Vorfühlung

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 25.02.2014, 22:13

vorfühlung

die sonne steigt höher am himmel
junge frauen stecken die füße
in neue tierhaut und unter krächzen
spannen die elstern ihre winterspeckigen wänste
schwarzer frack und weißes hemd
nesträuber, stolzieren
in ihren feisten bankers uniformen

im gras recken krokusse
die geschlechtsteile in den himmel,
warten auf den restbestand
kaputter bienen, schmetterlinge,
hübsch geschminktes ungeziefer

ach, mir wird so bang von all dem wissen
kein licht, nur strom kann ins hirn. jede illusion
ist ferngesehen, in monotonen endlosschleifen
flicks vom ficken, nervenzucken
geträumtes zeugen blinder kinder


'und im Gras' - "und" gestrichen
Zuletzt geändert von RäuberKneißl am 01.03.2014, 11:21, insgesamt 2-mal geändert.

pjesma

Beitragvon pjesma » 26.02.2014, 18:25

tolles gedicht, ich wünschte mir ich könnte kritisches so gut beschreiben...diese überfülle an informationen und unsinn, diese vergiftung des geistes...und diese sehnsucht nach einsamen insel weit weg und nach eine glückliche unwissenhet (paradies?)....gefällt mir ausnehmand gut, trifft in mein zeitnerv...
lg

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nera
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Beitragvon nera » 27.02.2014, 21:49

ich mag diesen text auch! sehr sogar.

bei der überschrift habe ich mich erstmal verlesen...vorfrühling.....
lg

scarlett

Beitragvon scarlett » 28.02.2014, 08:40

ein "frühlingsgedicht" der anderen art, ja ja - hat was.
die illusionslosigkeit gefällt mir, wenn es mir auch ein wenig zu dicke aufgetragen daherkommt, aber das ist sehr persönlich, diese ansicht.

vorfühlung - genialer titel.

kein licht, nur strom kann ins gehirn - verstehe ich nicht wirklich, kunstlicht, neonlicht? als verweis darauf, dass das ich in seiner arbeitsstelle eingesperrt ist, kein tageslicht?

jungen frauen stecken die füße
in neue tierhaut

hier stimmt die grammatik nicht, meine ich, es müsste heißen in neueR tierhaut oder aber junge frauen stecken die füße in neue tierhaut.

ein echter räuber-text, der mir zwar nicht unbedingt "gefällt", der mich aber erreicht, etwas mit mir macht, er ist unbequem, gegen den strich gebürstet und das ist schon mehr, als so manch anderer text derzeit schafft.

sca

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 01.03.2014, 08:35

Lieber Räuber,
einzig das "und" zu Beginn der zweiten Strophe gefällt mir nicht.
Im übrigen kann ich dieser Art Lyrik, die sich auflehnt gegen das Schönschreiben von Gefühlen und Zuständen durchaus viel abgewinnen. Das ist, wie Scarlett schreibt, nichts, was im engeren Sinn gefällt, aber es hat mehr Potenzial als vieles, was man sonst zu lesen bekommt.
Gerade die letzte Strophe bringt ja eigentlich diese ganze Art zu schreiben auf den Punkt, es gibt kein Licht mehr, nur Strom, ferngesteuerte Illusionen, statt der guten alten "Erleuchtung", (die es womöglich so immer nur für ganz ganz wenige gegeben hat).

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 01.03.2014, 10:30

Danke für die Rückmeldungen, das 'und' habe ich gestrichen, Xanthi. Die grammatische Frage habe ich nicht verstanden, Scarlett, die Formulierung "stecken die Füße in neue Schuhe" geht grammatisch doch?
Den Strom kann man zunächst ganz physiologisch lesen, im Sinn der Umwandlung von Licht in elektrische Impulse in den Rezeptoren, anklingen sollte das, was Xanthi beschrieben hat, die Wandlung von Wirklichkeit in Schemen, die wie Fernsehbilder einsortiert werden und konsequenzlos vorbeilaufen.
Zum Thema 'dick': es ist nicht einfach, eine 'passende' Ästhetik für einen inhaltlichen Ansatz zu finden. Ob diese Mischung aus 'Störwörtern' mit eher klassisch/konventionellem Handwerk funktioniert, ist mir eine offene Frage.

Ich hatte mal, nur nebenbei, mit einem Freund eine riesige Sammlung von Frühlingsgedichten angelegt, wir wollten in jugendlichem Übermut ein Buch produzieren - das dystopische/desillusionierende Frühlingsgedicht hat eine schon Jahrunderte alte, vielfältige Tradition.
Grüße
Räuber

scarlett

Beitragvon scarlett » 01.03.2014, 10:45

jungen frauen stecken die füße
in neue tierhaut

schaus dir einfach nochmal an, franz.

sca

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 01.03.2014, 11:00

Liebe Scarlett,
ich sehe das grammatikalische Problem ehrlich gesagt auch nicht, Du formulierst lediglich passiv, was der Räuber aktiv formuliert hat. Oder?

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 01.03.2014, 11:03

Zu Deiner Frage, Räuber, ich glaube nicht, dass irgendetwas generell "funktioniert" oder nicht funktioniert. Nicht, wenn es um Sprache geht. Es ist ganz sicher immer eine Frage der Anordnung, der Gewichtung, auch natürlich davon, die jeweils besonders (oder einzig?) treffenden "Störworte" zu finden, die das klassisch konventionelle Handwerk dann eben nicht nur stören, sondern verändern und bereichern. Ich finde mit diesem Gedicht ist es Dir in diesem Fall gelungen.

scarlett

Beitragvon scarlett » 01.03.2014, 11:06

nein, liebe xanthi, ich hab genau zitiert und nix umformuliert.

aber vielleicht bin ich ja irgendwie mit tomaten behaftet heut ...

hihi

RäuberKneißl

Beitragvon RäuberKneißl » 01.03.2014, 11:26

Danke, Scarlett, ist korrigiert (aus den jungen Tomaten auf meinen Augen mach ich für Mittag einen Salat, müsste für zwei reichen ...)
Grüße
Räuber

scarlett

Beitragvon scarlett » 01.03.2014, 11:27

hihi ... nehm ich gern, räuber, ich liebe tomaten, danke!

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fenestra
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Beitragvon fenestra » 14.03.2014, 14:55

Dank der neuen Titelseite habe ich diesen Text entdeckt - ja, allerdings ein tolles "dystopisches" Frühlingsgedicht! Schön, dass es gewählt wurde - meine Stimme hätte es auch bekommen, wenn ich nicht im Garten gewesen und mir den Finger angeschnitten hätte ... :mrgreen: Verband ist aber jetzt endlich wieder ab!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.03.2014, 21:38

Lieber Räuber,

ich habe den Text auch gewählt. Sprachlich sticht er einfach hervor. Und ich mag solche Perspektiven auch. Im amüsanten und im ernsten Sinne. Ich mag auch die Tradition, in der er steht. Aber, Hand aufs Herz - so einen richtigen Willen hat der Text nicht. Er wirkt ehrlich gesagt auf mich eher so, als hätte da jemand mit relativ viel Talent und auch einem Gespür für das, wovon der Text erzählen soll, eine Reihe von guten Bildern gefunden, aber er meint das alles nicht wirklich so. Er meint auch nicht das Gegenteil, aber es eine Bearbeitung von vielen. Eine Erzählinstanz, die das Ganze mit aufspannt, ist nicht wirklich präsent. Das Gedicht hat keine echte Stimme für mich, es "brennt" nicht. Dadurch entsteht im Endeffekt ein Text, der schon wieder davon gelangweilt ist, den Frühling so antihaft zu beschreiben. Da ist jemand viel zu unbeteiligt, um den Frühling wirklich so zu finden, wie es im Text aufgebaut wird. Ich frag mich am Ende wirklich, was soll der Text eigentlich? Nicht mal die Lust an der Form ist zu spüren. Klar, es muss nicht immer das tiefste und drängenste und wahrste Gedichte sein ...aber hier vermisse ich einen wirklichen Sinn des Gedichts. Wie ist es denn dein Verhältnis zu diesem Text von dir?

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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