Der Zauberer

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Niko

Beitragvon Niko » 23.08.2006, 18:52



Der Zauberer

Auf bunte Seidentücher bannt er Sterne,
aus Ärmeln fließen Endlosregenbögen.
Das Staunen hat er längst in seiner Tasche
und wandelt es in eine rote Rose.

Ein großes Tuch aus silbernem Brokat
hebt er. Fünf junge, reine weiße Tauben
entschweben himmelwärts wie aus dem Nichts
und lassen Träume in die Herzen gleiten.

Doch wenn das Rund sich leert, steht er allein.
Kein Wunder ist mehr für ihn selbst geblieben;
Bezichtigt seine Hände des Verrats,
weil sie den Zauber stets aus Lügen fügen.

...auf bunte Seidentücher bannt er Sterne.
Zuletzt geändert von Mucki am 11.02.2010, 19:40, insgesamt 2-mal geändert.
Grund: nach Absprache mit Niko Text wieder eingesetzt

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 23.08.2006, 19:00

Lügen Zauberer?

moshe.c

Niko

Beitragvon Niko » 23.08.2006, 20:06

hallo moshe!
ja, sie lügen. gaukeln etwas vor (daher der zauberer-verwandte beruf "gaukler".in dem sie der wirklichkeit etwas vormachen. Illusionen sind letztendlich lügen. aber halt welche, die die menschen gerne sehen. wohl die einzigsten lügen, die man nicht verwerflich findet oder unmoralisch.
aber darum geht es nicht, moshe. es geht vielmehr darum, mal zu sehen, wie es einem geht, den alle bewundern, der die menschen erfreut und strahlend macht. das bild vor dem vorhang und dahinter. ist auch nicht verallgemeinernd.
lieben gruß: Niko

Bloodbrother

Beitragvon Bloodbrother » 23.08.2006, 20:28

Hallo Niko,

...aber zauberhafte Lügen ;-)


LG Michael

Benutzeravatar
Mnemosyne
Beiträge: 1253
Registriert: 01.08.2006
Geschlecht:

Beitragvon Mnemosyne » 24.08.2006, 15:34

Mein Name verpflichtet mich dazu, darauf zu bestehen, daß Zauberer NICHT lügen :-) ; Lüge meint die bewusste Irreführung in der Absicht, zu täuschen; ein Varietékünstler wird niemals davon ausgehen, sein Publikum glaube tatsächlich an seine magischen Fertigkeiten. Eher könnte man sagen, daß Priester lügen.
Ein schönes Gedicht; das Herabsinken der Unterhaltungsfassade in die Bedeutungslosigkeit dürfte neben Zauberern die meisten Angehörigen dieser Zunft ab und an treffen.

Grüsse

Merlin

Louisa

Beitragvon Louisa » 24.08.2006, 21:39

Hallo NJKahlen!

Also das ist ein schönes Zaubergedicht (ich bin ja sehr für sowas zu haben und besaß einst sogar einen kleinen Zauberkasten :smile: Du auch? )...

Das Staunen hat er längst in seiner Tasche
und wandelt es in eine rote Rose.


Das Staunen in der Tasche finde ich perfekt! Dann wird es noch besser, weil er es umwandelt (muss es unbedingt eine rote Rose sein...haben die nicht auch immer Münzen?)

Danach bleibt das Gedicht sehr schön, aber das hier:

und lassen Träume in die Herzen gleiten.


finde ich ein bisschen zu süßlich, vorher fand ich die Stimmung noch zauberhafter.

Bezichtigt seine Hände des Verrats,


...ist wieder wunderbar!

Und dann gefällt mir das Anknüpfen an den Anfang sehr! Aber "Lügner" ist so ein böses Wort. Irgendwo habe ich gelesen, dass jeder Mensch über zweihundert Mal am Tag lügt, ohne es zu wollen (in manche Fällen :smile: ).

Ich mag diese Berufgruppe- das Gedicht auch!

Grüßlein, louisa

Niko

Beitragvon Niko » 24.08.2006, 21:50

hallo louisa!
.......und danke für deinen kommentar. ich mag die zauberer auch nicht als lügner darstellen. streng genommen sind sie es wohl. weiter oben ja schon erläutert. aber wir lassen uns alle gerne manchmal etwas vormachen und geben uns illusionen schonmal gerne hin. und das macht ein zauberer quasi von berufs wegen.
ich will keinesfalls einen berufsstand denunzieren, sondern den zwiespalt eines zauberers darstellen. etwas, was er mit sich ganz alleine ausmachen muss.
das manchmal süßliche wie die rote rose und die in die herzen gleitenden träume finde ich persönlich dazu passend (sonst hätt ich es ja auch nicht geschrieben), denn zaubern will ja genau das auch! und das umwandeln des staunens in eine rote rose soll auch symbolisieren, dass der zauberer etwas davon zurückgibt, was das publikum ihm schenkt. münzen wären da nicht so geeignet.
.......meint mit liebem gruß: Niko

Sterntalerchen

Beitragvon Sterntalerchen » 27.08.2006, 17:47

Hallo NJ Kahlen

Ein starkes Werk das sehr zum nachdenken anregt....

ich habe ienen Fabel für Zauberer..:-))

hmmm mag sein das sie manchmal lügen....jedoch sich dessen vielleicht nicht bewusst sind, weil sie ja selbst an ihre Zauberkraft glauben...:-)


[quote][/quote]
weil sie den Zauber stets aus Lügen fügen.

ich denke sie fügen den Zauber nicht aus Lügen sondern aus Illusionen???


dein Werk hat mich sehr berührt

liebe Grüsse und einen schönen Restsonntag
Sterntalerchen

Max

Beitragvon Max » 29.08.2006, 21:50

Lieber Niko,

ich habe Schwierigkeiten mit dem Text. Kann es wirklich sein, dass Du Zauberer der Lüge bezichtigen möchtest? Was hättest Du davon? Und würdest Du auch einen Maler der Lüge bezichtigen, weil ja das auf der Leinwand Frabe ist und nicht wirklich eine Landschaft?

Liebe Grüße
max

Niko

Beitragvon Niko » 29.08.2006, 22:02

hallo max..........
mensch! du legst dich ja in die kommentier-riemen! alle achtung.
ich bezichtige nicht die zauberer der lüge. in dem gedicht tut es der zauberer selbst. ich habe lediglich angemerkt auf moshes frage hin, dass letztendlich ein zauberer betrügt. aber das sind die schönsten betrügereien der welt ;-) das wissen wir doch alle. und ich habe früher und auch jetzt noch große augen, wenn ich einen zauberer zaubern seh. er ver-zaubert halt.
mit dem malen ist es doch anders, denke ich. so gesehen sind alle künstler lügner.....ach - ich finde die diskussion irgendwie blöd. ich find zauberer genauso toll wie jeder andere mensch.
lieben gruß: Niko

Max

Beitragvon Max » 29.08.2006, 22:04

Lach Niko,

vielleicht vertedige ich den Zauberer ja nur, weil ich selbst mal zwei Kurse gemacht habe ;-)

Liebe Grüße
max

aram
Beiträge: 4475
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 29.08.2006, 23:09

hallo niko,

der text spricht mich an, die thematik / ambivalenz des 'zauberers' -

zugleich ist er mir ein wenig zu unentschlossen in seiner aussage und zu brav -

vielleicht aber nur, weil ich beim lesen sofort an den text "der zauberer ist tot" von andre heller denken musste, der ähnliche bezüge herstellt.

auszugsweise:

(...)

Der Spiegelnarr,
Der Schwierige,
Der Märchenhund ist tot.

Und tot sein heißt:
Er lebt
Er wechselt nur die Gestalt

(...)

Das grelle Licht vom Wolkenplatz
Legt Feuer ins Getreide
Ich seh', ich seh', was Du nicht siehst
Und seh' es
Für uns beide.

(...)

Ich seh', ich seh', was Du nicht siehst
Darin bist Du gefangen.
Die Kleinmut ist ein Stück vom Dreck
Die schneidet Dir die Aussicht
Die schneidet Dir die Einsicht
Die schneidet Dir die Zukunft weg.

(...)

Unter mir brennen Felder
Brennt ein Hirte,
Brennt ein Lamm.
Über mir, seine Herrlichkeit,
Der erste Maschinist

Und sein Zögern
Das sind Bänder aus Messing

(...)

Blitze, blitzender Blitz!

(...)

Nimm die Beruhigten
in deine Zangen.

(...)


auch wenn / weil hellers text in eine andere richtung geht, zeigen diese passagen für mich ganz gut, dass die "macht" des zauberers, die du treffend als 'sterne auf seidentücher bannen' beschreibst, noch eindrücklicher, weniger zaghaft illustriert werden könnte.

- ich hoffe du nimmst den vergleich nicht übel; er drängte sich mir einfach auf.

liebe grüße, aram



zitiert aus: Andre Heller, Kritische Gesamtausgabe 1967-1991, Polydor (Universal) ISBN/ASIN: B00000JR5N

Niko

Beitragvon Niko » 29.08.2006, 23:29

ja, aram............da magst du recht haben. aber heller hat halt einen ganz anderen stil. und jeder hat zum einen andere ansatzpunkte, andere lebenserfahrungen und einen anderen sprachschatz. insofern ist es ein bischen wie mit den birnen und äpfeln, die man miteinander vergleicht. man kann das gleiche thema sogar in die gleiche richtung behandeln, von mir aus auch sprachlich angenähert - es kommt immer etwas völlig unterschiedliches dabei herum.
aber übel nehmen tu ich dir das ganz sicher nicht. im gegenteil. das gedicht von heller kannte ich noch nicht und bin sehr erfreut, es jetzt kennen lernen zu dürfen.
also.......eine gute nacht wünscht: Niko

aram
Beiträge: 4475
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 31.08.2006, 03:27

ist es ein bischen wie mit den birnen und äpfeln, die man miteinander vergleicht


hallo niko, du hast natürlich völlig recht.

ich hatte beim ersten lesen schon nach titel und erster zeile diesen anderen text präsent, und konnte dann deinen nicht mehr adäquat lesen. nachdem ich das 'rausgelassen' habe, kann ich nun besser auf dein gedicht sehen - und finde es rund, in sich stimmig.

zwei stellen sind mir ein wenig zu plakativ, damit über der kitschgrenze:

- wobei du durchgängig fast nur mit "kitschbegriffen" arbeitest - was ich themenbezogen passend finde- aber hier:

"lassen träume in die herzen gleiten" / "doch wenn das rund sich leert, steht er allein"

ist es mir deshalb zu abgegriffen, weil das der 'erzähler' ohne direkten bezug auf zauberrequisiten sagt - wie das bei endlosregenbögen (schönes wort), roter rose, reinen weißen tauben, silbernem brokat noch der fall ist

z.b. wäre "lassen träume in die köpfe gleiten" inhaltlich wohl treffender - du könntest auch sagen "träume in die sinne steigen".

nächtliche grüße,
aram


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 73 Gäste