Mit großem Brimborium

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 03.02.2017, 10:54

Als ein Mann mit großem Brimborium
eine Mauer bauen wollte,
schalt man ihn von beiden Seiten,
sowohl von links als auch von rechts.

Gegen die ursächliche Idee
oder viel mehr gegen die Gemütslage,
aus der diese hervorging,
habe man nichts einzuwenden.

Es herrsche aber Unklarheit,
ob die Mauer ihrem Zweck
überhaupt gerecht werden könne –
und das sei der Wohlstand.

Man habe nichts gegen die Mauer an sich,
wolle von ihr aber nichts wissen.
Das liege ja in der Natur dieser Sache,
niemand wolle die Kosten tragen.

Aus demselben Grund würde aber,
sobald die Mauer einmal stehe,
niemand nach der Rechnung fragen.
Sondern wie die Mauer zu überwinden sei.

Sei es um sich über sie hinweg zu setzen
oder um andere davon abzuhalten.
Aber auch das geschehe dann
hinter vorgehaltener Hand!

Deshalb baue man die Mauer am besten
ohne die Absicht eine Mauer zu bauen.
Aber bestimmt nicht mit großem Brimborium.
Am Ende zahle doch, wer sich zuerst bemerkbar macht.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 08.02.2017, 17:26

Ein Gedicht, das sich aus einem aktuellen Rahmen heraus entwickelt hat, aber dann eben mehr, Zeitloses erzählen kann. Finde ich sehr gut gemacht, auch sprachlich trifft es für mich den richtigen Ton. Als würde Kafka den Kopf schütteln.
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Last

Beitragvon Last » 10.02.2017, 08:59

Danke für die Rückmeldung. Es freut mich auch, dass etwas ankommt.

Niko

Beitragvon Niko » 10.02.2017, 15:20

Hallo last!
Inhaltlich finde ich den Text sehr gehaltvoll, stelle aber dennoch die ungeliebte frage, ob ein Essay, das man in mehrere vierzeiler packt, dann wirklich den lyrikhut trägt....
Bringt mich selbst zum nachdenken darüber......Ich denke mir fehlt das lyrisch verdichtete. Doppelsinnigkeit oder auch vielleicht reime.

Ich meine.....Du hättest es auch unter prosa als Essay stellen können.... Warum lyrik? Ist lyrik als Rubrik elitärer? Ist provokant....Ich denke nur
nach. "laut" nach...

Herzlichst - Niko

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 10.02.2017, 20:56

Niko hat geschrieben:Hallo last!
Inhaltlich finde ich den Text sehr gehaltvoll, stelle aber dennoch die ungeliebte frage, ob ein Essay, das man in mehrere vierzeiler packt, dann wirklich den lyrikhut trägt....
Bringt mich selbst zum nachdenken darüber......Ich denke mir fehlt das lyrisch verdichtete. Doppelsinnigkeit oder auch vielleicht reime.

Ich meine.....Du hättest es auch unter prosa als Essay stellen können.... Warum lyrik? Ist lyrik als Rubrik elitärer? Ist provokant....Ich denke nur
nach. "laut" nach...

Herzlichst - Niko

Der Text hat in meinen Ohren -- ich sage Ohren, nicht Augen -- ganz klar eine rhythmische Struktur. Es steckt Musik drin. Ob Musik nun in diese oder jene Rubrik gehört, ist lediglich ein Problem der Verwaltungswissenschaften. Dieser Text enthält nun mal vielerlei verschiedenes. Warum muss man immer diese langweiligen Grenzen einhalten? Müssen bisexuelle ins Damenklo oder Herrenklo? Müssen christliche Arbeiter in die CDU oder SPD? Ist Kürbis Obst oder Gemüse?

Treffenderweise thematisiert der Text genau das! Das Grenzlertum. Das betrifft eben auch Rubrikgrenzen. Insofern ist der Text sogar genial.

Niko

Beitragvon Niko » 10.02.2017, 22:43

Na dann hab ich das Essay nicht richtig begriffen. Sorry.

Vielleicht wäre es dann richtig und konsequent auch und gerade hier im salon die Unterscheidung prosa und lyrik völlig aufzuheben, da dieses schubladendenken ja völlig hinfällig sein sollte. Vielleicht macht es Sinn, alle Unterteilungen weg zu lassen. Ich meine.. Es ist doch alles Ausdruck eines gemeinsamen nenners: des künstlerischen Prozesses.

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birke
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Beitragvon birke » 11.02.2017, 01:12

ja, der text hat gehalt - und rhythmus!
und nein, niko, nein, nicht nur eine rubrik, dann wäre ja alles nur noch ein großes geschwurbel und grenzüberschreitungen gar nicht mehr möglich? oder dieses nicht-in-schubladen-passen. dabei ist genau dieses bewusstsein so wichtig und nötig: dass es grenzen (und schubladen) zwar gibt, diese aber durchaus durchbrochen und geöffnet werden können und dürfen. darin liegt u. a. die stärke des textes, meine ich. ganz davon abgesehen, dass er hochaktuell ist.
tu etwas mond an das, was du schreibst. (jules renard)

https://versspruenge.wordpress.com/

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Beitragvon Pjotr » 11.02.2017, 01:37

Niko fragte sich, ob die Rubrik "Lyrik" elitärer sei als andere Rubriken. Schon die Frage finde ich falsch; enthalten alle Rubriken eine elitäre Mindestdosis? Auf selbe Frage folgend hegte Niko den Verdacht, der Text sei nur in die Lyrik-Rubrik gestellt, um elitärer zu wirken, -- das halte ich für einen falschen Verdacht; also der Text sei etwas pseudoelitäres, was ich für ein noch absurderes Urteil halte, denn die erstere Elite-Frage ist ja noch nicht einmal beantwortet worden, und außerdem wäre der Lyriker Niko dann ebenso höchstelitär.

Niko

Beitragvon Niko » 11.02.2017, 08:14

Bin ich doch auch, pjotr!.... Oder? :blink2:

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Beitragvon Pjotr » 11.02.2017, 10:58

Ich hab ja sowieso nix gegen Elite :-)

Last

Beitragvon Last » 07.03.2017, 11:12

Danke für eure Rückmeldungen und die Diskussion.

Ich selbst finde Nikos Frage durchaus berechtigt; im Wesentlichen findet hier ja eine Argumentation statt, die dann allerdings als indirekte Rede erzählt und in Vierversern präsentiert wird. Die Frage, warum nicht als Essay, bzw. weshalb unbedingt in Lyrik, hat hier dann ja eine kleine Diskussion angestoßen, was diese Darstellungsform meiner Meinung nach genauso berechtigt wie eben die Frage.

Manchmal stoße ich in meinen Texten auf etwas, von dem mir nicht bewusst war, dass es darin zu finden ist, was mir dann aber so erscheint, als gehöre es auf ganz natürliche Weise zu dem, was ich ausdrücken wollte. Darin liegt wahrscheinlich einer meiner wesentlichen Anlässe, überhaupt zu schreiben.

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 08.03.2017, 17:51

Was mir gefällt an dem Text? Er erörtert gekonnt das Merkwürdige, Konträre bei Entscheidungen, die man nur halb durchdacht trifft, aber dennoch treffen will - gegen jeglichen, auch berechtigten Widerstand - weil man es eben so will.
LG
tulpenrot
"Ach, wissen Sie, in meinem Alter wird man bescheiden - man begnügt sich mit einem guten Anfang und macht dem Ende einen kurzen Prozess." AST


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