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Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 28.11.2013, 17:26

ich sammle vergilbte ulmensonnen
von deinen landkarten,
fege sie wie brotkrumen in meine hand.

(zur sicherheit lieber noch einmal - bis auch die gebirge sich glatt anfühlen.)

jedes gelb eine versicherung:
es leuchtet noch immer im langsamen fallen
und tanzt, unberechenbar, einen rumbatakt zur seite.

(wie-ge-seit-wie-ge-seit-wie-…)

gestern schmeckt deine zunge
nach mand und tung,
unseren geheimen worten und zeiten.

(wie-ge-seit-wie-ge-seit-wie…)

gestern riecht deine haut nach den wassern
und im muster deiner muttermale finde ich mich zurecht
wie in den vergangenen sommern.

(wie-ge-seit-wie-ge-seit-wiege-seit...)

ein kompass ist eher hinderlich beim tanz,
hast du einmal gesagt.

ich folge den sonnen auf deinen karten.

brotkrumen in meiner hand.

bis die gebirge sich glatt anfühlen.

scarlett

Beitragvon scarlett » 29.11.2013, 12:13

dies ist ein gedicht, das sich mir zwar einerseits verschließt, andererseits finde ich es so genial, weil es etwas in mir berührt und zum klingen bringt, das ich nicht benennen kann und mag.

der einstieg, liebe a., ist einfach zum niederknien.
die bilder, die da bereits angelegt sind, werden konsequent aufgegriffen und erweitert, besonders schön, das fallen der blätter bzw. ulmensonnen, das im tanz /rumba wieder aufgenommen und weitergeführt wird. wie gewiegt ... wiege seit ... den vergangenen sommern.

schwierigkeiten, arge, habe ich mit der zeit nach "gestern", das präsens lässt mich zusammenzucken, aber ich weiß genau, dass du das mit bedacht ausgewählt hast und es keiner "schludrigkeit" zu verdanken ist.
dennoch: geht das grammatisch? :12:
kann man das - selbst bei großer dichterischer freiheit - machen?
ich würde mich freuen, wenn du dazu was sagen würdest.

lg
sca

wolpertinger

Beitragvon wolpertinger » 29.11.2013, 19:07

Hallo scarlett und allerleihrauh
mir ging es mit dem "gestern" ähnlich, und ich denke, es soll sich lediglich auf das gegenwärtige Empfinden beziehen, wie etwa: ich rieche den gestrigen Tag. Es sticht natürlich sofort heraus, weil es ja eigentlich grammatisch nicht geht.

Bei: (wie-ge-seit-wie-ge-seit-wie-…) stehe ich auf dem Schlauch.

Insgesamt gefällt mir das Gedicht, besonders auch, weil es mit den letzten beiden Versen rund wird.
Grüße
Wolf

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 29.11.2013, 19:34

"wie-ge-seit-wie-ge-seit"...

Ich glaube, damit ist der Rumba Tanz gemeint: "Wiege dich zuerst in den Hüften und mach dann eine plötzliche Bewegung mit ebendiesen, nach rechts oder nach links. Mit anderen Worten: mit "seit" ist "Seite" gemeint.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 29.11.2013, 19:44

Hallo Annett,

ein für dich charakteristisches Gedicht. Inzwischen erkenne ich sie, die Merkmale. ,-)
Wunderbar finde ich hier vor allem die Auslassungen, bei den Tanzschritten, bei den "geheimen worten" und die Wiederholungen, die eine sogartige Wirkung auf mich haben und intensiv nachhallen.

Liebe Grüße
Gabi

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birke
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Beitragvon birke » 29.11.2013, 23:44

die richtige richtung ... nach gestern gerichtet ... und doch gegenwärtig.
hat etwas magisches, dieser text, gefällt mir sehr. der rumba, flirt ...
mit dem präsens nach "gestern" hab ich gar kein problem, finde das sehr schön so gelöst :) allerdings hab (oder hatte) ich auch so meine probleme mit dem "wie-ge-seit..." aber nach und nach erschließt es sich mir, erspür ich den rhythmus, nicht zuletzt auch durch die kommentare hier. (ich frage mich, ob es vielleicht noch deutlicher würde, wenn statt trenn-strichen gedanken - striche gesetzt würden ...? oder doch die "takte" semantisch abzusetzen, also "wie-ge-seit - hier einen gedankenstrich - wie-ge-seit"? nur so gedanken :)) die idee, den rumba mit worten darzustellen hat jedenfalls was!)
lg,
birke
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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 01.12.2013, 21:16

hallo alle,

und vielen dank für eure rückmeldungen.

@ scarlett: ich kann deine bedenken, den tempusgebrauch betreffend, verstehen. ich denke, dass präsens im zusammenhang mit "gestern" nicht funktioniert und würde auch nicht die berühmte dichterische freiheit bemühen wollen, um diese kombination zu rechtfertigen. ich hatte den rumbavers in zwei fällen mit "wie" enden lassen. wenn man also weiterliest, dann würde man vor dem "gestern" ein "wie" lesen. ("wie gestern schmeckt deine zunge..." / "wie gestern riecht deine haut...") wenn das nicht erkennbar ist, ist mein plan vielleicht gescheitert?

@wolpertinger: der herr klimperer hats gut erklärt. "wiegeseitwiegeseit...) ist der rumbatanzschritt.

@birke: vielleicht ist es wirklich die lösung meines problems, den tanzschritt anders und nicht in klammern zu setzen. ich überleg mir das mal. danke für den tipp!

lg
a

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birke
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Beitragvon birke » 01.12.2013, 22:31

liebe a. - also, das "wie gestern" hab ich tatsächlich nicht so gelesen (wobei es ja trotzdem für mich nicht "schräg" war.) die klammern wegzulassen könnte helfen, ja!
lg
birke
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scarlett

Beitragvon scarlett » 02.12.2013, 08:10

hallo a.,

nein, ich glaube, das funktionierte für mich wegen der klammer nicht - dieses "wie" mitzunehmen für den nächsten vers. jetzt, da ich ich weiß ... ja ja.
aber ohne dieses wissen, wie gesagt, sah und sehe ich das nicht.

bleibt nun die überlegung, wie das vielleicht besser/klarer zu lösen wäre, gescheitert ist dein vorhaben nämlich damit noch lange nicht ...

die klammer wirkt zu abgrenzend, meiner meinung nach, als einheit für sich.
hinzu kommt, dass dieses "seit" auch als konjunktion/zeitlich gelesen werden kann - seit gestern - und da "kratzt" es erstrecht.

vielleicht die klammer weglassen?

oder: wie-ge-seit wie-ge-seit wie-

oder für das verkürzte seitE das englische side nehmen?
/in meinem tanzkurs sagte der lehrer immer side!/

auf jeden fall würde ICH es nicht so stehen lassen, zu groß ist die gefahr, dass jemand der dich nicht kennt und deine absicht, das einfach als dicken grammatischen hund abtut.

ein fabelhafter text, ich lese ihn immer wieder.

sca


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