Tote Rinde

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Kurt
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Beitragvon Kurt » 30.01.2016, 22:02

Im Kaminholz fand
ich unsere Initialen geritzt
von Maria und mir

die Sehnsucht nach ihr war
stehengeblieben im Laufe der Zeit
wie das Pendel einer Uhr

es tickte unterschwellig fort

heute hörte ich von einer
glücklichen Heirat

in auflodernder Buche
erhängte sich mein Traum
Zuletzt geändert von Kurt am 03.02.2016, 13:33, insgesamt 5-mal geändert.
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 31.01.2016, 03:00

Hallo Kurt,

da ist dir ein originelles und berührendes Bild gelungen.

Einzig "erhängter Traum" passt für mich nicht da hin.
Erhängen als Todesart passt nicht in die Metapher.

Ein gefällter Traum
in uralter Buche?

Ein ausgebranner Traum?

Irgendwas, das die Baum-Feuer-Metapher aufnimmt fände ich stimmiger.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Kurt
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Beitragvon Kurt » 31.01.2016, 05:04

Danke, Zaunkönig. Ja, ich hänge an erhängten Träumen.
Aber hier ist es wohl nicht stimmig. Vielleicht eher so:

Tote Rinde

Auf dem Kaminholz fand
ich unsere Initialen geritzt
von Maria und mir

die Sehnsucht nach ihr war
stehengeblieben im Laufe der Zeit
wie das Pendel einer Uhr

in gefällter Buche
ein auflodernder Traum
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 31.01.2016, 08:53

Hallo Kurt,


ein auflodernder oder aufflammender Traum passt zum übrigen Text, weil die Baum-Feuer-Metapher erhalten wird. Allerdings ist die Aussage eine komplett andere.
"Auflodern" assoziiere ich mit "aufleben", aber das kann ja einem Traum passieren, wenn man sich an ihn erinnert.

Dein Text. - Wenn du der Aussage zustimmst, ist das eine Verbesserung.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

Kurt
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Beitragvon Kurt » 31.01.2016, 09:54

Ja, wie gesagt, ich hatte mich zu sehr in den „erhängten Traum“ verrannt. Ich glaube, eine Sehnsucht ist gegenwärtig eine lange Zeit, lebt weiter als unterschwelliger Traum. Das Pendel einer Uhr kann auch wieder angestoßen werden, ein Traum wieder aufleben. Wegen der Baum-Feuer-Metapher, wie du so schön sagst, habe ich mich dann für „auflodernd“ entschieden. Ich denke, so ist es auch lebensnaher. (Wenn sich die Erinnerung "erhängt" klingt es natürlich stärker, bedürfte aber eines gesonderten Anlasses/Motives.)

LG Kurt
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birke
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Beitragvon birke » 31.01.2016, 10:03

hach, nicht immer sofort den text oben ändern, bitte!
ich weiß jetzt nicht mehr ganz genau, wie es vorher war, weiß aber, dass ich den "erhängten traum" sehr wohl stimmig und passend fand - ich sah halt (etwas, jemanden) am baum hängen (am baum, eben an jener buche erhängt).
jetzt ist es ein etwas anderer text geworden...
dennoch gefällt er mir, aber vorher fand ich ihn noch stärker.
einen schönen sonntag wünscht
die birke ;)
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Nifl
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Beitragvon Nifl » 31.01.2016, 10:28

Das Lodern ist mir zu grell, aber die passende Richtung ist es für mich schon. Weil Liebe oft mit Feuer verglichen wird?

Bild
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Kurt
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Beitragvon Kurt » 31.01.2016, 10:44

Danke, Birke. So macht es mir Spaß.

Ich hatte anfangs stehen

erhängter Traum
in gefällter Buche

Wie wärs, liebe Birke, mit

in auflodernder Buche
ein erhängter Traum

Gut, in einem Gedicht kann man wohl so großzügig
assoziieren.

Danke, Nifl, fürs schöne Bild

LG Kurt
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birke
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Beitragvon birke » 31.01.2016, 12:27

ja, kurt, das finde ich passend!
(wobei ein gefällter traum auch sehr gut passen würde.)
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

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Kurt
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Beitragvon Kurt » 31.01.2016, 14:43

Danke, Birke. Ich tendiere zum erhängten Traum.

LG Kurt
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 31.01.2016, 15:05

Mir gefällt der erhängte Traum auch gut, da ich dieses Bild sehr originell finde. Hab ich noch nirgendwo gelesen. Und es formen sich da viele Bilder in meinem Kopf dazu.

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.02.2016, 10:37

Lieber Kurt,

das Kaminholz schafft zwar die Szene des Textes, weckt die Bilder, aber der eigentliche Stich kommt doch von diesen Zeilen:

die Sehnsucht nach ihr war
stehengeblieben im Laufe der Zeit
wie das Pendel einer Uhr

(ich mag auch die Umbrüche wie sie sind und die Reihenfolge der Phrasen des Bildes)

Deshalb wäre für mich beim Rest etwas weniger mehr. Adjektive und Beschreibungen, die die Interpretation pushen sollen, braucht es für mich nicht. Warum nicht einfach:

in auflodernder Buche
ein Traum


Der Anfang des Gedichtes ist auch so gehalten und sehr treffend in seiner Einfachheit arrangiert, etwa "fand ich" - finde ich die perfekte Formulierung (denn dass sie gefunden werden können, drückt die Entfernung aus).

Der Titel ist in meinen Augen dann wieder komisch übertrieben, aber das gehört vermutlich zu deiner Art :-)

Außerdem: Auf dem Kaminholz? Im?

Liebe Grüße
Lisa
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Kurt
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Beitragvon Kurt » 03.02.2016, 12:25

Ja, Lisa, wie ich schon weiter oben zu Zaunkönig gesagt habe, bedarf der „erhängte“ Traum einer gesonderten Motivation. Wie es nun dasteht im Gedicht, liest man es als analog zum hängenden, stehengebliebenen Pendel, und das ist falsch. Auch ein PC sagen wir, hänge sich auf, aber das geschieht, es läuft ins Leere wie die Sehnsucht in diesem Falle. Ein Traum, der sich erhängt, tut dies aber aktiv, genau wie ein Mensch, der sich erhängt. Bilder, die sich pushen lese ich vor allem in modernen Gedichten zu Hauf. Ist ansich kein Problem, nur man muss darauf achten, dass keine unlogischen Verbindungen zwischen ihnen sich ergeben.

Ich könnte in meinem Gedicht, um den erhängten Traum zu erhalten, also noch eine Motivation dazu vorsetzen, dass Maria gerade geheiratet hätte oder so etwas. Deswegen hat sich der Traum halt (endgültig) erhängt. Zum Titel: In der Rinde eingeritzt lebt ja der Traum; parallel mit dem Fällen stirbt er hier. IM Kaminholz hatte ich zuerst auch geschrieben, klang mir dann aber etwas merkwürdig und habe es verworfen. Ist vielleicht aber doch besser.

LG Kurt
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 03.02.2016, 12:53

Lieber Kurt,

ich habe das hängen gar nicht auf das Pendel bezogen, für mich herrscht da der Baum vor und ich denke an erhängen mit Todesfolge - was mich, wenn ich nachsinne, zusätzlich stört, denn das macht die Aktion des Verbrennens des geritzten Baumstückes viel zu aktiv/aggressiv durch den Erzähler. Der Traum wird von ihm erhängt. (beißt sich dann auch mit dem "fand"). Ich las es eher als (trauriges) Zeitgeschehen, das beschreibt, wie etwas verschwindet, das einmal von einschneidender Bedeutung war. Und jemand der ruhig/emotionslos vor dem Feuer sitzt und den Flammen zuschaut, wie Flammen von hundert Feuer zuvor.

Wenn du nun davon schreibst, dass Maria vielleicht auch gerade geheiratet hat, was nur ein Beispiel ist, ich weiß, dann betonst du mir damit zu sehr Maria. Was auch immer für Gründe zur Abwesenheit der Liebe geführt haben im Erzähler - es geht meiner Meinung nach um seine Empfindungen da im Moment des Gedichts.

Wenn du das erhängter behalten möchtest, dann passt das schon so. Ich hab einfach Freude daran, das durchzugehen. Ich würde ansonsten eh die ganze letzte Strophe streichen, damit wäre es für mich fein, das Verbrennen muss ich nicht erzählt bekommen und das Verbrennen ist auch nicht schlimmer als das Finden auf dem Holzstoß. Aber deinen Stil muss man schon in Ruhe lassen :-)

Liebe Grüße
Lisa
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