Phantasmen, vorläufige

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Rita

Beitragvon Rita » 12.01.2015, 06:48

Benn einsamer nie im August,
doch der Januar kennt dunklere Tage
das farblose Glas der Fröste, Einsamkeit
überwuchert den Rand der Welt

Eisernes Grau legt sich auf uns, wir
Weltbewohner hilflos unter der Drohung
des Infernos, wir wollen es uns nicht
ausmalen, nicht wissen, nicht mal ahnen

Unsere Toten werden Schatten sein
an stürzenden Wänden, das Oval
der Erde aufgerissen wie der glühende
Rachen eines Vulkans

Nicht vorstellbar in der Lautlosigkeit
der Tage, die blaue Blume verbrennt nicht
kein Halm bricht, unsere Uhren
gehen den gewohnten Gang

Die Spielregeln haben sich eingepegelt
abgedankt die Geheimnisse, unberührt das
Buch des Gedächtnisses, zu gern
verleugnen wir unsere Sterblichkeit

Rita

Beitragvon Rita » 13.01.2015, 16:24

Aber nein, dieses Gedicht hat nichts mit dem zu tun, was ich seine Schattenseiten nenne, nämlich seine Anbiederung an das Naziregime. Als Sympath wäre mir Benn vielleicht nicht untergekommen, aber seine Gedichte sind eben wirklich große moderne Dichtung, und so musst du das auch sehen. Brecht und auch Weisenborn haben sich zu seiner Haltung in der Nazizeit ziemlich niederschmetternd über ihn geäußert, immerhin Altersgenossen, aber am Ende zählt immer das Werk, und da gibt es einiges, das mich sehr beeindruckt.

Ciao, Rita

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Beitragvon nera » 13.01.2015, 16:51

keine frage, rita. eines meiner lieblingsgedichte ist von ihm. und bei keinem seiner gedichte, die ich bisher von ihm gelesen habe (vielleicht noch nicht genug;)) kam mir dieser gedanke, dass es ein text sei, der sich mit seiner anbiederung und den daraus folgenden situationen und darüber hinaus mit seinem druckverbot durch die nazis beschäftigt. bei diesem von dir zitierten schon. deshalb meine nachfrage.

lg

Rita

Beitragvon Rita » 13.01.2015, 17:23

Nera,

ich denke nicht, dass mein Gedicht sich auch nur annähernd mit dem Druckverbot der Nazis für Benn beschäftigt. Ja, Benn hat vor allem in der Nachkriegszeit sich zu dieser Phase seiner Biographie öffentlich nicht geäußert. Mir ist ein solches Gedicht dieses Inhalts auch nicht bekannt. Aber es war allgemein in progressiven literarischen Kreisen bekannt, er hatte das, was man die Salonfähigkeit nennt, zumindest dort zu einem gewissen Grade verloren. In der Bundesrepublik wurde er geachtet und geehrt. Was weniger über ihn aussagt als über die Bundesrepublik der fünfziger Jahre.

Ciao, Rita

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Beitragvon nera » 13.01.2015, 17:35

?
das gedicht stammt aus dem jahre 1936 und spricht von großer einsamkeit inmitten schöner sommerlandschaft und glück und einem gegenglück, dem geist.
darüber spreche ich jetzt erstmal, von benns gedicht. und dass ich, nur ich dabei das gefühl habe, er selbst beschäftigt sich mit seiner situation. von deinem text habe ich noch gar nicht gesprochen. und auch nicht von der brd und der nachkriegszeit.

Rita

Beitragvon Rita » 13.01.2015, 17:52

Es wird dir doch hoffentlich nicht geschadet haben, ein bisschen was vom Bennschen Hintergrund gelesen zu haben.

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Beitragvon nera » 13.01.2015, 18:35

aber natürlich nicht, frau lehrerin.

Rita

Beitragvon Rita » 13.01.2015, 19:04

???

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Beitragvon Werner » 13.01.2015, 21:47

scheint mir ein bisschen dick aufgetragen (jetzt rein inhaltlich)? und arum im januar, wo es doch mit den taglängen schon wieder aufwärts geht? wäre der dezember, in dem es abwärts geht und auch die rauhnächte sind, nicht angebrachter so düstere prognosen zu wagen?

ein paar lyrische momente flackern auf in dem text (jetzt mal rein formal und sprachlich)!

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Beitragvon nera » 14.01.2015, 02:14

liebe rita, natürlich schadet es nicht, etwas über hintergründe zu lesen. es schadet nie zu lesen. im gegenteil. aber du solltest dir gegenwärtig sein, dass ich diese fragen, die ich gestellt habe, nicht gestellt hätte, wenn ich nichts über benns hintergrund schon vor diesem text und diesem kastrierten zitat gelesen hätte. ich fände es schön, wenn wir uns auf einer gleichberechtigten ebene begegnen könnten. solche kommentare wie dieser "es wird dir nicht geschadet haben...." empfinde ich als sophistisch. und bitte! frage mich jetzt nicht, ob ich muttersprachler bin. das bin ich nämlich nicht. ich bin sprachlich saarländer.

Rita

Beitragvon Rita » 14.01.2015, 05:52

Nera,

ob du was von Benn gewusst hast oder nicht, lassen wir mal dahingestellt. Nicht aber, ich würde mit dir nicht auf einer gleichberechtigten Ebene kommunizieren. Ich wollte dich weder belehren noch dein Image schädigen, als die du die paar Sätzchen meinerseits zu Benn empfunden hast. Ich will keine Auseinandersetzung, was ich will, ist eine kluge Diskussion über unsere Texte, Zickereien und Beleidigungen lassen wir am besten zu Hause. Freut mich, dass du Saarländerin bist (oder bist du maskulin?), ich kenne da ein paar sehr nette Saarländer, die etwas verkehrstüchtiger hinsichtlich ihres Selbstbewusstseins sind als du. Da kann ich dir jetzt mal wirklich einen guten Rat geben: Fang dich mal wieder, es ist ja nicht das erste Mal, dass du Auseinandersetzungen provozierst. Mich nervt das jetzt langsam.

Ciao, Rita
Zuletzt geändert von Rita am 14.01.2015, 07:52, insgesamt 1-mal geändert.

Rita

Beitragvon Rita » 14.01.2015, 05:55

Lieber Werner,

ich bedanke mich von Herzen dafür, dass du meinem Text ein paar aufflackernde lyrische Momente zugestehst, das ist doch schon mal der Anfang für eine Diskussion über den Text, um die es hier letztlich geht.

Ciao, Rita

Lyrillies

Beitragvon Lyrillies » 18.01.2015, 17:52

Liebe Rita,
ich habe die Diskussion um dein Gedicht nicht gelesen, eher hier ein völlig unbeeinflusster Eindruck nach dem zweiten Lesen von mir. Ich stelle im Folgenden einfach mal meine Gedanken dar, das hier ist also so etwas wie ein Gedankenjournal beim Lesen anstelle eines direkt an dich gerichteten Kommentars.

Ich habe wenig bis gar keine Ahnung von Benn, daher wirft mich schon die erste Zeile völlig raus. Mit der zweiten frage ich mich: dunklere Tage als der August? Dunklere Tage als einen hier nicht beschriebenen aktuellen Tag (etwa im Januar selbst)? Was mit dem farblosen Glas der Fröste gemeint ist weiß ich auch nicht. Überlegungen: Frost. Wenn es friert entsteht eher ein heller, weißlicher Glitzer. farblos? finde ich nicht darin. Und weshalb Plural? Wie kann ich das zusammen bringen? Bisher gar nicht. Vielleicht hat es immer noch etwas mit Benn zu tun, von dem ich keine Ahnung habe, der wird ja sicher mit Grund in der ersten Zeile stehen.
"Einsamkeit überwuchert den Rand der Welt" - das löst immerhin ein Gefühl in mir aus, das ist etwas, was ich mir vorstellen kann. Gleichzeitig die Frage: Rand der Welt. Ist das nicht allein schon einsam? Steht die Einsamkeit deswegen in der vorherigen Zeile? Hm, Einsamkeit UND das farblose Glas der Fröste überwuchern den Rand. Da mir immernoch der Zugang zum farblosen Glas fehlt erschließt sich mir letztlich auch hier nicht was gemeint ist. Aber ein Gefühl ist da. Gedanke: Das Komma bedeutet nicht UND, sondern : - mit dem farblosen Glas der Fröste wäre also die Einsamkeit gemeint. Frost, Einsamkeit, passt schon zusammen. Wieso Glas? Und noch immer: Wieso Plural?

Mit dem nächsten Abschnitt kann ich mehr anfangen: "Eisernes Grau" Assoziation: Asche, Krieg, aber auch Schnee - woher? Wohl noch vom Winterthema im letzten Abschnitt. Der Weltuntergang, die große Katastrophe, Inferno. Und ja, ein glasklarer Kommentar: Wir wollen davon nichts wissen. Kurzer Check: Stimmt ungefähr mit meinem Eindruck des Zustands der Welt überein, hier kommt dann die neue Komponente Klimawandel in meine Gedanken, denn in meinem Kopf ist das eines der drängendsten Themen, welches aber in gewissen Bereichen doch recht stark ignoriert wird. Zurück zum Gedicht: Ist der Klimawandel hier irgendwo zu finden bisher? Nicht so richtig. Vielleicht über den Schnee...? Der Gedanke ist da, ich behalte ihn im Kopf.

Auf zum nächsten Abschnitt: Unsere Toten werden Schatten sein. Moment. Bevor ich weitermache, kurzer Gedankengang: Tot - weg, aus, vorbei. Schatten - immer da, Verfolgung. Welche Toten sind hier gemeint. Die bereits Toten? Oder diejenigen die das zuvor erwähnte eiserne grau fordern wird? Hm. WIR sind bisher diejenigen, die das drohende, aber noch nicht da-seiende, Inferno ignorieren wollen. Unsere Toten sind also in diesem Moment jene die schon tot sind. Aber was haben die mit dem Weltuntergang zu tun? Ok. Andersrum: Unsere Toten - diejenigen aus unseren Reihen die fallen werden wenn das Inferno kommt. Werden wir es also noch erleben? Und irgendwer von uns wird dann ja wohl überleben (zumindest eine Zeit lang) - denn wie sonst könnten die Toten uns wie Schatten anhängen und nicht loslassen? Das ergibt für mich mehr Sinn, funktioniert aber auf der Zeitebene nicht ganz. Eben wurde noch ein "jetzt" gezeichnet, in dem das Inferno nur droht, und plötzlich sind wir mitten im, oder sogar schon nach, dem Inferno und werden von den Toten verfolgt, die vielleicht noch am Leben wären, hätten wir die kommende Katastrophe nicht ignoriert? Zeitlich gesehen bin ich verwirrt, aber zum ersten Mal habe ich das Gefühl ansatzweise zu ahnen worum es überhaupt geht in dem Gedicht. Also, unsere Toten werden Schatten sein / an stürzenden Wänden, ... ups. Was denn jetzt für Wände? Eben war ich noch bei der großen weiten Welt, die in Flammen aufgeht. Entweder mittendrin (wir, unsere) oder wenn ich mich wieder als Leser sehe, oben drüber im All, und gucke mir das an. Wo kommen denn jetzt die Wände her? Sind etwa die einstürzenden Wände unserer Realität, unseres Lebens, unserer Welt gemeint? Das ist für mich der einzig sinnvolle Gedanke - alles bricht zusammen. Aber über die Formulierung stolpere ich doch, denn da drängt sich mir das Bild eines Schachts, oder eben eines zusammenbrechenden Raumes auf. Eben aber stand noch die ganze, große Welt in Flammen. Ich werde aus meinem gerade aufkommenden Lesefluss wieder herausgeworfen. Das Oval. Das Oval steht noch in der selben Zeile wie die stürzenden Wände. Vielleicht kommt daher meine Assoziation mit einem Schacht, auch wenn die eher rund sind. Die Erde in der nächsten Zeile ist für mich aber auch eher rund. Soll das Oval bedeuten, das es nicht "rund" läuft auf der Erde? Das glaube ich nicht. Außerdem habe ich auch bei einem Oval etwas regelmäßiges vor Augen. Warum Oval? Hier muss ich wieder völlig passen, ich komme einfach nicht dahinter. Aber die aufgerissene Erde, der Rachen des Vulkans, ja das passt wieder zu den vorherigen Bildern in meinem Kopf, und für mich passt sich auch der Klimawandelgedanke hier besser ein, denn beim ausbrechenden Vulkan komme ich gedanklich eher zu Naturkatastrophen als zu Krieg.

Und dann erstmals ein Übergang der für mich funktioniert. Ich bin bei der brennenden Erde, bei Tod und Zerstörung und Katastrophen, allumfassend. Was soll da noch unvorstellbar sein? Aber es gibt etwas unvorstellbares inmitten des Weltuntergangs: Stille. Stille? Wie kommt es zu dieser Stille? Ach warte: nicht vorstellbar IN der Lautlosigkeit. In. Der Weltuntergang ist das unvorstellbare, die Stille die Realität, und da bin ich wieder am Anfang: wir ignorieren die drohende Gefahr. Schön, hier freue ich mich, ein gelungener Schritt zurück ins Jetzt.
Auch gut, dass mir im Rest dieses Abschnittes eine Pause gewährt wird, der Übergang wird so weicher, die plötzliche Noch-nichtexistenz des Weltuntergangs abgefedert. Lautlose Tage, die berühmte blaue Blume als Sinnbild von Sehnsucht und Hoffnung und Romantik und Unvergänglichem. Das Bild ist klar. Nichts deutet darauf hin, dass es fünf vor zwölf ist.

Uhren. Spielregeln haben sich eingependelt. Sie laufen in ihrem gewohnten, ruhigen, immer gleichen Takt vor sich hin. Geheimnisse abgedankt - hm? Hier stocke ich wieder. Geheimnisse haben abgedankt? Das klingt für mich als gäbe es keine Geheimnisse mehr? Wo sind sie hin, was ist mit ihnen passiert, und wieso soll es sie nicht mehr geben? Gut, einen Schritt zurück: Was für Geheimnisse sind gemeint? Schlechte Geheimnisse, unschöne Dinge die man verstecken will, Intrigen und Hinterrückspolitik? Das passt irgendwie für mich nicht, wo wir doch so bemüht sind die drohende Katastrophe zu ignorieren, nicht von ihr zu wissen. Da entstehen doch zwangsläufig Geheimnisse. Anderer Ansatz: schöne Geheimnisse, Wunder, unentdecktes Wissen, Geheimnis also als Zauber der Welt. Das funktioniert besser, es gibt nichts mehr zu entdecken, nichts mehr zu lernen, nichts neues, unbekanntes mehr. Alles hat sich eingependelt, alles funktioniert nach dem immer gleichen Trott. Das funktioniert also theoretisch, praktisch habe ich damit aber so meine Probleme: Der Weltuntergang ist etwas großes. Ignoriert wird der im Zweifelsfall auch von den Großen - Politikern, Wirtschaft, etc. Also denke ich auch die Spielregeln beziehen sich auf das Spiel der Großen. Aber deren Geheimnisse als positive Geheimnisse zu verstehen fällt mir beim Tonfall und Thema dieses Gedichts eher schwer. da ist also für mich ein Bruch drin. Aber weiter. Unberührt das Buch des Gedächtnisses: "Aus Fehlern lernen wir" "Geschichte wiederholt sich" etc. Wenn also das Buch des Gedächtnisses unberührt ist, dann sehen wir wohl nicht in die Vergangenheit um die Fehler der Zukunft zu vermeiden. Ja, gut, okay, aber den Weltuntergang gabs meines Wissens nicht schon einmal. Die Fehler die dazu führen müssen größere, andere, oder auch nur mehr sein als zuvor. Kann man also durch Erinnern das ende der Welt vermeiden? Schwierig. passt für mich auch nicht ganz. Aber "zu gern verleugnen wir unsere Sterblichkeit" ist ein Satz der für mich so klingt, als wäre er schon zuvor genannt worden in diesem Gedicht. Zu Beginn, wo wir das Inferno ignorieren wollen, zwischendrin, wenn unsere Toten uns nicht loslasse, wie sie es doch eigentlich sollten, und am Ende natürlich, inmitten der blauen Blumen. Das ist schön, der Abschluss gefällt mir, gerade weil er explizit sagt was im ganzen Gedicht bereits transportiert wurde. Ich beende also diese schwierige Reise durch das Gedicht besänftigt und zufrieden.

Nochmaliges Drübergucken: Es gibt Passagen, die bei mir definitiv nicht ankommen. Sei es Unkenntnis (Benn), oder verquere Gedankengänge, ich weiß es nicht, aber einiges verwirrt mich, erschließt sich mir nicht, funktioniert für mich nicht. Anderes transportiert mich ganz schnell zu ziemlich heftigen Bildern - aus denen ich wieder herausgerissen werde. Die Setzung der Wörter und Zeilenumbrüche verstehe ich absolut gar nicht. Da geht, wenn sie denn mit Hintergedanken so gesetzt wurden, eine ganze Ebene des Gedichts völlig an mir vorbei. Melodisch, rhythmisch, habe ich auch so meine Probleme. Ich lese Gedichte sehr gerne laut, dieses hier macht es mir schwer das zu tun. Der einzige Teil, der in dieser Hinsicht für mich funktioniert, ist "nicht / ausmalen, nicht wissen, nicht mal ahnen". Ich habe das Gefühl, das einige vereinzelte Satzzeichen geholfen hätten Sprünge, Umbrüche, Szenenwechsel weicher zu gestalten. Ein Punkt hinter Sterblichkeit am Ende würde mir ganz besonders gut gefallen, aber das ist sicher Geschmacksache. Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Benn einen Schlüssel beinhaltet, der nochmal ganz neue Türen in diesem Gedicht aufstößt. Aber von Benn habe ich nunmal keine Ahnung. Das lässt sich zwar ändern, aber ich wollte einen Eindruck geben wie das Gedicht ohne stundenlange Hintergrundrecherche auf mich wirkt.

Fazit: Es funktioniert für mich nicht. Und das liegt nicht nur an Benn, glaube ich. Es hat ein-zwei schöne Momente, läuft aber nicht flüssig - weder textlich noch inhaltlich. Ich glaube aber auch, dass einiges von dem, was für mich nicht funktioniert, Geschmacksache ist und damit an mir hängt. Insgesamt überwiegen für mich deutlich die Ungereimtheiten. Und sollte das, was ich daraus gezogen habe, tatsächlich die Haupt-Message des Gedichts sein, finde ich ganz persönlich es auch zu dick und zu episch für eine so gradlinige Aussage.

Vielleicht kannst du ja etwas mit meiner Gedankenschau anfangen, liebe Rita :)

Rita

Beitragvon Rita » 19.01.2015, 05:46

Liebe Lirillies,

Du schreibst, du hättest keine Ahnung von Benn – heißt das, du kennst keine Gedichte von ihm? Für jemanden, der selbst Gedichte schreibt, nicht gerade ein Ruhmesblatt, findest du nicht auch? Du musst seine Gedichte ja nicht lieben, aber einige kennen solltest du schon, wie ich sowieso glaube, dass man als Lyrik Schreibender sich einen gewissen Überblick über das verschaffen sollte, was andere schreiben, zumal ein so berühmter Lyriker wie Benn. Wobei ich nicht weiß, ob deine Gedichte dem deutschen Gedichtekreis zugehörig sind. Schon klar, du kannst mit der ersten Gedichtzeile nichts anfangen. Dass du deshalb „rausgeworfen“ wirst, liegt also in diesem Falle weniger an meinem Gedicht als an dir selbst. Bildungslücken können vorkommen, entschuldigen allerdings sollte man sie nicht, indem man die Schuld beim anderen sucht.

Dein Kommentar ist ein bisschen sehr umfangreich, du hast dich hineingekniet, um mir zu beweisen, dass er aus lauter Ungereimtheiten besteht, jedenfalls muss ich deinen Kommentar so auffassen. Ungereimt ist dieser Text in der Tat für jemanden, der sich gedanklich aus dem aktuellen Zeitgeschehen heraushält, ich muss also annehmen, dass ich mit meinem Text von dir zuviel verlange, zuviel voraussetze. Insofern ist es müßig, auf Einzelheiten einzugehen, ich kann dir hier nicht die brandgefährlichen Ereignisse im Zusammenhang mit Russland erklären. Du wirst also Verständnis dafür haben, wenn ich das nicht tue.

Nun habe ich dir schon einen Hinweis gegeben, worum es in diesem Gedicht geht, worauf sich die Passage „Unsere Toten werden Schatten sein/an stürzenden Wänden“ bezieht, auf einen immer wahrscheinlicher werdenden Krieg mit Russland, der nur ein Atomkrieg sein kann und der sich vor allem in Europa abspielen würde. In Hiroshima fand man von den Opfern der Atombombe nur noch menschliche Schatten an stehengebliebenen Wänden – darauf bezieht sich diese Passage. Fraglich wäre allerdings, ob es in einem künftigen Atomkrieg überhaupt noch Wände geben wird. Wenn du das Gedicht unter diesem Thema liest, müsste es sich dir eigentlich erschließen, selbst dann, wenn du dich selbst als unpolitischen Menschen siehst. Ich habe das Gedicht „Phantasmen, vorläufige“ genannt und das involviert die Hoffnung, dass es nicht zu diesem Krieg kommt.

Ich nehme an, du verlangst keine Erklärung von Metaphern, z. B. „dunklere Tage“, „das farblose Glas der Fröste“, „Einsamkeit überwuchert den Rand der Welt“. Die Metaphern müsstest du dir eigentlich selbst erklären können. Ein bisschen Mitdenken ist beim Lesen eines Gedichts schon erforderlich. Zugegeben, es ist keine leichte Kost, aber auch wieder nicht zu verschlüsselt, du musst genau lesen, du darfst nicht alles von Erklärungen des Verfassers erwarten. Das Gedicht drängt notwendig die Gedanken in wenigen Zeilen zusammen, da bleibt vieles unerwähnt, und nur das Nötigste, das Entscheidendste wird angesprochen. Ein Gedicht verlangt also auch etwas vom Leser, wie es ja auch sozusagen zwei Autoren hat, nämlich den Verfasser und den Leser, der ja das Gedicht „mitschreibt“.

Die sprachst Gedichtübergänge an. Das Gedicht ist in Vierzeilern geschrieben, die die Eigenheit aufweisen, in sich abgeschlossen zu sein. Das ist bei etlichen anderen Gedichtformen anders, von den Vierzeiler-Strophen aber könnte jede für sich allein stehen, klassische Gedichtübergänge sind in diesem Fall nicht Notwendigkeit.

Um noch deine letzte Frage zu beantworten: Nein, um den Klimawandel geht es hier nicht. Wer weiß, ob es nach dem nächsten Krieg überhaupt noch ein Klima gibt und ob noch Menschen existieren, die es brauchen.

Zum Schluss danke ich dir sehr herzlich für dein sichtliches Interesse an diesem Gedicht und die umfängliche Ausarbeitung deines Kommentars, und hoffe, wenn du das Gedicht jetzt noch einmal liest, dass sich viele deiner Fragen erledigt haben.

Ciao, Rita

_________________
Zuletzt geändert von Rita am 19.01.2015, 11:45, insgesamt 2-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 19.01.2015, 06:12

Liebe rita,
Wir haben in diesem forum autoren, die aus spaß an der freude schreiben bis hin zu autoren, die eines tages zwischen benn und brecht in den lyrikregalen der buchhandlungen gefunden werden wollen. Und es ist überdies Ansichtssache, was man für sich als lesens-und studierwert erachtet. Dem einen sein brecht ist dem andren sein ringelnatz. wäre schön, den versuch zu starten, das zu akzeptieren und nicht ein kapitel des postings sich über die unwissenheit anderer auszulassen.
Vielleicht würde eine formale änderung der ersten zeile der eindeutigkeit auf die Sprünge helfen. Es liegt nicht immer alles nur am ignoranten Leser.
Bitte räume jedem leser das recht ein, zu kommentieren, auch wenn sein horizont dir nicht weit genug scheint. Und ohne erhobenen Zeigefinger!

Beste Grüße - Niko
Zuletzt geändert von Niko am 19.01.2015, 06:20, insgesamt 1-mal geändert.


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