Wahre Liebe oder: die Auster

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 01.08.2006, 15:06

Habt ihr schon einmal am Strand eine frisch angetreibene Auster schimmern sehen, die, als ihr sie mitnahmt, bald nur noch traurig, stumpf und grau herumlag?


Wahre Liebe oder: die Auster

Voll Grauen der Morgen, so freudlos die Tage
voll Schwermut der Abend und einsam die Nacht
und wieder und wieder stell ich mir die Frage
was sich wohl der Schöpfer bei all dem gedacht.

So ziehe ich sinnend durch nächtliche Gassen
der Trauer zur Freude, der Freude zum Spott
und krieg´ ich ein Fünkchen von Schönheit zu fassen
dann heb´ ich den Blick und dann danke ich Gott.

Da plötzlich erhebt sich aus dreuender Leere
das Sinnbild der Schönheit im milchweißen Schein
und diese Gestalt, frei von irdischer Schwere
scheint mir die Antwort auf alles zu sein.

So stehe ich wankend, die Augen weit offen
und sehne und sinne und sehe sie an
ganz tief in mir regt sich ein rasendes Hoffen
daß nichts meinen Blick von ihr losreißen kann.

Ein jähes Begehren, ein reißend Verlangen
ergreift mich und spricht in befehlendem Ton:
"Beende dein Sehnen, dein Hoffen und Bangen
denn siehe wohl: zu lange suchst du mir schon!"

Doch weiß ich, durch Fassen wird alles zerrinnen
ich zögere, wanke, bin scheu wie ein Tier
und setze mich nieder, nach kurzem Besinnen
erheb´ ich mich also und spreche zu mir:

"Hier hab ich´s gefunden, hier will ich es lassen
daß anderes Aug´seine Freude dran hat.
Die Sehnsucht zu lieben, die Sehnsucht zu fassen
vergessen ist auch eine liebende Tat."

Max

Beitragvon Max » 01.08.2006, 20:05

Lieber Mnemosyne,

willkommen im Salon. Zu deinem Werk, mit dem Du Dic hier vorstellst aus ein zeitgründen nur ein knapper erster Eindruck: mir geht nicht aus dem Sinn, dass der Reim diesem Gedicht nicht bekommt. Durch das sehr rhythmische Reimschema und die in der Regel sehr gängigen Bilder bzw. sprachlichen Wendungen, bekommt das Gedicht für mich etwas leicht leiernendes. Das macht es mir schwer, das dahinter steckende Gefühl zu empfinden.

Liebe Grüße
Max

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 01.08.2006, 22:44

Hallo Mnemosyne

Ich habe, ehrlich gesagt, noch nie eine Auster gesehen, geschweige denn mitgenommen, dein Gedicht kommt aber dennoch bei mir an. Ich finde es sehr stimmungsvoll. Ich frage mich allerdings, ob ´scheu wie ein Tier´passt und denke an Bären, Haie, aufdringliche Wespen. Vielleicht lässt sich da was mit einem Reh machen und der dazugehörige Reim entsprechend ändern.

Ansonsten sehr hübsch

Jürgen

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 02.08.2006, 14:51

Hallo Max, Hallo Jürgen,

danke für eure Kommentare; das Gedicht ist eigentlich als Parodie gedacht; natürlich trieft es, und es wird ja auch anstelle eines Menschen eine solchen Regungen eher unzugängliche Auster angeminnt. Vielleicht hätte ich es besser in die "satirische lyrik" stellen sollen.
Das Reh ist ein guter Einfall, ich werde sehen, was ich daraus machen kann.

Viele Grüsse

Merlin

Maija

Beitragvon Maija » 02.08.2006, 16:49

Hallo Mnemosyne,

Am Anfang dachte ich, dies Gedicht hat ein berühmter Dichter geschrieben. :mrgreen:
Mir gefällt es ausgezeichnet und der Rythmus ist fast perfekt. Leider habe ich noch nie eine Auster richtig gesehen. Aber deine Bilder sprechen eine schöne Sprache.

"Beende dein Sehnen, dein Hoffen und Bangen
denn siehe wohl: zu lange suchst du mir schon!"


Absicht das mir?

Gruß Maija

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.08.2006, 13:55

Hallo Mnemosyne,

also ich habe schon mal eine Auster am Strand frisch angespühlt aufgehoben und leider verhält es sich mit ihr (leider auch mit Kieseln und anderen Muscheln) ganz genau so wie du schreibst und ich hatte ähnliche Gedanken dabei wie du...nicht alle habe ich liegengelassen, aber einige schon.

Aber...trotzdem ist für mich schwer, das Gedicht zu lesen...es wirkt für mich viel zu süß (durch die extrem klassische Kombination aus Form und Sprache und dann auch noch der Gottesbezug dazu)...da sperrt sich einfach vieles in mir, weil es kaum noch etwas mit Wirklichkeit zu tun hat...es ist ein fernes, abgekapseltes Schwelgen...Form und Sprache wirken so für mich wie ein odischer Zuckerguss, der das darunter erstickt...denn der Gedanke und die tat, die dahinter steckt ist doch recht schlicht und schön...

Daher schließe ich mich Max Meinung an - ohne Reim und in freierer Form wäre der Gedanke (für mich) besser zu erlesen...vorallem auch der Bezug auf die Liebe...

Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 03.08.2006, 14:38

hallo maija,
freut mich, daß es dir gefällt. am "mir" haben schon einige anstoss genommen; eigentlich ist es in dem sinn von "das ist mir zu gross/zu hoch..." gemeint - man sucht ja nicht nach dem verlangen. aber vermutlich wäre eine umformulierung von vorteil.

lisa:
die pathetische überhöhung eines an sich banalen vorgangs sollte ja gerade das augenzwinkernde daran sein; darum der zuckerguss. offenbar steht das gedicht entweder im falschen themenbereich, oder ich muss noch daran feilen, das satirische stärker herauszuarbeiten.

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Beitragvon Lisa » 03.08.2006, 14:50

Oh, das habe ich gar nicht gelesen! *lach*. ich könnte es in Satire verschieben...wie wäre denn das? ich denke, nun lässt sich der text von mir ganz anders lesen :-).
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 03.08.2006, 15:35

Liebe Lisa,

ich schließe mich an. Als Satire lese ich es anders, allerdings wäre es schön, wenn ich den Schluss auch ohne Hinweis des Autors geschafft hätte ;-)

Liebe Grüße
Max


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