Die kleine Frau denkt zurück

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 21.12.2013, 12:28

Weißt du noch,
sagt die kleine Frau,
wie wir uns einst
unter die Haut gegangen sind?
Wir wetzten unsere Augen
an den Körpern der Umstehenden,
bevor wir sie im Abgrund
unserer Blicke versenkten.
Stürme durchzogen unsere Glieder
bei jedem Kuss,
und ließen eine zerstörte Landschaft
zurück.

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Eule
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Beitragvon Eule » 22.12.2013, 19:54

Hallo Xanthi, klasse, schön so ein Gedicht von Dir zu lesen ! :smile:
Ein Klang zum Sprachspiel.

ecb

Beitragvon ecb » 23.12.2013, 19:25

Das gefällt mir auch sehr, wie da etwas abgegriffene Wendungen in ihren konkreten Bildgehalt zurückgeführt und wieder äußerst lebendig werden - weswegen ich beinahe lieber so lesen würde:

bevor wir sie in den Abgrund
unserer Blicke versenkten.


Und wie man die beiden letzten Zeilen auf zweierlei Weise lesen kann - das hat was, das ist bedeutsam in beiden Lesarten, zwischen denen man sich nicht einmal unbedingt entscheiden muß.

Liebe Grüße
Eva

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.12.2013, 09:09

Hallo Xanthi,

Eva hat das für mich schon sehr gut auf den Punkt gebracht, da schließe ich mich einfach an. :) Und auch für mich wäre "in den Abgrund" hier stimmiger.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 29.12.2013, 10:54

Ja, theoretisch leuchte mir das ein, mit dem "in den", ich kann mich nur rein klanglich noch nicht ganz damit anfreunden. Aber bekanntlich brauche ich immer meine Zeit für so etwas. Bis dahin Herzlichen Dank für die Beschäftigung mit meinem kleinen Machwerk!
Xanthi

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noel
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Beitragvon noel » 12.03.2014, 13:18

bei "in den"... werden die umstehenden
in den orkus von irgendher versenkt.
bei "im abgrund versenkt" sind mir die umstehenden
schon im orkus & gehen dann durch die blicke unter, wo sie auch hingehören.

mir augt IM eher
NOEL = Eine Dosis knapp unterhalb der Toxizität, ohne erkennbare Nebenwirkung (NOEL - no observable effect level).

Wir sind alle Meister/innen der Selektion und der konstruktiven Hoffnung, die man allgemein die WAHRHEIT nennt ©noel

Niko

Beitragvon Niko » 12.03.2014, 17:05

Ich find's einfach nur toll, xanthi!!!!!!

Beste grüße-niko

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 13.03.2014, 11:00

Danke Noel für die Bestätigung des "im", das ich auch lassen werde. Und Dir Niko für Deine Begeisterung. Das ist immer wieder schön :-)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.03.2014, 21:16

Liebe Xanthippe,

ich mag es besonders, einen Text von dir das erste Mal zu öffnen, das erste Lesen ist dann so häufig wie ein "Atmenkönnen", ein Erleben der Wünsche, ein Spüren der Möglichkeiten.

So auch hier :-)

Zwei Sachen:

Ich würde allerdings über das Wort "Landschaft" nachdenken, ich glaube, das ist es nicht ganz. Ich würde mir ein Wort wünschen, was sich von seinem Bedeutungskreis etwas mehr auf die Umstehenden bezieht, an denen sich die Liebenden wetzen. Weißt du, was bzw. warum ich das meine? Landschaft ist so abstrakt und wenn Menschen darin sind, dann sind es keine Umstehenden, ich aber fände es für das, was der Text fasst, spannungsvoller, wenn es auch bedeuten könnte, dass dieser Raum der Umstehenden eben verwüstet wurde, diese Welt mit den anderen, in denen die beiden sich bewegen. Vielleicht "Gegend"?

Und dann glaub ich, doppelt sich der Text ein wenig in seiner Bewegung: Einmal wird die Stimmung erzeugt durch das einleitende "Weißt du noch" (jetzt also nicht mehr) und zum anderen durch das, was dann erzählt wird. Aber das ist so präsent, so ein eigener MOment, dass das weißt du vom Anfang dann irgendwie am Ende ins leere läuft, weil es nicht mehr präsent war, aber so aufgetaktet hat. Es wäre eine Überlegung wert, deshalb den Anfang bzw. seine Ebene wegzulassen.

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Xanthippe
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Beitragvon Xanthippe » 15.03.2014, 17:13

Liebe Lisa,
Deinen Einwand mit der "Landschaft", die du gerne durch "Gegend" tauschen würdest, finde ich sehr interessant. Gerade weil ich nie auf den Gedanken gekommen bin dieser Begriff könnte (sollte, müsste) sich auf die Umstehenden beziehen. Ich dachte dabei an die "Landschaft" eines Gesichts, ich habe auch an den Anklang von Leidenschaft gedacht, der irgendwie mitschwingt in dem Wort. Für mich war das also durchaus stimmig.
Den Anfang wegzulassen kann ich mir auch überhaupt nicht vorstellen, und auch da sehe ich keine Doppelung, ich finde gerade der Anfang ist eigentlich viel zu versöhnlich für das, was dann erzählt wird, dieses "weißt du noch" ist so harmlos, so eine Einladung zu einer gemeinsamen Erinnerung, dass es nicht zu der Beschreibung zu passen scheint, die doch relativ radikal ist.
Aber die Tatsache, dass ich hier zeilenlang erkläre und rechtfertige, was ich gemeint und gewollt habe, zeigt wohl am ehesten, dass es nicht wirklich gelungen ist.
Danke jedenfalls für Deine Gedanken zu meinem Versuch!
Xanthi


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