Die Hoffnung stirbt zuletzt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 13.03.2014, 22:54

"The kingfisher is one of our rarest and most beautiful birds."
Ich weiß nicht, was dies Theater um einen Piepmatz sollte,
aber sie bestand darauf, es sei ein Verlust für uns und das Haus,
dass der "blaue Blitz", so titulierte sie ihren Liebling,
nicht mehr über den Graben flitzte. Sie führte
das zurück auf die Fröste der letzten Winter
und verlieh, Amateurornithologin, die sie ist,
der Hoffnung Ausdruck, dieser warme
könne seine Rückkehr begünstigen.
"He was the icing on the cake",
und weg war sie in die Werkstatt,
wo man ihr mal eben 5000
für ein neues Getriebe plus Kupplung
aus dem Kreuz leiern wollte,
aber der Dorfschmied tauschte für’n Appel und’n Ei
ein Lager aus, was für ein Typ! Trinkt schon zum Frühstück
erstmal ein Stamperl Altöl: "Und der Schumi,
das sag ich euch, der kommt nicht wieder hoch,
was die Marina-Kurve nicht geschafft hat,
das ..." Ihm versagte die Fistelstimme, Barzahlung immer angenehm,
genau wie in dem Saal, wo der Schauspieler das Geschrei
des widerwärtigen Freisler nachahmte, dass dir
das Messer in der Tasche aufging, und ein Haufen Vons
sonnte sich im Licht eines Widerstands,
zu dem keiner aus ihren wappenklirrenden Familien
je imstande war. „Wenn einer schon Rosenstock heißt,“
moserte der in der Lodenjacke und griente –
besser als Rosenberg, dachte ich, sagte es aber nicht,
zum Helden geboren bin ich auch nicht.
Weg alle, alle weg, und nicht eingeweckt,
nein weg und kein Wiederkommen. "Nun warte mal ab, darling,"
sagte sie, und immer wenn sie mich "darling"nennt,
ist Gefahr im Verzuge, "mir ist, als hätte ich seinen Balzruf gehört,
dies quietschende Fiepen, ich sag dir, wir werden ihn
wieder haben and we’re no more forced to eat
our cake without icing.
"

Anmerkung: Rosenstock bezieht sich auf den Kulturwissenschaftler Eugen Rosenstock-Huessy, Rosenberg auf den Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg.
Zuletzt geändert von Quoth am 21.03.2014, 10:42, insgesamt 3-mal geändert.
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Benutzeravatar
allerleirauh
Beiträge: 766
Registriert: 26.06.2010
Geschlecht:

Beitragvon allerleirauh » 14.03.2014, 10:00

hallo quoth,

deinen text lesen ist ein wenig wie in einem bunten journal blättern und von allem ein bisschen mitzukriegen: ornithologie, tratsch und klatsch, politik geschichte, alltagskram. dein lyrICH erzählt, scheinbar unbeteiligt, von den kleinen und großen dingen im menschlichen leben und davon, wie sie sich durchdringen und auf einzelne individuen einfluss nehmen. mir gefallen die nüchterne sprache und die englischen eisvogelpassagen.
mit dem titel allerdings tue ich mich schwer. zu oft habe ich den satz schon gehört und gelesen. und, ganz ehrlich, zu oft habe ich schon gedacht, dass dieser satz (ist das eigentlich ein sprichwort?) ziemlicher quatsch ist.

lg
a.

Benutzeravatar
fenestra
Beiträge: 1369
Registriert: 21.06.2009
Geschlecht:

Beitragvon fenestra » 14.03.2014, 10:10

Sie führte
das zurück auf die Fröste der letzten Winter
und verlieh, Amateurornithologin, die sie ist,
der Hoffnung Ausdruck, dieser warme
könne seine Rückkehr begünstigen.


Womit sie hoffentlich Recht hat! Aber warum wird die erste Zeile auf englisch zitiert? Weil der Text dann (noch) moderner wirkt? Dieser Einstieg ist ja mehr und mehr üblich, aber ich bin da etwas argwöhnisch.

Insgesamt ist der locker-flockige Schreibstil jedoch gut gelungen, auch das Patchworkartige, bei dem man nach Verbindungsgliedern sucht und den Figuren durch das kleine Dorf bis hin zu einem ernsten Thema folgt. An wenigen Stellen habe ich Schwierigkeiten:

Die Frau verschwindet in der Werkstatt - ich vermutete erst, sie will eine Eisvogelwand bauen, es wirkt so, als wenn die Werkstatt sich dort auf dem Hof befindet, wo der Eisvogel (nicht mehr) brütet. Die Kurve zum offenbar kaputten Auto habe ich nicht so gut bekommen.

Einen "Dorfschmied" gibts doch eigentlich nicht mehr, oder nennt ihr ihn dort wirklich so? Wir haben hier ein ähnliches Original, der wird einfach "Öli" genannt.

Wer der "widerwärtige Freisler ist", weiß ich nicht, da bleibe ich außen vor, auch bei Rostenstock/Rosenberg, sicher eine Anspielung auf Nazis und Judenhass, die mir aber nicht ganz klar wird. Nicht eingeweckt, kein Wiederkommen? Wenn sich das auf die Nazis bezieht, kann ich nur sagen: Hoffentlich ist das so. Hier ist der Text ein bisschen heikel zweideutig, denn er könnte sich ja auch auf die Juden beziehen, dann wäre "besser als Rosenberg" ein no go.

Der Schluss ist wieder schick, keine Frage.

Benutzeravatar
allerleirauh
Beiträge: 766
Registriert: 26.06.2010
Geschlecht:

Beitragvon allerleirauh » 14.03.2014, 10:23

Freisler war ein nationalsozialistischer Richter, der mir u.a. deshalb bekannt ist, weil er den "Prozess" gegen die Geschwister Scholl geführt hat.

Xanthippe
Beiträge: 1312
Registriert: 27.06.2008
Geschlecht:

Beitragvon Xanthippe » 14.03.2014, 11:03

ich mag die Idee, Naturlyrik mit Gesellschaft zu mischen, alles zu streifen, was so einen Alltag ausmacht, zwischen der Sorge, dass der Eisvogel für immer verschwunden bleiben wird und der Hoffnung, er wird sich doch wieder ansiedeln. Ganz besonders mag ich den Bruch am Anfang, dieser hohe Ton und dann das lapidare Unverständnis, was das Jammern um den Piepmatz soll. Dann aber fängt es an, dass ich mir Verdichtungen wünschte, konkret könnte ich gut auf die folgenden zwei Zeilen, auf den blauen Blitz usw. verzichten. Und auch wenn ich die lapidare Sprache des lyrischen Ichs mag, gefällt mir so ein Wort wie Teuro gar nicht, weil das den Sprecher für mich zu einem Stammtischredner macht, dabei hat er sich in seinem ersten Satz für mich als jemand vorgestellt, der zwar über manche Dinge die Augen verdreht, aber der differenziert beobachtet... Warum die Einschübe, die den Eisvogel betreffen, englisch sein müssen, frage ich mich allerdings auch...

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 14.03.2014, 12:13

Das "Teuro" hat auch mich, spontan, gestört ...

Benutzeravatar
fenestra
Beiträge: 1369
Registriert: 21.06.2009
Geschlecht:

Beitragvon fenestra » 14.03.2014, 14:50

"Teuro" hat auch mich, spontan, gestört


Ja, mich genauso.

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 14.03.2014, 18:13

allerleirauh hat geschrieben:mit dem titel allerdings tue ich mich schwer. zu oft habe ich den satz schon gehört und gelesen. und, ganz ehrlich, zu oft habe ich schon gedacht, dass dieser satz (ist das eigentlich ein sprichwort?) ziemlicher quatsch ist.


Deshalb habe ich ihn gewählt, allerleirauh. Der Dorfschmied hat die Hoffnung ja auch schon aufgegeben.

Also gut, ich schmeiß den Teuro raus, sonst gerate ich noch in Verdacht, hier für die AfD zu werben! Das war die Redeweise des Dorfschmieds, aber das ist nicht klar geworden.

Die englischen Passagen könnten auf einer gemischtmuttersprachlichen Lebensgefährtenschaft beruhen, ich weiß es nicht genau, aber sowas kommt doch vor, oder? Meine Tochter lebt in den Niederlanden mit einem Norweger überwiegend (66 %) auf Englisch, der Rest verteilt sich auf Niederländisch, Deutsch und Norwegisch.

Gruß und Dank für Befassung,

Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Benutzeravatar
fenestra
Beiträge: 1369
Registriert: 21.06.2009
Geschlecht:

Beitragvon fenestra » 15.03.2014, 23:45

Könntest du auch noch auf die von mir angesprochene heikle Passage eingehen?

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 16.03.2014, 08:00

Aber gern, liebe fenestra, ich hatte gehofft, dass ein wenig Nachforschen zumutbar gewesen wäre. Roland Freisler (vielen Dank, allerleirauh) hat nicht nur die Geschwister Scholl verurteilt (und zusammengebrüllt), sondern auch zahlreiche andere Widerstandskämpfer, unter ihnen Helmuth James Graf von Moltke (hingerichtet 23. Januar 1945), dessen Witwe Freya dann später mit dem Kulturwissenschaftler Eugen Rosenstock-Huessy zusammenlebte:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rosenstock-Huessy

Rosenberg gibt es etliche, gemeint ist hier der bekannteste, Alfred. Chefrassist der Nazis (hingerichtet 16. Oktober 1946):

https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Rosenberg

Ich lese über ihn gerade das von Mnemosyne empfohlene Buch von Irvin D. Yalom: Das Spinoza-Problem – anspruchsvoll, aber allen, die Ausflüge in Philosophie und Psycholgie nicht scheuen, ans Herz gelegt.

Nochmal zur Zweisprachigkeit: Ermutigt haben mich auch verschiedene Texte der polyglotten Louisa (wie geht es ihr überhaupt?), z.B.

viewtopic.php?f=35&t=8835

und

viewtopic.php?f=2&t=13765

Aber das hat damals auch Naserümpfen hervorgerufen ... :sad:

Öli ist ein toller Name für so einen Typ! Das sind Leute, die noch reparieren können – und nicht nur wegwerferisch, stumpfsinnig und geldgierig Ersatzteile reinschieben!

Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Benutzeravatar
fenestra
Beiträge: 1369
Registriert: 21.06.2009
Geschlecht:

Beitragvon fenestra » 19.03.2014, 20:21

Rosenberg gibt es etliche,


Eben, und die meisten sind zwar Juden, aber keine Nazis, deswegen finde ich diese Passage zweideutig und dazu hätte ich mir von dir eine Entgegnung gewünscht. Zweideutigkeit in Gedichten ist erwünscht, aber so willst du es doch sicher nicht haben, oder? Allerdings ist es tatsächlich so, dass beim Googeln der Namen die von dir gemeinten zuerst erscheinen. Aber kann das ein Kriterium sein?

Danke für die Links und viele Grüße
fenestra

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 21.03.2014, 10:45

Hallo fenestra, hab eine klärende Anmerkung eingefügt. Die Namen mit Vornamen in den Text einzufügen, widerstrebte mir. Gruß Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 53 Gäste