Geburt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 21.02.2014, 10:59

1. Änderung:

Ich sah eine Zukunft
aus mir herausstürzen
ein haltloser Schrei
der nach mir griff

Jetzt war ich bereit
alle Fehler weiter zu vererben

Schuld auf mich zu laden
um die frisch entstandene Leere
in meinem Körper
zu füllen

Ein Ort der Trauer
von dem sich das Leben zurückzog



Original:

Ich sah mein Leben
aus mir herausstürzen
ohne im geringsten zu begreifen

jetzt war ich bereit
alle Fehler weiter zu vererben

Schuld auf mich zu laden
um die frisch entstandene Leere
in meinem Körper
zu füllen

Ein Ort der Trauer
von dem sich das Leben zurückzog
während du blühtest (erwachtest)
Zuletzt geändert von Xanthippe am 23.02.2014, 13:48, insgesamt 3-mal geändert.

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Amanita
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Beitragvon Amanita » 23.02.2014, 10:07

Genau das wollte ich aber sagen: Die geschlossene Tür beflügelt meine Fantasie - hier jedenfalls - nicht.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.02.2014, 12:57

Hola Carlos!

Wie schön, dich wieder zu lesen! *freu*

Xanthi, ich weiß nicht, ich weiß nicht. Du hast deine Zeilen jetzt verändert. Sie sind nach meinem Empfinden jetzt zu dramatisch geworden. Mir gefiel gerade dieses "Leisere" und dennoch so Intensive. Also für mich ist die Erstfassung nach wie vor genial geschrieben, egal, ob das zu 100 % aufgeht oder nicht.

Liebe Grüße
Gabi

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 23.02.2014, 13:43

Liebe Gabi,
ich sehe das ähnlich wie Du, d.h. mir ist auch nach wie vor die Ursprungsversion lieber, andererseits gefällt mir schon, dass Zukunft weniger auf ein also konkret verstandenes Sterben hinweist, als das Leben, das da vorher hinausstürzte, und die letzte Zeile, dieses blühen, hat mir auch nie wirklich gefallen, ich wollte weder in eine Pflanzen- und Natursprache ausweichen, in diese Bildhaftigkeit, noch passt das ja wirklich auf ein Kind, das gerade anfängt in ein Leben hineinzuwachsen, aber "wuchst" ist ein ganz grauenhaftes Wort...
Das ist das Arge, sobald man beginnt etwas zu verändern, ist nichts mehr fest und ganz...
Danke für Deine Rückmeldung. Besonders für die Erste, die mich vermutlich erst gewappnet hat für die folgende Diskussion.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 23.02.2014, 13:45

Hallo Carlos,
besten Dank auch für Deine Rückmeldung, obwohl ich mich dem biblischen Ausmaß dann doch nicht gewachsen fühle. Zeit des Erwachens trifft es sehr gut, sowohl für die Mutter als auch für das Kind. Denn geboren werden ist sicher kein Spaß. Und vielleicht hast Du mir damit sogar die Lösung für das nicht ganz passende "blühtest" in der ersten Version geschenkt. Vielleicht wäre "während du erwachtest" eine gute Lösung...
Danke

Quoth
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Beitragvon Quoth » 23.02.2014, 13:49

Schließe mich Gabriella an.

Die provozierende Schlusszeile (die sogar pjesma sich wegwünschte) "während du blühtest" bricht das Zeitgefüge auf, enthält die zentrale Botschaft vom Finden durch Verlieren - das ist existenzielle Dialektik - klingt hochgestochen, aber mir fällt nichts Besseres ein.

Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.02.2014, 13:59

Hallo Xanthi,

Xanthippe hat geschrieben:Danke für Deine Rückmeldung. Besonders für die Erste, die mich vermutlich erst gewappnet hat für die folgende Diskussion.

Das ist oft das Problem. Wenn eine euphorische Rückmeldung kommt, folgen die kritischen Stimmen. *lach*

Sag mal, hast du schon mal überlegt, das Ganze ins Präsens zu setzen?
Mit dem "erwachen" finde ich gut.

Also so:

Ich sehe mein Leben
aus mir herausstürzen
ohne im geringsten zu begreifen

jetzt bin ich bereit
alle Fehler weiter zu vererben

Schuld auf mich zu laden
um die frisch entstandene Leere
in meinem Körper
zu füllen

Ein Ort der Trauer
von dem sich das Leben zurückzieht
während du erwachst



Liebe Grüße
Gabi

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 23.02.2014, 14:09

Liebe Gabi,
Präsens geht nicht, weil es ja eine Vermischung der Zeiten ist, ein Rückblick, die Geburt selbst in der Erinnerung, im Abstand von vielen Jahren und dem annähernden Wissen darum, was damals außer dem, was direkt erleb- und wahrnehmbar ist, noch geschehen ist, seinen Anfang genommen, also gewissermaßen ebenfalls geboren worden ist.
Inwiefern denkst Du, das Präsens könnte eine Verbesserung darstellen? Was macht es für Dich zu einer Alternative?

ecb

Beitragvon ecb » 23.02.2014, 14:11

Übrigens habe ich "während du blühtest" mit keinerlei Pflanzenwelt assoziiert, Xanthippe, sondern es gleich beim ersten Lesen unmittelbar mit der Wendung vom "blühenden Leben" in Verbindung gebracht.

Für mein Teil bleibe ich bei der Originalfassung und werde sie als meinen Favoriten für das "Gedicht des Monats" vorschlagen. Diese Fassung ist mir einfach teuer, weil sie die ursprüngliche starke Wirkung auf mich hatte, die offenbar nur in der Ursprungsform möglich war.

Liebe Grüße
Eva

Mucki
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Beitragvon Mucki » 23.02.2014, 14:23

Das "erblühtest" habe ich auch - ganz klar - auf das erblühende Leben des Kindes gelesen. Botanische Assoziationen finde ich hier abwegig.

Das Präsens ist keine Alternative, Xanthi, nur eine Idee, weil dadurch, jedenfalls nach meiner Lesart, der Fokus auf die Zukunft des Kindes gesetzt wird.

Aber, da gehe ich ganz mit Eva. Die Ursprungsfassung war die Fassung, die mich wirklich überwältigt, sprachlos gemacht hat, weil sie mich total bewegte und es immer noch tut.

Liebe Grüße
Gabi

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 25.02.2014, 09:06

Hallo Xanthi,

ich denke auch, dass die Veränderung in der ersten Strophe zu stark sind und einen anderen Tonfall anschlagen. Auch sehe ich hier nicht mehr Glück, oder Ambivalenz, nur eine klarere Geburtssituation und durch den Griff, eine zusätzliche Komponente, die Angst vor der Vereinnahmung?

Und wenn du in der ersten Zeile wirklich einfach schreiben würdest: Ich sah ein Leben ... statt "mein Leben"?

Wenn der Vorwurfscharakter für dich ein stimmiges Element ist, dann würde ich auch am Blühen festhalten.

Die Ambivalenz stärker einzubinden, wenn dir das wichtig ist (wobei zumindest Eva sie ja auch so herausgelesen hat), ist wahrscheinlich schwieriger.

Ein Ort der Trauer und des Glücks
von dem sich das Leben zurückzog
während du blühtest


Ich vermute, das wäre dir zu explizit? :)

Hm ... oder etwas in diese Richtung?

Ein Ort der Trauer
von dem sich das Leben zurückzog
während du
vor meinen Augen
blühtest


(Das nur nochmal als Rückmeldung, nicht als Beharren gedacht. .-))

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 26.02.2014, 14:26

Liebe Flora,
danke für Dein Beharren. Mir ist im Verlauf der Diskussion klar geworden, dass dieses Gedicht keine Veränderung verträgt. Auch ist mir bewusst geworden, dass es nicht mehr Ambivalenz braucht, als jede(r) einzelne daraus lesen kann. Für mich (auch das ist mir erst durch die Auseinandersetzung hier klar geworden) besteht die Ambivalenz darin, dass eine Geburt auch ein kleiner Tod ist.

scarlett

Beitragvon scarlett » 26.02.2014, 14:29

Xanthippe hat geschrieben:Mir ist im Verlauf der Diskussion klar geworden, dass dieses Gedicht keine Veränderung verträgt.



:daumen:

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.02.2014, 17:18

*unterschreib*


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