Magischer Moment

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
carl
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Beitragvon carl » 27.12.2016, 06:19

Ihr kleid über zweige geworfen
im schatten unten am bach
planscht die Sonne.

Gebannt aneinander gelehnt
wie die weiden

mit füßen im wasser
stehn wir
in wogen aus licht.



1. Version:

Ihr kleid in die zweige gehängt
im schatten unten am bach
planscht die Sonne.

Gebannt aneinander gelehnt
wie die weiden

die füße im wasser
stehn wir für immer
in den wogen aus licht.



2. Version (nach Anregungen s.u.)

Ihr kleid über zweige geworfen
im schatten unten am bach
planscht die Sonne.

Gebannt aneinander gelehnt
wie die erlen

mit stiefeln im wasser
stehn wir für immer
in wogen aus licht.
Zuletzt geändert von carl am 11.03.2017, 08:54, insgesamt 2-mal geändert.

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 27.01.2017, 10:22

Ja ....

Ohne "den" wirkt es stärker.

Was die Füße anbelangt, ohne Artikel könnte es ein wenig wie ein verkürzter Imperativ wirken.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 29.01.2017, 13:44

Hallo Carl,

dann noch eine andere Sichtweise dazu. .-) Für mich ist Version 1 zu ungebrochen süß, auch gerade unter dem Titel. Sie will im Moment sein, zeigen, ist es aber nicht, denn in dem Augenblick, in dem er in lyrische Worte gefasst wird, oder über die (Schreib)Worte auch nur nachgedacht wird, ist der Moment schon wieder vorbei, wird davon zerstört. Und diese "Süße", die einen in diesem Moment kurz überkommt, "magisch", und dann auch nicht kitschig ist, ist eben nicht "für immer". Man kann sie nicht halten, auch (gerade) nicht über das Wort. Die zweite Version erkennt das (an), sie bricht damit, auch mit einer Prise Selbstironie (sehr schön sind da die Stiefel). Sie ist spürbar aus dem "Danach" geschrieben, was es ja auch ist, und lässt so den Moment für sich stehen und über die eigenen Erfahrungen sichtbar werden. Und sie wäre noch schöner, wenn sie auch tatsächlich in der Vergangenheit stehen würde, gerade in Bezug auf das große "für immer".

Liebe Grüße
Ylvi
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.01.2017, 17:03

Lieber carl,

ein, ich zitiere "Meisterwerk" ist der Text für mich nicht, zum Glück .-)

Ich mag, wie der Moment gezeichnet ist, aus Sonne und Schatten, und wie die beiden auf sich selbst blicken. Ein Moment, wie ihn viele erleben, aber häufig ganz andere Erlebnisse suchen. ich mag auch, wie der Text mit den Bildern und Gedanken des Lesers spielt.

Warum aber "für immer"? Dieses und das "gebannt" und das "wogen aus licht" will das Ganze in meinen Augen zu mehr machen und lässt es dadurch für mich weniger sein. Fast so, als müsste man es für die, die solche Momente übersehen, lesbar machen?

Liebe Grüße
Lisa
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Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

carl
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Beitragvon carl » 22.02.2017, 08:25

Liebe Saloner, Dank für eure Rückmeldungen!

Dieser Thread ist für mich zum Anlass geworden, nochmal zu reflektieren,, warum ich Gedichte schreibe (selten) und sie veröffentliche (noch seltener).
Zurück zum Anlass:
An einem Bachlauf unter dem Schatten von Weiden stehen aneinander gelehnte Liebende, die das Sonnenlicht beobachten, wie es zwischen den Äste hindurch fällt, sich im unruhigen Wasser spiegelt und in Wellen reflektiert über die Zweige läuft. Und über sie selbst.
Und schon frage ich mich, ob diese Inhaltsangabe nicht das bessere Gedicht ist. Zumindest das klarere.
Wozu also ein Gedicht? (Warum Dichter lügen, Enzensberger)
Warum machen Leute ein Erinnerungsfoto? Und warum wollen sie selbst mit drauf sein, wenn es ein wichtiger Moment ist, der aus dem Strom der Zeit hervorragt? Warum unternehmen sie den absurden Versuch, diesen Moment zu „verewigen“?
Die Fragen sind im Kern schon die Antwort.
Weil der Moment als solcher nicht besonders ist. Er muss erst dazu gemacht werden, durch eine Innenansicht, eine Deutung. Die fehlt oben in der Inhaltsangabe. Sie ist von außen auch nicht beobachtbar. Das ist der kreative Akt, den man zum bloßen Erleben dazu tun muss, damit es verwandelt, als Erfahrung anverwandelt wird, und nicht wieder im Strom der Zeit untergeht.
Sprachlich und inhaltlich ist dieses Gedicht nicht besonders originell. Ähnlich den vielen Vorhängeschlössern auf einer Brücke. Nur für die unmittelbar Betroffenen ist es originell, sobald durch das Lesen die Situation wieder aktuell wird. Und ggf. für Leser, die eine vergleichbare Situation kennen. Dazu müsste die Sprache des Gedichts aber diese ihre Erfahrungen triggern, ähnlich wie Musik das kann.
Das scheint nicht(?) unbedingt der Fall zu sein…
Die beschriebene Situation ist insofern „originell“, als sie die Beziehung zwischen den Personen des „wir“ nicht als selbstreferentiell zeigt, wie heute üblich. Sie wird über etwas drittes gestiftet, das die beiden selbstvergessen wahrnehmen. Dafür steht die Sonne, die zum handelnden Subjekt wird und diesen Moment der beiden „auf ewig“ bannt. Wie auf ein Foto. Ein Erinnerungsfoto, das für einen Außenstehenden die Unbedeutendheit und Vergänglichkeit des Augenblicks nur unterstreicht. Deshalb sollte es auch nicht veröffentlicht werden…

Viele Grüße, Carl

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 04.03.2017, 21:22

Weil der Moment als solcher nicht besonders ist. Er muss erst dazu gemacht werden, durch eine Innenansicht, eine Deutung.


Ich glaube nicht, dass es sich so verhält.

Und ich glaube nicht, dass ein Text so seinen Wert erhält. Natürlich kann der Effekt hervorgerufen werden, aber das ist doch nicht das Prinzip von Texten und auch nicht die Erklärung für Erleben und auch gibt es nicht nichts außerdem.

Ich empfinde das Gedicht von allen Textgattungen (die mir gerade einfallen) als die, die am ehesten der Lüge verfällt und die am stärksten Lügen spricht. Das, was du beschreibst, hat mir erklärt, warum - weil häufig Ausgangs- und Endpunkt so sind wie du es beschreibst, ich vielen Gedichten gegenüber einen Abstand behalte.

Aber ich bleibe dabei, dass

Weil der Moment als solcher nicht besonders ist. Er muss erst dazu gemacht werden, durch eine Innenansicht, eine Deutung.


das so nicht stimmt. (Und deshalb auch Texte noch anderes vermögen.)

Schon der erste Satz bildet mit sich selbst einen Irrtum, obwohl er gerade diesen im Auge behalten möchte, während er Glück empfindet, um dem Selbstbetrug zu entgehen, indem man ihn als selbstverständlich miterlebt. Natürlich stimmt es auch nicht zu sagen, dass der Moment als solcher besonders ist - das ist er nicht, aber es gibt doch andere Arten zu --.

Ich werde drüber nachdenken, wie ich es positiv formulieren kann und hier nochmal vorbeikommen :oberschlau:

Liebe Grüße
Lisa
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carl
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Beitragvon carl » 11.03.2017, 08:50

Hi, ich bins nochmal (über PN würde ich auf die Missverständlichkeit meines letzten Posts hingewiesen):
Ich freue mich sehr über eure Rückmeldungen und eure Kritikpunkte! :blumen:
Haben mir weiter geholfen... ich denke, das "immer" werde ich streichen.
Auch glaube ich nicht, dass nur meine eigene Lesart als Innenperspektive zählt.
Mein letzter Post waren nur allgemeine Reflektionen, die sich lose an das Gedicht anschließen.

Viele liebe Grüße, Carl

Niko

Beitragvon Niko » 11.03.2017, 09:22

Hallo carl,

ganz bewusst habe ich mir das lesen sämtlicher Kommentare untersagt, damit nichts mich beeinflussen kann.
Ich weiß nicht, warum ich den Text nicht wahrgenommen habe, als du ihn im Dezember einstelltest.
Ich kann nur sagen: WOW!
Der Titel ist nicht untertrieben. Du meintest das beschreiben einer Magie eines Momentes, lieferst mir aber mit deinem Text ebenso einen solchen Moment.
Der Text ist still, unauffällig und doch von einer solchen intensivität, dass es mich wirklich umhaut!
Warum du die Änderungen vorgenommen hast, weiß ich nicht. Es mag eventuell sachliche gründe geben. Ich persönlich empfinde sie als eine Verschlechterung.
Gerade das tauschen von weide zu Erle finde ich sehr schade. Die weide, die wild, ursprünglich und nahezu unverzüglich ist und zudem gerne in Verbindung mit Wasser gebracht wird, hatte für mich genau den richtigen Platz im gedicht.
Auch die Stiefel habe ich nicht recht verstanden. Auch sie nehmen etwas weg an Natürlichkeit, Verbundenheit und " verwurzelt sein".
Die Großschreibung von "Sonne" und einem weiteren wort in direkter Folge kann ich mir zwar schlüssig aufdröseln, find das aber das einzig störende, weil es das dahinfließen dieser text- Magie unterbricht.
Ich danke dir für diesen magischen Moment der ur-version, der wirklich noch lange in mir nachklang wird. Ich kenn mich.... :daumen:

Herzlichst - Niko

Niko

Beitragvon Niko » 11.03.2017, 10:19

Ein gedicht, das unveöffentlicht ist, ist ein tagebucheintrag.
Ein veröffentlichter Tagebucheintrag kann ein gedicht sein, wenn das geschriebene weiter reicht als bis zur Schädeldecke des Verfassers.
Lüge und Wahrheit.....Das ist völlig belanglos. Lügen Formen die welt. Wahrheiten will keiner wahrnehmen, sie sind so verdammt nüchtern.
Aber ich sage: was entscheidend ist für mich, für den Leser, ja....Für die ganze Welt ist die Wahrheit eines Herzens. Es zeigt, wie es ist, wie es sein kann!

Ich bin nichts von dem, was da oben steht. Ich bin irgendein Mittelmaß. Aber ich sage immer: Wer mich kennen lernen will, sollte meine gedichte lesen. Ich bin meine gedichte.

Herzlichst - Niko

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.03.2017, 20:28

Lieber carl,

ich fand deine Antwort nicht missverständlich und freu mich über solche allgemeinen Reflexionen, auch wenn ich meine Antwort darauf wieder mal nicht zu Ende gebracht habe.

Liebe Grüße
Lisa
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