wo ist ihr mann

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klimperer

Beitragvon Klimperer » 20.07.2016, 10:27

fragte ich die bäckersfrau
sie murmelte ein wort
sah meine fragenden augen
wiederholte es
moschee
fügte beten erklärend hinzu
ich zahlte
bestellte grüße
taumelte
beim weggehen
in der unerträglichen hitze
Zuletzt geändert von Klimperer am 21.07.2016, 19:40, insgesamt 2-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 20.07.2016, 19:02

► Text zeigen

lieber klimperer,

meist schätze ich deine lapidaren, individuellen, alltagsbezogenen schilderungen.

dieser text aber scheint geradezu danach zu heischen, alles mögliche in ihn hineinzuinterpretieren - und das gefällt mir gar nicht.
sollte das keine absicht von dir sein, wäre zumindest das "unerträglichen" zu streichen, finde ich. aber auch dann bin ich nicht sicher - ich glaube, die abfolge " (...) / ich zahlte / bedankte mich / bestellte Grüße / und taumelte / (...)" liest sich ebenfalls tendenziös.

liebe grüße!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 20.07.2016, 19:20

Lieber Klimperer,

ich verstehe nicht, warum das lyr. Ich taumelt. Gibt es einen Bezug zu einer Begebenheit, aus der man sich herleiten kann, was ungesagt ist?

Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Nifl
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Beitragvon Nifl » 20.07.2016, 19:30

Er taumelt, weil es so heiß ist. Nur in diesem Text verknüpfe ich das auf der Metaebene gleich mit der Ablehnung, dass sich das Beten während der Arbeitszeit in Deutschland für einen Bäckermeister nicht gehört. Wenn du das wolltest, ist dir das gut gelungen.
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aram
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Beitragvon aram » 20.07.2016, 19:35

sehe ich ähnlich*), denn: es gibt keinen kontext, warum die nicht-anwesenheit des mannes der bäckerin offenbar so auffällig ist, dass sie den titel abgibt (hätte er umgekehrt 'wo ist seine frau?' geheißen? .-)

*)allerdings muss der 'mann der bäckerin' nicht bäckermeister sein ...vielleicht ist er verkäufer?

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 20.07.2016, 21:36

Der Mann betet, die Frau arbeitet und deshalb taumelt der (deutsche) Bäckereibesucher?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
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Beitragvon Nifl » 20.07.2016, 21:57

ja, "ein Weltbild gerät ins Wanken"
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Beitragvon Zefira » 20.07.2016, 22:59

Ich hatte schon beim ersten Lesen den Verdacht, dass es hier um die Gemütslage der Bäckerin geht: Sie murmelt die Antwort "Moschee" in sich hinein, muss das Wort wiederholen, weil der Sprecher des Gedichts es nicht verstanden hat, und fügt gleich "erklärend" hinzu, der Mann will bloß beten - irgendwie hört es sich für mich an, als ob die gute Frau sich kaum traut zuzugeben, dass ihr Gatte seinen Pflichten als frommer Muslim nachkommt. Gründe zum Taumeln gibt es derzeit vielerlei, nicht nur die Hitze.

Grüße von Zefira, der das Wetter gefällt :o)
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Beitragvon aram » 20.07.2016, 23:03

das possesivpronomen im titel ist wohl nicht 3.person sondern anrede und müsste dann groß, oder?

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Beitragvon Pjotr » 20.07.2016, 23:11

Ja, muss mal auf jeden Fall groß.



Taumeln wegen der Hitze? Auf der Straße tut man das doch eher dann, wenn man dort irgendwo ein Weinchen getrunken hat?
Zuletzt geändert von Pjotr am 20.07.2016, 23:15, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Zefira » 20.07.2016, 23:14

Schwierig.
Lautet der Titel des Gedichts "Wo ist Ihr Mann?", bekommt das in Groß- und Fettschrift mit dem großen "Ihr" etwas Anklagendes, man wittert sofort geheimnisvolles Verschwinden oder irgendwelche dunklen Umtriebe - zumindest geht es mir so, ich bin halt Krimileserin, vielleicht liegt's an mir ...
Evtl könnte man die Klippe mit der Formulierung "ich fragte die Bäckerin" umschiffen, dann klingt es nicht nach wörtlichem Zitat.

Wo ist ihr Mann? (fragt das lyrische Ich sich selbst)
Ich fragte die Bäckerin (erzählend)
usw.

Grüße von Zefira, die grade eine Fliege im Melonenlikör hatte :hurted:
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Beitragvon Pjotr » 20.07.2016, 23:18

Beim Lesen von "Fragte ich die Bäckerin" klang der Titel für mich klar wie eine direkte Frage.


Lass den Melonenlikör noch ein paar Jährchen stehen, dann kannst Du daraus ein Bernstein-Amulett schleifen ...

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 21.07.2016, 11:26

Ich glaube, Bäckers Frau kling besser als Bäckerin. Ihr, wie Aram und Pjotr richtig bemerkten, hätte groß geschrieben werden sollen.

Die Bäckerei hat schon ein paar mal den Besitzer gewechselt. Ursprünglich war sie in deutscher Hand, das ist aber schon lange her. Seit etwa einem halben Jahr agieren dort ein Afganer und seine Frau, beide sehr sympathisch. Er kam mir wie ein sehr aufgeklärter Mensch vor. Der Laden liegt nicht auf meinem Weg, deswegen kaufe ich eher selten dort.
Einmal bekam ich dort ein vorzügliches Kartoffelbrötchen. Neulich ging ich in die Stadt, es war schon spät und ich hatte bis dahin gar nicht gegessen, machte also einen kleinen Umweg um dort ein Kartoffelbrötchen zu kaufen, was ich auch tat, dann aber entdeckte ich in der Auslage, in einer Schüssel, etwas, das wie Selbstgemachtes aussah, wie ein typisches Gericht und kaufte ein Stück dazu. So, dann hatte ich beides in der Hand, wusste nicht, was ich zuerst essen sollte, das, und die herrschende Hitze verursachten bei mir eine Art Unbehagen, das mich zum Taumeln brachte.

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Beitragvon Pjotr » 21.07.2016, 14:16

Da gibt es jetzt zwei Möglichkeiten:

fragte ich die bäckersfrau
fragte ich des bäckers frau

Letztere Variante würde mich an Wilhelm Busch erinnern :-)


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