, dass ich an der zweiten Stelle "erkannt seine Pflicht, [wohl] von den Großen gedrillt" das 'wohl' vergessen habe, welches ich erst später einmal eingefügt habe. Diese Stelle hatte mich immer ein bisschen gestört, weil es nicht das Verhältnis der Beziehung zwischen den 'Großen' und dem Menschen ausdrückte, wie sie für mich stimmig war. Also kam das 'wohl', das die menschliche und nicht ungefährliche religiöse Einbildungskraft (oder auch seinen Interpretiationsfreiraum) deutlich machen soll. (Klingt komplizierter als es ist!:)

Zu Frage 2:

Allein schon der sehr allgemeine Begriff 'Welt' soll Selbstironie mitschwingen lassen! Wenn ers wüsste, bräuchte ich nicht solche Gedichte zu schreiben! :grin:

Zur Mutblume:

Das ist ein Kunstwort, das mir bei folgendem Bild kam: In einer vertrockneten, kahlen Wüste, rissig und hart ohne Leben, traut sich eine Blume durch den wasserlosen Untergrund, allen Unweglichkeiten zum trotz. Mir gefiel es, dieses Bild in einem Wort zusammenzufassen! Der Klang ist wahrlich nicht gerade lyrisch wertvoll, aber es musste mit hinein, denn diese Metapher war sozusagen die "Geburt" des Gedichtes und gleichzeitig soetwas wie sein kleinster Nenner. Es muss auch etwas kurios klingen, sonst fällt es nicht auf. Besser ließ es sich dann mit meinen Mitteln einfach nicht einbinden...

Na ganz so 'dumm' sind wir Menschen nun doch nicht.


Naja, der Mensch benimmt sich nicht gerade waise, verantwortungsbewusst oder wenigstens achtsam gegenüber der Natur oder gar seinem Nächsten. Er hat einen (fast menschlichen) Drang zum Größenwahn, Egozentrismus und Scheuklappendenken. Ich weiß, dass ist jetzt sehr allgemein, obwohl es sich eigentlich nicht verallgemeinern lässt. Und wenn ich nicht grade Gedichte schreibe, bin ich auch ein sehr positiv denkender Mensch :grin: , aber das die nähere Zukunft mit Vorsicht zu genießen ist, leuchtet heutzutage wohl jedermann ein!
Das Tolle dabei ist die Hoffnung, eine Fähigkeit der Selbstberuhigung, ohne die der Mensch schon längst aufgegeben hätte. Sie spendet Kraft und Zuversicht, schafft Zusammenhalt und Orientierung. Und deswegen gibt es die Mutblume! Oder eben die Liebe - meine Meinung nach eine der stärksten Hoffnungsspenderinnen, wenn auch kein Allheilmittel!

So, dass gehörte jetzt eigentlich alles in die Philosophen-Ecke des Forums, aber wenn man erstmal in Fahrt ist...

Ich befand mich bis vor kurzem noch in einem lebensbedrohlichen Werther-Fieber


Klingt ja gefährlich, v.a. wenn man sich das Ende vorstellt! :shock: Aber es ist beruhigend, dass du die Kurve noch gekriegt hast!

Nochmal Danke und liebe Grüße,

Werther

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 06.02.2006, 01:21

Alles wesentliche ist schon gesagt,
und so möchte ich mich nur den Vorrednern/innen
anschließen... bis auf:

Mutblume

Also, ich persönlich finde das Wort klasse.
Es reizt zum Nachdenken und führt zu neuen Assoziationen.

Gruß

Louisa

Beitragvon Louisa » 06.02.2006, 14:02

Ja, es is schon sehr fein von seiner Bedeutung, aber dieses Doppel-U reizt mich ein bisschen...

Obwohl: In dieser Eiszeit kommt eigentlich jede Blume ganz gut an- Oder?

Ob Floristik-, Heizkessel-, Wüstensand- oder Lava-Lyrik...alles Aufwärmende ist erwünscht.

(Verzeihung, auch ich neige gelegentlich zum Abschweifen...)

LG, Louisa


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