Beitragvon aram » 24.04.2014, 14:04
liebe amanita,
hier finde ich sprache und aussage bis zum ende klar, verständlich, eingängig, und kraftvoll.
nach s1 sehe ich keinen (störenden) bruch, im gegenteil - s1 und s2 sind formal und inhaltlich verklammert, dabei ist s1 m.e. wesentlich für die 'geschichte'.
s2 finde ich ab z3 bis zum ende dicht, ruhig, lakonisch; für mich ein hauptgewicht in diesem text. ("überall" würde ich vergleichsweise 'bei einem meiner texte' aber streichen, da die gesamtaussage durch reduktion des leicht 'marktschreierischen' tiefer unter die haut ginge, ohne verlust von verständlichkeit.)
s3 zeigt diese qualitäten ebenfalls, jedenfalls bis zu "lag" in der letzten zeile (und bis auf "immer" in z1 - würde ich streichen, begründung wie zu 'überall', sowie im mich störenden reim zu "zimmer") - das ende des textes, d.h. die letzte strophenübergreifende aussage, finde ich jedoch nicht mehr so klar - es liegt nur an den den text abschließenden 7 wörtern (bitte der mutter), dass mir dieses schlussbild im gegensatz zu allen anderen doch rätselhaft bleibt, und fast etwas 'wirr' wirkt - die (evtl. sterbende) mutter bittet lyr.ich darum, ihr totenhemd zu 'beschreiben' - es scheint mir, dass dies ein bild für etwas ist, dass sich mir als leser nicht ohne weiteres erschließt - der doppelsinn des 'beschreibens' ist dabei noch das am konkretesten fassbare -, und dadurch merklich abstrakter wirkt als das zentrale (und wiederum auch in seiner mehrdeutigkeit eindeutige) "du könntest den tisch deiner mutter verlassen / der nie gedeckt war / sie warf dir doch / ständig das essen vor / und hob es auf bis sie starb", und wie das ebenfalls sehr klare "ich sitze noch / im milchigen zimmer / reiße die packung mit wörtern / in meinem hungerschwall auf / einige fallen auf den zerfleckten teppich / auf dem meine mutter lag" - dabei ist es aber natürlich durchaus legitim, falls das hierauf noch folgende, allerletzte bild eben weniger klar aufgelöst sein soll, bzw. muss. eine mögliche interpretation wäre, dass lyr.ich das, woran/womit die mutter zugrundegeht, sich schon deshalb beschreiben zu müssen gezwungen sieht, um ihm selbst möglichst nicht auch anheimzufallen; wie weit die bitte in solchem kontext metaphorisch zu verstehen wäre - lyr. ich diese ableitet, aus etwas schließt - oder auch explizit, bleibt recht weit offen, wobei letzteres möglicherweise im 'doublebind-kontext' von s2 zu imaginieren wäre. auf eine heftigkeit, übermacht der mutterbeziehung weist auch nochmals, dass lyr.ich ausgerechnet über das wort "meine" (am ende von s3) starke distanz zum ausdruck bringt. insgesamt fällt wie gesagt auf, dass gerade das 'letzte ende' interpretationsoffen wirkt, während alle vorhergehenden aussagen auch in ihrer entwicklung/zuspitzung deutlich direkter - nicht hinterm berg haltend, und ziemlich unter die haut gehend - rüberkommen. einen 'berg davor' gibt es dann ganz am ende doch noch - ich vermute, das muss hier unbedingt so sein, wiewohl auch ein ende bereits mit "lag" einen durchgängig starken text ergäbe.
(den schlussvers s4 finde ich nicht glücklich zum titel komponiert - ...und nur zur sicherheit: die kleinen anmerkungen/kritikpunkte referieren natürlich nur auf meinen persönlichen geschmack; d.h. diesbezügl. 'vorschläge' dienen der illustration meiner lesart. - noch etwas: aufgrund der 'schreibbezogenen' bezüge des textes kann ich mir vorstellen, dass dir das lyr.ich durchaus nahe stehen mag - für diesen fall hoffe ich, dass es in ordnung für dich ist, wie (überlegungs)technisch-detailliert ich kommentiere - falls das aber ein unangenehmes gefühl auslöst, dann sag mir bitte einfach bescheid; ich kann mich bei bedarf, und mit weniger aufwand, auch pauschaler fassen.)
liebe grüße; danke für den text - für mich einer der kraftvollsten derer, die ich von dir gelesen habe.