sterbezimmer

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 26.08.2014, 21:12

Alternativversion:




sterbezimmer


wasche die daunen
die lämmer
die schafe

lackiere rohre
und andere eisenteile

frisch gestrichen
werden die wände
in altweiß

da war noch blut
urin und wein
im teppich

jetzt nicht mehr

das schlagzeug ist verkauft
das lachen
der mädchen
ist verhallt in
den eierkartons
einer vergangenen rockmusik

und an der guild
ist der hals verzogen

die saiten
schnarren nur noch

man kann darauf
nicht mehr spielen

man kann
gar nicht mehr

spielen






***



Erste Version:




sterbezimmer


wasche die daunen
die lämmer
die schafe

lackiere rohre
und andere eisenteile

frisch gestrichen
werden die wände
in altweiß

da war noch blut
urin und wein
im teppich

jetzt nicht mehr

das schlagzeug ist verkauft
das spitze lachen
der mädchen
ist verhallt in
den eierkartons
einer vergangenen rockmusik

an der guild
ist der hals verzogen
die saiten
schnarren nur noch
man kann darauf nicht mehr

spielen

man kann gar nicht mehr spielen

es wird ernst
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 04.09.2014, 12:43, insgesamt 3-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

aram
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Beitragvon aram » 04.09.2014, 17:46

Für mich ist das fast schon ein Pleonasmus, weil "nicht mehr spielen können" und "ernst werden" im Grunde dasselbe bezeichnen. Oder nich?
so lese ich es:

da ist diese erschütternde realisationsbewegung vom "nicht mehr" zum "gar nicht mehr" -
sie erschüttert genau den von pjotr benannten raum, 'was jetzt wird', den in die zukunft gerichteten aspekt des gegenwärtigen.

"man kann / gar nicht mehr // spielen" - kulmination und endung einer nach vorne gerichteten dynamik, mit der der text überhaupt einsetzt: "wasche die daunen / die lämmer / die schafe // lackiere rohre /(...)"

durch die so schon gezeichnete vollendung /vermittelte klarheit macht es das zusätzliche "es wird jetzt ernst" für mich wieder kryptischer. à la - was kann damit jetzt noch zusätzlich gemeint sein? - worauf dehnt dieser realisierende blick noch weiter aus, außerhalb des unmittelbar gegebenen settings? (ließe sich z.b. so interpretieren, dass es auf krieg deute.)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 04.09.2014, 18:20

"Es wird ernst" kommt nicht vom Erklärbär. Mit "Es wird ernst" geht die nächste Tür auf, und der Raum der da sich auftut, ist sehr spannend; da gibt es sowieso erstmal ganz neue Fragen, da kommt der Bär gar nicht mehr hinterhär. Ohne diesen neuen Raum ist der Text nur noch eine banale, zum Grabstein gehauene Resignation.

aram
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Beitragvon aram » 04.09.2014, 18:26

diese tür ist über das "gar nicht mehr" schon voll geöffnet, pjotr - das berührt ja eben nicht bloß einen ausklang wie das vorhergehende "nicht mehr".

was die wesentlichkeit dieses sich hier auftuenden raums betrifft, stimme ich dir zu.

(einmal reicht mir aber auch - zweimal liest sich in der tat entweder wie erklärbär, oder noch mal was andres)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 04.09.2014, 18:38

Ja gut, das "gar nicht mehr" ist schon ganz gar. Insgeheim, das muss ich erklären, nehme ich das "gar nicht mehr" nicht ganz ernst, sondern eher als Aufforderung zur Darlegung eines Gegenbeweises oder einer Erleichterung. Mein erster Kommentar in diesem Faden sollte auch genau dieser, von mir eingebildeten, Aufforderung folgen.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.09.2014, 10:04

Schön und wirklich erfrischend dich wieder zu lesen, Tom! (Und eine schöner Faden!) Auch für mich ein guter Text mit unverkennbarem Ton. Aber das neue Ende wirkt auf mich (seltsamerweise?) jammerich, weinerlich (sicher eine Frage der Betonung, aber es trägt diese Leseweise für mich in sich) und künstlich gekappt. Die erste Version war für mich mit der letzten Zeile und auch der Setzung stimmiger und vom Tonfall her klarer.
Ein bisschen kämpfe ich mal wieder mit dem Titel. Er ist mir zu laut, (will zu viel?), oder zu betont schwerwiegend und droht den Text zu erschlagen.

(Das "spitze" fehlt mir auch, weil es das Lachen und auch seine Wahrnehmung und Darstellung verändert hat und auch im Gedicht einen anderen Klang hatte.)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.09.2014, 08:52

Hallo Flora, ich grüße dich auch :o)

Tja, wie man sieht, wirken die einzelnen Elemente (und Schlüsse) doch recht unterschiedlich auf die geneigten Leser.
Ich kann mich selbst nicht so recht für eine endgültige Version entscheiden, deswegen lasse ich einstweilen beide Versionen ebenso stehen wie sacken.

Um mal den Titel und die Geschichte zu erläutern (was ich sonst eigentlich ob der Gefahr des "Entzauberns" nie tue), hier eine kurze Erklärung des Ursprungs:

Seit Jahren befindet sich mein Schlafraum in einem - sagen wir es mal euphemistisch - relativ provisorischen Zustand und unfertigem Umfeld. Ich bewohne ja eine Teilbaustelle, und dieser "Charme" ging mir nun irgendwann aufs Gemüt. Und dazu gesellte sich die Frage, die sich wahrscheinlich nur alternde Menschen stellen, mit denen ein gewisser Wandel vor sich geht, wie dieses Umfeld wohl auf einen Arzt wirken würde, der mich im Notfall an meiner Lagerstätte aufsuchen müsste.
Sein Weg hätte ihn durch einen ziemlich zerlebten, verqualmten und gefleckten Proberaum durch einen nackten Raum in Abgerissene-Tapeten-Chic zu meinem Lager in Bodenhöhe geführt, und sein Bick wäre auf etliche unschöne Details - die ich hier nicht näher ausführen möchte, die im Text aber angerissen sind - gefallen. Was hätte dieser Mensch über mich gedacht?
Und allein daran, dass mir dieser Gedanke kam, habe ich gemerkt, dass irgendetwas, was bisher mein Leben bestimmt hatte, zuende war. Man könnte es das "Ende des Rock'n'Roll" nennen ... zumindest des gelebten ...

Also verkaufte ich mein Schlagzeug und begann, die Spuren zu beseitigen. Komplettrenovierung. So etwas wie Möbel. Akzentuierte Beleuchtung. Dekoration gar. Hatte ich vorher alles nicht.

Und als ich vor dem fertigen Ergebnis stand und das erste Mal in diesem duftenden Raum im duftenden Bett lag, dachte ich so bei mir: Dies könnte auch das Zimmer sein, in dem alles mal zuende geht. Und genau das war der Auslöser für den ersten Text seit langer Zeit, und auch direkt die Überschrift.

So war das.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

aram
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Beitragvon aram » 16.09.2014, 09:38

lieber tom - auch gibt es nur zwei sorten erfolgreicher architekten, heißt es - eine lebt privat in rosenumrankten gehöften aus dem 17.jhd, die andere auf bodennahen schaumstoffmatratzen in ungemalerten räumen.
-- nehme an, du befindest dich gerade im übergang .-)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.09.2014, 09:51

Lieber Aram, es gibt ja auch noch die un-erfolgreichen Architekten ... die haben's meist nicht so mit Rosen ... :o)

Aber "Übergang" triffts schon ... wenn man bloß wüsste, wohin ...
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 16.09.2014, 10:53

... in die zweite Halbzeit. Mit geänderter Strategie. Wird wieder spannend ...

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allerleirauh
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Beitragvon allerleirauh » 16.09.2014, 15:25

Hallo Tom,ich wollte nur kundtun,dass es mich sehr gefreut hat,hier von dir zu lesen. Dein Text und vor allem die folgende Diskussion haben mich sehr an alte Zeiten des Salons erinnert. Alles Weitere vielleicht später,ich liege nämlich momentan auch flach auf der Matratze und lass mich vom Arzt besuchen.Glücklicherweise ist das Schlafzimmer mittelmäßig aufgeräumt. LG Pan

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 17.09.2014, 15:18

Hey Pan, sei gegrüßt!!! :o)

Wie ist denn der "neue" Salon, wenn man sich bei meiner Reinkarnation an den "alten" erinnert?

Ich habe hier lange nix verfolgt, und das Schreiben ist auch etwas eingerostet.

Gute Besserung!
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 17.09.2014, 20:49

Lieber (schöner) Tom,

wenn man dich so lange nicht gelesen hat, tut das so gut, dass man sich voreingenommen schimpfen muss, aber dann wiederum ist diese Voreingenommenheit ja auch nicht aus dem Nichts entstanden: Also stimm ich ein (hab gar nicht die anderen Kommentare gelesen und die Stimmung trotzdem mitbekommen) in diesen Faden.

Vor einer Woche oder so, als ich den Text das erste Mal las, weiß ich noch, wie ich später dachte: Ja, da ist dieses Blut und das ganze (maßlose) Zeugs, vom Kämpfen/Spielen (eines und keins der Worte trifft es), das man eigentlich nur saubermachen will, auf einmal das Gute..Gewesene...das, was Lebendigkeit eben dort erzeugt hat...so eine Art Magie der Exkremente, die das Leichenhaus zu einem Garten gechrien haben...

als ich es jetzt las steht da noch viel mehr "Harmloseres", "Einfacheres" (Gitarre, Mädchen), es kam eigentlich ganz ruhig an. Vielleicht ist einfach beides der Fall :-)

Steht der Baum noch?

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 18.09.2014, 07:21

Ach, die liebe Lisa *säusel* :o)

Wahrscheinlich ist es eher "harmlos", da das Ablegen von alten Hüten wohl zum Leben gehört. Eine gewisse Dramatik erfährt dieser Wandel jedoch, wenn keine andere Kopfbedeckung zur Stelle ist, und es Hunde und Katzen regnet. Also ist wohl "beides" drin.

Und dem Baum gehts wie mir: Er steht noch, hängt aber ein wenig in den Seilen ...

(schönes Bild, finde ich)

Alle Liebe
Tom (schön???)
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nera
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Beitragvon nera » 18.09.2014, 23:15

ich mag diesen text. und die erste version vorallem.
(und mit einem spritzer weiblicher arroganz : typisch mann!)


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