An diesem Nachmittag

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Xanthippe
Beiträge: 1312
Registriert: 27.06.2008
Geschlecht:

Beitragvon Xanthippe » 18.03.2014, 12:14

An diesem Nachmittag gingen alle Uhren falsch

Die verödeten Einfälle erhoben sich lautlos

Es war eine bestimmte Bewegung im Licht

etwas wovon die Gespenster gern sprachen

Wir spielten die Kugeln aus Licht

hart an den Rand des Verstehns

Ich ging mir voraus

In zeitloser Eile

Der Mensch

mit Engeln verhandelnd

neigt zur einseitigen Sicht der Welt
Zuletzt geändert von Xanthippe am 20.03.2014, 07:33, insgesamt 2-mal geändert.

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 19.03.2014, 13:40

An diesem Nachmittag gingen alle Uhren falsch. Die verödeten Einfälle erhoben sich lautlos. Es war eine bestimmte Bewegung im Licht, etwas, wovon die Gespenster gern sprachen. Wir spielten die Kugeln aus Licht / hart an den Rand des Verstehns. Ich ging mir voraus. Die Uhren waren danach. Eine zeitlose Eile. Der Mensch, mit Engeln verhandelnd, neigt zu einer einseitigen Sicht der Welt.


Hallo Xanthippe,
habe Deinen Text interpunktiert, um ihn besser verstehen zu können, habe dabei gemerkt, dass am Zeilenende mit einer Ausnahme immer ein Punkt oder ein Komma steht. Deshalb habe ich die Zeilenumbrüche herausgenommen, denn der Text lässt sich so auf dieselbe Art phrasierend lesen. Er liest sich wie zusammenmontierte Notizzettel - "Die verödeten (also nicht weitergeführten) Einfälle erhoben sich lautlos" (als ob jemand hineingepustet hätte). Dann eine Art Billardpartie mit "Kugeln aus Licht". Ein lyrisches Wir taucht auf. "Die Uhren (die alle falsch gingen) waren danach": Also wahrscheinlich Wracks von Uhren. Dass an so einem durch und durch disparaten Nachmittag Gespenster sprechen, lass ich mir gefallen. Der monumentale Satz "Der Mensch, mit Engeln verhandelnd, neigt zu einer einseitigen Sicht der Welt" - knallt da heraus. Gingen die Uhren vielleicht nur falsch, herrschte "zeitlose Eile", ging das lyrische Ich sich voraus nur, weil hier Numinoses ins Spiel kam und alles, als erstes Zeit und Raum, außer Kraft setzte? Spannungsreicher, surrealer Text.
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Mucki
Beiträge: 26644
Registriert: 07.09.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mucki » 19.03.2014, 14:40

Hallo Xanthi,

diese geheimnisvolle Stimmung, die du in diesen Zeilen erschaffst, lässt mich an eine Séance denken.

Liebe Grüße
Gabi

ecb

Beitragvon ecb » 19.03.2014, 18:51

Ich kann nicht sagen, daß ich es genau verstehe, aber ich ahne in diesem Text etwas von Aufhebung, Verschiebung von Grenzen, Selbstvergessenheit vielleicht auch - die allesamt etwas Surreales, leicht Unheimliches an sich haben. Was ja auch nur bedeutet, daß hier etwas geschieht, das über sich selbst hinausweist und nicht mehr ganz bei sich zuhause ist.

Die letzten drei Zeilen haben etwas von Erwachen, Ernüchterung, einer halben Amüsiertheit über das Erfahrene.
Es ist für mich die Frage, ob sie nicht auch entfallen könnten, aber das würde vielleicht deiner Absicht zuwiderlaufen, Xanthippe.

Zweimal "Uhren" finde ich nicht so gut, und ich würde "Die Uhren waren danach" der ganzen ersten Zeile vorziehen, die etwas von Gemeinplatz hat, während die zweite Formulierung wirklich etwas aufzeigt, poetisch aufzeigt. Vielleicht könntest du für die erste Zeile noch einen guten Ersatz finden, denn eine Einleitung sollte schon sein vor der zweiten Zeile, denke ich.

Aber als Darstellung eines inneren Vorgangs nimmt mich das Gedicht wirklich mit und gefällt mir sehr.

Liebe Grüße
Eva

Benutzeravatar
Ylvi
Beiträge: 9468
Registriert: 04.03.2006

Beitragvon Ylvi » 21.03.2014, 09:24

Hallo Xanthi,

du erschaffst hier am Anfang eine wunderbare Stimmung, die das Erzählte aufgreift. Ich könnte zwar nicht genau sagen, woran das liegt, aber es klingt, nimmt diese Bewegung auf.

Das bricht sich dann allerdings am Mittelteil.

Wir spielten die Kugeln aus Licht

hart an den Rand des Verstehns

Ich ging mir voraus

In zeitloser Eile


Das doppelte Licht empfinde ich hier als störend und die letzten beiden Zeilen zu verspielt auf die Zeit verweisend ohne, dass es für mich etwas aussagen, oder zeigen kann.

Der Schluss ist ein interessanter Lehrsatz, ein Aphorismus. Hm. Für mich nimmt er aber weder die Stimmung, noch den Klang des Anfangs auf und die Engel stehen in seltsamer Konkurrenz zu den Gespenstern. Es ergibt sich daraus kein "Ganzes", aber auch die Einzelteile spielen nicht so ineinander, oder gegeneinander dass sich daraus für mich eine Spannung ergibt, wie für Quoth. Evas Leseweise finde ich interessant.

Ich könnte mir vorstellen, dass es für mich insgesamt besser funktionieren würde, wenn die Teile zumindest durch Leerzeilen getrennt wären und so auch größere Pausen entstehen würden.

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Xanthippe
Beiträge: 1312
Registriert: 27.06.2008
Geschlecht:

Beitragvon Xanthippe » 21.03.2014, 13:00

Menno, kommt denn hier kein Gedicht einfach so durch? ;-)
Ja, das doppelte Licht stört mich auch extrem, ich suche schon seit Tagen nach Alternativen.
Und im übrigen sehe ich vollkommen ein, dass ich hier wieder etwas zusammengestückelt habe, ohne mich ernsthaft genug zu fragen, ob es denn auch zusammengehört, oder wenigstens Übergänge zu schaffen. Daher vielen Dank für die Anregungen in Form von Kommentaren, Kritik und Ermunterungen. Ich bleibe dran.
Grüße an alle
Xanthi

Quoth
Beiträge: 1853
Registriert: 15.04.2010
Geschlecht:

Beitragvon Quoth » 21.03.2014, 13:17

Hallo Xanthippe,
zur Wortwiederholung: Stört mich gar nicht, heißt in der Rhetorik Epipher (wenn sie am Zeilenende steht), ist ein völlig legitimes poetisches Mittel, dürfte sogar noch häufiger vorkommen. Schon mal von Lichtessern gehört? Hinweis: Die weißen Kugeln beim franz. Billard waren früher immer aus Elfenbein. Der Zeile "Die Uhren waren danach" trauere ich nach. :sad: Die hatte den lockeren umgangssprachlichen Touch, der so erfrischend ist. Und enthielt eine weitere kostbare Wiederholung ... Gruß Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

Xanthippe
Beiträge: 1312
Registriert: 27.06.2008
Geschlecht:

Beitragvon Xanthippe » 21.03.2014, 14:05

Manchmal mag ich das ja auch, aber (ich weiß auch nicht warum) hier stört es mich, aber wie gesagt, es findet sich keine Alternative, die mir behagt. "Die Uhren waren danach" hatte ja auch schöne doppelte Bedeutungen und Anklänge, ich mochte die Zeile auch sehr, vielleicht kommt sie auch wieder rein. Ich finde aber im Großen und Ganzen hat Flora Recht und bei allem Surrealismus sind da Brüche drin, die so tun als wären sie eine Fortsetzung. Das stimmt alles noch nicht so ganz. Aber ganz herzlichen Dank für die Lichtesser. Die sind ja vollkommen faszinierend.


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 13 Gäste