Abseits

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Anna

Beitragvon Anna » 06.02.2006, 23:44

Abseits

Denke langsam und vorsichtig,
Denn die Reihen sind leer;
Deine bedächtigen Tränen
Verglühen hinter der grellen Fratze
Der Leuchtreklamen.

Maija

Beitragvon Maija » 07.02.2006, 14:47

Hallo Anna,

Sicherlich sprichst du hier die vielen Leuchtreclamen an, die überall schimmern und leuchten. Darauf möchtest du aufmerksam machen. Allerdings ist mir noch nicht ganz klar, was du nun direkt ansprechen willst. Den Schönheitwahn hinterher laufen? Oder die Verlockungen generell?

Gruß Maija

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 07.02.2006, 21:16

Die Aussage oder vielleicht Botschaft, die ich da herauslese, läßt sich mit einem Zitat von Norman Mailer gut ausdrücken:

"Die Stillen im Lande haben keine Chance, es sei denn, auf dem Friedhof."

Wobei ich unter "Stille [Menschen]" alle verstehe, die erst in Ruhe durchdenken, bevor sie etwas sagen; die differenzieren, abwägen usw.; die nicht darauf aus sind, bloß um jeden Preis Aufmerksamkeit zu erhaschen u.ä.;

Kurz, all jene, für die in der heutigen schnellen, grellen, schreienden Zeit und Gesellschaft kein Platz mehr zu sein scheint.

Wahrscheinlich wird auch diese Aufforderung - die ich aus dem Gedicht herauslese - ungehört bleiben...

Ich mag das kurze Gedicht jedenfalls,

Gruß

Max

Beitragvon Max » 08.02.2006, 11:15

Liebe Anna,

ich finde das Gedicht spannend, vielleicht, weil ich den Aufforderungscharakter der ersten Zeile mag - "Denke langsam und vorsichtig" ist jedenfalls stark. Beid er zweiten Zeile versuche ich noch die leeren Reihen zu füllen, versteh ehrlich gesagt noch nicht, was gemeint ist - vielleicht komme ich ja noch dahinter. Jedenfalls würde ich nicht einfach eine Kritik an der Reklamewelt daraus lesen wollen - oder?

Frage sich
max

steyk

Beitragvon steyk » 09.02.2006, 07:02

Ich sehe in diesem Text ganz einfach eine kurze, aber treffende Beschreibung unserer Gesellschaft. Nach außen scheinen wir abgeklärt und zeigen unsere wahren Gefühle nicht mehr. Die lassen wir nur noch heraus, wenn wir alleine sind.
Gelungen
Gruss Stefan - steyk

Anna

Beitragvon Anna » 09.02.2006, 13:04

Vielen herzlichen Dank für die Reaktionen. Es ist mir tatsächlich ein Anliegen, auf den Status des Einzelnen (des Anderen) hinzuweisen, welcher sich von der Masse abgrenzt und sich sozusagen im Kontrast zu dieser befindet. Wenngleich dies literaturgeschichtlich ein bedeutendes und bekanntes Motiv ist (denkt beispielsweise an Baudelaires „Le vieux saltimbanque“), so scheint es mir doch in unserer heutigen Gesellschaft von besonderer Aktualität zu sein (hmm..., aber das haben die Menschen wohl in jeder Epoche so empfunden). In diesem Zusammenhang soll das Bild der Leuchtreklamen auf kein konkretes „Ding in der realen Welt“ verweisen, sondern den Gegensatz zwischen schriller Masse und dem Einzelnen verdeutlichen. Wie dieses Bild jeweils mit Sinn zu füllen ist, bleibt dem Leser überlassen; ich glaube an die von Iser und Eco vertretene Theorie der aktiven assoziativen Rezeptionsstrategie. So soll hier sicherlich der fragwürdige Einfluß der Medien in seinen unterschiedlichen Formen berührt werden, während ich auch das Gefühl von Einsamkeit/Isolation des nicht auf künstliche Aufmerksamkeit ausgerichteten Individuums inmitten einer Gruppe anderer Menschen streifen möchte.
Liebe Grüße,
Anna

Max

Beitragvon Max » 10.02.2006, 15:24

Uff, liebe Anna, so viel Literaturtheorie muss ich erst einmal flink verdauen ;-)

bis dann
max


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